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Alte Kommandantur

Das Kommandantenhaus (Alte Kommandantur) bildet den Auftakt des Boulevards Unter den Linden in Berlin. Direkt gegenüber vom Zeughaus und in unmittelbarer Nachbarschaft zur Museumsinsel gelegen steht das historisierende Monument auf städtebaulich wichtigem Terrain. Als Beispiel einer nahezu vollständigen Rekonstruktion zerstörter, historischer Bausubstanz wird das als Hauptstadtrepräsentanz der Bertelsmann AG und der Bertelsmann Stiftung wiedererrichtete Gebäude architektonisch von Nikolaus Bernau kontrovers beurteilt.[1] Südlich des Kommandantenhauses wurde der Schinkelplatz gartendenkmalpflegerisch wiederhergestellt.

Inhaltsverzeichnis

Siegelmarken

Geschichte bis zur Zerstörung

Im 17. Jahrhundert wurde die erste größere Stadterweiterung Berlins geplant. Noch innerhalb der alten Festungsanlagen der Residenzstadt sollte der neue Stadtteil Friedrichswerder entstehen. Mit der Durchführung beauftragte Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg (der „Große Kurfürst“) seinen Festungsbaumeister Johann Gregor Memhardt. Als Anerkennung erhielt Memhardt vom Kurfürsten ein Baugrundstück in guter Lage als Geschenk und ließ dort um 1653 sein zweigeschossiges Wohnhaus bauen, das erste steinerne Haus auf dem Friedrichswerder – Vorgänger des Kommandantenhauses.

Nachdem das Gebäude baufällig geworden war, entstand 1795/96 ein repräsentativer königlicher Immediatbau, errichtet durch den Baumeister Wilhelm Konrad Titel. Dieses Gebäude war zunächst als privates Palais mit zahlreichen Wohn- und Nebenräumen sowie Pferdeställen angelegt, 1799 wurde es zum Sitz des Kommandanten der Berliner Garnison bestimmt. 1818 übernahm die Kommandantur auch den Dienst an der Neuen Wache, die von Karl Friedrich Schinkel schräg gegenüber, zwischen Zeughaus und Universität – dem früheren Prinz-Heinrich-Palais – errichtet worden war.

Ein wesentlicher Umbau erfolgte in den Jahren 1873/74. Ein weiteres Geschoss kam hinzu, das barocke Walmdach wurde durch ein Flachdach ersetzt, die ganze Fassade mit einer markanten Putzquaderung bedeckt. An den Rändern des Daches stellte man acht Terrakotta-Adler mit ausgebreiteten Flügeln auf. Die Gesamtgestaltung lehnte sich an die florentinische Palastarchitektur der Frührenaissance an – für eine solche Adaption gab es seit 1830 ein prominentes Beispiel in Berlin, nämlich Schinkels Palais Redern am Pariser Platz, das 1907 dem Neubau des Hotel Adlon weichen musste. Außenministerium der DDR, 1995/96 abgerissen (Foto: 1972)

Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges wurde das Kommandantenhaus bei Bombenangriffen beschädigt und in den 50er Jahren abgerissen; die DDR beanspruchte das Grundstück für ihr groß dimensioniertes Außenministerium, das seinerseits 1995 wieder abgerissen wurde.

1806, während der Besetzung Berlins durch die Truppen Napoleons, hatte der Schriftsteller Stendhal (bürgerlich Marie-Henri Beyle) als französischer Kriegskommissar das Kommandantenhaus bewohnt. Der letzte Berliner Stadtkommandant und Hausherr der Kommandantur, Paul von Hase, war an der Vorbereitung des Umsturzversuches vom 20. Juli 1944 beteiligt, er sollte während der Aktion für die Absperrung des Regierungsviertels sorgen. Nach dem Scheitern des Attentats auf Adolf Hitler wurde er vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt und am 8. August 1944 im Strafgefängnis Berlin-Plötzensee hingerichtet.

Vollständiger Wiederaufbau

Rahmenbedingungen

1999 erwarben Bertelsmann AG und Bertelsmann Stiftung das prestigeträchtige Grundstück Unter den Linden Nr. 1 in einem öffentlichen Bieterverfahren in Konkurrenz zu 37 Mitbewerbern. Der Kaufpreis betrug 12,7 Millionen Mark. Für die Nutzung des 967 m² großen Areals hatte der Berliner Senat verbindliche Auflagen gemacht. Verlangt wurden die Wiedererrichtung des alten Baukörpers und die genaue Rekonstruktion der historischen Fassade. Die Gestaltung des Gebäudeinneren wurde den Erwerbern freigestellt. Bertelsmann wollte eine anspruchsvolle, hauptstädtische Repräsentanz errichten, die auch dem Modernitätsanspruch des Unternehmens gerecht werden sollte. Das Ergebnis ist ein deutlicher Kontrast zwischen Innen und Außen. Verantwortlicher Architekt war der Kölner Thomas van den Valentyn, für die Wiederherstellung der Fassade wurden die als Spezialisten erfahrenen Berliner Baumeister Rupert und York Stuhlemmer herangezogen. Der Wiederaufbau war im November 2003 abgeschlossen.

Rekonstruktion der Fassade

Bautechnisch ergab sich eine zweischalige Lösung: innen die tragende Konstruktion aus Stahlbeton und Mauerwerk aus Kalksandstein, außen verputztes Ziegelmauerwerk mit Einlagen von Sandstein und schmückenden Details. Die historische Quellenlage war äußerst dürftig. Originalbaupläne waren nicht vorhanden. Die Rekonstruktion basierte im Wesentlichen auf einem 40 × 40 cm großen Glasnegativ, das der Fotograf Albrecht Meydenbauer 1910 für das Preußische Messbildarchiv hergestellt hatte, sowie auf 30 Amateuraufnahmen. In Kooperation mit dem Fachbereich Fotogrammetrie der Technischen Universität Berlin konnte das Bildmaterial so bearbeitet (entzerrt und digital geschärft) werden, dass es den Großteil der benötigten Informationen lieferte. Zusammen mit einem Katasterplan von 1880, mit den im Jahre 2001 bei archäologischen Erkundungsgrabungen entdeckten Grundmauern und einigen Trümmerfotos aus den 1940er-Jahren reichten die Unterlagen aus, um in Teilbereichen millimetergenaue Resultate zu erzielen.

Die Analyse der archäologischen Grabungsfunde erlaubte es auch, Farbton und Herkunft des ursprünglich eingesetzten Materials zu bestimmen. Es zeigte sich, dass der reichlich verwendete Kalkstein überwiegend aus Schlesien gekommen war. Seit Oktober 2002 wurde im polnischen Radków „Wünschelberger Sandstein“ für den Sockel, im polnischen Rakowice „Rackwitzer Sandstein“ für das Gesims des neuen Kommandantenhauses abgebaut. Insgesamt wurden bei der Rekonstruktion etwa 312 Tonnen Sandstein verarbeitet. Zahlreiche baukünstlerische Schmuckelemente – Löwenköpfe, Lorbeerkränze, das Relief „Achill unter den Töchtern des Lykomedes“, die Adler –, aber auch Fensterumrahmungen, Konsolen und Säulenkapitelle mussten von spezialisierten Bildhauern nachgeschaffen werden. Die acht Adler aus Terrakotta, jeder 500 Kilogramm schwer, wurden im brandenburgischen Jacobsdorf-Sieversdorf hergestellt und jeweils rund 150 Stunden lang im Ofen gebrannt.

Insgesamt ging man bei der Rekonstruktion mit außerordentlicher Sorgfalt vor. Strukturierte Backsteine wurden in sieben verschiedenen Größen hergestellt und verarbeitet, entsprechend den unterschiedlichen Materialien in den aufeinanderfolgenden Phasen der ursprünglichen Baugeschichte. Für die Rundbogenfenster hat man das Mauerwerk aus 300 besonders zugeschnittenen Steinen zusammengesetzt, obwohl davon unter drei Lagen Putz nichts mehr zu erkennen ist. Ein so hoher Grad von Genauigkeit wurde ausdrücklich auch deshalb angewendet, um generellen Vorbehalten gegenüber der vollständigen Rekonstruktion von Baudenkmälern nicht zusätzliche Nahrung zu geben.

Innenausbau

Hinter der historisierenden Fassade befinden sich Innenräume, die teils modern und funktional, teils eher konservativ und repräsentativ eingerichtet sind. In einer sachlich gestalteten, 227 m² großen Halle im Erdgeschoss mit großer Mediawand können Pressekonferenzen, Lesungen und dergleichen stattfinden. Die Räume im ersten Obergeschoss, ausgestattet mit Kronleuchtern, Edelholztäfelung, Eichenparkett und Ledersesseln, werden vorwiegend vom Führungspersonal genutzt. Weiter im Gebäude vorhanden sind ein großer Hörsaal, Konferenzräume, eine Bibliothek, ein Bistro und eine Bar.

Ein besonderer Akzent findet sich auf der Rückseite des Hauses. Das alte Kommandantenhaus besaß einen U-förmigen Grundriss. Dessen kleiner, nach Süden offener Hof wurde beim Neubau durch eine leicht abgeschrägte, haushohe Stahl- und Glaskonstruktion geschlossen. Nur an dieser Stelle ist das Prinzip der unbedingt historisch getreuen Fassadengestaltung durchbrochen worden. Der neu entstandene, hohe Innenraum enthält einen 12 × 3 Meter großen Bildschirm, die zeitgemäße Abwandlung eines Deckengemäldes. Hier können unterschiedliche Lichtstimmungen erzeugt, Wolken- oder Sternenhimmel dargestellt oder spezielle Filme gezeigt werden.

Für und Wider

Der Wiederaufbau des Kommandantenhauses – neben anderen Projekten – war Anlass für eine langjährige, heftige Debatte um Grundsatzfragen der Denkmalpflege: sollten Veränderungen, die im Lauf der Zeit eingetreten sind, als Spuren der Geschichte sichtbar bleiben – wenn ja: in welchem Ausmaß? Oder sollten frühere Zustände wiederhergestellt werden – wenn ja: welcher von ihnen und in welchem Umfang?

Solche Fragen erlauben keine unstrittig richtigen Antworten. Hier werden Überzeugungen vertreten, die man teilen kann oder nicht – entsprechend polemisch verlaufen oft die Auseinandersetzungen. Gegner der Rekonstruktion sprechen von „Disneyland-Architektur“, von „reanimierten Architektur-Fossilien“, sie vermuten ein „tiefes Ressentiment gegen die Moderne“ oder sogar den „Versuch, Geschichte ungeschehen zu machen“. Befürworter beschwören die „identitätsstiftende Wirkung“ harmonisch gewachsener Stadtbilder; sie verweisen auf die oft höchst unglücklichen Versuche der Nachkriegsarchitektur, kriegsbedingte Lücken in historischen städtischen Ensembles angemessen zu schließen; im konkreten Fall erinnern sie an die Wiederherstellung einer Reihe von einst mehr oder weniger zerstörten Gebäuden in der Nähe des Kommandantenhauses – Kronprinzenpalais, Staatsoper, Neue Wache, Zeughaus – und stellen die rhetorische Frage, wie Berlins historische Mitte heute aussehen würde, wenn in allen diesen Fällen Altes durch Neues ersetzt worden wäre.

Die Diskussion um das Kommandantenhaus wurde auch deshalb mit besonderer Schärfe geführt, weil das Gebäude als Präzedenzfall für andere, zum Teil weit größere Projekte mit ähnlicher Ausgangssituation betrachtet wurde. Dies galt vor allem für das 1945 stark kriegsbeschädigte und 1950 vollständig beseitigte Berliner Schloss, das an historischer Stelle auf der Spreeinsel als Humboldtforum bis 2019 wiedererrichtet wird.


Text: Wikipedia

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