Eduard Spranger (Wohnhaus)

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Gedenktafel

Eduard Spranger (* 27. Juni 1882 als Franz Ernst Eduard Schönebeck in Lichterfelde, Berlin; † 17. September 1963 in Tübingen) war ein Philosoph, Pädagoge und Psychologe, der zu den modernen Klassikern der Pädagogik gezählt wird. Er war maßgeblich beteiligt an der Etablierung der Pädagogik als selbständiger akademischer Disziplin und beeinflusste nach beiden Weltkriegen die Lehrerausbildung in Deutschland. Er gilt außerdem als einer der profiliertesten Vertreter der geisteswissenschaftlichen Pädagogik und hat die pädagogische Diskussion in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachhaltig geprägt. Für seine wissenschaftlichen Leistungen erhielt Spranger zahlreiche Ehrungen. Spranger setzte sich für das humanistische Gymnasium ein und prägte den Begriff Dritter Humanismus. Das Ziel der Bildung sei die innere Formung des Menschen.


Leben und Wirken

Herkunft und Ausbildung

Spranger wurde als einziger Sohn des Berliner Spielwarengeschäftsinhabers Carl Franz Adalbert Spranger (1829–1922) und dessen späterer Ehefrau Henriette Bertha Schönebeck (1847–1909), Verkäuferin in diesem Geschäft, vorehelich geboren. Sprangers Eltern heirateten 1884, Franz Spranger bekannte sich urkundlich als leiblicher Vater, und Eduard durfte den Familiennamen Spranger führen.

Vom sechsten Lebensjahr an besuchte Spranger das Dorotheenstädtische Realgymnasium in Berlin. Aufgrund überragender Leistungen und durch die Unterstützung eines seiner Lehrer wechselte er als Zwölfjähriger auf das renommierte Gymnasium „Zum Grauen Kloster“ und verließ es Ostern 1900 mit sehr gutem Abitur.

Spranger erwog ein Musikstudium, entschied sich jedoch für ein Studium an der Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin im Hauptfach Philosophie und in den Nebenfächern Psychologie, Pädagogik, Geschichte, Nationalökonomie, Jura, Theologie, Germanistik und Musiktheorie. Seine Lehrer waren Friedrich Paulsen, Wilhelm Dilthey, Erich Schmidt sowie Otto Hintze. Ein erster Promotionsversuch des erst 19-Jährigen bei Wilhelm Dilthey zum von diesem vorgeschlagenen Thema „Die Entwicklungsgeschichte Friedrich Heinrich Jacobis“ scheiterte. Mit einer Arbeit zum selbstgewählten Thema „Die erkenntnistheoretischen und psychologischen Grundlagen der Geschichtswissenschaft“ wurde Spranger 1905 bei Friedrich Paulsen dann doch promoviert.

In dieser Zeit begegnete Spranger Catharina „Käthe“ Hadlich und blieb mit ihr lebenslang in intensiver Brieffreundschaft verbunden.


Höhere Töchterschulen

Nach der Promotion, während seiner Suche nach einem Habilitationsthema, wurde Spranger zeitweilig Lehrer an der privaten Höheren Mädchenschule „St. Georg“ in Berlin, die er 1908 wieder verließ. Er begann, als Lehrer an einer von Willy Böhm geleiteten privaten Höheren Töchterschule mit angeschlossenem Lehrerinnenseminar zu arbeiten. Im selben Jahr erkrankte seine Mutter an Tuberkulose, der sie nach einem Jahr Leidenszeit, in dem Spranger sie hingebungsvoll und ohne Rücksicht auf die eigene Gesundheit pflegte, erlag. Der Tod der geliebten Mutter, zu der er stets ein besonders inniges Verhältnis hatte, erschütterte Spranger tief.

„Ich erteilte fünf Jahre lang an damals sog. höheren Töchterschulen einige Stunden deutschen Unterricht. Als einziges Kind sehr einsam aufgewachsen, lernte ich nun erst eine Gestalt des Menschentums kennen, die den anderen in den eigenen Schwestern früh begegnet. Das Ewig-Weibliche in seiner reifsten wie in seiner noch naiven Ausprägung hat mich innerlich tief gefördert, und obwohl ich damals meine über alles geliebte Mutter verlor, zögere ich nicht zu sagen: diese Zeit in der Schule ist eigentlich meine glücklichste Zeit gewesen.“

– Eduard Spranger


Hochschullehrer

1909 habilitierte sich Spranger an der Berliner Universität. Seine Habilitationsschrift trug den Titel Wilhelm von Humboldt und die Humanitätsidee. Er hielt 1909 seine Antrittsvorlesung und lehrte als Privatdozent an der Universität in Berlin, bis er an die Universität Leipzig berufen wurde. Dort erhielt er 1911 eine außerordentliche Professor für Philosophie und Pädagogik, auf die bereits im August 1912 die ordentliche Professur folgte. Ebenfalls im Jahr 1912 wurde er in das Kuratorium der Leipziger Hochschule für Frauen gewählt, an der junge Frauen zu Kindergärtnerinnen ausgebildet wurden; Spranger verließ das Kuratorium jedoch schon 1915 nach heftigen Auseinandersetzungen mit der betagten Leiterin Henriette Goldschmidt über die Art und Weise der Führung der Hochschule. Aus Solidarität exmatrikulierten sich sieben seiner Studentinnen, denen er fortan Privatunterricht gab. 1913 begegnete Spranger zum ersten Mal Anna Jenny Susanne Emilie Conrad, die er 21 Jahre später heiraten sollte.

Spranger wurde 1914, nach Ausbruch des ersten Weltkrieges, als unausgebildeter Landsturmangehöriger einberufen, jedoch nie eingezogen. Er fühlte sich innerlich zerrissen, da er glaubte, wie seine Altersgenossen seine Pflicht an der Waffe erfüllen zu müssen. Zugleich war er sich jedoch im Klaren darüber, dass er nicht über die nötigen psychischen und physischen Voraussetzungen für den Kriegsdienst verfügte. Die psychische Belastung und starke Überarbeitung führten dazu, dass Spranger 1916 schwer erkrankte und sich ein Jahr von der Universität beurlauben lassen musste. Er litt an starker Abmagerung und Rippenfellentzündung und stand unter Tuberkuloseverdacht.

Nach seiner Genesung wurde Spranger 1917 zum Berater des preußischen Unterrichtsministeriums bestellt. Ein Jahr später erfolgte seine Wahl in die Vorstandschaft der Gesellschaft für deutsche Schul- und Erziehungsgeschichte. 1919 folgte Spranger einem Ruf an die Universität Berlin, nachdem er zuvor Rufe an die Universitäten Hamburg und Wien abgelehnt hatte. 1922 starb Sprangers Vater im Alter von 83 Jahren an Magenkrebs. Das Vater-Sohn-Verhältnis war lebenslang von Spannungen geprägt. Ein Jahr später wurde Spranger zum Dekan der Philosophischen und Naturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin ernannt. 1925 folgte die Aufnahme in die Preußische Akademie der Wissenschaften. 1934 heiratete Eduard Spranger Susanne Conrad nach über zwanzigjähriger Bekanntschaft in Berlin.


Spranger und die Frauen

Spranger dachte in Geschlechterpolaritäten. Die Frau steht nach seiner Auffassung für das Gefühl, für ganzheitliches Empfinden, für das Leben. Sie sei eine heilsame Ergänzung des Mannes. Mit der Kulturverantwortung der Frau sei es anders bestellt als mit der des Mannes. Zeitgenössische Frauen schätzten Spranger dafür, dass er sie nicht auf die Familientätigkeit reduzierte, sondern ihnen ausgewählte Kulturbereiche als Betätigungsfeld zusprach. Zum Jahreswechsel 1915/1916 hatte Spranger eine Broschüre mit dem Titel „Die Idee einer Hochschule für Frauen und die Frauenbewegung“ geschrieben, die unter anderen von Gertrud Bäumer begeistert aufgenommen wurde. Die Schrift ist ein Zeichen für Sprangers intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Frauenstudium, dem er zunächst abweisend gegenüberstand. So schrieb er 1908 an Käthe Hadlich:

„Liebe Freundin, das Frauenstudium ist ein großer Unsinn; sie leisten alle nichts.“

– Eduard Spranger

Wenige Jahre später äußerte er sich beeindruckt über die intellektuellen Leistungen einzelner Frauen, während er zur selben Zeit gereizt über mangelnden Ernst seiner Schülerinnen und Studentinnen klagte. Seine nun disparate Haltung gegenüber dem Frauenstudium zeigte sich weiter in Briefen an Käthe Hadlich, in denen er schrieb, seine Kollegs hießen uniintern nur „Strickschule“, und es sei

„[...] ein Elend, dass die Frauenspersonen jetzt alle das Studierfieber gekriegt haben.“

– Eduard Spranger

Dennoch fühlte er sich dazu berufen, Frauen zu ihrem höheren, „wahren Selbst“ emporzuführen. Hintergrund war ein Gedanke, den er von seinem Vorbild Wilhelm von Humboldt übernommen hatte: das Modell einer idealen Ergänzung der Geschlechter. Sprangers wichtigste Ratgeber waren zudem immer Frauen, zunächst seine Mutter, später vor allen seine Ehefrau Susanne Conrad und Käthe Hadlich. In Käthe Hadlich hatte Spranger über die Dauer von 60 Jahren eine Vertraute gefunden, die mit ihrem Verständnis und ihren Reaktionen seinem Streben nach männlicher Selbstverwirklichung als Gelehrter wesentliche Anregungen gab. Eine Dissertantin und ergebene Schülerin Sprangers war die Pädagogin Mathilde Mayer.


Zeit des Nationalsozialismus

Stahlhelm

Aufgewachsen in der nationalkonservativen Tradition der preußischen Tugenden, begegnete Spranger der Weimarer Republik mit Skepsis. 1933 trat er in den Stahlhelm ein und unterschrieb als eines von mehreren Vorstandsmitgliedern des deutschen Hochschulverbandes eine Erklärung, die sich positiv zur nationalsozialistischen Revolution äußerte:

„Die Wiedergeburt des deutschen Volkes und der Aufstieg des neuen Deutschen Reiches bedeutet für die Hochschulen unseres Vaterlandes Erfüllung ihrer Sehnsucht und Bestätigung ihrer stets glühend empfundenen Hoffnungen. [...] Nach dem Fortfall unseliger Klassengegensätze ist für die Hochschulen wieder die Stunde gekommen, ihren Geist aus der tiefen Einheit der deutschen Volksseele zu entfalten und das vielgestaltige Ringen dieser durch Not und fremdes Diktat unterdrückten Seele bewußt auf die Aufgaben der Gegenwart hinzulenken.“

– Erklärung des deutschen Hochschulverbands 1933

Im gleichen Jahr erklärte Spranger außerdem unter Berufung auf eine Platonische Form der Pädagogik, dass der „positive Kern der nationalsozialistischen Bewegung“ darin zu erblicken sei, dass der „Sinn für den Adel des Blutes und für Gemeinsamkeit des Blutes“ betont und „bodenständige Heimattreue“ sowie die „Sorge für einen leiblich und sittlich hochwertigen Nachwuchs“ gefordert werde. An der Universität wandte sich Spranger gleichwohl gegen antisemitische Aktionen der Berliner Studentenschaft, insbesondere gegen ein verhetzendes Plakat. Für den NS-Pädagogen Alfred Baeumler wurde 1933 ein neuer Lehrstuhl für politische Pädagogik neben dem Sprangers eingerichtet, woraufhin dieser bereits im April ein Rücktrittsgesuch einreichte. Das Ministerium erwog seine Entlassung gemäß § 4 des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, was mit dem Verlust der Pension verbunden gewesen wäre. Spranger zog das Rücktrittsgesuch auf Anraten seiner Freunde im Juni wieder zurück und wurde vorübergehend beurlaubt. Er behielt seinen Lehrstuhl, unbehelligt von den Nationalsozialisten, ohne je der NSDAP beigetreten zu sein. 1936 besuchten die Eheleute Spranger Japan, wo Spranger als erster deutscher Austauschprofessor Vorträge hielt. Nach seiner Rückkehr an die Universität Berlin wurde er 1939 in den heerespsychologischen Reichswehrdienst einberufen, in dessen Zusammenhang er psychologische Prüfungen für Flieger abhielt. Benjamin Ortmeyer bewertet Sprangers Haltung in der Zeit des Nationalsozialismus kritisch:

„Die Zusammenfassung seiner politisch durchgängig reaktionären Positionen vor 1933 im Sammelband „Volk, Staat, Erziehung“ zeigen die theoretischen Schwierigkeiten, "deutsche Ideologie" von der NS-Ideologie abzugrenzen. [...] Sprangers politische Optionen vor und nach 1933 beinhalten eine Zustimmung zum Bündnis der NSDAP mit den Deutschnationalen, von Hitler und Hindenburg, wobei Sprangers Akzentsetzung im Rahmen dieses Bündnisses und im Rahmen der Unterstützung des "großen positiven Kerns" der nationalsozialistischen Bewegung auf der Linie Hindenburgs lag. Ob mit oder ohne Überzeugung: Spranger unterstützte [...] terminologisch den Nationalsozialismus [...]“

– Benjamin Ortmeyer


Mittwochsgesellschaft

Eduard Spranger verteidigte stets die Freiheit der Wissenschaft und wandte sich gegen den Führungsanspruch der Politik: „Die Arbeit an der Wissenschaft kann stärker in den Dienst des Staates und der nationalen Erziehung gestellt werden; aber die Wahrheit kann nicht politisiert werden. Über diese Dinge bestehen noch viele Unklarheiten und Mißverständnisse.“ Aufgrund der negativen Erfahrungen mit der zunehmenden Radikalisierung der nationalsozialistischen Diktatur und als Mitglied der Berliner Mittwochsgesellschaft seit 1934 wandelte sich Spranger „spät, aber mit Einsicht“ zum überzeugten Demokraten. Aus dem Jahr 1941 ist ein Fall dokumentiert, dass Spranger gegen die Deportation von Juden helfend einschreiten wollte. Außerdem war er einer der Gründer und Herausgeber der Zeitschrift Die Erziehung, die von 1925 bis 1943 erschien, und verweigerte gemeinsam mit dem Verlag 1943 die Zusammenlegung mit den Zeitschriften Nationalsozialistisches Bildungswesen und Weltanschauung und Schule. Daraufhin wurde Die Erziehung eingestellt, offiziell aus kriegsnotwendigen Gründen. Nach dem Attentat auf Hitler wurde Spranger 1944 als Mitverdächtiger im Untersuchungsgefängnis Moabit in Berlin inhaftiert. Auf Intervention des japanischen Botschafters wurde er jedoch nach zehn Wochen wieder aus der Haft entlassen.


Nachkriegsjahre

Nach dem Zweiten Weltkrieg leitete Spranger 1945 als erster Nachkriegsrektor für kurze Zeit kommissarisch die Humboldt-Universität zu Berlin. Dabei bemühte er sich vergeblich darum, die im sowjetisch besetzten Teil Berlins gelegene Universität unter eine Viermächteverwaltung zu stellen. Am 20. Juli 1945 wurde er von der Militärbehörde der Vereinigten Staaten zuerst unter Hausarrest gestellt und dann für eine Woche inhaftiert und durch einen amerikanischen Professor verhört: „Ich wurde sieben Tage in einem Stacheldraht-Compound in Wannsee festgehalten. Dort lernte ich den letzten Rektor der Universität, den berühmten Orthopäden Kreuz, kennen, und es war auch sonst eine ganz vergnügte Zeit.“ Die Amerikaner beschlagnahmten sein Haus in Berlin. Im Oktober 1945 wurde er als Rektor seines Amtes enthoben. In der Folge erhielt er Rufe an die Universitäten Göttingen, Hamburg, Köln, München und Tübingen und an die Pädagogische Hochschule Mainz. Den Ruf an die Universität Hamburg konnte er nicht annehmen, da ihm eine Übersiedlung nicht gestattet wurde. Schließlich nahm er den von Theodor Heuss unterstützten Ruf an die Universität Tübingen an, an der er 1946 zum ordentlichen Professor für Philosophie ernannt wurde. 1950 wurde Spranger offiziell emeritiert, hielt jedoch noch bis 1958 Vorlesungen und Seminare. 1951 durfte Spranger die Festrede zum zweiten Jahrestag der Bundesrepublik Deutschland im Haus des Deutschen Bundestages halten:

„Kein Mensch darf sich eines ehrlichen Umlernens schämen. Alles in der Welt hat sich verwandelt. Wir allein sollten keiner Verwandlung bedürfen? –. Stirb und werde! Wenn ich auf mein Leben zurückblicke, so habe ich vieles, was meinem Herzen nahe lag, in nicht leichten Selbstüberwindungen abtun müssen. ,Das Liebste wird vom Herzen weggescholten'.“

– Eduard Spranger

1960 starb die lebenslange Freundin Käthe Hadlich und 1963 seine Ehefrau Susanne. Nur etwa fünf Monate später starb auch Spranger. Er wurde auf dem Tübinger Stadtfriedhof neben seiner Frau beigesetzt. Ein Jahr nach seinem Tod erschien eine umfassende Reminiszenz, in der so bekannte Persönlichkeiten wie Otto Friedrich Bollnow, Andreas Flitner, Kurt Georg Kiesinger und Theodor Heuss Leben und Werk Sprangers würdigten.


Adresse: Fabeckstraße 13 (Dahlem)



Text: Wikipedia

Bild: Wikipedia/Axel Mauruszat

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