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Bad Berleburg

Bad Berleburg, bis 1971 Berleburg, ist eine Stadt in Nordrhein-Westfalen und gehört zum Kreis Siegen-Wittgenstein.

Reklamemarken und Siegelmarken

Geschichte

Frühgeschichte und Mittelalter

Grabungsfunde bestätigen die Besiedelung des heutigen Stadtgebietes bereits im 7. Jahrhundert vor Chr. Auf den Burgbergen bei Aue, Dotzlar und Wemlighausen sind Spuren von Ringwallanlagen aus dieser Zeit zu finden. Für die Zeit bis zum 8. Jahrhundert fehlen allerdings Hinweise auf eine Besiedelung des Landes.

Die Stadtteile Arfeld und Raumland sind bereits in den Jahren 800/802 nach Chr. urkundlich erwähnt. Aus dem Jahr 1059 liegen Urkunden vor, die die Siedlungen Alertshausen, Beddelhausen, Elsoff und Schwarzenau bestätigt. Im Jahre 1174 wurde erstmals der Name Widechinstein erwähnt. Die Ortschaft Berleburg wird in den Urkunden des Klosters Grafschaft erstmals 1258 als Berneborg erwähnt.[9] Die Burg ging am 30. März 1258 an den Grafen Siegfried I. und den Klostervogt Adolf I. von Grafschaft über. 1322 wurde die Doppelherrschaft in Berleburg durch Widekind von Grafschaft beendet, als er zu Gunsten Siegfrieds II. von Wittgenstein auf seine Rechte an der Stadt verzichtete. Als dieser als letzter in dem Geschlecht der Wittgensteiner Grafen starb, trat sein Schwiegersohn Salentin von Sayn das Erbe an und begründete das Haus Sayn-Wittgenstein. Wüstungen sind Madeshausen sowie das 1395 erwähnte Hadebirshausen.

Baureste zeugen von einem mittelalterlichen Kloster Bubenkirche.

Frühe Neuzeit

1488 und 1522 wüteten Großfeuer in der Stadt, die diese weitgehend vernichteten.

1506 wurde die Grafschaft Wittgenstein geteilt und Graf Johann bezog das alte Jagdschloss Berleburg und erhob die kleine damit verbundene Stadt zu seiner Residenz. Damit begann die spezielle Entwicklung der Stadt, die sie in den nächsten Jahrhunderten prägen sollte.[10] Zwar starb die neue Linie des Hauses Sayn-Wittgenstein mit Graf Johann aus, aber sein Neffe Graf Ludwig d. Ä. aus der Südgrafschaft verlegte nach Übernahme der Gesamtregierung und Heirat 1559 ebenfalls seinen Wohnsitz auf die Berleburg und baute das Schloss aus.

Nach dem Tode Graf Ludwigs des Älteren im Jahre 1605 entwickelte sich Berleburg nach einer abermaligen Landesteilung zur Haupt- und Residenzstadt der Nordgrafschaft Sayn-Wittgenstein-Berleburg, die im 18. Jahrhundert ein Zentrum der radikal-pietistischen Inspirationsbewegung in Deutschland war. Zwischen 1726 und 1742 wurde dort die bekannte Berleburger Bibel (umfasst acht Foliobände) gedruckt.

Der religiösen Toleranz in den beiden Wittgensteiner Grafschaften entsprach eine Duldungshaltung gegenüber mehreren Familien von in der zeitgenössischen Diktion als „Heiden“ bezeichneten Sinti. Sie waren im militärischen und polizeilichen Dienst sowie als Bauarbeiter für die Wittgensteiner Landesherren tätig und hatten sich um die Mitte des 18. Jahrhunderts auf dem gräflichen Hofgut bei Saßmannshausen niederlassen können. Gegen Ende des Jahrhunderts wechselten einzelne von ihnen in die Berleburger Vorstadt. Dort siedelten sich im 19. Jahrhundert und verstärkt seit der Reformierung des preußischen Niederlassungsrechts Familien von Sinti und von Jenischen in dem traditionellen Armenviertel am Bach Lause sowie am Altengraben und im benachbarten Hemschlar an. Von der Mehrheitsbevölkerung und den Behörden wurden sie unterschiedslos mit dem stigmatisierenden Etikett „Zigeuner“ belegt und die Siedlung insgesamt als „Zigeunerkolonie“ bezeichnet.[11]

Neuzeit

Im Gebiet um Raumland und Dotzlar wurde bereits im 16. Jahrhundert Schiefer abgebaut.[12] Insgesamt gab es im Gebiet ca. 40 Gruben, wovon die Gruben Hörre, Limburg und Delle die bekanntesten sein dürften. Erzbergbau war um Bad Berleburg im Vergleich zu anderen benachbarten Gebieten nur sehr vereinzelt vorzufinden. So gab es einige kleinere Gruben um Wingeshausen, Aue und bei Diedenshausen. Die meisten Mutungen wurden im 19. Jahrhundert eingelegt. Abbau existiere aber bereits zum Teil seit dem Mittelalter. Heute deuten lediglich ein paar verbliebene Halden und Stollenmundlöcher auf die einstige Bergbautätigkeit hin.

Wittgenstein wurde 1806 dem Großherzogtum Hessen-Darmstadt unterstellt. Durch die Neuordnung des Deutschen Bundes fiel Wittgenstein durch einen Vertrag zwischen Österreich, Preußen und Hessen-Darmstadt vom 30. Juni 1816 an Preußen und wurde infolge der königlichen Kabinettsorder vom 23. Februar 1817 dem Regierungsbezirk Arnsberg in der preußischen Provinz Westfalen zugeteilt und war Kreisstadt des Kreises Wittgenstein.

1825 kam es zu einem verheerenden Stadtbrand, der einen Schaden von einer Viertelmillion Mark verursachte. In Berleburg gab Heinrich Matthey 1852 mit dem Wittgensteiner Kreisblatt die erste im Kreis Wittgenstein hergestellte Wochenzeitung heraus.

Mit dem Bau der Bahnstrecke Erndtebrück–Berleburg nach Berleburg 1911 setzte die Industrialisierung ein, zunächst allerdings nur auf die Holzwirtschaft beschränkt. Weitere Industriezweige kamen erst nach dem Zweiten Weltkrieg hinzu.

Nationalsozialismus

In großer Zahl wechselten die Wittgensteiner Wähler seit der Reichstagswahl 1930 zu den Nationalsozialisten. Mit 35,1 % der Stimmen für die NSDAP setzten sich die Kreisstädter an die Spitze des neuen Trends (Reich: 18,3 %).[13] Bei der Reichspräsidentenwahl 1932 bekam Hindenburg 35,2 % (Reich: 53 %), Hitler 49,4 % (Reich: 36,8 %; übriges Wittgenstein: 65,0 %). Die drei Reichstags- und Landtagswahlen 1932 erbrachten für die Nationalsozialisten überdurchschnittliche absolute Mehrheiten von 53,8, 51,9 und 52,4 % (übriges Wittgenstein: 69,4, 65,5 und 67,4 %).

Die Machtergreifung der verbündeten Rechtskräfte („Kabinett Hitler“) am 30. Januar 1933 wurde in der Region bis ins kleinste Dorf volksfestmäßig mit Fackelzügen, Freudenfeuern und Festveranstaltungen gefeiert.[14]

Ein erstrangiger Angriffspunkt von Bürgermeister und Stadtverwaltung wurden die als „Zigeuner“ diffamierten und diskriminierten Berleburger aus der Vorstadt am Berg (An der Lause).[15] Dabei ging es im Wesentlichen darum, Mittel für eine aktive Sozialpolitik zugunsten der Mehrheitsbevölkerung durch Vertreibung und Vernachlässigung „Minderwertiger“ zu beschaffen. Bereits kurz nach der Machtübergabe strebte der Bürgermeister die Deportation der Minderheit in ein überwachtes Barackenlager „an abgelegener Stelle der Lüneburger Heide“ an. Wie bei zahlreichen nachfolgenden Maßnahmen ging die Ortsbehörde weit über die von den Oberbehörden und zentralstaatlich gesetzten Grenzen hinaus. Zahlreiche kommunale, zentralstaatliche, privatwirtschaftliche Instanzen, Kirchengemeinden und Einzelpersonen trugen in einem verzweigten Arbeitsverbund die Ausschlusspolitik. Es kam u. a. zu lokalen Zuzugs-, Einkaufs-, Schulverboten, zur zeitweiligen Einschließung des Bergs („Belagerung“) und zu zahlreichen, meist nicht genehmigten Sterilisierungsanträgen.

Am 16. Dezember 1942 ordnete der Auschwitz-Erlass an, „Zigeunermischlinge (auch „Meckese“ genannt), Ròm-Zigeuner und nicht deutschblütige Angehörige zigeunerischer Sippen balkanischer Herkunft … in ein Konzentrationslager einzuweisen“. Die Ausführungsbestimmungen nahmen u. a. „sozial angepasst“ Lebende, die schon vor Kriegsbeginn in „fester Arbeit“ gestanden hatten und eine „feste Wohnung“ hatten, aus, was vollständig auf die Berleburger zutraf. Die entscheidende lokale Selektionskonferenz setzte sich darüber hinweg.[16] 134 Menschen vom „Berg“ und vom Altengraben, etwa die Hälfte Kinder, das jüngste drei Monate alt, wurden am 9. März 1943 in das „Zigeunerlager Auschwitz“ deportiert. Neun überlebten.

Die verlassenen Häuser wurden zunächst durch Angehörige der Mehrheitsbevölkerung geplündert und verwüstet, bevor Stadtverwaltung und Finanzamt systematisch die verbliebene Ausstattung an sich nahmen, zu eigenen Zwecken verwendeten oder verkauften.

Im Zuge der antijüdischen Maßnahmen seit der Machtübergabe war 1935 auf einem Transparent gegenüber dem Bahnhof zu lesen: „Juden sind hier unerwünscht.“ Als in der Pogromnacht am 9. November 1938 die Berleburger Synagoge verwüstet und das Inventar auf dem Marktplatz verbrannt wurde, beteiligten sich über den Parteikader hinaus viele Berleburger, zustimmend als Zuschauer oder aktiv. Schaufenster und Wohnhausfenster wurden eingeschlagen, Geschäfts- und Wohnungseinrichtungen demoliert und geplündert. Im Amtsbezirk gab es Ausschreitungen zumindest in Schwarzenau und mutmaßlich auch in Beddelhausen. Im Anschluss daran wurden die jüdischen Männer in das KZ Sachsenhausen deportiert. Vermehrt flüchteten jüdische Berleburger ins Ausland und in die Großstädte. Das hinterlassene Eigentum ging an die Mehrheitsbevölkerung und den Staat.

Von den am 28. April 1942 ins Ghetto Zamość (Polen), am 27. Juli 1942 in das KZ Theresienstadt und am 27. Februar 1943 in das KZ Auschwitz-Birkenau deportierten 25 Berleburgern überlebte nur ein Mensch. Zehn von ihnen wurden aus ihren Fluchtorten verschleppt. Im September 1944 ging ein Transport von „jüdisch Versippten“ aus Mischehen sowie von „jüdischen Mischlingen ersten Grades“ zur Zwangsarbeit in verschiedene Arbeitslager der Organisation Todt (Sonderkommando J). 1942 wurden 18 Schwarzenauer, 10 davon inzwischen weggezogen, 3 inzwischen weggezogene Arfelder, 4 Beddelhäuser und 7 Elsoffer deportiert, von denen keiner überlebte. 1944 wurde eine mit einem Nichtjuden verheiratete Schwarzenauerin mit ihrer Tochter zur Zwangsarbeit nach Berlin verschleppt. Sie überlebten beide. Die Deportationen hatten einen weiteren Umverteilungsschub zur Folge.

Von den zu Beginn der 1930er Jahre etwa 3300 Einwohnern wurden etwa 8 % als „Zigeuner“, Juden, „Asoziale“ oder Kommunisten – die Zuordnungen überschnitten sich – in die nationalsozialistischen Konzentrationslager verschleppt, die sie überwiegend (etwa 170 oder 5 % der Bevölkerung) nicht überlebten. Hinzuzufügen sind die den Krankenmorden (Euthanasie) zum Opfer Gefallenen. Damit dürfte Berleburg zu den am stärksten von der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik betroffenen deutschen Städten gehören.

Die einzigen beiden Strafprozesse gegen Verantwortliche des Porajmos an den europäischen Roma, die mit Verurteilungen endeten, hatten Ereignisse in Berleburg bzw. Handlungen von Akteuren aus Berleburg zum Gegenstand (1948/49, 1987–1991, jeweils vor dem Landgericht Siegen).[17]

Nach Phasen des Schweigens und der Kontroverse gibt es inzwischen Gedenksteine für die beiden rassistisch verfolgten Minderheiten. Am 18. Juni 2007 beschloss der Rat der Stadt, Stolpersteine des Kölner Künstlers Gunter Demnig verlegen zu lassen. Die Verlegung begann am 2. September 2008 im Rahmen der Feier zum 750-jährigen Stadtjubiläum.

Jüngste Zeitgeschichte

Bereits seit 1935 ist die Stadt wegen des schonenden bis reizmilden Klimas als Luftkurort anerkannt. Nach 1949 wurde die Klinik Wittgenstein als psychosomatisches Krankenhaus errichtet, das bis heute unter der Trägerschaft des Evangelischen Johanneswerkes steht.

Mit der staatlichen Anerkennung als Kneipp-Kurort wurde am 1. Juli 1971 der Namenszusatz Bad verliehen und seitdem lautet der Name Bad Berleburg.[18] Die staatliche Anerkennung als Heilbad erfolgte 1974.

Im November 2013 wurde in der ehemaligen Rothaarklinik am Spielacker eine Notunterkunft für ca. 300 Flüchtlinge eingerichtet.[19][20] Im August 2014 wurde die Kapazität auf 450 Flüchtlinge erhöht.[21] Im Mai 2015 wurde die Notunterkunft für Flüchtlinge in der ehemaligen Klinik in eine Erstaufnahmeeinrichtung (Zentrale Unterbringungseinrichtung) des Landes Nordrhein-Westfalen für ca. 500 Flüchtlinge umgewandelt.[22] Anfang 2019 wurde diese aber aufgrund von Problemen mit dem Sicherheitsdienst geschlossen.


Text: Wikipedia

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