Alsterdorfer Anstalten

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Die Evangelische Stiftung Alsterdorf ist eine Stiftung in Hamburg im Stadtteil Alsterdorf, bekannt ist sie in Hamburg vor allem unter dem früheren Namen Alsterdorfer Anstalten. Die Stiftung ist ein diakonisches Dienstleistungsunternehmen mit Angeboten für Beratung und Diagnostik, Wohnen und Assistenz, Bildung und Arbeit, Medizin, Pflege und Therapie für Menschen mit und ohne Behinderung. Sie gilt als eine der ältesten Einrichtungen der stationären Versorgung von Menschen mit geistigen Behinderungen in Deutschland. Seit April 2005 sind die Einrichtungen rechtlich selbstständige, gemeinnützige Gesellschaften.

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Geschichte

Gründerjahre (1850-1899)

Die Anfänge der Evangelischen Stiftung Alsterdorf gehen zurück auf das Jahr 1850. Am 16. April gründete der junge Pastor Heinrich Matthias Sengelmann in seinem Pfarrhof der kleinen Elbgemeinde Moorfleet eine „Christliche Arbeitsschule“. Er nahm geistig gesunde, aber sozial benachteiligte Kinder auf, unterrichtete sie in Kulturtechniken und vermittelte ihnen Kenntnisse und Fertigkeiten in Handwerk und Landwirtschaft.

Als er 1853 Pastor an der Hamburger St.-Michaelis-Kirche wurde, wandelte er seine Arbeitsschule in das „St.-Nikolai-Stift“ um. 1860 kaufte Sengelmann den Alten Brauhof in Alsterdorf und verlegte das St.-Nikolai-Stift dorthin. Nach Aufbau einer Gartenbauschule gründete er die Alsterdorfer Anstalten.


Verantwortung für den Nächsten

Als Seelsorger an der St. Michaelis-Kirche besuchte Sengelmann häufig das Hamburger Gängeviertel. In den ärmlichen Wohnquartieren aus dem 17. Jahrhundert traf er auf den geistig behinderten Carl Koops. Sengelmann erkannte die fehlenden Entwicklungschancen des Jungen.

Nach vergeblichen Versuchen, für ihn eine Pflegefamilie zu finden, startete er einen Spendenaufruf zur Gründung eines Asyls. Mit dem Geld kaufte er weiteres Gelände in Alsterdorf und baute ein kleines Fachwerkhaus, in das am 19. Oktober 1863 vier geistig behinderte Jungen und ein Hausvater einzogen. Die Behindertenbetreuung wurde bald Schwerpunkt der Alsterdorfer Arbeit. 1867 gab Sengelmann sein Predigeramt am Michel auf, um als unbesoldeter Direktor den Ausbau der Anstalten zu gestalten. Durch Erbschaften ein recht vermögender Mann geworden, brachte er sein gesamtes Privatvermögen als Darlehen, später als Erbe in die Stiftung ein.

Eine rege Bautätigkeit, die systematische Ausbildung geeigneter Mitarbeiter und die Entwicklung differenzierter pädagogischer Programme auf der Grundlage des damaligen Wissens begann. Sengelmanns Auffassung von Bildungsfähigkeit war weit gefasst: Er unterrichtete geistig behinderte Menschen und beschäftigte sie in Werkstätten, Gärtnerei und Landwirtschaft. 1895 holte er einen der führenden Heilpädagogen seiner Zeit, den Lehrer Johannes Paul Gerhardt, als Schulleiter nach Alsterdorf. Dieser baute den Unterricht mit Vorschule, Klassen für geistig und lernbehinderte Kinder und Angeboten der Erwachsenenbildung in den Wintermonaten mustergültig aus. Als Sengelmann 1899 starb, lebten mehr als 600 geistig, körperlich und seelisch behinderte Menschen sowie 140 Mitarbeiter und ihre Familien in den Alsterdorfer Anstalten.

Die Stiftung wurde weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt.


Schwierige Zeiten (1899-1932)

Pastor Paul Stritter, der Nachfolger Sengelmanns, passte zunächst den Ausbau der Anstalten der allgemeinen wirtschaftlichen und technischen Entwicklung des neuen Jahrhunderts an. Er ließ große massive Wohnhäuser bauen mit Schlafsälen für bis zu 100 Personen. Die Alsterdorfer brauchten Platz, denn in nur 15 Jahren nach Sengelmanns Tod wurden weitere 400 Personen aufgenommen. 1914 – mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges – lebten 1.000 Menschen in den Anstalten. Die Zeit des Krieges und der Inflation danach bewältigten sie dank eigener leistungsfähiger Landwirtschaft ohne Hungersnot – die Einrichtung war weitgehend selbstversorgend. Allerdings forderten Grippe- und Tuberkulose-Epidemien mehr als 300 Todesopfer.


Medizin statt Pädagogik

1913 schenkte der Hamburger Senat anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Stiftung ein neues Schulhaus. Es wurde im März 1914 seiner Bestimmung übergeben. Drei Monate später begann der Erste Weltkrieg. Der regelmäßige Schulunterricht wurde eingestellt, das Gebäude als Militärlazarett hergerichtet. Zwar begann 1918 wieder ein begrenzter Unterricht, die Schule erhielt ihre personelle und räumliche Ausstattung jedoch nicht wieder. Die Pädagogik hatte bei den Verantwortlichen nicht mehr die Priorität wie zu Sengelmanns Zeiten - sie setzten verstärkt auf Forschung und medizinische Behandlungs- und Heilmethoden. Schulleiter Johannes Gerhardt verließ 1920 enttäuscht die Stiftung.


Sozialdarwinismus

1920 erscheint auf dem Büchermarkt eine kleine Schrift: Freigabe der Vernichtung lebensunwerten Lebens. Seine Wurzeln hat das Gedankengut der Autoren, des Strafrechtlers Karl Binding und des Psychiaters Alfred Hoche, im sogenannten Sozialdarwinismus, der um die Jahrhundertwende auch in Deutschland rasche Verbreitung findet. Seine Anhänger übertragen die Theorie Darwins, wonach das Kranke und Schwache in der Natur durch natürliche Auslese zugrunde geht, auf gesellschaftliche Verhältnisse. Durch systematische Auswahl „wertvollen“ Erbgutes wollen sie eine Verbesserung der eigenen Rasse erzielen, „minderwertiges“ Erbgut auslöschen. Aus Kosten- und Nützlichkeitsgründen fordern die Autoren die Tötung unheilbar Kranker und die Vernichtung "lebensunwerten" Lebens. Die politisch wie wirtschaftlich schwierigen 20er Jahre erweisen sich als geeigneter Nährboden für diese radikalen Thesen – trotz energischer Proteste aus Fachkreisen. Die Alsterdorfer haben zunächst andere Sorgen: Die Stadt Hamburg kommt näher. Ein Grundsatz der Stiftungsarbeit – das Leben fernab von den „Anfechtungen der Großstadt“ – wird damit hinfällig. Die Anstalten verkaufen landwirtschaftlich genutztes Gelände in Alsterdorf und erwerben mit dem Erlös das „Adelige Gut Stegen“ am oberen Alsterlauf. Stritter hat vor, die gesamte Einrichtung umzusiedeln, was sich dann jedoch als finanziell undurchführbar erweist. So wird das 250 ha große Gut Stegen die erste landwirtschaftliche Außenstelle. 1930 geht Paul Stritter in den Ruhestand. In seine Amtszeit fällt der erste grundlegende Paradigmenwechsel der Behindertenhilfe: Die immer stärker werdende Dominanz der Medizin zu Lasten der Pädagogik. Gegen Ende der 20er Jahre ist jeder Ausbau der Versorgung eng gekoppelt mit ärztlichen Sichtweisen und medizinischen Heilungsgedanken.


Die NS-Zeit (1933-1945)

Die Stiftung wird ab 1930 unter Direktor Friedrich Karl Lensch, evangelischer Theologe, bis 1927 Seemannspastor, Obersturmbannführer der SA, Volkssturmführer, Mitglied in der Deutschen Arbeitsfront und der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt und Nazi-Pastor, geführt. Unter ihm werden die Anstalten zu einem „Spezialkrankenhaus für alle Arten geistiger Defektzustände“ und „Nationalsozialistischen Musterbetrieb“, Lensch erhält ein Gaudiplom für hervorragende Leistungen. Gerhard Kreyenberg, Mitglied der NSDAP und SA, Gaustellenleiter der Rassenhygienischen Forschungsstelle der NSDAP und Gutachter und Beisitzer des Erbgesundheitsgerichts in Hamburg, war seit 1931 Leitender Oberarzt, später Mitglied des Vorstandes und schließlich Stellvertreter des Direktors der Anstalten. Er unterwarf dort zahlreiche Bewohner zwangsweise experimentellen Behandlungen: Röntgenbestrahlungen des Gehirns, Insulin- und Cardiazol-Schockbehandlungen, Dauerbäder, Schlaf- und Fieberkuren. Auch außerhalb der Anstalten unterstützte er die Zwangssterilisation von geistig Behinderten, Landstreichern, Bettlern, „Zigeunern“, Prostituierten, Homosexuellen und Hilfsschülern.


Sterilisation und Euthanasie

Seit Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich weltweit in Wissenschaft und öffentlicher Meinung zunehmend die Auffassung durchgesetzt, bei der Entstehung von Behinderungen und Erkrankungen spiele Vererbung im Gegensatz zur Umwelt die bei weitem überragende Rolle. Nach der Machtergreifung beansprucht das totalitäre NS-Regime das Recht, aus seiner Sicht derart „minderwertiges Leben“ zu Gunsten der Gesunden und Leistungsfähigen „arischer Rasse“ von Staats wegen zu unterdrücken und schließlich aus dem „Volkskörper“ zu entfernen. Der nationalsozialistische Staat wird auch in der christlichen Anstalt Alsterdorf voll und ganz bejaht: Die meisten Mitarbeiter sind Parteigenossen, Mitglieder der SA, der SS oder anderer Gliederungen der Partei. Das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ von 1933 wird in Alsterdorf begrüßt und zunächst in Form von Zwangssterilisationen in die Tat umgesetzt. Die evangelischen medizinischen Anstalten erhalten zahlreiche nationalsozialistische Auszeichnungen.


Deportation und Vernichtung

1938 – nur wenige Tage nach dem 75-jährigen Stiftungsjubiläum - werden ohne äußeren Druck 22 jüdische Bewohner selektiert und in andere Einrichtungen zur dortigen Ermordung verlegt. Ein Jahr später, die Stiftung hat inzwischen 1900 Bewohner, werden im Schatten des Zweiten Weltkrieges die NS-Vernichtungsaktionen ausgeweitet, 1940 beginnt die systematische Euthanasie. Unter Lensch als Direktor und ausgewählt von Kreyenberg, werden 1941 insgesamt 71 Bewohner, im August 1943 nach den schweren Bombenangriffen auf Hamburg weitere 469 Bewohner der Alsterdorfer Anstalten in solche Anstalten deportiert, die eigens zur Tötung der Neuankömmlinge eingerichtet worden waren. Die meisten dieser Deportierten sind Erwachsene, die „Euthanasie“-Ärzte durch systematisches Verhungernlassen und Überdosierung von Medikamenten ermorden. Erwachsene und Kinder werden auch in die Fachabteilung des Krankenhauses Rothenburgsort verlegt, wo sie Opfer medizinischer Experimente und der sogenannten Kinder-Euthanasie werden.


Wandbild des arischen Christus

Hinter dem Altar der Backsteinkirche auf dem Gelände der Alsterdorfer Anstalten befindet sich ein großes Wandbild, 1938 von Lensch entworfen und ausgeführt. Es zeigt das Bild eines athletischen „arischen“ Christus am Kreuz. Die somit in „Verkörperung der nordischen Rassenseele“ nach Alfred Rosenberg und Walter Grundmann „entjudete“ Darstellung des Christus ist umgeben von zwölf weißgewandeten Gemeindemitgliedern, alle mit Heiligenschein - ausgenommen drei als behindert Dargestellte.


Die Anstalt (1946-1979)

Die Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg sind geprägt vom Wiederaufbau der schwer zerstörten Häuser auf dem Stiftungsgelände. Viele der Gebäude sind lediglich mit Notdächern versehen. Unter der Leitung des neuen Direktors Oberkirchenrat Volkmar Herntrich beginnt eine rege Bautätigkeit: Die Kirchliche Hochschule bekommt ihren Sitz in Alsterdorf. Neubauten für Mitarbeiter und Schwesternschaft sowie die neue Kinderpflegerinnen-Schule entstehen. Das Evangelische Krankenhaus Alsterdorf – im Vorfeld des Krieges ausgebaut und für die umliegende Bevölkerung geöffnet – kann seinen Betrieb fortsetzen. Wirtschaftsgebäude werden instand gesetzt. Die Sonderschule nimmt in provisorischen Baracken ihre Arbeit wieder auf.


Geistiger Neuanfang

Lensch und Kreyenberg traten 1945 auf eigenen Wunsch von ihren Ämter zurück, strafrechtliche Ermittlungsverfahren gegen beide wurden 1972 ohne Anklage eingestellt. Lensch war von 1947 bis 1963 Gemeindepfarrer in Hamburg-Othmarschen. Kreyenberg durfte von 1945 bis 1948 nicht ärztlich tätig sein, 1952 eröffnete er im Stadtteil Alsterdorf eine Arztpraxis und erstritt sich vor Gericht Belegbetten in den Alsterdorfer Anstalten. Fast zwei Jahrzehnte lang war er zudem Gutachter in Wiedergutmachungsverfahren nach Zwangssterilisation. Ende der 50er Jahre – Direktor ist inzwischen Pastor Julius Jensen – plant die Stiftungsleitung in enger Kooperation mit der Stadt Hamburg den Bau der Teilanstalt Stegen (das heutige Heinrich-Sengelmann- Krankenhaus), eine 1000-Betten-Klinik für psychisch kranke Langzeitpatienten vor den Toren Hamburgs. Die ersten beiden Bauabschnitte mit einem Drittel der ursprünglich geplanten Betten werden in den 60er Jahren realisiert, dann überholen neuere Erkenntnisse die alten Pläne. Anfang der 60er Jahre rücken therapeutische Ansätze wieder in den Vordergrund. Die Systematik, mit der Sengelmann zu seiner Zeit behinderte Menschen gefördert und beschäftigt hatte, ist weitgehend verlorengegangen. Beschäftigungstherapie und Arbeitstherapie (heute "alsterarbeit") werden aufgebaut. Die meisten der 1200 Bewohner leben jedoch in engen, wenig behindertengerechten Räumlichkeiten. Eine Situation, die gezielte Förderung fast unmöglich macht. Ein Generalbebauungsplan für das Stiftungsgelände soll Abhilfe schaffen. Dem Zeitgeist entsprechend ersetzen drei Hochhäuser die alten Wohngebäude – z.T. mit zwanzigjähriger Verzögerung. Sie lösen zwar die alten Schlafsäle ab, stellen heute jedoch eine erhebliche Altlast dar.


Früherkennung und Pädagogik

Seit 1968 ist Pastor Hans-Georg Schmidt Direktor der Alsterdorfer Anstalten. In seine Amtszeit fallen – neben dem Bau der drei Hochhäuser – weitreichende Entscheidungen: Mit erheblicher finanzieller Unterstützung von Versandhausgründer Werner Otto entsteht auf dem Alsterdorfer Gelände 1974 ein Zentrum zur Früherkennung und Behandlung von Behinderungen. Das Werner Otto Institut verfügt über eine interdisziplinär arbeitende diagnostische und therapeutische Ambulanz, eine kleine Klinik und den ersten Integrationskindergarten in der Hansestadt. Das Sozialpädiatrische Zentrum ist das erste ambulante Angebot der Stiftung für Familien mit behinderten Kindern.


„Schlafsaalatmosphäre“

Die Behindertenhilfe der Stiftung ist zu dieser Zeit – baulich und personell – wie ein Großkrankenhaus organisiert. Medizinische und pflegerische Aspekte dominieren, persönliches Eigentum und Privatsphäre der Bewohner sind ein Privileg, in dessen Genuss nur wenige kommen. Zwar schwappt Anfang der 70er Jahre der Normalisierungsgedanke aus Skandinavien auch nach Deutschland herüber. Er setzt sich in den großen Anstalten aber nur zögerlich durch. Immerhin: 1975 entsteht in unmittelbarer Nachbarschaft des Stiftungsgeländes die erste Außenwohngruppe. Im gleichen Jahr nimmt die Heilerzieher-Schule ihre Ausbildung auf. Ganzheitliche und pädagogische Sichtweisen kommen mit den Absolventen in die Alltagsarbeit, lassen sich aufgrund des vorhandenen Umfeldes jedoch kaum umsetzen. Forderungen aus der Mitarbeiterschaft nach grundlegenden inhaltlichen Veränderungen – der Umsetzung des Normalisierungsgedankens – werden immer lauter. Ein sogenannter Kollegenkreis formiert sich.

Die Forderungen der Alsterdorfer Mitarbeiter Ende der 70er Jahre lesen sich heute wie Selbstverständlichkeiten: Gründung von Wohngruppen in den Stadtteilen, Aufhebung der Geschlechtertrennung in den Wohnungen, Schaffung von Förderangeboten für Menschen mit sehr schweren Behinderungen.


Der „Zeit-Skandal“ und seine Folgen

1979 erscheint im ZEIT-Magazin eine Reportage über katastrophale Lebensbedingungen sehr schwer behinderter Menschen in Alsterdorf. Die Reaktion der Öffentlichkeit bringt Stiftungsleitung und aufsichtsführende Behörde in massiven Rechtfertigungs- und Erklärungsdruck – im Kreuzfeuer der Kritik werden die vorhandenen beispielhaften Projekte nicht mehr registriert. Aber der äußere Druck beschleunigt auch die Entwicklung: Der Pflegesatz der Stiftung, bis dahin der niedrigste aller Einrichtungen der Behindertenhilfe in Hamburg, wird durch die damalige Sozialbehörde erhöht. Außerdem wird der Stiftung ein Kredit gewährt, für den Neubau eines Hauses, das die Wohnplatzsituation verbessert. Das sechsstöckige Carl-Koops-Haus wird 1982 eingeweiht und bietet ca. 220 Menschen Wohnmöglichkeiten in 2- 3-Bettzimmern – für die vorhandene Schlafsaalsituation eine Verbesserung. Trotzdem galt das Carl-Koops-Haus schon damals als nicht besonders behindertengerecht. Inzwischen (2011-2012) wurde das Carl-Koops-Haus komplett abgerissen. An der Stelle entsteht zur Zeit ein technischer Funktionsbau.


Wohnangebote in den Stadtteilen Hamburgs

Anfang der 80er Jahre ziehen zudem immer mehr Wohnverbünde vom Stiftungsgelände in Hamburgs Stadtteile. Eine erste Gruppe mit stark auffälligen Bewohnern siedelt sich im Hamburger Umland an. Die frei werdenden Räumlichkeiten auf dem Stiftungsgelände ermöglichen eine Auflockerung der Belegung – jahrelang hat die Stiftung einen Aufnahmestopp. Bessere personelle und räumliche Ausstattung, intensive Zuwendung und moderne pädagogische Konzepte verbessern die Lebensbedingungen der geistigbehinderten Bewohner in der Stiftung in den 80er Jahren erheblich.


Integrative Erziehung

1981 endet auch ein anderes jahrzehntelanges Provisorium: Die Sonderschule zieht aus den Nachkriegsbaracken in einen großräumigen Schulneubau. Jetzt werden – auch wenn sie dem Schulalter z.T. längst entwachsen sind – sehr schwer behinderte Bewohner eingeschult. 10 Jahre später endet die Ära der Heim- Sonderschule, denn in der Stiftung leben kaum noch Kinder im schulpflichtigen Alter. Die Verantwortlichen gründen 1989 Hamburgs erste Grundschule mit Integrationsklassen und benennen die Schule nach Johann Bugenhagen, den Weggefährten Luthers und Kirchen- und Schulreformer. 1995 setzt die Bugenhagen-Schule den Integrationsgedanken auch im Gesamtschulbereich fort. Bereits einige Jahre vorher reformierte sie ihren Sonderschulzweig.


Ein neuer Vorstand

1982 tritt Pastor Hans-Georg Schmidt zurück. Interimsdirektor wird für ein Jahr Lübecks späterer Bischof Karl Ludwig Kohlwage. 1983 übernimmt der Hamburger Propst Rudi Mondry den Vorsitz im inzwischen dreiköpfigen Vorstand. Mondry sorgt für die Aufarbeitung der Alsterdorfer Geschichte und treibt die konzeptionelle Weiterentwicklung der Behindertenhilfe konsequent voran. Deren Regionalisierung wird 1989 Programm. In seine Amtszeit fällt auch die Änderung des Stiftungsnamens: 1988: Aus den Alsterdorfer Anstalten wird die Evangelische Stiftung Alsterdorf.


Neue Wege 1990-2003

Sanierung und Zukunftssicherung

Anfang der 90er Jahre werden wirtschaftliche Schwierigkeiten deutlich: Seit Jahren sind die Ausgaben der Stiftung höher als die Einnahmen – nicht alle Veränderungen sind refinanziert und es fehlt ein klares Budgetmanagement für die einzelnen Bereiche. Der Spardruck erhöht sich. 1992 diskutieren mit äußerster Schärfe Mitarbeiter und Öffentlichkeit die Gehälter der Alsterdorfer Vorstandsmitglieder. Auf dem Höhepunkt der Kampagne tritt Rudi Mondry zurück. 1993 übernimmt ein vierköpfiger Vorstand die Geschäftsführung. Seit April 1995 führen Vorstandsvorsitzender Rolf Baumbach († 2006) und sein Stellvertreter Wolfgang Kraft die Stiftung. Sie leiten mit Unterstützung von Senat, Kirche und Banken eine umfassende Sanierung ein, die zwei Jahre später abgeschlossen ist. Die Zukunftssicherung der Stiftung setzt sich 1998 fort: Vorstand, Mitarbeitervertretung und ÖTV vereinbaren einen gemeinsamen Prozess der Binnenmodernisierung und schließen das Bündnis für Investition und Beschäftigung. In ihm verzichten alle Mitarbeiter fünf Jahre lang auf Tariferhöhungen und investieren 50 Millionen Mark in Neubauten. Im Gegenzug verzichtet die Stiftungsleitung auf betriebsbedingte Kündigungen und die Ausgliederung von Betriebsteilen. Das Bündnis endet am 31. Dezember 2003.


Mehr Rechte für mehr Selbstständigkeit

Die 90er Jahre: Ein neues Betreuungsgesetz (1. Januar 1992) wird verabschiedet. Es soll mehr Eigenverantwortung für den einzelnen behinderten Menschen schaffen, besonders in Bezug auf seine Rechtsfähigkeit. Neue Konzepte in der Behindertenhilfe entstehen: Im Zentrum steht der Mensch mit Behinderung, der mit weitestgehender Selbstständigkeit sein Leben mit professioneller Unterstützung planen und entwickeln soll. Dies wird in einem europäischen Gemeinschaftsprojekt zwischen Belgien, den Niederlanden und Deutschland mit dem Titel "Community care" erprobt. (Die Evangelische Stiftung Alsterdorf ist an diesem Projekt mitbeteiligt.) Der Grundgedanke dieses Projektes zielt besonders auf die Struktur von Großeinrichtungen ab. Ziel ist es, die vorgehaltenen Angebotsstrukturen in solchen Einrichtungen in flexible, nachfrageorientierte Assistenz und Dienstleistungen umzuwandeln. Der behinderte Mensch im Mittelpunkt kauft sich seine ihm gemäßen Assistenz- und Unterstützungsangebote selbst, oder durch einen Betreuer ein. Solche Modelle werden in Dänemark und Schweden schon seit den 80er Jahren umgesetzt.


Vom Betreuten zum Kunden

Die Reform des § 93 des Bundessozialhilfegesetzes, der in seiner neuen Form 1999 in Kraft tritt, verändert die Situation der Behindertenhilfe erneut. Der hilfebedürftige Mensch wird in den neuen Gesetzestexten zum „Leistungsnehmer“. Pflegeanteile in der Betreuung behinderter Menschen sollen aus dem Pflegesatz herausgerechnet werden und aus den Kassen der Pflegeversicherung finanziert werden. Die Anbieter der Behindertenhilfe müssen ihre Dienstleistungen in Form von präzisen Leistungs- und Maßnahmenbeschreibung dem Kunden, also dem Menschen mit Behinderung und/oder seinem Betreuer und vor der Behörde anbieten. Dadurch gibt es keine Bevorzugung von freien, gemeinnützigen Trägern mehr, das bedeutet, alle Anbieter haben die gleiche Ausgangsposition. Ob sich diese Veränderungen in den nächsten Jahren bewähren werden, wird sich an ihrer praktischen Umsetzung und vor allem an der Meinung der Kunden messen lassen müssen.


Operative Bereiche und Tochtergesellschaften der Stiftung

Unmittelbar bei der Stiftung verbleiben als operative Bereiche zunächst nur die Kinder- und Jugendhilfe mit ihren Schulen und Kindertagesstätten, das Beratungszentrum und das Therapiezentrum der Stiftung sowie das Betreute Wohnen für psychisch Kranke. Alle Dienstleistungsangebote der Stiftung, einschließlich der zehn neuen Tochtergesellschaften, bleiben jedoch im Rahmen des Unternehmensverbundes der Stiftung eng verbunden. Dafür sorgen, äußerlich deutlich erkennbar, das gemeinsame Corporate Design sowie einheitliche Regelungen wie Leitbild und Unternehmensgrundsätze, die für alle Leistungsbereiche und Tochtergesellschaften bindend sind. Damit sind auch in der Zukunft strategische Themenfelder wie Controlling, Grundsätze der Personalführung oder Öffentlichkeitsarbeit einheitlich geregelt. Auch die Vermögensverwaltung, also das Management der Grundstücke und Gebäude, verbleiben in der Verantwortung der Stiftung. Teil des Stiftungsverbundes sind zudem weitere Tochtergesellschaften einzelner Bereiche, so diverse Integrationsbetriebe, die Arbeit und Beschäftigung in unterschiedlichen Arbeitsfeldern vorhalten, oder Firmenbeteiligungen. Und auch die gewerblichen Tochtergesellschaften, die in den vergangenen Monaten und Jahren entstanden sind, bleiben Unternehmen der Evangelischen Stiftung Alsterdorf.



Text: Wikipedia

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