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Haschara Landwerk Ahrensdorf

Ahrensdorf Jagdidyll BERDOTARIS

Anfang

Fast alle Hachschara-Stätten waren abseits der großen Städte und in der Nähe landwirtschaftlicher Orte eingerichtet. So auch das LANDWERK AHRENSDORF bei Trebbin, etwa 30 km südlich von Berlin gelegen. Die Reichsvertretung der Juden in Deutschland, Abteilung Berufsbildung und Berufsumschichtung, pachtete Anfang 1936 das schlossartige „Jagdidyll BERDOTARIS“ nebst dem dazugehörigen Landgut, um es als Lehr- und Ausbildungsgut zu nutzen. Mitte der 30er Jahre existierten in Deutschland noch zwei jüdische Jugendbünde. Einer davon war der Makkabi Hazair, der jüdische Pfadfinderbund. Ihm wurde das Landwerk Ahrensdorf als Hachschara-Stätte übertragen.

Ahrensdorf war eine sogenannte „Mittlere Hachschara“, das heißt, es nahm jüdische Jungen und Mädchen im Alter von 15 bis 17, ab 1938 auch bereits mit 14 Jahren auf, die den Weg der Alija beschreiten wollten. Natürlich war die Zustimmung der Eltern Bedingung für die Aufnahme. Die Jungen und Mädchen sollten dann nach ihrer Ausbildung in Gruppen mit der Jugend-Alija oder auf anderen Wegen nach Palästina gehen. Im Landwerk Ahrensdorf lebten sie in einer kameradschaftlichen Arbeits- und Wohngemeinschaft. Sie nannten ihre Gemeinschaft auch liebevoll mit dem Blick auf die Zukunft „Kibbuz Ahrensdorf“.

Im Sommer 1936 zogen die ersten jüdischen Jungen und Mädchen in diese Ausbildungsstätte. Alle waren Mitglieder des Makkabi Hazair und von ihrem Bund hierher eingeladen. Am 21. Oktober 1936 wurde die Hachschara-Stätte Ahrensdorf offiziell mit 40 Jungen und Mädchen aus vielen Städten Deutschlands eröffnet. Sie kamen aus Berlin und Breslau, aus Köln, Leipzig und Hamburg, aus Schlesien und Ostpreußen.

Anfängliche Schwierigkeiten überwindend richteten sich schließlich 60 Jungen und 20 Mädchen hier ein. Zwei Jahre sollten sie hier bleiben, das waren die anfänglichen Vorstellungen. Alles sollten und wollten sie erlernen, was für ein künftiges Leben in diesem „Neuland Palästina“ erforderlich war.


Ausbildung

Im Landwerk gab es einen festen Tagesablauf: Frühsport und Morgenappell, Arbeit und schulisch organisiertes Lernen. Eine große Rolle spielte die Beschäftigung mit jüdischer Geschichte und Tradition, die Bibelkunde und das Vertrautmachen mit der unter den Juden Palästinas wieder gesprochenen hebräischen Sprache. Wer sich auf Palästina vorbereitete, der musste so neben Englisch – für viele erstmalig – auch Hebräisch erlernen. Der Abend gehörte den Gesprächen, dem gemeinsamen Singen und Sinnen, kleinen Feiern – oder einfach dem Zusammensein im Kreis der Freunde und der Gruppe.

In den ersten Jahren des Wirkens der Hachschara im Landwerk Ahrensdorf wurde in der praktischen Ausbildung faktisch alles erlernt, was in einer Kibbuz-Wirtschaft vonnöten war: Pflanzenzucht und Gemüseanbau, Bäume pflanzen und pflegen, Rinder-, Ziegen- und Schafhaltung, auch der Umgang mit Pferden und Hühnern. Es gab auch einige Werkstätten für handwerkliche Arbeiten, die vorwiegend für die Ausbildung der Jungen gedacht waren. Die Mädchen beschäftigten sich dafür mehr mit den Fragen der Versorgung einer Familie.


Progrom November 1938

Der zuständige Gendarmerie-Hauptwachtmeister war offensichtlich ein korrekter Beamter, aber kein fanatischer Nazi. Das zeigte er auch am Abend vor dem antijüdischen Pogrom im November 1938, als er die Leitung des Landwerks vor einem möglichen Überfall warnte und Verhaltensmaßregeln erteilte. Auch er wollte wohl Ruhe und Ordnung in seinem Revier, und das half so auch der jüdischen Lagergemeinschaft. Im Hauptgebäude des Landwerkes verbarrikadiert überstanden sie so die auch vor ihrem Objekt sich abspielenden Provokationen einer uniformierten Truppe aus dem in der Nachbarschaft gelegenen Segelfliegerhorst relativ unbeschadet.

Auch nach dem November 1938 war die Hachschara im brandenburger Land weiter geduldet. Sie diente ja nach wie vor der Auswanderung deutscher Juden, die von den NS-Behörden und der Gestapo forciert und mit immer brutaler werdenden staatlichen Maßnahmen beschleunigt wurde. Dementsprechend wurde auch die Lage im und um das Landwerk Ahrensdorf immer bedrohlicher. Selten gingen „Besuche“ der Gestapo ohne zynische Bemerkungen und ohne Drangsalierungen gegenüber den jüdischen Jungen und Mädchen ab. Im Herbst 1938 war es für die ersten Ahrensdorfer Jungen und Mädchen soweit. Sie begaben sich mit einem deutschen Ausreisevisum und einem britischen Einreisezertifikat für Palästina auf den großen Weg. Aufregung und glückvolle Erwartung, Hoffnung und auch Angst vor dem Unbekannten waren ihre Wegbegleiter. Transporte Als sich der Beginn des 2. Weltkrieges abzuzeichnen begann, waren die legalen Wege der Alija zunehmend versperrt. Mit schier übermenschlichen Anstrengungen gelang es dann auch noch 1939 und 1940 jüdischen Organisationen, notwendige Auswanderungspapiere zu beschaffen und damit auch für weitere fünfzig Ahrensdorfer Jungen und Mädchen die Brücke in die Freiheit zu öffnen.

Zugleich aber versuchten die jüdischen Organisationen, erste illegale Transporte auf den Weg nach Palästina zu bringen. Im März 1939 ging mit der SH 1, Sonderhachschara Nr. 1 genannt, der erste dieser illegalen Transporte auf den Weg. Und es gelang: Fünf Jungen aus dem Landwerk Ahrensdorf setzten so im März 1939 ihren Fuß auf den Boden der neuen Heimat, illegal, ohne ein Einreisezertifikat zu besitzen.


Ende

Der immer stärker werdende Druck und der wachsende Terror gegen die jüdische Bevölkerung Deutschlands machte auch vor den Hachschara-Stätten nicht halt. Immer größer wurden die Ängste der jungen Menschen, die Sorge um ihre Familien mehr noch, als um sich selbst. Im Verhalten der nichtjüdischen Bevölkerung ringsum war nichts mehr von Freundlichkeit der Jahre 1936/37 zu spüren. Ablieferungszwänge von produzierten Lebensmitteln ließen auch im Landwerk Ahrensdorf bei den jungen Menschen den Hunger aufkommen. Das Traumidyll Hachschara Ahrensdorf verflüchtigte sich immer mehr. Es war in den letzten Monaten seiner Existenz kaum mehr als eine Stätte des noch existieren könnens, des in Gemeinschaft leben könnens.

Nach dem Verbot jeglicher Berufsausbildung für Juden im Jahre 1941 wurden auch die letzten der bis noch bestehenden Hachschara-Stätten aufgelöst. In Ahrensdorf begann dieser Auflösungsprozeß im Sommer 1941 mit der Verlegung der bis zu diesem Zeitpunkt noch verbliebenen Ahrensdorfer Jungen und Mädchen im Oktober 1941 in die Hachschara-Sammelstätte Neuendorf bei Fürstenwalde oder in die Sammelstätte Paderborn.

Von der Sammelstätte Neuendorf begann für die letzten „Ahrensdorfer“ im März 1943 der schreckliche Weg der Deportation nach Auschwitz.


Quelle