Haus zur Goldenen Waage

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Vor der Renovierung 1899

Das Haus zur Goldenen Waage war ein mittelalterliches Fachwerkhaus in der Altstadt von Frankfurt am Main, das 1944 bei einem Luftangriff während der Luftangriffe auf Frankfurt am Main zerstört wurde. Wegen seines hohen architektonischen und historischen Wertes war es eine der bekanntesten Sehenswürdigkeiten der Stadt. Es lag vor dem Hauptportal des Doms als Eckhaus an der schmalen Höllgasse und am Markt, der vom Domplatz zum Römerberg führenden Altstadtgasse. Seine Überreste, die einen Wiederaufbau nach dem Krieg durchaus erlaubt hätten, wurden 1950 beseitigt. Die Arkaden blieben allerdings als Teil einer Privatbibliothek in Götzenhain erhalten. Im Rahmen der geplanten Rekonstruktion von Teilen der ehemaligen Altstadt (Dom-Römer-Projekt) wurde 2007 auch die Wiedererrichtung der Goldenen Waage beschlossen.


Vorgeschichte

Das Eckhaus am Markt und an der Höllgasse wurde bereits im frühen Mittelalter, vermutlich nach seinem damaligen Besitzer, als Haus zum Kulmann bzw. zum Colmann erwähnt. Die früheste mit einer Jahreszahl verbundene Erwähnung geht auf das Jahr 1323 zurück. 1405 wurde es mit dem Hinterhaus Alte Hölle zu einem Anwesen vereinigt. Etwa um diese Zeit kam im Volksmund auch der Begriff der Höllgasse für die selbst für mittelalterliche Verhältnisse sehr enge, dicht bebaute und extrem dunkle Querverbindung zwischen Markt und Bendergasse auf. Es gab auch ein Junge Hölle genanntes Haus, das sich auf der Ostzeile der Höllgasse direkt gegenüber der Alten Hölle befand. Die meisten Häuser befanden sich auf dieser Straßenseite unter Einberechnung der Überhänge im Grunde genommen schon mit dem 1. Stock auf dem Grundstück des Domes – sehr zum Ärger des Domstifts: 1299 ist ein erster Fall schriftlich festgehalten, bei dem der Goldschmied Colmann wegen seines Hauses auf der Ostzeile der Höllgasse in Streit mit der Geistlichkeit geriet.


Die Goldene Waage unter Abraham van Hamel

1588 gelangten das Eckhaus Goldene Waage für 3.040 Gulden und die Alte Hölle für 2.000 Gulden in den Besitz von Andreas Gaßmann. Von Maria Margarethe Gaßmann kaufte schließlich 1605 der Zuckerbäcker und Gewürzhändler Abraham van Hamel den Gebäudekomplex. Hamel stammte aus Tournai in den spanischen Niederlanden. 1599 war er als reformierter Glaubensflüchtling über Sittard bei Aachen und Wesel nach Frankfurt zugewandert, wo sich zuvor bereits sein Vater und Bruder als Bürger ansässig gemacht hatten. Trotz einiger Widerstände aus den Zünften war er am 19. November 1599 zum Bürgereid zugelassen worden.

1618 bis 1619 ließ er das vierstöckige Vorderhaus seines Grundstückes abreißen und ersetzte es durch einen prunkvollen Neubau. Sein Vorhaben war von heftigen Widerständen des Rates und missgünstiger Nachbarn begleitet. Die öffentliche Zurschaustellung von Reichtum war in Frankfurt verpönt – auch der Bauherr des ähnlich prächtig geschmückten Salzhauses hatte das zu spüren bekommen. Hamel jedoch war ein streitbarer Mann, der seine Ziele meist durchsetzte, manchmal auch rücksichtslos – entweder durch Einsatz seines Vermögens oder durch die Beschreitung des Klagewegs. Seine Klagefreudigkeit machte ihn allerdings schnell zum Außenseiter unter der Frankfurter Bürgerschaft, die bald meinte, „mit jedermann musste er zanken und rechtfertigen also dass für seine Händel allein einen sonderbaren Schöffenrat zu bestellen nötig wäre.“

Auch der Streit um den Bau der Goldenen Waage wurde in Akten der städtischen Archive sowie der Literatur bis in die Gegenwart überliefert:

Im Februar 1618 bat Hamel erstmals um die Erlaubnis, sein baufälliges Haus völlig niederzulegen und durch einen vierstöckigen Neubau, also ein Erdgeschoss mit drei Obergeschossen ersetzen zu dürfen. Obwohl Hamel versprach, die Vorschriften des Gesetzes streng zu beachten, was unter anderem eine Vermeidung von Überhängen einschloss, so dass „eine Engung der Gassen und sonstiges Uebel und Mißstand im geringsten nit zu befahren sei“, wurde der Bau, der nach Ansicht von Hamel „einen ziemlichen Wohlstand, Zierdt und bestes Aussehen“ erhalten hätte, nicht bewilligt. Die Nachbarn, allesamt alteingesessene Frankfurter Kaufmanns- und Patrizierfamilien, legten Widerspruch ein, da der hohe Bau ihrer Meinung nach der engen Gasse Licht und Luft genommen sowie die Feuergefahr erhöht hätte. Sie gönnten dem Zuwanderer den Bau nicht. In der Niederschrift heißt es, „von Rechts- und Billigkeitswegen dürfe man einen Niederländer, der ohnehin zu lauter Vorteil geboren sei, nicht vor anderen inheimischen alten Bürgerskinden bevorzugen“.

Hamel hielt dagegen, dass ihm „wegen seines Handels an der Gewinnung mehrern Raums sehr hoch und viel gelegen“ sei, da Grundstücke am Markt sehr teuer waren und er deswegen zwecks bestmöglicher Nutzung desselben in die Höhe bauen müsse. Der Markt war damals eine Haupteinkaufsstraße, an Bedeutung mit der heutigen Zeil vergleichbar. Hamel verlor diesen Prozess, und so wurde die Goldene Waage entgegen den ursprünglichen Planungen nur ein dreistöckiges Haus.

Anfang Juli 1618, als das Erdgeschoss und das Fachwerkskelett darüber bereits fertiggestellt waren, richtete sich eine weitere Anzeige eines Nachbarn gegen den Bau. Eine Besichtigung durch die Schöffen ergab, dass das Erdgeschoss um einen Schuh – entsprechend etwa 28,5 cm – gegenüber dem von Hamel vorgelegten Bauplan zu hoch geraten war. Fast hätte der Bau deswegen wieder abgebrochen werden müssen, doch setzte Hamel hier wie so oft sein Vermögen ein. Auch bei einem weiteren Verstoß gegen den Bauplan, die Bauarbeiten derart zu beschleunigen, dass das Haus zur Herbstmesse 1618 fertig würde, zahlte er eine Geldbuße in Höhe von 100 Reichstalern und wurde „dabei gelassen“.

Dennoch wurde das Haus zur Herbstmesse 1618 nicht fertig, da der Schlosser Jacob Reynold, der die Gitter zwischen Rundbögen und Oberlichtern des Erdgeschosses anfertigte, so spät lieferte, dass das Haus fast über ein Jahr nicht bezogen und letztlich erst 1619 fertiggestellt werden konnte. Hamel kostete dies viel Geld, da er in der Zwischenzeit verschiedene Häuser für seine Familie und seine Waren anmieten musste. Als die Gitter dann fertig waren, entbrannte ein weiterer Rechtsstreit, da diese nicht die von Hamel gewünschten, von der Haustür des Ratsherren Johann Martin Hecker übernommenen Muster hatten. Stattdessen hatte Reynold, so Hamels Ansicht, „das Gerembs mit vielen übermäßigen im Geding nicht vorgesehenen Ringen dermaßen überlegt, dass allein an Licht ein merklicher Schaden daraus unfehlbarlich entstehen müsse“, des Weiteren „die Stangen mit solche Dicke beschwert, dass es auch für eine gefängliche Verwahrung mehr als genugsam sei.“ Eine Beurteilung der Lage durch die Handwerksgeschworenen lehnte er von vorneherein ab, da er diese als befangen betrachtete. Ihr Urteil fiel dann auch für den Schlosser aus, und Hamel ließ es erneut zum Streit vor dem Schöffengericht kommen. Diesmal gewann er dadurch, dass er eine von allen anderen am Bau beteiligten Handwerkern unterschriebene Erklärung vorlegte, nach der sie „gutlich und wohl, ohne eynigen Zanck oder Mißverstand befriediget und bezahlet“ worden seien.

Auch wenn Hamel von Beruf Zuckerbäcker war, ging er doch hauptsächlich dem Gewürz- und Farbenhandel nach, was durch eine Stadtratseingabe belegt ist, die ihn 1619 zum „Handelsmann“ erhob. Durch seine weitreichenden Handelsbeziehungen in das ganze Mittelrheingebiet, Teile Norddeutschlands, aber auch in seine ursprüngliche Heimat, erwarb er bald ein Vermögen, das weit über den bei wohlhabenden Frankfurter Kaufleuten sonst üblichen Reichtum hinausging. Bei seinem Tod am 19. Januar 1623 besaß er bereits die gesamte Westzeile der Höllgasse und das am Krautmarkt daran anstoßende Haus Wolkenburg (Hausanschrift: Krautmarkt 7).


Nach der Ära Hamel bis zum Stadtbesitz

Nun lag es an der Witwe und einem jüngeren Bruders Hamels, die Geschäftsbeziehungen weiterzupflegen, was ihnen jedoch offensichtlich unter den Bedingungen des inzwischen ausgebrochenen Dreißigjährigen Kriegs nur sehr eingeschränkt gelang. 1631 bis 1635 stand die Stadt zeitweise unter schwedischer Besatzung. Damals erreichten die Schrecken des Krieges auch Frankfurt. Allein in den drei Pestjahren 1634 bis 1636 starben fast 14.000 Menschen in der von Flüchtlingen überfüllten Stadt, die in Friedensjahren nur etwa 15.000 Einwohner gehabt hatte. Eine nie erlebte Teuerung ließ weite Teile der Bevölkerung verarmen und löste eine jahrelange Hungersnot aus.

Als die Witwe Hamel am 25. Juli 1635 verstarb, betrugen alleine die Außenstände 60.000 Gulden, der Immobilienbesitz war vergleichsweise hoch verschuldet.

Als Konsequenz verkauften ihre Erben Goldene Waage und Alte Hölle zum Preis von 8.500 Gulden am 5. März 1638 an den Frankfurter Handelsmann Wilhelm Sonnemann. In den folgenden Jahrhunderten wechselten oft die Besitzer. 1655 bis 1699 war es die Familie Barckhausen, 1699 bis 1748 die Großkaufleute Grimmeisen und 1748 bis 1862 die Familie von der Lahr. Im Anschluss folgten noch die Familien Osterrieth und Scheld, bis 1898 dann die Stadt selbst den Gebäudekomplex für 98.000 Mark erwarb.


Stadtbesitz, Zweiter Weltkrieg und Nachkriegszeit

Ab 1899 erfolgte eine grundlegende Renovierung durch den Baumeister Franz von Hoven: Der aus dem frühen 19. Jahrhundert stammende Verputz bzw. die Verschieferung des Fachwerks wurde entfernt, in den Innenräumen nachträglich eingezogene Zwischenwände und Verschläge zurückgebaut. Nur wenige Jahre später wurde die sehr enge Ostzeile der Höllgasse zugunsten einer Vergrößerung des Domplatzes abgerissen. 1913 stellte die Stadt die durch diese Maßnahmen optisch nun weitaus markantere Goldene Waage dem Historischen Museum zur Verfügung. Dieses richtete das Haus 1928 als Beispiel eines Frankfurter Bürgerhauses des frühen 18. Jahrhunderts ein.

Für diese Entscheidung sprach zum einen, dass die letzten größeren Ausbauten aus jener Zeit stammten. Des Weiteren existierte ein exaktes Inventar des Hauses zum Zeitpunkt des Todes von Hamel. Solche Inventare wurden in Frankfurt beim Tode eines jeden Bürgers mit nennenswerten Vermögen durch städtische Beamte oder den Gerichtsschreiber aufgenommen. Das Inventar aus dem Jahre 1623 ist nicht erhalten, wohl aber das aus dem Jahre 1635, denn als die Witwe Hamel starb, kam es erneut zur Aufnahme. Da bei der Aufnahme des Inventars klassischerweise das Erbe schon verteilt war, gibt somit wohl auch das Inventar von 1635 recht genau den Zustand der Inneneinrichtung wieder, der beim Tode Hamels herrschte. Auf dieser Basis konnte das Museum die Räume originalgetreu wieder bestücken.

Der Zweite Weltkrieg zerstörte das prachtvolle Gebäude weitgehend; aufgrund seines Fachwerkcharakters brannte es bei den Luftangriffen am 22. März 1944, durch Brandbomben entzündet, bis auf die Mauern des Sandstein-Sockels nieder. Besonders tragisch war der Verlust vieler fest mit dem Gebäude verbundener, historisch wie materiell unersetzlicher Kunstschätze (u. a. die aufwändig gearbeiteten Decken der verschiedenen Räume sowie der Kachelofen im ersten Stock), der Großteil der vom Historischen Museum dort untergebrachten Ausstellungsstücke war zuvor jedoch ausgelagert worden und überstand den Krieg unversehrt. Aufgrund dieser Tatsache und unter Berücksichtigung des erhaltenen Erdgeschosses wäre ein Wiederaufbau, etwa wie beim Salzhaus, durchaus möglich gewesen, doch entschied sich die Stadt, die Reste der zerstörten Häuser zwischen Dom und Römer bis 1950 völlig abzutragen. Die Arkaden der Goldenen Waage wurden an einen Privatmann aus Götzenhain verkauft, der mit ihnen eine Privatbibliothek für seine Villa erbaute.

Das Gelände, auf dem einst die Goldene Waage stand, blieb bis Anfang der 1970er Jahre Brachland, dann wurde es teils mit einer Tiefgarage und einem Zugang zur U-Bahn-Station Römer überbaut, teils dem Archäologischen Garten zugeschlagen.

Ende 2005 schaffte es der Bau – mehr als 60 Jahre nach seiner Zerstörung – angesichts der entflammten Diskussion zur Neubebauung der Altstadt wieder in die Zeitungen. Mittlerweile ist beschlossen, dass nach Abriss des Technischen Rathauses wenigstens die Goldene Waage und sieben weitere Baudenkmäler auf Kosten der Stadt originalgetreu rekonstruiert werden. Über die Parzellierung und ob die übrigen Vorkriegsbauten des Areals originalgetreu oder modern wieder aufgebaut werden sollten, wird dagegen auf verschiedenen Ebenen kontrovers diskutiert. Voneinander unabhängige Umfragen mehrerer großer Tageszeitungen in der Frankfurter Bevölkerung haben ergeben, dass die Mehrheit der Frankfurter Bürger für eine weitestgehende Rekonstruktion eintritt.



Text: Wikipedia

Bild: Wikipedia/Carl Friedrich Fay

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