Aufstand des 17. Juni

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Sowjetischer T-34/85-Panzer in der Schützenstraße in Berlin

Als Aufstand des 17. Juni (auch Volksaufstand oder Arbeiteraufstand) werden die Ereignisse bezeichnet, bei denen es in den Tagen um den 17. Juni 1953 in der DDR zu einer Welle von Streiks, Demonstrationen und Protesten kam, die verbunden waren mit politischen und wirtschaftlichen Forderungen. Er wurde von der Roten Armee blutig niedergeschlagen.

Dieser erste antistalinistische Aufstand[1][2] hatte zahlreiche Ursachen, darunter der beschleunigte Aufbau des Sozialismus in der DDR, die damit verbundene Ignoranz der DDR-Führung gegenüber den Bedürfnissen der Arbeiterklasse einschließlich ihres Beschlusses, die Arbeitsnormen zu erhöhen, sowie weitere Fehler der SED.

Der Aufstand des 17. Juni wirkte außerdem als politisches Signal auf die Völker in den damaligen Ostblockstaaten.[3]

Der 17. Juni war von 1954 bis zur deutschen Wiedervereinigung 1990 als „Tag der deutschen Einheit“ der Nationalfeiertag der Bundesrepublik Deutschland.

Hintergrund

Vom 9. bis 12. Juli 1952 fand in der Werner-Seelenbinder-Halle in Ost-Berlin die 2. Parteikonferenz der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) statt. Unter der von Walter Ulbricht geprägten Formulierung des „planmäßigen Aufbaus des Sozialismus“ fand eine „Sowjetisierung“ der Gesellschaft und eine Stärkung der Staatsmacht nach sowjetischem Vorbild statt. Die fünf Länder wurden neu in 14 Bezirke eingeteilt, wobei Ost-Berlin als 15. Verwaltungseinheit mit einbezogen wurde. Die verbliebene Mittelschicht der DDR wurde stärker drangsaliert, insbesondere Bauern und kleine Handels- und Gewerbebetriebe sollten durch erhöhte Abgaben zur Aufgabe ihrer Selbstständigkeit gezwungen werden. Sie wurden zudem für die wirtschaftlichen Probleme verantwortlich gemacht.

Die Lage des Staatshaushaltes war im Frühjahr 1953 sehr angespannt: Ausgaben von 1,1 Milliarden Mark waren nicht durch Einnahmen gedeckt. Der Aufbau der KVP hatte die Militärausgaben der DDR im Jahr 1952 auf 3,3 Milliarden Mark (8,4 % des Etats) anwachsen lassen.[4] Durch die Ausgaben für Aufrüstung, Besatzungskosten und Reparationsleistungen (einschließlich der Kosten für die SAGs) war ein großer Teil des Staatshaushaltes gebunden. Aufrüstungs- und Kriegsfolgekosten für die DDR beliefen sich 1952 auf 22 % und 1953 auf über 18 % des gesamten Staatshaushalts.[5]

Die Wirtschaftspolitik der SED hatte die Investitionen vorwiegend in die Schwerindustrie gelenkt, die in der DDR bislang keine Basis hatte. Damit fehlten dringend benötigte Mittel für die Lebensmittel- und Konsumgüterindustrie, und die Versorgung der Bevölkerung war beeinträchtigt. Bei Einbruch der Dunkelheit gab es Stromabschaltungen, um in Spitzenzeiten den Bedarf der Industrie zu decken. Die schwache Wirtschaftsentwicklung der verstaatlichten Volkswirtschaft – immerhin wurden zwei Drittel der Industrieproduktion von staatlichen Betrieben erwirtschaftet – hatte Anfang der 1950er Jahre zu einem enormen Kaufkraftüberhang in der DDR geführt.[6] Fehlentwicklungen der Planwirtschaft sollten durch höhere Steuern und Abgaben, Gehalts- und Prämienkürzungen und später durch einen „Neuen Kurs“ korrigiert werden.

Im Zusammenhang mit der beschriebenen Wirtschaftspolitik stand auch die fast vollständige Beseitigung privater Urlaubsorganisation bzw. privater Ferienvermietung zugunsten des Feriendienstes des FDGB (Februar 1953: „Aktion Rose").

Im Frühjahr 1953 war die Existenz der jungen DDR in der Tat durch eine ernste Ernährungskrise bedroht.[7] Enteignungen und Bodenreform hatte bereits Mitte der 1940er Jahre zum Verlassen von Höfen geführt. Die Parzellierung nach der Bodenreform und vor allem der Mangel an landwirtschaftlichen Geräten vieler Neubauern machte ein wirtschaftliches Arbeiten kaum möglich. Die Kollektivierungspolitik der SED Anfang der 1950er Jahre sollte zu einer effizienteren Bewirtschaftung und steigenden Erträgen führen. Das eigentliche Ziel der Kollektivierung war aber die Auflösung des selbstständigen Bauernstandes und hier besonders die Zerschlagung der rentableren Großbetriebe.[8] Die Abgabenerhöhungen für Bauern und der Entzug von Lebensmittelkarten sorgten für weiteren Unmut. Im Herbst 1952 wurden zudem sehr unterdurchschnittliche Ernten eingefahren. Mangel an Lebensmitteln war die Folge. Grundnahrungsmittel wurden noch bis 1958 mit Lebensmittelkarten zugeteilt und die Preise der staatlichen Handelsorganisation (HO) lagen deutlich über dem Niveau der Bundesrepublik, so kostete beispielsweise eine Tafel Schokolade im Westen 50 Pfennig, im Osten acht Mark. Den DDR-Bürgern stand nur die halbe Menge an Fleisch und Fett der Vorkriegszeit zur Verfügung. Selbst Gemüse und Obst wurden nicht ausreichend produziert. Vor den Geschäften entstanden lange Schlangen. Das Wohlstandsgefälle zu Westdeutschland vergrößerte sich durch die Mängel der Zentralverwaltungswirtschaft. Da die DDR die Hilfe des Marshallplans nicht hatte annehmen dürfen sowie höhere Reparationen leisten musste, befand sie sich in einer wirtschaftlich schlechteren Ausgangsposition. Auch die Unterstützung der Sowjetunion zur Stabilisierung der DDR reichte nicht aus, die Folgen von Reparationen und Planwirtschaft zu kompensieren.

Das dramatische Anwachsen der ohnehin seit DDR-Staatsgründung konstant großen Abwanderungsbewegung („Abstimmung mit den Füßen“) im ersten Halbjahr 1953 stellte ein ökonomisches wie auch ein soziales Problem dar. Ein weiterer Faktor, der zu einer Belastung der politischen Lage führte, war die hohe Zahl von Strafgefangenen in der DDR.

Eine große Rolle spielte die Repression gegen die als zentrale Jugendorganisation der Evangelischen Kirche bezeichnete und bekämpfte illegale Organisation Junge Gemeinde. Zahlreiche Studentenpfarrer und Jugendwarte saßen in Haft (Johannes Hamel, Fritz Hoffman, Gerhard Potrafke). Kirchliche Freizeitheime wurden geschlossen und von der Freien Deutschen Jugend (FDJ) übernommen (Schloss Mansfeld, Huberhaus Wernigerode). Oberschüler, die sich zur Kirche bekannten, wurden häufig von der Schule verwiesen, mitunter kurz vor dem Abitur. An den Universitäten wurden die kirchlichen Studentengemeinden massiv behindert.

Normenerhöhung

Vor diesem krisenhaften gesamtstaatlichen Hintergrund wurde die Erhöhung der Arbeitsnormen (also die für den Lohn zu erbringende Arbeitsleistung) als Provokation und absehbare Verschlechterung der Lebensbedingungen der Arbeiterschaft empfunden.[9] Mit der Erhöhung der Arbeitsnormen um zehn Prozent bis zum 30. Juni, dem 60. Geburtstag Walter Ulbrichts, wollte das ZK den wirtschaftlichen Schwierigkeiten begegnen. Als Empfehlung herausgegeben, handelte es sich aber faktisch um eine Anweisung, die in allen Volkseigenen Betrieben durchgeführt werden sollte und letztlich auf eine Lohnsenkung hinausgelaufen wäre. Die Normerhöhung hatte das Zentralkomitee der SED am 13. und 14. Mai 1953 beschlossen und der Ministerrat am 28. Mai bestätigt.

Neuer Kurs

Währenddessen hatte sich die Führung der Sowjetunion ihre eigenen Gedanken zur Lage in der DDR gemacht und konzipierte Ende Mai die Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der DDR, die einer nach Moskau bestellten SED-Delegation am 2. Juni 1953 mitgeteilt wurden. Bitten von SED-Politikern um einen vorsichtigeren und langsameren Kurswechsel wurden etwa vom neuen Hohen Kommissar Wladimir Semjonow – dem ranghöchsten sowjetischen Vertreter in der DDR, der der DDR-Führung faktisch übergeordnet war – mit dem Satz „In 14 Tagen werden Sie vielleicht schon keinen Staat mehr haben“ abgelehnt.

Am 11. Juni wurde der „Neue Kurs“ des Politbüros schließlich im Neuen Deutschland, dem Zentralorgan der SED, verkündet: Darin war durchaus Selbstkritik enthalten. Einige Maßnahmen zum Aufbau des Sozialismus wurden zurückgenommen. So sollten Steuer- und Preiserhöhungen aufgehoben werden. Handwerker, Einzelhändler und private Industriebetriebe konnten die Rückgabe ihrer Geschäfte und Betriebe beantragen. Mittelbauern bekamen ihre zuvor konfiszierten Landmaschinen zurück. Alle Verhaftungen und Urteile sollten überprüft werden. Abschaltungen des elektrischen Stromes erfolgten nicht mehr.

Der Kampf gegen die Junge Gemeinde wurde eingestellt. Pastoren und kirchliche Mitarbeiter wurden aus der Haft entlassen, konfiszierte Gebäude zurückgegeben. Wegen kirchlichen Bekenntnisses von der Oberschule verwiesene Schüler mussten wieder aufgenommen und zum Abitur zugelassen werden. Zu dem kurz danach in Hamburg stattfindenden 5. Deutschen Evangelischen Kirchentag wurden großzügig Interzonenpässe vergeben und sogar Sonderzüge eingesetzt.

Vor allem die verbliebenen bürgerlichen Mittelschichten sowie die Bauern würden vom „Neuen Kurs“ profitieren. Die Arbeitsnormenerhöhung blieb bestehen, was zu ersten Unmutsäußerungen bei den Arbeitern führte. Der Bevölkerung in den Dörfern wurde mitgeteilt, dass enteignete Bauern ihr Land zurückbekommen, Inhaftierte aus den Gefängnissen entlassen würden und „Republikflüchtlinge“ straffrei zurückkehren könnten. Des Weiteren sollte die einseitige Förderung der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften beendet werden und unrentable LPGs sollten wieder aufgelöst werden. Die Bevölkerung verstand diesen Kurswechsel als Eingeständnis der Unfähigkeit der Regierung.[10]

Am 14. Juni erschien im Neuen Deutschland der Artikel Es ist Zeit, den Holzhammer beiseite zu legen, der die Durchsetzung der Normenerhöhung anhand einer Reportage über das Baugewerbe kritisch beleuchtete, ohne sie dabei allerdings generell in Frage zu stellen. Dieser Artikel, besonders auch der letztgenannte Umstand, wurde sehr stark beachtet und wirkte in Verbindung mit einem zwei Tage später in der Gewerkschaftszeitung Tribüne erschienenen Artikel, der die zehnprozentige Normenerhöhung als „in vollem Umfang richtig“ rechtfertigte, als Auslöser von Protesten.

Verlauf

Ab Freitag, 12. Juni 1953

Vor den Unruhen in den Städten kam es schon ab dem 12. Juni in vielen Dörfern zu Widerstandsaktionen. In mehr als 300 Gemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern kam es zu spontanen Protesten, bei denen beispielsweise Fahnen verbrannt und die Bürgermeister und andere SED-Funktionäre abgesetzt, verprügelt und in Einzelfällen auch in Jauchegruben geworfen wurden. Bauern organisierten auch Proteste in verschiedenen Kreisstädten wie beispielsweise Jessen und Mühlhausen und nahmen an den Demonstrationen in den Zentren unter anderem auch in Berlin teil. Die Stasi notierte später, dass „der faschistische Putschversuch am 17. Juni 1953 gezeigt [hat], dass der Klassengegner seine Kräfte auf das Land konzentriert“.[10]

Dienstag, 16. Juni 1953

Am Dienstag, dem 16. Juni, kam es an zwei Berliner Großbaustellen, dem Block 40 in der Stalinallee und dem Krankenhausneubau in Berlin-Friedrichshain, zu den ersten Arbeitsniederlegungen, die in den Vortagen informell abgesprochen worden waren. Von beiden Baustellen aus formierte sich ein zunächst kleiner Protestzug, der sich auf dem Weg zum Haus der Gewerkschaften des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes (FDGB) und weiter zum Regierungssitz in der Leipziger Straße schnell – vor allem um weitere Bauarbeiter – vergrößerte.

Nachdem die Gewerkschaftsführer sich geweigert hatten, die Arbeiter anzuhören, wurde dem Demonstrationszug vor dem Regierungsgebäude die vom Politbüro am Mittag beschlossene Rücknahme der Normenerhöhung mitgeteilt. Inzwischen bewegten sich die Forderungen der Menge allerdings über diesen konkreten Anlass zum Protest weit hinaus.[11]

In einer zunehmenden Politisierung der Losungen wurden unter anderem der Rücktritt der Regierung und freie Wahlen gefordert. Anschließend zog die Menge in einem ständig anwachsenden Demonstrationszug durch die Innenstadt zurück zu den Baustellen der Stalinallee, wobei unterwegs durch Sprechchöre und über einen erbeuteten Lautsprecherwagen der Generalstreik ausgerufen und die Bevölkerung für den folgenden Tag um 7 Uhr am Strausberger Platz zu einer Protestversammlung aufgerufen wurde.[12]

Bereits am Abend des 15. Juni berichtete der RIAS detailliert über Streiks in der Ost-Berliner Stalinallee. Seit dem Mittag des 16. Juni berichtete der Sender ausführlich über die Streiks und Proteste. Vertreter der Streikbewegung gingen zum Sender und sprachen direkt mit dem damaligen Chefredakteur Egon Bahr, um den Generalstreik über das Radio auszurufen.[13] Der Sender RIAS verwehrte allerdings den Streikenden diese Möglichkeit. Am 17. Juni rief dann der Berliner DGB-Vorsitzende Ernst Scharnowski über den RIAS erstmals dazu auf, die Ostdeutschen sollten ihre „Strausberger Plätze überall“ aufsuchen. Trotz einer relativ zurückhaltenden Darstellung der Ereignisse im Radio kann man davon ausgehen, dass die Berichte entscheidend dazu beigetragen haben, dass sich die Kunde von den Protesten in der Hauptstadt äußerst schnell in der ganzen DDR ausbreitete.

Mittwoch, 17. Juni 1953

Am Morgen des 17. Juni brach im gesamten Gebiet der DDR etwas aus, was später als Aufstand des 17. Juni in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Die Belegschaften vor allem großer Betriebe traten mit Beginn der Frühschicht in den Streik und formierten sich zu Demonstrationszügen, die sich in die Zentren der größeren Städte richteten. In den Tagen des Aufstandes war den westlichen Medien und wahrscheinlich auch den meisten Protestierenden die nationale Dimension der Proteste noch nicht bewusst. Der RIAS etwa berichtete fast ausschließlich aus Berlin. Tatsächlich kam es neueren Forschungen zufolge in weit über 500 Orten in der DDR zu Streiks, Kundgebungen oder Gewalttätigkeiten gegen offizielle Personen oder Einrichtungen.

Die Aufständischen besetzten 11 Kreisratsgebäude, 14 Bürgermeistereien, 7 Kreisleitungen und eine Bezirksleitung der SED. Weiterhin wurden neun Gefängnisse und zwei Dienstgebäude des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) sowie acht Polizeireviere, vier Volkspolizei-Kreisämter (VPKA) und eine Dienststelle der Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei (BDVP) erstürmt. Mehr als doppelt so viele Einrichtungen wurden bedrängt, die Besetzung gelang jedoch nicht.

Schwerpunkte lagen in Berlin und den traditionellen Industrieregionen, etwa dem „Chemiedreieck“ um Halle, aber auch in den Bezirkshauptstädten Magdeburg, Leipzig und Dresden. Die Zahl der am Protest Beteiligten lässt sich nicht genau bestimmen, Angaben schwanken zwischen 400.000 und 1,5 Millionen Menschen. Die vielfältigen Proteste fanden durchgehend sehr spontan statt, es gab praktisch weder eine über den Tag hinausgehende Zielplanung, noch echte Führungskräfte, die den Aufstand überregional dirigiert hätten. Neben Arbeitsniederlegungen und Demonstrationen kam es an mehreren Orten auch zu Erstürmungen von Haftanstalten und Befreiung von Häftlingen. In Gera kam es zur Stürmung der Stasiuntersuchungshaftanstalt Amthordurchgang, wobei Inhaftierte freigelassen wurden. Ungefähr 20.000 Menschen demonstrierten im Zentrum der Stadt mit Unterstützung von Bergleuten aus den Wismut-Revieren.[14] In Berlin kam es zu Brandstiftungen, am spektakulärsten waren dabei die Brände des Vorzeige-HO-Kaufhauses Columbushaus und des Restaurantbetriebes Haus Vaterland am Potsdamer Platz in Berlin. Allein in Berlin gab es 46 verletzte Polizisten, davon 14 schwer, sowie Zerstörungen im Gesamtwert von über 500.000 Mark.

Die Polizei war mit dem Ausmaß der Ereignisse hoffnungslos überfordert, teilweise liefen Volkspolizisten zu den Demonstranten über. Es kam vor allem in Ost-Berlin auch zu blutigen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und der Polizei. In Rathenow lynchten aufgebrachte Aufständische den Stasi-Spitzel Wilhelm Hagedorn, in Niesky wurden Mitarbeiter der Staatssicherheit in einem Hundezwinger eingesperrt und in Magdeburg zwangen die Demonstranten eine Volkspolizistin, spärlich bekleidet ihren Zug anzuführen.

In den Kreisen Görlitz und Niesky wurde für wenige Stunden das SED-Regime beseitigt. Aufgrund der besonderen demografischen Struktur dieser Kreise eskalierte die Protestbewegung zu einem politischen Aufstand, der zur kurzzeitigen Entmachtung der lokalen Machthaber führte. Görlitz hatte als Grenzstadt einen hohen Anteil Vertriebener zu integrieren. Die Stadt war nach Berlin und Leipzig das am dichtesten besiedelte Gebiet in der DDR und es herrschte eine vor allem unter Jugendlichen, Frauen und Schwerbeschädigten hohe Arbeitslosigkeit vor, die von einer weit über dem DDR-Durchschnitt liegenden Wohnungsnot begleitet wurde. Zusätzlich wurde das Zusammenleben der Görlitzer durch die Teilung ihrer Stadt und die Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR gegenüber dem „polnischen Brudervolk“ erschwert. Ebenso akzeptierten die meisten Görlitzer die Oder-Neiße-Grenze gemäß dem Vertrag vom 6. Juli 1950 nicht. Die nicht aus der Stadt stammende politische Führung setzte seit 1952 eine radikale Enteignungswelle in Bewegung, die zum drastischen Rückgang der Selbstständigen führte. Ebenso stieg seit Oktober 1952 die Anzahl der Republikflüchtigen.

Die DDR-Regierung flüchtete sich nach Berlin-Karlshorst unter den Schutz der sowjetischen Behörden.

Um 14 Uhr wurde eine Erklärung des Ministerpräsidenten Otto Grotewohl im DDR-Rundfunk ausgestrahlt: Darin wurde ausdrücklich noch einmal die Rücknahme der Normenerhöhungen erklärt. Der Aufstand jedoch sei „das Werk von Provokateuren und faschistischen Agenten ausländischer Mächte und ihrer Helfershelfer aus deutschen kapitalistischen Monopolen. [Alle] Arbeiter und ehrlichen Bürger [forderte er auf, mitzuhelfen,] die Provokateure zu ergreifen und den Staatsorganen zu übergeben“. Diese Darstellung der Ereignisse als von außen inszenierten konterrevolutionären Putschversuch entsprach schon der späteren offiziellen Lesart des 17. Juni in der DDR-Geschichtsschreibung. Allerdings hätte der Aufstand ohne äußere Einflüsse nach Ansicht einiger Historiker tatsächlich so nicht stattfinden können. So resümiert der ehemalige Mitarbeiter des RIAS, Egon Bahr:[15]

„Gerade weil es keine Organisation gegeben hatte, war unbestreitbar: Der RIAS war, ohne es zu wollen, zum Katalysator des Aufstandes geworden. Ohne den RIAS hätte es den Aufstand so nicht gegeben.“

– Egon Bahr

Niederschlagung des Aufstands und Kriegsrecht

Die sowjetischen Behörden reagierten mit der Verhängung des Ausnahmezustands für 167 der 217 Landkreise der DDR. Gegen 13 Uhr wurde durch den Militärkommandanten des sowjetischen Sektors von Berlin, Generalmajor Pjotr Dibrowa, in Ost-Berlin der Ausnahmezustand verkündet, der erst am 11. Juli 1953 wieder aufgehoben wurde. Mit dieser Ausrufung des Kriegsrechts übernahm die Sowjetunion offiziell wieder die Regierungsgewalt über die DDR. Die bereits ab 10 Uhr in Berlin, zeitversetzt gegen Mittag oder Nachmittag in den anderen Teilen der DDR einrückenden sowjetischen Truppen demonstrierten vor allem Präsenz, denn mit dem Eintreffen der Panzer verlor der Aufstand schnell an Schwung; zu größeren Angriffen auf das Militär kam es nicht. Insgesamt waren 16 sowjetische Divisionen mit etwa 20.000 Soldaten im Einsatz, sowie rund 8.000 Angehörige der Kasernierten Volkspolizei (KVP).

Obwohl die sowjetischen Behörden die Situation schon am 17. Juni weitgehend unter Kontrolle brachten, kam es auch in den darauf folgenden Tagen noch zu Protesten, vor allem am 18. Juni. In einzelnen Betrieben dauerten sie bis in den Juli hinein. So wurde am 10. und 11. Juli bei Carl Zeiss in Jena und am 16. und 17. Juli im Buna-Werk Schkopau gestreikt. Die Stärke des 17. Juni 1953 wurde aber nicht mehr annähernd erreicht.

In einer ersten Verhaftungswelle verhafteten Polizei, MfS und Sowjetarmee vor allem sogenannte „Provokateure“.

Der 17. Juni und die SED

Für die SED-Führung waren die Ereignisse um den 17. Juni 1953 eine traumatische Erfahrung. Gerade die Hauptadressaten ihrer Politik, die Arbeiterklasse, hatten der SED massiv das Vertrauen entzogen. Vor allem die Angestellten der großen staatlichen und SAG-Betriebe hatten die Arbeit niedergelegt und waren mit ihren politischen Forderungen auf die Straßen gezogen. Keine der Forderungen wurde von der SED für würdig befunden, offen diskutiert zu werden.[16] Bereits unmittelbar nach dem Aufstand begann die SED, die Ursachen bewusst zu vertuschen.[17] So wurde in der Rede Otto Grotewohls auf dem 15. ZK-Plenum (24.–26. Juli 1953) der Aufstand – ohne Beweise dafür vorzulegen – zum vom Westen gelenkten „faschistischen Putschversuch“.[18] Das eigentliche Problem der DDR, die „Funktionsdefizite einer entdifferenzierten Gesellschaft“,[19] war auch durch den am 9. Juni 1953 verkündeten „Neuen Kurs“ nicht gelöst worden. Für die am Streik und den Demonstrationen Beteiligten war nach der Niederschlagung durch sowjetische Panzer deutlich geworden, dass das SED-Regime ein Teil des sowjetischen Imperiums war und nicht zur Disposition stand. In der SED selbst waren wieder „Parteisäuberungen“ an der Tagesordnung.[20]

DDR-interne Darstellung der Ereignisse

Darstellung der Ereignisse durch die DDR-Medien

Die staatlich gelenkte Presse und der Rundfunk stritt jede Eigenverursachung der Unruhen vom 17. Juni 1953 in Form von Unzufriedenheit der Bevölkerung mit den politischen Verhältnissen, bedrückende Versorgungsmängel sowie erhebliche Normerhöhungen für die Arbeiter vehement ab. Danach handelte es sich angeblich bei den Aufständen vom 17. Juni 1953 um gezielt provozierte und vom „Westen“ veranlasste Ereignisse. Der DDR-Rundfunk-Journalist Karl-Eduard von Schnitzler stellte dies so dar: „[…] unter Mißbrauch des guten Glaubens eines Teils der Berliner Arbeiter und Angestellten, gegen grobe Fehler bei der Normerhöhung mit Arbeitsniederlegung und Demonstrationen antworten zu müssen, wurde von bezahlten Provokateuren, vom gekauften Abschaum der Westberliner Unterwelt ein Anschlag auf die Freiheit, ein Anschlag auf die Existenz, auf die Arbeitsplätze, auf die Familien unserer Werktätigen versucht.“[21]

Darstellung der Ereignisse durch die DDR-Geschichtswissenschaft

Ein im Jahr 1974 unter Leitung des Historikers und Mitarbeiters der Staatssicherheit Heinz Heitzer an der Akademie der Wissenschaften der DDR herausgegebenes Buch zur Geschichte der DDR bezeichnete den Volksaufstand als einen „konterrevolutionären Putschversuch“: Die in der DDR stationierten sowjetischen Truppen hätten durch ihr „entschlossenes Eingreifen“ die „Absichten des Imperialismus“ durchkreuzt. Der Einsatz sowjetischer Streitkräfte wurde als Aktion im „Geiste des proletarischen Internationalismus“ bezeichnet. Die Mehrheit der „irregeleiteten Werktätigen“ habe sich bald von den Putschisten, deren Verwüstungen und den offen verkündeten konterrevolutionären Zielen der Putschisten abgewandt und begann zu erkennen, dass sie gegen ihre eigenen Interessen gehandelt habe.[22][23]

Reaktionen

Außer der Sowjetunion griffen keine anderen Staaten in den Aufstand ein. Die Folgen hätten schwerwiegend sein können, denn die amerikanischen Besatzer hatten laut geltender Verträge kein Recht, in den sowjetischen Sektor Berlins einzudringen.

Bundesrepublik Deutschland

Als Ernst Reuter, der Regierende Bürgermeister in West-Berlin, der sich in Wien auf dem Europäischen Städtetag befand, die Amerikaner bat, ihm ein Militärflugzeug für den schleunigsten Rückflug zur Verfügung zu stellen, wurde ihm erwidert, dies sei bedauerlicherweise nicht möglich. Bundeskanzler Konrad Adenauer reiste am 19. Juni nach Berlin, um der Toten zu gedenken.

Anlässlich der unter großer Anteilnahme der West-Berliner Bevölkerung stattfindenden Trauerfeier urteilte der RIAS-Redakteur Hanns-Peter Herz am 19. Juni 1953: „Bonn hat sich wenig gesamtdeutsch verhalten in dieser Frage, die preußischen Kartoffeläcker waren halt nicht so interessant wie die Reben am Rhein.“ (Guido Knopp[24])

Franz Josef Strauß beschrieb das Verhalten der Bundesregierung in seinen Erinnerungen: „In Bonn gab es keine Möglichkeit zu ernsthaftem Handeln. Es gab Erklärungen, Sympathiekundgebungen, Appelle an die Siegermächte – was sollte die Bundesregierung anderes tun? Damals ist einem die ganze deutsche Ohnmacht wieder bewusst geworden.[25]“

Am 22. Juni 1953, fünf Tage nach dem Ausbruch des Aufstandes, benannte der Berliner Senat die Berliner Straße und die Charlottenburger Chaussee zwischen dem Brandenburger Tor und dem S-Bahnhof Tiergarten, später dem Ernst-Reuter-Platz in Straße des 17. Juni um. Durch Gesetz vom 4. August 1953 erklärte der Bundestag den 17. Juni zum „Tag der deutschen Einheit“ und gesetzlichen Feiertag.[26] Der Bundespräsident erklärte ihn am 11. Juni 1963 zusätzlich zum „Nationalen Gedenktag des deutschen Volkes“.[27] Durch den Einigungsvertrag über die deutsche Wiedervereinigung wurde 1990 der 3. Oktober als Tag des Beitritts der Deutschen Demokratischen Republik zur Bundesrepublik Deutschland zum Tag der Deutschen Einheit und gesetzlichen Feiertag bestimmt.[28] Der 17. Juni behielt nur noch seinen Status als Gedenktag.

Vereinigte Staaten

In den Vereinigten Staaten dachte man bezüglich des Aufstandes anfangs an einen Trick der UdSSR: Sie wolle, legitimiert durch den Aufstand, zu dessen Niederschlagung bewaffnete Verbände nach Berlin verlegen, um so die ganze Stadt einnehmen zu können. Später hielt man die Demonstrationen eine Zeit lang für von der DDR-Regierung inszenierte Veranstaltungen, die außer Kontrolle geraten seien.

Vereinigtes Königreich

Der Premierminister des Vereinigten Königreichs, Winston Churchill sah den Aufstand kritisch, da er dadurch seine Initiative für eine erneute Vier-Mächte-Konferenz gefährdet sah. Er erklärte der sowjetischen Regierung, dass sie im Recht gewesen sei, als sie den Aufstand niederschlug.[29]

Sowjetunion

Der Aufstand vom 17. Juni 1953 verschärfte in der Sowjetunion den seit Stalins Tod am 5. März 1953 ausgebrochenen Kampf um dessen Nachfolge. Dabei unterlag die Gruppe um den mächtigen Minister für Innere Angelegenheiten (MWD) Lawrenti Beria (1899–1953), der zwar die sofortige Niederschlagung des Aufstandes anordnete, jedoch im Interesse einer internationalen Entspannung und in der Hoffnung auf bundesdeutsche Wirtschaftskooperation eine Freigabe der DDR favorisierte. Die siegreiche Fraktion um Nikita Chruschtschow befürchtete dagegen die Vorbildwirkung des Aufstands auf andere osteuropäische Staaten (Polen, Tschechoslowakei, Ungarn) oder auf Nationen innerhalb der Sowjetunion (Ukraine, Baltikum).[30] Als Folge dieser Politik und des vorangegangenen Beitritts der Bundesrepublik zur NATO wurde 1955 der Warschauer Vertrag ratifiziert, der die osteuropäischen Staaten und die DDR militärisch an die Sowjetunion band und die Teilung Europas festigte.

Jugoslawien

Am 28. Juni 1953 erschien in der jugoslawischen Parteizeitung Borba ein Leitartikel des führenden kommunistischen Theoretikers Edvard Kardelj, in dem der Aufstand vom 17. Juni als „das wichtigste Ereignis nach dem jugoslawischen Widerstand des Jahres 1948“ bezeichnet wurde. Kardelj erkannte in den Streiks und Demonstrationen „den Charakter einer echten revolutionären Massenaktion der Arbeiterklasse gegen ein System, das sich ‚sozialistisch‘ und ‚proletarisch‘ nennt. [Er schrieb des Weiteren:] Die Triebkraft dieser Ereignisse ist im Grunde nicht das nationale Moment; es ist nicht nur ein Problem der Deutschen gegen eine fremde Besatzung. Nein, es handelt sich hier vor allem um den Klassenprotest des deutschen Arbeiters gegen die staatskapitalistischen Verhältnisse, die ihm von der Besatzung im Namen eines ‚sozialistischen Messianismus‘ als ‚sozialistisch‘ und ‚proletarisch‘ aufgezwungen wurden, die er aber nicht als ‚proletarisch‘ noch als ‚sozialistisch‘ anerkennt. Und gerade darin liegt die historische Bedeutung dieser Ereignisse.[31]“

Polen

In Warschau war man über die Ereignisse in der DDR sehr beunruhigt. Die polnische Führung betrachtete den Aufstand als politisches Warnsignal. Sie befürchtete, dass vergleichbare gesellschaftliche Proteste auch in Polen stattfinden würden, vor allem, weil die Arbeitsnormen viel drastischer als in der DDR erhöht wurden. Außerdem rechneten sie mit Unruhen bei den in Polen verbliebenen Deutschen, da diese unabhängige Informationen von deutschsprachigen Sendern erhielten. Gleichfalls befürchtete die PVAP, dass die polnische Bevölkerung in Westpolen, d. h. in den ehemaligen deutschen Ostgebieten, infolge der politischen Ereignisse in der DDR beunruhigt reagieren würde. Eine von der PVAP verfasste Analyse vom 23. Juni 1953 beleuchtete: „[…], dass die Fehler, die von der Führung unserer Schwesterpartei gemacht worden sind, jener Provokation zweifelsohne eine Grundlage zur Verfügung stellten“. Konkret wurden als Fehler der SED die übermäßige Erhöhung der Arbeitsnormen, der beschleunigte Kurs beim Aufbau des Sozialismus, die Ignoranz für die Bedürfnisse der Menschen und das Abwenden von der deutschen Wiedervereinigung genannt.[32]

Opfer

Nach Ergebnissen des Projekts Die Toten des Volksaufstandes vom 17. Juni 1953 sind 55 Todesopfer durch Quellen belegt. Etwa 20 weitere Todesfälle sind ungeklärt.[33]

Am 17. Juni und den Tagen danach wurden 34 Demonstranten und Zuschauer von Volkspolizisten und sowjetischen Soldaten erschossen oder starben an den Folgen von Schussverletzungen. Nach Todesurteilen von sowjetischen und DDR-Gerichten wurden sieben Menschen hingerichtet. Infolge der Haftbedingungen starben vier Personen, und vier Menschen töteten sich in der Haft. Beim Sturm auf ein Polizeirevier starb ein Demonstrant an Herzversagen. Zudem wurden fünf Angehörige der DDR-Sicherheitsorgane getötet. Bisher war im Westen von 507 und in der DDR von 25 Toten die Rede. Zufallsopfer, wie den von einer verirrten Polizeikugel tödlich getroffenen 27-jährigen Doktoranden der Landwirtschaft Gerhard Schmidt aus Halle stilisierte die SED zum „antifaschistischen“ Märtyrer, obwohl dessen Familie ausdrücklich dagegen war.

Die sowjetischen Truppen setzten außerdem vom 17. bis zum 22. Juni 1953 Standgerichte ein, von denen 19 Aufständische zum Tode verurteilt und erschossen wurden, darunter Alfred Diener[34] aus Jena, der Westberliner Willi Göttling[35] und die beiden Magdeburger Alfred Dartsch[36] und Herbert Stauch.[37] Hunderte wurden zu Zwangsarbeitslagerstrafen in Sibirien verurteilt.[38] Auch etwa zwanzig Rotarmisten, die sich geweigert haben sollen, auf die Aufständischen zu schießen, sollen hingerichtet worden sein.[39] Anderen Forschungen zufolge sprechen alle Indizien dagegen, dass diese Befehlsverweigerung und die Hinrichtungen stattgefunden haben.[40]

Der Generalstaatsanwalt der DDR, Ernst Melsheimer, legte am 5. März 1954 einen an Hilde Benjamin, Ministerin für Justiz, verfassten Bericht über „die Aburteilung der Provokateure des Putsches vom 17. Juni 1953“ vor, der für den Zeitraum bis Ende Januar 1954 folgende Urteile über insgesamt 1.526 Angeklagte aufschlüsselte:[41]

2 Angeklagte wurden zum Tode verurteilt: (Erna Dorn, Ernst Jennrich)

3 Angeklagte erhielten eine lebenslange Zuchthausstrafe: Lothar Markwirth (Bezirksgericht Dresden), Gerhard Römer (Bezirksgericht Magdeburg) und Kurt Unbehauen (Bezirksgericht Gera)

13 Angeklagte, darunter die Dresdner Wilhelm Grothaus (1893–1966) und Fritz Saalfrank (1909–199?), wurden zu Zuchthausstrafen von zehn bis fünfzehn Jahren verurteilt.

99 Angeklagte erhielten Zuchthausstrafen zwischen fünf und zehn Jahren.

824 Angeklagte bekamen Gefängnisstrafen von einem bis fünf Jahren.

546 Angeklagte erhielten Gefängnisstrafen bis zu einem Jahr.

39 Angeklagte wurden freigesprochen.

Weitere 123 Strafverfahren waren Ende Januar 1954 noch nicht abgeschlossen, es ist zu vermuten, dass die DDR-Gerichte insgesamt etwa 1600 Menschen im Zusammenhang mit dem Juni-Aufstand verurteilten.

Die infolge des 17. Juni Verurteilten wurden in den Haftanstalten mit einem gelben „X“ gekennzeichnet. Aufgrund der schlechten medizinischen Versorgung, der Schikanen des Wachpersonals und des mangelhaften Arbeitsschutzes in den Zuchthäusern erlitten viele „X-er“ schwere gesundheitliche Schäden. Den Ehefrauen der Verurteilten wurde oft zur Scheidung geraten oder mit der Wegnahme ihrer Kinder gedroht.

Die SED nutzte außerdem den Aufstand zur Disziplinierung ihrer eigenen Genossen. So wurden die vor allem aus der früheren SPD stammenden und gemäßigte politische Ansichten vertretende Mitglieder aus der Partei entfernt. Der Justizminister Max Fechner, der nach dem 17. Juni mäßigend auf die Strafjustiz einwirken wollte, wurde am 14. Juli 1953 seiner Funktion enthoben, wegen partei- und staatsfeindlichen Verhaltens aus der Partei ausgeschlossen und unter unmenschlichen Bedingungen inhaftiert. Ebenso wurden Parteifunktionäre und Angehörige der Volkspolizei bestraft, denen die SED-Führung „versöhnlicherisches, kapitulantenhaftes und unkämpferisches Verhalten“ vorwarf. Infolge dieser Säuberungen prägten radikale Kommunisten wie Erich Mielke, Hilde Benjamin oder Paul Fröhlich die zukünftige Politik der DDR. Rudolf Herrnstadt, Chefredakteur der Tageszeitung Neues Deutschland, wurde für die Ereignisse am 17. Juni 1953 mitverantwortlich gemacht. Er wurde von seiner Arbeit entlassen und zusammen mit Wilhelm Zaisser aus der SED ausgeschlossen.

Protagonisten

Max Fechner (1892–1973), Justizminister, wandte sich gegen die Strafverfolgung streikender Arbeiter und wurde zu acht Jahren Zuchthaus verurteilt.

Hilde Benjamin (1902–1989), löste als neue Justizministerin Fechner ab und sorgte für harte Urteile

Erna Dorn (1911–1953), als angebliche Rädelsführerin enthauptet.

Max Fettling (1907–1974) Bauarbeiter, Gewerkschaftsfunktionär auf der Krankenhausbaustelle im Friedrichshain. Er unterzeichnete den Brief an die Regierung der DDR vom 15. Juni 1953, den er persönlich Otto Grotewohl übergab und in dem es hieß: „Unsere Belegschaft ist der Meinung, daß die zehnprozentige Normenerhöhung für uns eine große Härte ist. Wir fordern, daß von dieser Normenerhöhung auf unserer Baustelle Abstand genommen wird.“ Er wurde am 18. Juni 1953 als „Streikführer“ verhaftet und zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. 1957 kam er auf Bewährung frei. Seit 2003 trägt ein Platz in Berlin-Friedrichshain seinen Namen.[42]

Georg Gaidzik (1929–1953), Volkspolizist, erlitt tödliche Schussverletzung.

Gerhard Händler (1928–1953), Volkspolizist, erlitt tödliche Schussverletzung.

Ernst Jennrich (1911–1954), wurde auf Weisung von Hilde Benjamin zum Tode verurteilt und enthauptet.

Günter Mentzel (1936–2007), Bauarbeiter, 16 Jahre alter Streikführer von Block 40 der Stalinallee.

Otto Nuschke (1883–1957), Stellvertretender Ministerpräsident, wurde am 17. Juni 1953 von Demonstranten nach West-Berlin abgedrängt, von wo er zwei Tage später in die DDR zurückkehrte.

Paul Othma (1905–1969), Elektriker, Sprecher des Streikkomitees in Bitterfeld[43], wird verurteilt zu zwölf Jahren Zuchthaus, stirbt an den Folgen der elfeinhalbjährigen Haft.[44]

Karl-Heinz Pahling (1927–1999), Bauarbeiter, 26 Jahre alter Streikführer, zehn Jahre Zuchthausstrafe.

Otto Reckstat (1898–1983), Symbolfigur der Arbeitererhebung am 17. Juni 1953 in Nordhausen, acht Jahre Zuchthausstrafe.

Walter Scheler (1923–2008), Buchhalter, der am Aufstand teilnahm, durch sowjetische Besatzungstruppen verhaftet und einen Tag später in Weimar zu 25 Jahren Lagerhaft verurteilt und 1961 begnadigt wurde.

Gerhard Schmidt (1926–1953) wurde als zufällig anwesender Passant von der Polizei erschossen und von der SED als ein von den Aufständischen Getöteter instrumentalisiert.

Fritz Selbmann (1899–1975), DDR-Minister, versuchte am 16. Juni vergeblich, die Arbeiter zur Aufgabe des Streiks zu bewegen.

Johann Waldbach (1920–1953), Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR, erlitt tödlichen Kopfschuss.


Text: Wikipedia

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