Koopmannsche Eiskeller

Aus veikkos-archiv
Wechseln zu: Navigation, Suche
Koopmanschen Eiskeller

Im Zusammenhang mit dem Schlagwort „Pesthofkeller“ macht ein größeres Gewölbe unter der Hoffläche der denkmalschutzwürdigen Häuser Clemens-Schultz-Straße 94-96/ Ecke Annenstraße 36 sowie Annenstraße 34 immer wieder von sich Reden. Musikklänge von dort veranstalteten Konzerten vermischen sich in der Presse häufig mit Siechtum und Pestkranken des Pesthofes, die einst in diese Gemäuer gebracht worden sein sollen.

In der Tat befindet sich das Grundstück auf dem ehemaligen Pesthofareal der damaligen Vorstadt St. Pauli. Es sei jedoch verraten, dass es sich nicht um ein Relikt des Pesthofes handelt, sondern um ein wesentlich jüngeres Bauwerk – ein Eiskeller aus der Mitte des 19. Jahrhunderts. Mit ihm verbunden ist die Geschichte der Familie Koopmann, die lange Zeit eine gut florierende Exportschlachterei betrieb und über die Stadtgrenzen hinaus größere Güter besaß.

Im Folgenden soll ein Überblick zur Bau- und Nutzungsgeschichte des noch heute so bezeichneten Platzes No. 43 mit seinem baulichen Erbe gegeben werden.


Der Pesthof der Vorstadt St. Pauli

Die Stadt Hamburg wurde immer wieder von Pestepidemien heimgesucht. Betroffene brachte man in das Krankenhaus im Eichholz, nahe der heutigen Landungsbrücken. Als die Seuche Anfang des 17. Jahrhunderts erneut wütete waren die Kapazitäten des Pestkrankenhauses bald ausgelastet. Eine bauliche Erweiterung konnte nicht in Betracht gezogen werden, da die Neustadt Hamburgs zu jenem Zeitpunkt bereits bis unmittelbar an die Anlage grenzte.

Der durch Rat und Bürgerschaft beschlossene neue Pesthof fand seinen Standort zwischen den beiden Städten Altona und Hamburg. Eine Baumallee verband das Krankenhaus mit dem alten Millerntor (1). Zum Großteil durch Spenden finanziert, handelte es sich bei dem 1607 fertig gestellten Neubau nicht um städtisches Eigentum, sondern um eine bürgerliche Gründung als selbständige milde Stiftung. Neben epidemischen Aussätzigen und i.d.R. psychisch Kranken kamen auch hilflose und arme Bevölkerungsteile ohne festen Wohnsitz unter. 1662 zählte der Pesthof 246 Insassen. Zehn Jahre später waren es bereits 410.

Die hohe Belegungsdichte, nicht selten mussten sich zwei Personen ein Bett teilen, führte immer wieder zu Erweiterungen (2)(3). In zahlreichen historischen Karten sind diese baulichen Anlagen des Pesthofs sowie das dazugehörige Gartenland dargestellt. Ein Wassergraben umschloss das gesamte Areal. Im Osten gewährte ein Portal mit Brücke Zugang zum Grundstück. Dem Eingang vorgelagert war ein oktogonaler Kirchenbau. Innerhalb der Anlage gab es u.a. den mit „Großes Haus“ bezeichneten Mittelbau, „Stall und Wacht Haus“, ein „Laboratorium“ sowie die “Todtenkammer“ und das „Krankenhaus“ (4)(5). Mitte des 18. Jahrhunderts erreichte man Patientenzahlen von bis zu 1037 Personen (6).

1797 erfolgte die Umbenennung des „Pesthofs“ in „Kranken-Hof“, da ersterer Name „wie es sich bei mehreren Gelegenheiten gezeigt habe, anstößig sey“ (7).

Das Ende des Krankenhofs wurde durch die napoleonische Besatzung besiegelt. Zunächst erfolgte 1806 die Auflösung der Einrichtung. In der Nacht vom 3. auf den 4. Januar 1814 brannten schließlich die Franzosen die Anlage zusammen mit der Vorstadt St. Pauli nieder.


Entwicklung der Fläche nach 1814

Während man St. Pauli bis 1820 wieder aufgebaut hatte (8), beschloss der Senat 1822 die Fläche des ehemaligen Pesthofes unbebaut zu lassen und als Weideland zu nutzen. Als Nachfolger des Krankenhofs errichtete man in St. Georg das Allgemeine Krankenhaus (9).

1830 entstand an der heutigen Clemens-Schultz-Straße eine Armenschule, die der Ost-West-Verbindung südlich des ehemaligen Pesthofes zunächst den Namen „Bei der Armenschule“ gab. Zehn Jahre später erfolgte die Umbenennung in „Kieler Straße“ (10). Die Baufelder südlich der Kieler Straße waren 1844 schon bebaut (11)(12). Mitte des 19. Jahrhunderts wurden auch die Planungen zum weiteren Umgang mit dem Weideland konkreter (13).


Der Eiskeller der Familie Koopmann

Klostergewölbe überspannt den Keller großfächig. Hier mit nachträglich eingebrachter Wandöffnung als Oberlicht.

Das zwischen Kieler Straße (heute: Clemens-Schultz-Straße), Annenstraße und Wilhelminenstraße (heute: Hein-Hoyer-Straße) entstandene und aus dem ehemaligen Pesthofareal hervorgegangene dreieckige Baufeld besiedelte man bis 1863 (14). Bereits 1861 tauchte das Eckgrundstück, auf dem sich der Gewölbekeller befindet,im Hypothekenbuch unter der noch heute gültigen Flurstücksnummer als „Platz 43“ auf. In diesem Zusammenhang wird auch Johann Dittmer Koopmann erwähnt (15).

1804 wurde dieser als einfacher Junge vom Land im benachbarten Holstein geboren. Nach seiner Lehre bei einem Hamburger Krämer betrieb er einen eigenen Butterkeller nahe der Michaeliskirche. 1828 erhielt er das Hamburger Bürgerrecht und heiratete.

Als äußerst tüchtiger Geschäftsmann baute Koopmann eine stattliche Export-Schlachterei auf, deren Überschüsse er in Güter und Hofanlagen zur weiteren Unterstützung seiner Schlachterei investierte. So sollen u.a. das adelige Gut Maasleben bei Sieseby in Schwansen nahe der Schlei sowie das Schloss und Gut Wandsbek zu seinen Besitzungen gehört haben. Aber auch innerhalb Hamburgs besaß er zahlreiche Baulichkeiten, zu denen die drei über einen gemeinsamen Gewölbekeller verbundenen Häuser auf dem Platz No. 43, der heutigen Clemens-Schultz-Straße 94-96/ Ecke Annenstraße 36 und 34, zählten. In den Unterlagen der Feuerkasse taucht der Platz 43 1863 erstmals als „Ein gewölbter Eiskeller unter dem Hofplatz“ auf (16).

Zusammen mit einem Engländer Namens Bridgeman, den Koopmann Mitte des 19. Jahrhunderts kennenlernte, baute er eine Schlachterei nach irischem Muster auf und knüpfte Kontakte zu den Denys in Irland. Die guten Beziehungen hielten auch nach dem Ausstieg Bridgemans, so dass der Handel mit den qualitätvollen und in England sehr beliebten Schweinehälften weiterhin über ihn abgewickelt werden konnte.

Die Schweine wurden in den Gütern von Johann Dittmer Koopmann, die er nach Errichtung neuer Ställe und Verbesserung des Bodens wieder verkaufte, herangezogen. Der weiter steigende Absatz führte schließlich dazu, dass die benötigten Schweine nicht mehr alle in Holstein herangezogen werden konnten. Der Import von Tieren aus Dänemark wurde außerdem durch die Bauern bedingt, die dem Wunsch Koopmanns nach einer Optimierung der Mastmethoden nicht folgen wollten.

1875 starb Johann Dittmer Koopmann, der nicht nur als ein tüchtiger Geschäftsmann, sondern ebenso als hilfsbereiter und bescheidener Mensch beschrieben wird. Seine Söhne Johann Heinrich und Johann Dittmer übernehmen die Exportschlachterei (17).

1894 taucht für den Eiskeller die Bezeichnung „Kasematte mit Schornstein“ auf, die als „Eine massive überwölbte Kasematte mit Asphaltbelag, 4,50m, Lagerkeller f. d. Schlachterreibetrieb, über der Kasematte ein ca. 35m hoher gemauerter Schornstein“ (18) beschrieben wird. Die Läden im Erdgeschoß sowie eine beidseitige Durchfahrt lassen sich trotz Nutzungsänderungen noch heute am Bauwerk ablesen. Nach 1900 wurden diese unter dem neuen Eigentümer in Wohn- und Ladenfläche umgewandelt. Mit dem Ausruf des Schweine-Einfuhrverbotes durch Bismarck nahm die Erfolgsgeschichte der Exportschlachterei Koopmann ein Ende, die einen Großteil der Schweine aus dem benachbarten Dänemark importierte (19).

1903 kam es daher wohl zur Zwangsversteigerung des südlich und nördlich der Kieler Straße gelegenen Eigentums.

Heute dienen die Häuser an der Clemens-Schultz-Straße/ Ecke Annenstraße der Wohnnutzung. Im ehemaligen großen Laden hat sich eine Bar eingerichtet (20). Eine Nutzung des Eiskellers für Veranstaltungen wird in diesem Zusammenhang angestrebt.


Eiskeller als Bautyp und kulturhistorisches Phänomen

Dem Koopmannschen Eiskeller kommt als einem der wenigen in der Stadt Hamburg noch existierenden und bekannten Vertreter des Bautyps Eiskeller (Vgl. z.B. Eiskeller der ehemaligen Vereinsbrauerei Bergedorf, Eiskeller im Hotel Louis Jacob) eine besondere Bedeutung zu. Die Verwertung der kühlenden, konservierenden Eigenschaft des Eises und die so erzeugte künstliche Kälte zur Kühlung von verderblichen Lebensmitteln lassen sich bis in die Antike zurückverfolgen.

Der Eiskeller in der Clemens-Schultz-Straße/ Ecke Annenstraße liegt hauptsächlich innerhalb des Hofes der Parzelle 43 und ist nur durch einen Teil der gründerzeitlichen Bebauung der Clemens-Schultz-Straße 94 überbaut. Der aus Ziegelsteinen gemauerte Gewölbekeller orientiert sich in seinem Grundriss an Gebäudekanten- und Grundstücksgrenze. Der großzügige Raum lässt sich in zwei Bereiche Teilen: den gangartigen und höheren südlichen Abschnitt mit Tonnengewölbe sowie das nördlich anschließende Klostergewölbe, das die Hauptfläche überspannt. Das Gewölbe lagert auf den Umfassungswänden sowie kreuzförmigen Pfeilern, teilweise ist es mit durch Pfeiler voneinander getrennten Bögen unterfangen, die zugleich raumteilend wirken. Erst wohl um 1900 in das Gewölbe geschnittene Oberlichter sorgen für eine minimale Belichtung der Anlage. Die in historischen Plänen abschnittsweise zu erkennende Wandkonstruktion mit Hohlräumen lässt vermuten, dass man sich isolierende Luftschichten, eine ab Mitte des 19. Jahrhunderts eingesetzte Konstruktion, oder andere isolierenden Füllmaterialien zu Nutze gemacht hat. (21)

Auf den ersten Blick zeigt der Eiskeller kaum noch charakteristische Spuren seiner ursprünglichen Nutzung. So wurde zum Beispiel das Bodenniveau angehoben und mit einer Betonsohle versehen. Auch die Zugangssituation ist wahrscheinlich verändert. Bei dem schmalen Raum mit zugesetzter Wandöffnung neben der heutigen Treppenanlage handelt es sich möglicherweise um einen Vorraum mit Schleusenfunktion zum Eiskeller (22). So ließen sich auch die auf der Rückseite der Wandöffnung ins Mauerwerk eingelassenen kräftigen Türangeln erklären, die ein entsprechend massives Türblatt, das zur Verriegelung der Kältehaltenden Räumlichkeit notwendig gewesen wäre, hätten tragen können.

Wesentlich gesicherter ist der Befund der 1921 genehmigten Räucheröfen, deren Standorte sich an den Vertiefungen im Mauerwerk rechts und links des Schornsteines noch heute ablesen lassen. Der bereits 1894 in den Archivalien erwähnte Schornstein ragt im Innenhof weit über die Traufkante hinaus und beeindruckt ebenso wie der Eiskeller noch heute durch seine Größe (23)(24).

Text: V. Mörsner Bild: T.Schiel

unter hamburg e.V.

Tondernstr. 33 a

22049 Hamburg

Fon: 040 / 682 67 560

Fax: 040 / 682 67 561

Anmerkungen + Text & Bildquelle