Czernowitz

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Czernowitz, auch Tschernowitz (ukrainisch Чернівці / Tscherniwzi; russisch Черновцы), ist die Hauptstadt der Oblast Tscherniwzi in der Westukraine und die traditionelle Hauptstadt der Bukowina.

Reklamemarken und Siegelmarken

Deutscher Schulverein

Geschichte

Eine befestigte Siedlung am linken Ufer des Pruths stammt aus der Zeit der Kiewer Rus bzw. ihres Teilfürstentums Galizien-Wolhynien. Sie wurde unter Rurikiden-Fürst Jaroslaw Osmomysl gegründet, der zwischen 1153 und 1187 regierte. In den Chroniken wird die Stadt in ihrer Anfangszeit Tschern (Schwarze Stadt) genannt. Dies kann auf die schwarze Farbe der Stadtmauern oder auf die Schwarzerde zurückgehen.[1] Nach der mongolischen Invasion der Rus wurden die Herrscher von Galizien-Wolhynien 1259 gezwungen, die noch verbliebenen Festungen, darunter auch Tschern, zu zerstören. Die Reste der altrussischen Festung wurden jedoch bis ins 17. Jahrhundert weiterhin zu Verteidigungszwecken genutzt. Nach 1259 verlagerte sich die Bebauung auf das strategisch günstigere, höhere rechte Pruth-Ufer.

Von 1359 bis 1774 gehörten die Stadt und ihre Umgebung zum Fürstentum Moldau, das ab 1512 in Vasallenabhängigkeit zum Osmanischen Reich stand.[4] Aus dieser Zeit stammt auch die erste urkundliche Erwähnung der Stadt als Zollstelle (8. Oktober 1408[5]) in einem Handelsbrief zwischen dem moldauischen Fürsten Alexandru cel Bun (Alexander der Gute)[6] und Kaufleuten aus Lemberg (damals im Königreich Polen). In osmanischen Quellen wurde die Stadt als Çernovi bezeichnet, eine phonetische Transliteration eines lateinischen Cognomens, das „neue Burg“ bedeutet (vgl. franz. Castelnau[7] oder wal. Carno). Im 15. Jahrhundert war Czernowitz ein Marktflecken im Einzugsgebiet des wichtigen Warenumschlagplatzes Suceava und wurde 1497 während des Kriegs zwischen Stefan cel Mare (Stefan dem Großen) und Polen niedergebrannt.[1]

Bukowina

1774 wurde Czernowitz wie die gesamte Bukowina von Österreich besetzt und nach Verhandlungen mit der osmanischen Seite 1775 offiziell Teil der Habsburgermonarchie.[1][4] In dieser vorerst zum Königreich Galizien und Lodomerien gehörig, hatte die Stadt 1816 erst 5.400 Einwohner.[8] Die Kreuzerhöhungsbasilika war 1814 das erste gemauerte Gebäude. 1849 wurde das Herzogtum Bukowina als eigenes Kronland mit der Landeshauptstadt Czernowitz konstituiert, 1861 der Bukowiner Landtag eingerichtet. In der 1867 gebildeten Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gehörte das Land bis 1918 zu „den im Reichsrat vertretenen Königreichen und Ländern“ (Cisleithanien) mit deren gemeinsamer k.k. Regierung in Wien.

1875 wurde von Kaiser Franz Joseph I. anlässlich der 100-jährigen Zugehörigkeit zu Österreich eine Universität mit deutscher Unterrichtssprache gegründet, die Franz-Josephs-Universität Czernowitz. Sie umfasste 1893 eine griechisch-orientalisch theologische, eine rechts- und staatswissenschaftliche und eine philosophische Fakultät und besaß eine Bibliothek mit 50.000 Bänden, einen botanischen Garten, ein chemisches Labor und ein naturhistorisches Museum. 1892/93 unterrichteten 40 Lehrer 281 Studierende.[8]

Der Großteil der ostjüdischen Bevölkerung hatte sich schon von Ende des 18. bis Mitte des 19. Jahrhunderts aus Galizien kommend in der Bukowina angesiedelt und verwendete statt des Jiddischen immer stärker die deutsche Sprache. Die deutschsprachige Kultur von Czernowitz wurde hauptsächlich von der jüdischen Bevölkerung getragen.[9] Im Jahr 1880 waren um die 30 Prozent der Bevölkerung von Czernowitz Juden.[10] Siehe auch: Studentenverbindungen in Czernowitz

Bistumssitz

Nach Radautz war Czernowitz Bistumssitz der griechisch-orthodoxen Diözese.

Blüte

1895 vermerkte ein Lexikon für Czernowitz eine neue griechisch-orientalische Domkirche (vollendet 1864), eine armenisch-katholische Kirche (1875), eine neue Jesuitenkirche, den Israelitischen Tempel Czernowitz, eine griechisch-orientalische erzbischöfliche Residenz und 54.000 Einwohner (27.000 Deutsche, 10.000 Ruthenen, 8.000 Polen und 8.000 Rumänen), darunter 17.000 Juden. (In der Literatur wird für alle Gebiete im östlichen Altösterreich darauf hingewiesen, dass die Einwohner mit jiddischer Muttersprache zumeist Deutsch als Muttersprache angegeben haben, da Jiddisch nicht als eigenständige Sprache anerkannt war.) Zur Wirtschaft wurden eine Bierbrauerei, zwei Dampfmühlen, eine Sägemühle, eine Ölfabrik, eine Maschinenfabrik und reger Handel insbesondere nach Russland und Rumänien festgehalten. An Schulen wurden ein Obergymnasium, eine Oberrealschule, eine Staatsgewerbeschule, Lehrer- und Lehrerinnenbildungsanstalt und eine landwirtschaftliche Lehranstalt registriert, für die Kultur das Landesmuseum und ein Theater angeführt.[8] 1897 wurde auch die Straßenbahn Czernowitz eröffnet; diese verkehrte bis 1967.

In Czernowitz entstand eine multikulturelle Stadtbevölkerung, die aus Juden, Deutschen, Rumänen, Ukrainern und Polen bestand. Die im öffentlichen Leben und in der Wirtschaft dominierende Sprache war das Deutsche. In Czernowitz, und auch in anderen Teilen der Bukowina, bildete sich eine spezifische, deutschsprachige Kultur heraus, die insbesondere in den Städten präsent war und bis in die 1940er Jahre existierte. Es gab auch ein prosperierendes Kulturleben[11] und zahlreiche deutschsprachige Presseerzeugnisse.

Im Ersten Weltkrieg war die Stadt zwischen August 1914 und August 1917 dreimal für insgesamt rund 19 Monate von der russischen Armee besetzt.[12] Die dritte Besetzung dauerte vom 18. Juni 1916 bis zum 3. August 1917.[13]

In Czernowitz geboren oder aufgewachsen sind unter anderem die Schriftsteller und Dichter Paul Celan, Rose Ausländer, Selma Meerbaum-Eisinger, Klara Blum, Alfred Margul-Sperber, Ludwig Adolf Staufe-Simiginowicz, Immanuel Weissglas, Gregor von Rezzori, Aharon Appelfeld, der Komponist Ludwig Rottenberg oder der Opernsänger Joseph Schmidt. Auch das jiddische Kulturleben in der Stadt blühte; 1908 fand in der Stadt die internationale Konferenz für die jiddische Sprache statt. Mit Olha Kobyljanska lebte in Czernowitz auch eine der bedeutendsten ukrainischen Schriftstellerinnen.

Rumänien (1918–1940)

Österreich-Ungarn zerfiel Ende Oktober 1918. Galizien schloss sich der entstehenden Zweiten Polnischen Republik an; der Widerstand der Ukrainer (Ruthenen) Ostgaliziens, die ihre Westukrainische Republik ausriefen (zu der Teile der Bukowina gehören sollten), wurde von Polen schließlich militärisch niedergekämpft (die von den Ukrainern verlangte Teilung Galiziens fand erst ab 1944 statt). Die Bukowina ging daraufhin im Königreich Rumänien auf, was ebenfalls von den Ukrainern des ehemaligen Kronlandes nicht gewünscht war. Der Anschluss an Rumänien wurde mit der Furcht vor der Vereinnahmung durch Sowjetrussland begründet und am 28. November 1918 (nach julianischem Kalender 15. November) in der Residenz des bukowinischen Erzbischofs und Politikers Basil von Repta erklärt. Rumänien war die Bukowina von der Triple Entente in einem geheimen Vertrag schon im August 1916 zugesagt worden, um das Land zum Kriegseintritt gegen Österreich-Ungarn zu bewegen.[14]

Am 10. September 1919 wurde die Übernahme des Landes durch Rumänien im Vertrag von St. Germain sanktioniert.[15] Czernowitz wurde auf Rumänisch Cernăuţi genannt. Großrumänien, wie es ab 1919 hieß, führte an der Universität mit Beginn des Wintersemesters 1919/20 Rumänisch als Unterrichtssprache ein, was zur Abwanderung der meisten deutschen Professoren führte. Der rumänische Staat versuchte, die gesamte Bukowina kulturell zu rumänisieren, was jedoch nur begrenzt erfolgreich war.

Für 1925 werden „etwa 90.000 Einwohner“ auf einem Stadtgebiet von 52 km² angegeben, davon 40 % Juden und je 20 % Deutsche, Rumänen und Ukrainer. Tschernowitz war damals Hauptstadt des gleichnamigen rumänischen Kreises (Județ) und Sitz zahlreicher Behörden, darunter einer Eisenbahndirektion. Die Wirtschaft umfasste zu dieser Zeit neben Mühlen, Brauereien und Spiritusfabriken auch Unternehmen der Lederwarenindustrie.[12]

Die Ober- und Mittelschicht der Czernowitzer Juden fühlte sich auch nach 1918 noch mit Österreich und dessen Hauptstadt Wien verbunden und wehrte die Rumänisierungsversuche Groß-Rumäniens bis zum Einmarsch der Sowjets im Jahr 1940 ab.[9]

Sowjetunion (1940–1941)

Wie im sogenannten Ribbentrop-Molotow-Pakt zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion am 24. August 1939 vereinbart, wurde die Stadt am 28. Juni 1940 von der Sowjetunion besetzt und der Großteil der deutschen Bevölkerung, etwa 25.000, nach Verhandlungen mit Deutschland anschließend „heim ins Reich“ geholt. Die Stadt hieß nun russisch Tschernowizy / Черновицы, am 9. August 1944 wurde sie dann per Ukas in Tschernowzy / Черновцы umbenannt.[16] Die neuen sowjetischen Herrscher behandelten reiche Stadtbürger, darunter auch viele Juden, als Klassenfeinde, etwa 3500 Juden wurden in Güterzügen nach Sibirien und in andere entlegene Gebiete der Sowjetunion deportiert.[17]

Rumänien (1941–1944)

Von 1941 bis 1944 gehörte Czernowitz wieder zu Rumänien, das mit dem Deutschen Reich verbündet war. In dieser Zeit kam es zur Ermordung und Deportation eines großen Teils der jüdischen Gemeinde. Die ersten Einheiten der rumänischen Armee drangen am 5. Juli 1941 in die Stadt ein, nachdem sie zuvor in Storoschynez und in der südlichen Umgebung von Czernowitz tausende Juden umgebracht hatten. Am nächsten Tag erschienen die ersten Mitglieder des deutschen Einsatzkommando 10b und begannen mit der Verhaftung und Ermordung von Juden. Im September 1941 betrug die Zahl der Juden in Czernowitz nach deutschen Quellen 45.759 (über 58 % der Einwohner) und nach rumänischen Quellen 41.118 (52 %). Jüdische Männer und Frauen wurden unter der Aufsicht rumänischer Polizisten ohne Bezahlung zu schwerer sklavenähnlicher Arbeit gezwungen. Im September 1941 wurden Pläne zur Einrichtung eines Ghettos für die Juden diskutiert.

Von August 1941 bis Juni 1942 war Traian Popovici (1892–1946) Bürgermeister von Czernowitz. Für seinen Einsatz, mit dem er das Leben vieler Juden rettete, ehrte ihn die israelische Gedenkstätte Yad Vashem postum mit dem Titel Gerechter unter den Völkern. Am 10. Oktober 1941 erhielt er den auf Ion Antonescu zurückgehenden Befehl, in der Stadt ein Ghetto einzurichten, dem er sich trotz heftigen Einspruchs nicht widersetzen konnte. Corneliu Calotescu (1889–1970), der Militärgouverneur von Bukowina, verkündete die Entscheidung, ab 14. Oktober alle Juden aus der Stadt zu deportieren. Dieser Befehl wurde am 15. Oktober dahingehend geändert, 15.000 bis 20.000 Juden zu behalten, die als „ökonomisch wertvoll“ galten, da sie für die industrielle Produktion benötigt würden. Während Calotescu drängte, Abstriche an der Liste der von der Deportation auszunehmenden „wertvollen“ Juden, darunter 256 Ärzte, vorzunehmen, wurden Popovici und seine Rathausangestellten beschuldigt, von den Juden korrumpiert zu sein, weil sie eine möglichst umfangreiche Liste präsentierten.[18]

Mitte Oktober 1941 begann die Deportation der Juden aus dem Ghetto mit Güterzügen über die Zwischenstation Otaci oder Mărculești Richtung Transnistrien. Bis zum 15. November 1941, als die Deportationen plötzlich gestoppt wurden, waren 33.891 Juden aus Czernowitz deportiert worden und einer Schätzung zufolge knapp über 20.000 in der Stadt verblieben.[19] Im Februar 1942 lebten über 21.000 Juden in Czernowitz, davon besaßen 16.391 eine von der Popovici-Verwaltung ausgestellte Bleibebescheinigung, die übrigen rund 5000 Juden waren als „ökonomisch nutzlos“ eingestuft. Um sie zu schützen, stellte Popovici auch ihnen Bescheinigungen aus. Weil Popovici damit seine Befugnisse überschritten hatte, wurde er im Juni 1942 abgesetzt und gegen einen überzeugten Antisemiten ausgetauscht.[20] Im Juni 1942 wurden die Deportationen nach Transnistrien wieder aufgenommen,[21] der erste Güterzug verließ Czernowitz am 8. Juni mit 1781 Juden. Mit dem vierten Zug am 26. Juni waren 11.110 Juden deportiert. Am 13. Oktober 1942 wurden die Deportationen ausgesetzt. Die Situation für die verbliebenen Juden entspannte sich, als im März oder April 1943 Gouverneur Calotescu abgesetzt wurde.[22]

Sowjetunion (1944–1991)

Als am 29. März 1944 die Rote Armee die Stadt erneut einnahm und wieder die Ukrainische Sozialistische Sowjetrepublik installierte, wurden die noch verbliebenen deutschen Bewohner der Stadt vertrieben, auch ein Großteil der rumänischsprachigen Bevölkerung verließ Czernowitz. Es siedelten sich nun tausende Ukrainer und Russen in der Stadt an. Die ehemals deutschsprachige Kultur der Stadt verschwand fast vollständig.

Ukraine (seit 1991)

Seit dem Zerfall der Sowjetunion 1991 gehört die Stadt als Tscherniwzi zur unabhängig gewordenen Ukraine. Am 21. März 2014 entsandte die OSZE im Zusammenhang mit der Annexion der Krim Beobachter in die Stadt.[23][24]

Czernowitz ist (Stand 18. März 2022) eine der wenigen ukrainischen Großstädte, die seit dem Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine (am 24. Februar 2022) noch nicht von russischen Truppen angegriffen wurde.[25] Im Zuge des Krieges ist die Stadt zu einem Zufluchtsort für Ukrainer aus den umkämpften Regionen im Osten des Landes geworden. Zeitweise beherbergte die Stadt 100000 ukrainische Binnenflüchtlinge.[26]

In diesem Zusammenhang entschied zudem die Stadt Düsseldorf, eine Städtepartnerschaft einzugehen.[27][28]


Text: Wikipedia

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