Bertolt Brecht

Aus veikkos-archiv
Wechseln zu: Navigation, Suche
Bertolt Brecht

Bertolt Brecht (auch Bert Brecht; gebürtig Eugen Berthold Friedrich Brecht; * 10. Februar 1898 in Augsburg; † 14. August 1956 in Berlin) war ein einflussreicher deutscher Dramatiker und Lyriker des 20. Jahrhunderts. Seine Werke werden weltweit aufgeführt. Brecht hat das epische Theater beziehungsweise „dialektische Theater“ begründet und umgesetzt.

Leben


Kindheit und Jugend: Augsburg 1898 bis 1917

Eltern und soziales Umfeld

Eugen Brecht, wie der junge Bertolt Brecht gerufen wurde, wuchs in gesicherten ökonomischen und sozialen Verhältnissen auf. Sein Vater Berthold Friedrich Brecht (1869–1939), Sohn eines Lithografen im badischen Achern, hatte keine höhere Bildung: Er hatte die Volksschule besucht und danach eine kaufmännische Lehre absolviert. 1893 war er als Kommis bei der Augsburger Haindl’schen Papierfabrik eingetreten, einem prosperierenden Unternehmen, das damals allein in Augsburg ca. 300 Beschäftigte hatte. Dort stieg Berthold Friedrich Brecht rasch auf, 1901 zum Prokuristen und 1917 zum Direktor der kaufmännischen Abteilung. Brechts Mutter Sophie, geb. Brezing (1871–1920), stammte aus dem oberschwäbischen Roßberg bei Wolfegg und kam aus einem kleinen Beamtenhaushalt (ihr Vater war Stationsvorstand am Eisenbahnknoten Roßberg). Seit September 1900 bewohnte die Familie, Berthold Friedrich und Sophie Brecht sowie Eugen und der jüngere Bruder Walter, zwei Wohnungen mit zusammen sechs Zimmern in der Augsburger Klaucke-Vorstadt, auch „Bleich“-Viertel genannt. Die Wohnung gehörte zu einer vier Häuser umfassenden Stiftung der Haindls, hauptsächlich für verdiente Arbeiter und Angestellte der Papierfabrik; zu Berthold Friedrich Brechts Aufgaben zählte die Verwaltung dieser Stiftung. Die Brechts beschäftigten ein Dienstmädchen. Sophie Brecht litt jahrelang an Brustkrebs und starb 1920 an einem Rezidiv. Im Lied von meiner Mutter schreibt Brecht: „Ich erinnere mich ihres Gesichts nicht mehr, wie es war, als sie noch nicht Schmerzen hatte.“ Seit 1910 hatten die Brechts daher zusätzlich eine Hausdame. Für diese musste Eugen sein Zimmer räumen, erhielt aber dafür eine Mansardenwohnung mit eigenem Eingang.

Der Vater war katholisch, die Mutter protestantisch. Sie hatten sich darauf geeinigt, dass die Kinder im protestantischen Glauben erzogen wurden, der junge Eugen Brecht gehörte damit im überwiegend katholischen Augsburg einer Minderheit an. Er besuchte standesgemäß das Realgymnasium (heute Peutinger-Gymnasium) und brachte regelmäßig gute, wenn auch nicht sehr gute Zeugnisse nach Hause. Er erhielt Klavier-, Geigen- und Gitarrenunterricht, freilich schlug nur der letztere an. Frühzeitig litt er unter Herzbeschwerden, was einige Kuraufenthalte nach sich zog; ob es sich um organische oder neurotische Beschwerden handelte, ist unklar.

Erste Veröffentlichungen

Frühzeitig begann Brecht zu dichten. Bereits als Fünfzehnjähriger gab er gemeinsam mit seinem Freund Fritz Gehweyer eine Schülerzeitung heraus, Die Ernte, in der er den größten Teil der Beiträge selbst verfasste, teilweise unter fremden Namen, und zudem die Vervielfältigung übernahm. Er schrieb dafür Gedichte, Prosatexte und sogar ein einaktiges Drama, Die Bibel. In den folgenden Jahren produzierte Brecht unablässig weiter Gedichte und Dramenentwürfe. Nach dem Beginn des Ersten Weltkriegs 1914 gelang es ihm, eine Reihe von (meist patriotischen) Reportagen von der Heimatfront, Gedichten, Prosatexten und Rezensionen in lokalen und regionalen Medien unterzubringen: die von ihm so betitelten „Augsburger Kriegsbriefe“ in der München-Augsburger Abendzeitung, andere Texte in den Augsburger Neuesten Nachrichten und insbesondere deren literarischer Beilage, Der Erzähler. Sie waren meist mit Berthold Eugen gezeichnet, also einer Kombination seiner Vornamen.

Brecht ließ in seinen Texten bald von der patriotischen Verklärung des Krieges ab, die Produktion für die Lokalzeitungen ließ nach. Ab 1916 entstanden bereits Gedichte, die 1927 in die Sammlung Bertolt Brechts Hauspostille aufgenommen wurden, zu denen Brecht also auch später noch stand. Das erste von ihnen war das Lied von der Eisenbahntruppe von Fort Donald, zuerst erschienen im Juli 1916 im Erzähler und gezeichnet „Bert Brecht“. Hier nutzte Brecht zum ersten Mal die Namensform, unter der er bekannt wurde.

Freund- und Liebschaften

In den Kriegsjahren sammelte er einen Kreis von Freunden um sich, die zusammen mit ihm Lieder schrieben und sangen und an Publikationen arbeiteten. Caspar Neher (Cas), den Brecht aus der Schule kannte, blieb bis zu Brechts Tod als Grafiker und vor allem Bühnenbildner ein enger Mitarbeiter; auch die Freundschaften zu Georg Pfanzelt (den Brecht in der Hauspostille als Orge verewigte) und Hanns Otto Münsterer erwiesen sich (mit Unterbrechungen) als dauerhaft. Gemeinsam mit seinen Freunden (vor allem Ludwig Prestel, Lud) entwarf Brecht nicht nur die Texte, sondern auch die Melodien für Lieder und Gedichte und trug sie dann zur Gitarre vor. In dieser Phase zeigten sich bereits zwei Charakteristika von Brechts Arbeitsweise: die kollektive Arbeit in einem Team, das jedoch eindeutig auf die Zentralfigur Brecht ausgerichtet ist, und die sehr enge Verbindung mit anderen Künsten mit Blick auf die Realisierung, insbesondere Grafik/Bühnenbild und Musik.

In dieser Zeit hatte der junge Brecht auch seine ersten Liebschaften. Er umwarb etwa die Schülerin Rosa Maria Amann, deren Name später in den Titel eines seiner bekanntesten Gedichte einging (Erinnerung an die Marie A.). Bald trat jedoch die Liebe zu Paula Banholzer in den Vordergrund, die er „Bi“ nannte (für Bittersweet oder „Bittersüß“, nach dem Vorbild des Dramas Der Tausch von Paul Claudel, das einen Partnertausch zum Vorwurf hat). Trotzdem bemühte er sich weiter um Amann und andere junge Frauen, auf die er ein Auge geworfen hatte, ein Zug, der sich durch sein ganzes Leben hindurch fortsetzte.

Im März 1917 meldete sich Brecht zum Kriegshilfsdienst und erlangte so die Genehmigung für ein vereinfachtes Notabitur. Seinen Dienst leistete er mit Schreibarbeiten sowie in einer Gärtnerei ab. Er wurde vom Kriegsdienst zurückgestellt. Im Sommer arbeitete er am Tegernsee als Hauslehrer bei einem Mitschüler aus reichem Elternhaus; dann begann er ein Studium in München. Auf dem Weg zum professionellen Schriftsteller und Theaterpraktiker

Studium und Militärdienst

Formal studierte Brecht Medizin und Philosophie. Er besuchte jedoch kaum medizinische Vorlesungen, sondern konzentrierte sich auf ein Seminar von Artur Kutscher zur Gegenwartsliteratur. Dort lernte er den von ihm bewunderten Lyriker und Dramatiker Frank Wedekind sowie Otto Zarek und Hanns Johst kennen und knüpfte eine lockere Beziehung zu der Medizinstudentin Hedda Kuhn an, die in seinen Psalmen als „He“ erscheint.[9] Unter anderem wurde in dem Seminar der aktuelle Roman Ambros Maria Baal des Expressionisten Andreas Thom behandelt. Dieser Roman sowie Johsts Grabbe-Drama Der Einsame, das er im März 1918 sah, regten Brecht zu einem eigenen Dramenentwurf unter dem Titel Baal an, dessen erste Fassung im Juni fertig war. Brechts Vater ließ von den Firmensekretärinnen eine Reinschrift tippen, die Brecht zunächst erfolglos an Kutscher, Lion Feuchtwanger, Jacob Geis und Alfred Kerr verschickte. In dieser Zeit entstanden auch einige der bekanntesten Gedichte Brechts, vor allem die Legende vom toten Soldaten und Luzifers Abendlied, später umbenannt in Gegen Verführung.

In den ersten zwei Semestern war es Brecht mit Unterstützung seines Vaters gelungen, eine Zurückstellung vom Militärdienst zu erreichen; im Oktober 1918 wurde er aber als Militärkrankenwärter in ein Augsburger Reservelazarett einberufen. Er schrieb damals sein Lied an die Kavaliere der Station D – der Buchstabe steht für Dermatologie, es handelte sich um eine Station für Geschlechtskrankheiten – und produzierte mit seinem Freundeskreis ein Büchlein Lieder zur Klampfe von Bert Brecht und seinen Freunden. Nach der Novemberrevolution war Brecht Mitglied des Lazarettrats und damit des Augsburger Arbeiter- und Soldatenrats, tat sich aber in keiner Weise hervor. Am 9. Januar 1919 konnte er seinen Dienst schon wieder beenden.

Zielstrebige Vernetzung

Brecht hatte seine Liebesbeziehung zu Paula Banholzer während dieser Zeit aufrechterhalten, und im Januar 1919 stellte sich heraus, dass die 17-Jährige von ihm schwanger war. Banholzers Vater hielt nichts von einer Ehe mit dem bislang erfolglosen Dichter und schickte sie in das Allgäuer Dorf Kimratshofen, wo sie am 30. Juli 1919 Frank Banholzer zur Welt brachte.Brecht schrieb bereits seit Januar an einem neuen Drama, Spartakus (später in Trommeln in der Nacht umbenannt). Wohl im Februar suchte er Lion Feuchtwanger auf, um ihm eine erste Fassung des Stücks zu zeigen. Der einflussreiche Feuchtwanger äußerte sich sehr positiv und wurde zu einem der wichtigsten und dauerhaftesten Förderer des jungen Brecht.

Obwohl Brecht Feuchtwangers Unterstützung hatte, kam es zunächst weder zum Druck noch zur Aufführung eines seiner Stücke, die er ständig umarbeitete. 1919 schrieb Brecht zudem eine Serie von Einaktern, unter anderem Die Hochzeit (später betitelt: Die Kleinbürgerhochzeit), die ebenfalls unaufgeführt blieben. Seit dem 13. Oktober 1919 verfasste er immerhin die Theaterkritiken für die Augsburger USPD-Zeitung Der Volkswille, handelte sich beim Augsburger Theater dabei allerdings aufgrund seiner Polemik einige Probleme ein, die bis zu einem Beleidigungsprozess gingen. Bei einer ersten Berlinreise im Februar 1920 nutzte er die Münchner Bekanntschaften mit Hedda Kuhn und dem Schriftsteller und Journalisten Frank Warschauer (in dessen Wohnung in der Eislebener Straße er sowohl jetzt wie bei seinem zweiten Aufenthalt 1921/1922 logierte) zielstrebig aus, um neue Kontakte zu knüpfen. Besonders wertvoll war die Empfehlung an Hermann Kasack, damals Lektor bei Kiepenheuer, mit dem Brecht zunächst ergebnislos über den Baal verhandelte.

Nach dem Kapp-Putsch kehrte Brecht nach München zurück. Etwa im Dezember lernte Brecht als Augsburger Volkswille-Theaterkritiker die Sängerin Marianne Zoff kennen und begann mit ihr eine intensive Liebesbeziehung, ohne das Verhältnis mit Paula Banholzer zu beenden. Er verwickelte sich dabei in heftige Auseinandersetzungen mit Zoffs anderem Liebhaber Oscar Recht. Sowohl Zoff als auch Banholzer wurden 1921 erneut von Brecht schwanger, doch Zoff hatte eine Fehlgeburt, Banholzer möglicherweise eine Abtreibung.[21] Brecht arbeitete mittlerweile an einem weiteren Stück mit dem späteren Titel Im Dickicht der Städte und zusätzlich an einer Reihe von Filmprojekten, die jedoch durchweg nicht verkauft werden konnten. Immerhin gelang es ihm, im September 1921 die Seeräubererzählung Bargan läßt es sein in der überregional bekannten Zeitschrift Der Neue Merkur unterzubringen.

Vor allem bei einer zweiten Berlinreise zwischen November 1921 und April 1922 schloss Brecht zielstrebig Bekanntschaften mit einflussreichen Personen des Berliner Kulturlebens. Er führte parallele Verhandlungen mit dem Kiepenheuer-Verlag (über Hermann Kasack, mit dem Ergebnis eines Generalvertrags und einer vorläufigen monatlichen Rente), dem Verlag Erich Reiß (vermittelt durch Klabund) und dem Verlag Paul Cassirer, lernte Schauspieler wie Alexander Granach, Heinrich George, Eugen Klöpfer und Werner Krauß kennen und verband sich mit dem aufstrebenden Dramatiker Arnolt Bronnen zu gemeinsamen Unternehmungen auf dem Kulturmarkt. In dieser Zeit änderte er auch die Schreibung seines Vornamens in Bertolt, um ein Erkennungszeichen für die ‚Firma‘ Arnolt Bronnen/Bertolt Brecht zu schaffen. Ein besonders wichtiger Kontakt war der zu dem Theaterkritiker des Berliner Börsen-Couriers, Herbert Ihering, der seitdem immer wieder öffentlich für Brecht eintrat. Ein erster Regieversuch mit Bronnens Stück Vatermord musste aufgrund heftiger Streitereien Brechts mit den Schauspielern abgebrochen werden. Auf Trude Hesterbergs Wilder Bühne trat er als Sänger zur Gitarre mit seiner Legende vom toten Soldaten auf und löste damit einen Skandal aus; ähnliche Auftritte als ‚Liedermacher‘ absolvierte er insbesondere bei halböffentlichen Treffen der Kulturszene sehr häufig. Ende 1922 musste Brecht, der sich überfordert hatte, mit einer Nierenentzündung für drei Wochen in die Charité. Erste Erfolge

Mittlerweile war es in München tatsächlich gelungen, die erste Uraufführung eines Brecht-Stücks zu arrangieren: Trommeln in der Nacht bei Otto Falckenberg an den Münchener Kammerspielen. Brecht überarbeitete den Text im Sommer noch einmal, die Proben begannen am 29. August 1922, die Uraufführung fand am 29. September statt und wurde von Ihering enthusiastisch rezensiert. Am Folgetag zeigten die Kammerspiele in ihrer Mitternachtsvorstellung die Revue Die rote Zibebe von Brecht und Valentin, unter anderem mit Brecht selbst als „Klampfenbenke“, Klabund, Joachim Ringelnatz (mit Kuttel Daddeldu), Valeska Gert, Karl Valentin und Liesl Karlstadt. Feuchtwanger veröffentlichte einen Artikel über Brecht in Das Tage-Buch, der Baal erschien im Druck bei Kiepenheuer, das Deutsche Theater in Berlin vereinbarte die Aufführung aller Brecht-Dramen, Ihering verlieh ihm den mit 10.000 Reichsmark dotierten Kleist-Preis. Eine wahre „Brechthausse“ war ausgebrochen.

Schon während der Proben der Trommeln hatte sich herausgestellt, dass Marianne Zoff erneut schwanger war. Brecht, der ab Mitte Oktober 1922 eine Stelle als Dramaturg und Regisseur an den Münchner Kammerspielen innehatte, und Marianne Zoff heirateten am 3. November 1922 in München. Mitte November reiste er aber bereits wieder nach Berlin, um dort an den Proben zur Berliner Erstaufführung von Trommeln in der Nacht teilzunehmen, die am 20. Dezember stattfand. Noch vor der Jahreswende erschien auch der Erstdruck des Stücks beim Drei Masken Verlag, mit der Legende vom toten Soldaten im Anhang. Zudem stellte Brecht im März 1923 gemeinsam mit Erich Engel und Karl Valentin den grotesken Film Mysterien eines Frisiersalons fertig. Am 12. März 1923 kam in München die Tochter Hanne zur Welt, die später den Namen Hanne Hiob annahm.

Im Dickicht der Städte kam in einer von Brecht kurzfristig überarbeiteten Fassung unter dem Titel Im Dickicht am 9. Mai 1923 zur Premiere am Münchner Residenztheater. Für das Bühnenbild zeichnete erstmals Caspar Neher verantwortlich. Während Ihering erneut Lobeshymnen verfasste, störten Nazis bereits die zweite Vorstellung des Stücks mit Stinkbomben. Das Stück wurde nach sechs Vorstellungen „wegen des Widerstands im Publikum“ abgesetzt. Regisseur Brecht

In den folgenden Monaten unternahm Brecht in Berlin erneut, wiederum gemeinsam mit Bronnen, einen Versuch als Regisseur, nämlich für den umtriebigen Theatermacher Jo Lherman. Er kürzte das Mysterienspiel Pastor Ephraim Magnus des Kleist-Preisträgers Hans Henny Jahnn unter chaotischen Umständen und ständigem Streit mit den Schauspielern radikal von sieben auf zwei Stunden, die Premiere am 23. August 1923 war aber kein Erfolg, zumal Lhermans Schecks sich als ungedeckt erwiesen. In dieser Zeit lernte Brecht die Schauspielerin Helene Weigel kennen und fing mit ihr ein Verhältnis an.

Ab Ende 1923 konzentrierte sich Brecht auf seine Regiearbeit für die Münchner Kammerspiele. Gemeinsam mit Lion Feuchtwanger sowie Bernhard Reich und Asja Lacis bearbeitete er ein elisabethanisches Stück von Christopher Marlowe, Edward II, unter dem Titel Leben Eduards des Zweiten von England. Es war die erste Regiearbeit, die Brecht erfolgreich fertigstellen konnte; nach John Fuegi hat er hier erstmals seinen persönlichen Regiestil ausgeformt,[28] zumal er mit Neher als Bühnenbildner zusammenarbeiten konnte. Nach zahlreichen Verzögerungen fand die Premiere des bearbeiteten Stücks am 19. März 1924 statt; im Juni erschien der Erstdruck der Bearbeitung mit Radierungen Nehers bei Kiepenheuer, unter Brechts Namen, aber mit dem Vermerk auf Seite 2: „Dieses Stück schrieb ich mit Lion Feuchtwanger.“ Bereits am 8. Dezember 1923 war Baal in Leipzig uraufgeführt worden. Brecht hatte an den Proben teilgenommen und sich dabei wenig Freunde gemacht. Das Stück wurde auf Betreiben der Leipziger Stadtverordnetenversammlung umgehend wieder abgesetzt.

Im Frühling 1924 war Helene Weigel von Brecht schwanger. Ohne seiner Frau Marianne etwas davon oder überhaupt von dieser Affäre zu sagen, fuhr Brecht mit Marianne und Hanne im April nach Capri in Urlaub. Er nutzte die Gelegenheit auch zu Treffen mit Neher, Reich und Lacis – und zu einer Stippvisite in Florenz, wo er sich mit Helene Weigel traf. Im Juni kehrte Brecht zunächst nach Berlin zurück, um seine Geschäfte mit dem Kiepenheuer Verlag voranzubringen. Die Gedichtsammlung Hauspostille, die er Kiepenheuer seit bereits fast zwei Jahren schuldete, redigierte er gemeinsam mit Hermann Kasack, schickte danach aber wiederum keinen fertigen Text, sondern hielt den Verlag weiter hin. Zwar war zu dieser Zeit noch die Rede davon, dass Marianne Brecht nach Berlin übersiedeln sollte (Kiepenheuer hatte schon begonnen, eine Wohnung für sie zu suchen) – Brecht hatte aber bereits mit Helene Weigel ein Abkommen getroffen, dass er ihre Mansardenwohnung in Berlin übernehmen könne. Im September 1924 zog er endgültig nach Berlin um.

Schaffenszeit vor dem Exil

Erst drei Jahre später ließ er sich von Marianne scheiden und heiratete am 10. April 1929 Helene Weigel, die das zweite gemeinsame Kind Barbara am 18. Oktober 1930 zur Welt brachte.

Brecht entwickelte sich in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre zum überzeugten Kommunisten und verfolgte fortan mit seinen Werken wie dem Stück Mann ist Mann (UA 1926) politische Ziele. Er trat aber nie in die KPD ein. Brechts Marxismus-Rezeption wurde sowohl von undogmatischen und parteilosen Marxisten wie Karl Korsch, Fritz Sternberg und Ernst Bloch als auch von der offiziellen KPD-Linie beeinflusst. Parallel zur Entwicklung seines politischen Denkens verlief ab 1926 die Bildung seines epischen Theaters. Durch zahlreiche Theaterkritiken, die er in den letzten Jahren schrieb, begann seine Kritik am bürgerlichen deutschen Theater und der Schauspielkunst. Ein wichtiger theatertheoretischer Aufsatz sind die Anmerkungen zur Oper Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny, die Brecht 1930 gemeinsam mit Peter Suhrkamp verfasste. Die Zusammenarbeit mit Kurt Weill in mehreren musikdramatischen Werken war zudem für die Entstehung des epischen Theaters wesentlich.

Brecht war nicht nur im Theater aktiv, sondern auch in anderen Sparten, gattungs- und genreübergreifend. Er verfasste Gedichte, Lieder, Kurzgeschichten, Romane, Erzählungen sowie Hörspiele für den Rundfunk. Mit seinen Werken wollte Brecht gesellschaftliche Strukturen durchschaubar machen, vor allem in Hinblick auf ihre Veränderbarkeit. Literarische Texte mussten für ihn einen „Gebrauchswert“ haben. Dies beschrieb er 1927 detailliert in seinem Kurzen Bericht über 400 (vierhundert) junge Lyriker.

In Zusammenarbeit mit Kurt Weill entstanden eine Reihe von sogenannten Lehrstücken mit avantgardistischer Musik, z. B. das Stück Lindberghflug 1929, die Schuloper Der Jasager (1930) und Die Maßnahme (ebenfalls 1930). Die 1927 veröffentlichte Gedichtsammlung Bertolt Brechts Hauspostille bestand aus weitgehend früher verfassten Texten. 1928 feierte Brecht mit seiner von Kurt Weill vertonten Dreigroschenoper, die am 31. August uraufgeführt wurde, einen der größten Theatererfolge der Weimarer Republik. Im selben Jahr lernte Brecht Hanns Eisler kennen, der nun zum wichtigsten Komponisten seiner Stücke und Lieder wurde. Aus der Bekanntschaft erwuchsen eine enge Freundschaft und eine der wichtigsten Dichter-Musiker-Partnerschaften des 20. Jahrhunderts.

Leben im Exil

Ab 1930 begannen die Nationalsozialisten, Brechts Aufführungen vehement zu stören. Zu Beginn des Jahres 1933 wurde eine Aufführung von Die Maßnahme durch die Polizei unterbrochen. Die Veranstalter wurden wegen Hochverrats angeklagt. Am 28. Februar – einen Tag nach dem Reichstagsbrand – verließ Brecht mit seiner Familie und Freunden Berlin und flüchtete ins Ausland. Seine ersten Exilstationen waren Prag, Wien, Zürich, im Frühsommer 1933 Carona bei Kurt Kläber und Lisa Tetzner und Paris. Auf Einladung der Schriftstellerin Karin Michaelis reiste Helene Weigel mit den Kindern voraus nach Dänemark auf die kleine Insel Thurø bei Svendborg. Brecht stand im April 1933 auf der von Wolfgang Herrmann verfassten „Schwarzen Liste“; deshalb wurden seine Bücher am 10. Mai 1933 von den Nationalsozialisten verbrannt und am Tag darauf seine gesamten Werke verboten. Brecht wurde 1935 die deutsche Staatsbürgerschaft aberkannt.

In Paris richtete Brecht 1933 die Agentur DAD ein, den sog. „Deutschen Autorendienst“. Dieser sollte emigrierten Schriftstellern, insbesondere seiner Co-Autorin und Geliebten Margarete Steffin, Publikationsmöglichkeiten vermitteln. Zusammen mit Kurt Weill erarbeitete Brecht sein erstes Exilstück, das Ballett Die sieben Todsünden, das im Juli 1933 im Théâtre des Champs-Elysées uraufgeführt wurde. Kurz darauf erwarb Brecht ein Haus in Svendborg (Dänemark) und verbrachte dort mit seiner Familie die nächsten fünf Jahre. 1938 entstand das Leben des Galilei. Außer Dramen schrieb Brecht auch Beiträge für mehrere Emigrantenzeitschriften in Prag, Paris und Amsterdam. Im Jahre 1939 verließ er Dänemark, lebte ein Jahr in einem Bauernhaus in Lidingö bei Stockholm und im April 1940 in Helsinki. Während des Sommeraufenthalts 1940 in Marlebäck, wohin die Familie von der finnischen Schriftstellerin Hella Wuolijoki eingeladen worden war, schrieb Brecht nach einem Text Wuolijokis das Stück Herr Puntila und sein Knecht Matti, das erst am 5. Juni 1948 in Zürich uraufgeführt wurde. Im Sommer 1940 begann er auch gemeinsam mit Wuolijoki die Bearbeitung des unvollendet gebliebenen Stückes Die Judith von Shimoda nach einer Vorlage von Yuzo Yamamoto.

Erst im Mai 1941 erhielt Brecht sein Einreisevisum in die USA und machte sich mit seiner Familie via Moskau und Wladiwostok mit dem Schiff nach Santa Monica in Kalifornien auf. Er stellte sich vor, im Filmgeschäft als erfolgreicher Drehbuchautor arbeiten zu können; doch dazu kam es zunächst u. a. durch seine Abneigung gegenüber den USA und seine Abkapselung nicht. Er hatte kaum Möglichkeiten zur literarischen oder politischen Arbeit und bezeichnete sich selbst angesichts des Desinteresses der US-Amerikaner als „Lehrer ohne Schüler“. Mit Charles Laughton, der später in Brechts einziger Theaterarbeit im amerikanischen Exil die Hauptrolle spielte, übersetzte er sein Stück Leben des Galilei, das im Juli 1947 am Coronet Theatre in Beverly Hills Premiere feierte. Die ursprüngliche Fassung wurde am 9. September 1943 im Schauspielhaus Zürich uraufgeführt.

Nach Kriegseintritt der USA musste sich Brecht 1942 als „Enemy Alien“, als feindlicher Ausländer, registrieren lassen und wurde vom FBI überwacht. Unter dem Verdacht, Mitglied einer kommunistischen Partei zu sein, wurde er am 30. Oktober 1947 vom Ausschuss für unamerikanische Umtriebe befragt. Die Frage, ob er jemals Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen sei oder noch gegenwärtig sei, beantwortete Brecht mit „nein“ und ergänzte, er sei auch nicht Mitglied einer kommunistischen Partei in Deutschland. Einen Tag später reiste er nach Paris und kurz darauf am 5. November nach Zürich. Dort hielt er sich ein Jahr auf, da die Schweiz das einzige Land war, für das er eine Aufenthaltserlaubnis erhielt; die Einreise nach Westdeutschland, in die amerikanische Besatzungszone, wurde ihm untersagt. Im Februar 1948 wurde Brechts Fassung der Antigone des Sophokles im Stadttheater Chur uraufgeführt.

Rückkehr nach Berlin


Bereits kurz nach dem Krieg wurde Brecht von Freunden gedrängt, nach Deutschland zurückzukommen und seine Stücke selbst zu inszenieren. Er wartete jedoch in Zürich noch ab und sondierte die Lage. Als 1948 in der sowjetischen Besatzungszone dann mehrere Theater wiedereröffnet wurden und auch in Berlin das „Deutsche Theater“ und die Volksbühne die Arbeiten wieder aufnahmen, reiste er im Oktober 1948 auf Einladung des Kulturbundes zur demokratischen Erneuerung Deutschlands (später: Kulturbund der DDR) von Zürich über Prag nach Berlin. Die Einreise in die westlichen Besatzungsgebiete Deutschlands blieb ihm nach wie vor untersagt. In Ost-Berlin angekommen, fand er schnell Kontakt zu maßgeblichen Künstlern und Funktionären. Auch dass mit Alexander Dymschitz ein Verehrer der Brechtschen Werke in der sowjetischen Militäradministration saß, sollte sich als günstig für ihn erweisen. Das Wiedersehen mit Jacob Walcher, dessen politischer Urteilsfähigkeit Brecht immer in besonderem Maße vertraute, war für Brecht eine große Freude, hatte er doch nun den Experten gefunden, mit dem er die politischen Konstellationen diskutieren konnte. Brecht enthielt sich zunächst politischer Äußerungen in der Öffentlichkeit. Schon im Januar hatte Brecht sich in der Schweiz skeptisch zur Entwicklung in Deutschland geäußert.

„Es ist klar aus allem, daß Deutschland seine Krise noch gar nicht erfaßt hat. Der tägliche Jammer, der Mangel an allem, die kreisförmige Bewegung aller Prozesse, halten die Kritik beim Symptomatischen. Weitermachen ist die Parole. Es wird verschoben und es wird verdrängt. Alles fürchtet das Einreißen, ohne das das Aufbauen unmöglich ist.“

Bertolt Brecht: Journal Schweiz vom 6. Januar 1948, GBA Band 27, S. 262

Obwohl Brecht bei seinem Berlinaufenthalt durchaus keine weitreichenden Privilegien eingeräumt wurden, kam es doch zu Verhandlungen mit Verlegern. Nach einigem Zögern ordnete er seine Verlagsangelegenheiten: Bei Peter Suhrkamp sollten die Versuche und die Gesammelten Werke erscheinen, der DDR-Aufbau Verlag sollte ebenfalls dafür eine Lizenz erhalten, und die Rechte für die Bühnenwerke blieben beim Reiss-Verlag in Basel. Auch für Brechts Lyrik interessierte sich der Aufbau-Verlag frühzeitig.

Als wichtige Aufgabe empfand es Brecht, wieder im Theaterbetrieb Fuß zu fassen. Ein Angebot Wolfgang Langhoffs, am Deutschen Theater eigene Stücke zu inszenieren, nahm er sofort an. Damit war zugleich ein wichtiges Ziel seiner Berliner Freunde, den Künstler an ein Berliner Theater zu binden, erreicht. Zusammen mit Erich Engel inszenierte Brecht das Stück Mutter Courage und ihre Kinder. Die Premiere am 11. Januar 1949 war ein außerordentlicher Erfolg für Brecht, Engel und die Hauptdarstellerin Weigel, insbesondere aufgrund Brechts Theorie des epischen Theaters. In der Presse wurde die Inszenierung einerseits gelobt, andererseits zeichneten sich bereits spätere Konflikte mit den Kulturfunktionären ab. Begriffe wie „volksfremde Dekadenz“, noch mit Fragezeichen versehen, tauchten in der Öffentlichkeit auf, offenbar in der Erwartung, dass die Formalismusdebatte Shdanows von 1948 in der UdSSR unweigerlich auch den Kunst- und Kulturbetrieb der DDR erreichen würde.

Im Februar 1949 kehrte Brecht kurzzeitig nach Zürich zurück, um eine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen, da Berlin nicht unmittelbar seine erste Wahl war. Die Genehmigung wurde jedoch abgelehnt. Auch war Brecht im Weiteren bemüht, für seine bevorstehende Arbeit in Berlin Schauspieler und Regisseure zu gewinnen. Gleichzeitig betrieb er umfangreiche Studien zur Geschichte der Pariser Kommune. Der Text des Stückes Die Tage der Commune (eine Neubearbeitung von Nordahl Griegs Die Niederlage) lag im April 1949 fertig vor, allerdings war Brecht mit dem Erreichten unzufrieden und verschob die Inszenierung zunächst. Als er Zürich am 4. Mai 1949 endgültig verließ, hatte er Verträge unter anderen mit Therese Giehse, Benno Besson und Teo Otto abgeschlossen. Am 12. Oktober 1950 erhielten Brecht und Weigel während Arbeiten für die Salzburger Festspiele die österreichische Staatsbürgerschaft, im gleichen Monat verstarb Brechts langjähriger Partner Kurt Weill in New York. Die Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft ist zur damaligen Zeit, vor allem in Österreich, auf große Kritik gestoßen, da Brecht nicht die Absicht hatte, aus der DDR nach Österreich überzusiedeln.

Ein eigenes Ensemble

Während Brecht sich in der Schweiz aufhielt, hatte Helene Weigel alles Notwendige in die Wege geleitet, um für Brecht ein eigenes Ensemble gründen zu können. Wilhelm Pieck, Otto Grotewohl und auf Seiten der SMAD Alexander Dymschitz hatten das Vorhaben nach Kräften unterstützt. Vom Beschluss des Politbüros der SED, ein „Helene-Weigel-Ensemble“ zu gründen, mit der Maßgabe, am 1. September 1949 den Spielbetrieb aufzunehmen, wurde am 29. April 1949 die zuständige staatliche Stelle informiert.[35] Die Einsetzung Helene Weigels als Ensembleleiterin hatte für Brecht nur Vorteile. Er musste sich einerseits nicht mit der Bürokratie des Theaterbetriebes abgeben, konnte andererseits aber auch sicher sein, dass Weigel ihn nicht durch eigenen Ehrgeiz zu Kompromissen zwingen würde. In den ersten Jahren schien das Konzept der gemeinsamen Arbeit begabter Schauspieler und Regisseure aus der Exilszene und junger Talente aus dem Inland aufzugehen, doch zeigten der Kalte Krieg und die Debatte um Brechts episches Theater auch in diesem Bereich bald Wirkung. Absprachen konnten nicht eingehalten werden, von Brecht erwartete Künstler wie Peter Lorre kamen nicht nach Berlin. Andere, mit Formalismusvorwürfen konfrontierte Künstler wie Teo Otto, beendeten die Zusammenarbeit.

Theaterarbeit in der DDR

Als mit der Gründung der DDR 1949 auch eine neue Akademie der Künste ins Leben gerufen werden sollte, versuchte Brecht, hier seine Vorstellungen einzubringen: „Auf jeden Fall aber sollte unsere Akademie produktiv und nicht nur repräsentativ sein.“ Er brachte auch das Thema „Meisterschüler“ ins Gespräch. Im inzwischen umbenannten Berliner Ensemble umgab sich Brecht oft und gern mit Schülern wie Benno Besson, Peter Palitzsch und Egon Monk. Anfang 1950 wandte sich Brecht dem Stück Der Hofmeister des „Sturm und Drang“-Dichters Jakob Michael Reinhold Lenz zu, für den er zeit seines Lebens eine große Sympathie empfand. Die Premiere seiner Bearbeitung fand am 15. April 1950 statt, es war der größte Erfolg des Ensembles zu Lebzeiten Brechts, auch wurde er hier zum ersten Mal von der Öffentlichkeit als Regisseur wahrgenommen.

Anfang der 1950er Jahre wurden von der SED wichtige Grundsatzentscheidungen getroffen, so sei der Aufbau des Sozialismus zur grundlegenden Aufgabe […] geworden. Gleichzeitig gewann die Debatte um Formalismus in der Kunst an Schärfe. Brecht agierte hier vorsichtig und ließ sich nicht auf eine theoretische Auseinandersetzung ein. Er ging eher den Weg kleiner Schritte und bereitete mit der Neuinszenierung von Die Mutter 1950/51 sein Publikum auf das von ihm gewollte „didaktische Theater“ vor. In der zu dieser Inszenierung einsetzenden eher mahnend-wohlwollenden Kritik wurde wieder einmal die Sonderrolle Brechts deutlich, die er im DDR-Kunstbetrieb genoss. Andere Künstler wie Paul Dessau bekamen die Formalismusvorwürfe der Funktionäre weitaus deutlicher zu spüren. Jedoch geriet auch Brechts Inszenierung der Oper Die Verurteilung des Lukullus, deren Erstaufführung am 17. März 1951 noch unter dem Titel Das Verhör des Lukullus stattfand, in die Auseinandersetzung. Durch gezielte Kartenvergabe seitens des Ministeriums für Volksbildung sollte offenbar ein Misserfolg organisiert werden. Der Plan schlug gründlich fehl. Auch in den folgenden Diskussionen zum Stück, an denen sich höchste Staatsfunktionäre beteiligten, agierte Brecht geschickt, immer den Kompromiss suchend. 1952 ließ er zunächst eine Inszenierung des Urfaust mit jungen Schauspielern in Potsdam – außerhalb Berlins – aufführen, eine Praxis, die er noch öfter ausübte. Am 2. Juli 1952 bezog Brecht gemeinsam mit Helene Weigel ein Haus in Buckow. Nicht ohne Stolz erklärte er: „Ich gehöre jetzt zu einer neuen Klasse – den Pächtern.“

Brechts Reaktionen auf den 17. Juni 1953

Als es am 17. Juni 1953 in Berlin zu Massenprotesten der DDR-Arbeiter kam, drückte Brecht noch am selben Tag in einem knapp gehaltenen Brief an Walter Ulbricht seine „Verbundenheit mit der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands“ aus, formulierte aber gleichzeitig die Erwartung einer „Aussprache mit den Massen über das Tempo des sozialistischen Aufbaus“. Weitere kurze Solidaritätsadressen schickte Brecht am gleichen Tag an Wladimir Semjonowitsch Semjonow („unverbrüchliche Freundschaft zur Sowjetunion“ und an Otto Grotewohl sowie Gustav Just mit dem Angebot, Beiträge zum aktuellen Radioprogramm zu liefern.

Brecht analysierte die Situation zur gleichen Zeit in einem unveröffentlichten Typoskript so:

„Die Demonstrationen des 17. Juni zeigten die Unzufriedenheit eines beträchtlichen Teils der Berliner Arbeiterschaft mit einer Reihe verfehlter wirtschaftlicher Maßnahmen. Organisierte faschistische Elemente versuchten, diese Unzufriedenheit für ihre blutigen Zwecke zu missbrauchen. Mehrere Stunden lang stand Berlin am Rande eines Dritten Weltkrieges. Nur dem schnellen und sicheren Eingreifen sowjetischer Truppen ist es zu verdanken, daß diese Versuche vereitelt wurden. Es war offensichtlich, daß das Eingreifen der sowjetischen Truppen sich keineswegs gegen die Demonstrationen der Arbeiter richtete. Es richtete sich augenscheinlich ausschließlich gegen die Versuche, einen neuen Weltbrand zu entfachen. Es liegt jetzt an jedem einzelnen, der Regierung beim Ausmerzen der Fehler zu helfen, welche die Unzufriedenheit hervorgerufen haben und unsere unzweifelhaft großen sozialen Errungenschaften gefährden.“

Brecht sah die Ursache der Streiks in dem Versuch der Regierung, durch Erhöhung der Arbeitsnormen ohne adäquate Gegenleistung „die Produktion zu steigern“. Die Künstler habe man als Propagandisten dieses Projekts funktionalisiert: „Man gewährte den Künstlern einen hohen Lebensstandard und versprach ihn den Arbeitern.“ Eine wirkliche Veränderung der Produktionssphäre sah Brecht als Alternative.

Brecht hatte seinen Brief an Ulbricht mit einer Solidaritätsadresse an die Partei geschlossen, für einige Biographen eine bloße Höflichkeitsfloskel. Die Regierung veröffentlichte im Neuen Deutschland vom 21. Juni 1953 aber ausschließlich seine Verbundenheit zur Partei, was Brecht nachhaltig diskreditierte. Brecht versuchte, den Eindruck zu korrigieren, der durch den veröffentlichten Teil des Briefes entstanden war. Unter der Überschrift Für Faschisten darf es keine Gnade geben bezog Brecht neben anderen Autoren im Neuen Deutschland vom 23. Juni 1954 Stellung. Neben einer legitimierenden Einleitung, die den Missbrauch der Demonstrationen „zu kriegerischen Zwecken“ anführte, forderte er nochmals eine „große Aussprache“ mit den Arbeitern, „die in berechtigter Unzufriedenheit demonstriert haben“. Noch im Oktober 1953 versuchte Brecht, den kompletten Brief an Ulbricht über Journalisten zu verbreiten.

„Damals brach eine Welt für Brecht zusammen. Er war erschüttert und entsetzt. Augenzeugen berichten, sie hätten ihn damals geradezu hilflos gesehen; lange Zeit trug er eine Abschrift des verhängnisvollen Briefes bei sich und zeigte sie Freunden und Bekannten, um sich zu rechtfertigen. Aber es war zu spät. Schlagartig setzten die westdeutschen Bühnen, die treuesten, die er neben seiner eigenen hatte, seine Stücke von den Spielplänen ab, und es dauerte lange, bis sich dieser Boykott wieder lockerte.“

Ronald Gray fand in Brechts Verhalten die Figur des Galileo Galilei wieder, die Brecht selbst literarisch gestaltet hatte: Die chamäleonhafte verbale Anpassung an das Regime habe ihm ermöglicht, seine wirklichen Interessen zu verfolgen. Walter Muschg reflektierte das unklare Verhalten Brechts unter Bezug auf das Doppelleben der Brecht-Figur Shen-Te aus Der gute Mensch von Sezuan:

„Der von der Feigheit und Dummheit der Zeit frei Gebliebene führte das Doppelleben, das ‚Der gute Mensch von Sezuan‘ darstellt, und befleckte sich mit Zugeständnissen, um sich halten zu können. Es half ihm nichts, daß seine für offizielle Anlässe gelieferten Verse, absichtlich oder nicht, erstaunlich schlecht waren, Schweyks Schläue im Umgang mit der Diktatur konnte ihn innerlich nicht beruhigen. Er mußte sich als Gespenst seiner selbst vorkommen, weil er, zur Flucht zu stolz, unter der ihm längst fragwürdig gewordenen Fahne ausharrte. Nur ein besseres Ende des Krieges hätte ihn vor dieser Zwangslage bewahren können. Er war kein Verräter, aber ein Gefangener. Er wurde wieder zum Außenseiter, sein Gesicht bekam einen leichenhaften Zug. Der schlimmste Mißbrauch seiner Person war die Unterschlagung seiner kritischen Stellungnahme zur Unterdrückung des Berliner Juniaufstandes von 1953, von der die Öffentlichkeit nur die verbindliche Schlußformel zu sehen bekam. Nach seinem frühen Tod, der wohl mit dem Gram darüber zusammenhängt, kamen Gedichte ans Licht, die zeigen was er litt.“

Anders analysiert John Fuegi in seiner Brecht-Biographie Brecht & Co. die Reaktionen Brechts. Brecht selbst habe in dieser Zeit unter Druck gestanden und um die Übernahme des Theaters am Schiffbauerdamm gekämpft. Seine Bezugnahme auf CIA-Provokateure zeige seine grundlegende Missdeutung der Situation. „Die DDR-Regierung hatte den Kontakt zur Arbeiterschaft verloren, und das galt auch für Brecht.“ Zudem habe Brecht außer dem oben zitierten Brief weitere Solidaritätsadressen an Wladimir Semjonow und Otto Grotewohl versandt. Auch auf Proteste eines Arbeiters im Berliner Ensemble gegen die niedrigen Gehälter von etwa 350 Mark netto habe Brecht nicht reagiert, obwohl er allein am Theater ein Gehalt von 3000 Mark erhalten habe.

In der poetischen Reflexion der Ereignisse nahm Brecht im Juli/August 1953 eine deutlich distanzierte Haltung der DDR-Regierung gegenüber ein, die er in den Buckower Elegien u. a. im Gedicht Die Lösung artikulierte.

Nach dem Aufstand des 17. Juni Ließ der Sekretär des Schriftstellerverbands In der Stalinallee Flugblätter verteilen Auf denen zu lesen war, daß das Volk Das Vertrauen der Regierung verscherzt habe Und es nur durch doppelte Arbeit Zurückerobern könne. Wäre es da Nicht doch einfacher, die Regierung Löste das Volk auf und Wählte ein anderes?

Eine Aussprache, wie Brecht sie sich gewünscht hatte, kam nicht zustande; er zog sich aus den dann folgenden fruchtlosen Debatten zurück. Von Juli bis September 1953 arbeitete Brecht überwiegend in Buckow an den Gedichten der Buckower Elegien und an dem Stück Turandot oder der Kongress der Weißwäscher. In dieser Zeit erlebte Brecht auch mehrere persönliche Krisen im Zusammenhang mit seinen ständig wechselnden Liebschaften. Helene Weigel zog vorübergehend allein in die Reinhardstraße 1, Brecht in ein Hinterhofgebäude der Chausseestraße 125. Auch seine langjährige treue Gefährtin Ruth Berlau erwies sich für Brecht nun zunehmend als Belastung, zumal sie auch ihre Arbeiten im Ensemble nur noch sporadisch ausführte. Die letzten Jahre

Im Januar 1954 wurde das Ministerium für Kultur der DDR gegründet, Johannes R. Becher wurde zum Minister und Brecht in den künstlerischen Beirat berufen. Die alten Verwaltungsstrukturen wurden aufgelöst. Damit sollte die allgegenwärtige Spannung zwischen den Künstlern und den Staatsfunktionären endlich beseitigt werden. Die Formalismuskonzeption verschwand aus den Debatten. Brecht begrüßte die Änderungen und rief seine Künstlerkollegen dazu auf, die neuen Chancen zu nutzen.[56] Am 19. März 1954 eröffnete Brecht mit seinen Mitarbeitern das Theater am Schiffbauerdamm mit einer Bearbeitung von Molières Don Juan. Vor dem Hintergrund der sich immer mehr verschärfenden Ost-West-Konfrontation beteiligte sich Brecht 1955 an Diskussionsabenden in West-Berlin und betrieb die Herausgabe seiner Kriegsfibel. Am 21. Dezember 1954 wurde Brecht mit dem Internationalen Stalin-Friedenspreis ausgezeichnet, der ihm am 25. Mai 1955 im Kreml überreicht wurde. Brecht hatte weiterhin Ideen und Pläne zu neuen Stücken, die er jedoch zunehmend an seinen Mitarbeiterstab delegierte. Im Juni 1954 wurde Brecht zum Vizepräsidenten der deutschen Akademie der Künste ernannt. Brecht leistete zudem in seinen letzten Lebensjahren ein gewaltiges Pensum: Zwei Inszenierungen pro Jahr als Regisseur, Mitarbeit an fast allen Inszenierungen anderer Regisseure des Berliner Ensembles sowie schriftstellerische Arbeiten jeglicher Art. Mit zwei Gastspielen, 1954 mit Mutter Courage und 1955 mit Der kaukasische Kreidekreis in Paris, schaffte Brechts Ensemble nun auch den internationalen Durchbruch. Der triumphale Erfolg signalisierte jedem Theaterfunktionär: Brecht kann man inszenieren, ohne ein Wagnis einzugehen.

Tod

Am 15. Mai 1955 verfasste Brecht sein Testament und schrieb einen Brief an Rudolf Engel, Mitarbeiter der Akademie der Künste, und bat ihn: „Im Falle meines Todes möchte ich nirgends aufgebahrt und öffentlich aufgestellt werden. Am Grab soll nicht gesprochen werden. Beerdigt werden möchte ich auf dem Friedhof neben dem Haus, in dem ich wohne, in der Chausseestraße.“ Ein Jahr darauf wurde Brecht mit einer Grippe in das Berliner Charité-Krankenhaus eingeliefert. Zu seiner Erholung verbrachte er die Sommerfrische im Landhaus am Buckower Schermützelsee in der Märkischen Schweiz. Aber auch die Landluft konnte seine Herzbeschwerden, die er seit seiner Kindheit hatte, nicht kurieren.

Brecht starb am 14. August 1956 um 23:30 Uhr in der Berliner Chausseestraße 125, dem heutigen Brecht-Haus. Lange wurde angenommen, dass er am 12. August 1956 einen Herzinfarkt erlitten habe. Brecht litt jedoch in seiner Kindheit an rheumatischem Fieber – einer damals noch wenig verstandenen Erkrankung. Diese griff sein Herz an, was zu den chronischen Herzproblemen führte. Verbunden mit dem rheumatischen Fieber war Chorea minor, zudem traten urologische Probleme auf. Brecht hatte somit zeitlebens organische Beschwerden, die letztlich zu einem Herzversagen führten.

Am 17. August 1956 wurde Brecht unter großer Anteilnahme der Bevölkerung und im Beisein zahlreicher Vertreter aus Politik und Kultur beigesetzt. Bei der Beerdigung wurde, wie er es sich gewünscht hatte, nicht gesprochen. Zusammen mit seiner 1971 verstorbenen Frau Helene Weigel liegt er auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin begraben. Die Ehrengrabstätte befindet sich in der Abteilung CAM.


Adressen: Von Februar bis März 1920 und vom November 1921 bis April 1922 in der Eislebener Straße 13 beim Publizisten Frank Warschauer. Von hier aus spann er wichtige Kontakte, die seine ersten Erfolge ermöglichten, so zu den Schriftstellern Hermann Kasack und Arnolt Bronnen oder dem Kritiker Herbert Ihering, und suchte nach ersten Verlagen und Bühnen, die bereit waren mit ihm zusammenzuarbeiten. Brief an eine Freundin „Ich wohne gut, nur etwas kalt.“ Das Haus, in dem er wohnte, wurde 1943 im Krieg etwas beschädigt, 1954 wiederaufgebaut und ist heute noch erhalten.

In den 1920er Jahre in der Hardenbergstraße 13 in Berlin.


Text: Wikipedia

Liste der Autoren

Text der Adresse: Wikipedia

Liste der Autoren

Bild: Wikipedia/Kolbe, Jörg

Das Bild und der Text stehen unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Einzelheiten sind in den Nutzungsbedingungen von Wikipedia beschrieben.