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Leer (Ostfriesland) ist die Kreisstadt des Landkreises Leer in Niedersachsen.

Reklamemarken und Siegelmarken

Verzeichnis der sortierten Reklamemarken und Siegelmarken mit einem Bezug zu Leer.

Andreae-Noris Zahn

Papierfabrik M. Neemann

Sonstige

Geschichte

Ur- und Frühgeschichte (bis etwa 800)

Das im Mündungsgebiet der Leda in die Ems günstig gelegene Gebiet der heutigen Stadt Leer wurde schon früh besiedelt. Im nordwestlichen Stadtgebiet befinden sich in Logabirum die Reste eines Großsteingrabes, in dem bedeutende Funde aus der Zeit von 2900 bis 2700 v. Chr. entdeckt wurden.[6] Dabei wurden 17 Körperbestattungen der Einzelgrabkultur und 26 steinzeitliche Brandgräber der Trichterbecherkultur (TBK) aufgedeckt.[6] Aus der späten Steinzeit, der Bronze- und der frühen Eisenzeit sind einzelne Funde wie auch Siedlungsreste in Loga und Logabirum bekannt. Im 2. und 3. Jahrhundert lag auf dem Gebiet des heutigen Westerhammrich eine relativ wohlhabende Siedlung. Bei archäologischen Untersuchungen wurden hier mehrere Werk- und Vorratsgruben, fünf Brunnenanlagen und Pfostensetzungen entdeckt, die offensichtlich zu dreischiffigen Hallenhäusern mit Vorratsspeichern gehörten. Funde von überkuppelten Ofenanlagen sowie von Bronzeschmelzen lassen eine Buntmetallverarbeitung im größeren Umfang vermuten.[6] Weitere Artefakte deuten auf eine frühe Eisenverhüttung hin, wofür aus dieser Zeit bis dato nur in Holtland Funde vorliegen. Die Siedlung wird als Handels- und Handwerksstandort gedeutet. Offenbar wurden dort Agrarprodukte aus dem Hinterland und Luxusgüter aus dem römischen Reich gehandelt und römische Ziffern genutzt.[14] Dafür dient eine Ritzung auf einer einheimischen Keramikscherbe als Beleg. Sie gilt als das älteste erhaltene Schriftstück der Region.[15] Diese Siedlung wurde offenbar im 4. Jahrhundert wieder aufgegeben.[6]

Entwicklung der Handelssiedlung (ab etwa 800 bis 1430)

Der eigentliche Siedlungskern der heutigen Stadt Leer lag im Bereich des reformierten Friedhofs. Hier wurden vom 7. bis 8. Jahrhundert Plaggen zu einer Warft aufgeworfen. Im Jahr 791 missionierte der Friesenapostel Liudger die Leeraner nach der Integration in das Fränkische Reich und gründete die erste Kapelle im ostfriesischen Raum am Westrand der damaligen Siedlung, eine Holzkirche. Sie stellte einen der kirchlichen Mittelpunkte der in Friesland dominierenden Grundherrschaft des Klosters Werden dar.[16] Später erwarben auch andere Klöster hier Besitz, wie etwa das Kloster Fulda.

Im 11. Jahrhundert wurde Leer Münzstätte. Sie wurde von Gottfried II. (Niederlothringen), dem Grafen von Friesland und von Gottfried I., der Vater von Gottfried von Cappenberg war, dem Grafen des Emsgaus, betrieben.[6] Zwischen 1063 und 1066 ließ möglicherweise auch Adalbert von Bremen hier Münzen prägen.[17]

Um das Jahr 1200 begann der Bau der romanischen St.-Liudger-Kirche, die einen älteren Vorgängerbau aus Holz ersetzte. Um die Mitte des 13. Jahrhunderts wurde Leer Sitz einer Propstei und unterstand fortan in geistlicher und weltlicher Hinsicht dem Bistum Münster. Gehemmt wurde die wirtschaftliche Entwicklung vor allem des Hafens durch den Stapelzwang in Emden, der dort um 1400 von der örtlichen Familie der Abdena durchgesetzt wurde.[18]

In der Zeit der Ostfriesischen Häuptlinge geriet Leer in den Machtbereich des aus Neermoor stammenden Häuptlings Focko Ukena, der sich fortan Häuptling von Leer nannte. Er baute den Ort zum Zentrum seines Machtbereichs aus und errichtete hier um 1421 die Fockenburg im Typus ostfriesischer Häuptlingsburgen, der noch heute am Steinhaus Bunderhee zu erkennen ist. Ukena war ursprünglich ein Verbündeter der Tom Brok gewesen, des mächtigsten Häuptlingsgeschlechts jener Zeit, das als erstes eine eigene Landesherrschaft in Ostfriesland begründet hatte. Als sich dagegen in Ostfriesland immer größerer Widerstand regte, stellte sich Focko Ukena an die Spitze der mit ihrer Abhängigkeit unzufriedenen Häuptlinge und wurde damit zur Leitfigur in deren Kampf zur Wiederherstellung der Friesischen Freiheit. 1427 besiegte Ukena die tom Brok mit Unterstützung verbündeter Seeräuber endgültig, ging fortan aber dazu über, eine eigene Landesherrschaft im Erbe der tom Brok zu gründen. Leer wurde so von 1427 bis 1430 Hauptort Ostfrieslands. Andere ostfriesische Häuptlinge und Bauern sahen sich zunehmend in ihrer Freiheit bedroht und begannen, sich gegen Ukena zur Wehr zu setzen. Um 1430 entstand im Brookmerland der Freiheitsbund der Sieben Ostfrieslande unter Führung der Cirksena, der ein Landesaufgebot aufstellte und im selben Jahr die Burg in Leer belagerte. Nachdem diese nicht mehr zu halten war, floh Focko Ukena nach Emden. Die Fockenburg wurde anschließend geschleift.

Leer unter den Cirksena (1430 bis 1744)

Die aufstrebenden Cirksena nutzten die Gelegenheit und verbanden sich 1433 selbstständig mit der Stadt Hamburg. Diese wollte der in Ostfriesland weit verbreiteten Duldung der Seeräuber ein für alle Mal ein Ende bereiten und setzte daher auf einen starken Souverän in Ostfriesland. Der Grundstein für die nun bald folgende Herrschaft der Cirksena in Ostfriesland war gelegt. Zur Absicherung der eigenen Interessen errichteten die Hamburger an strategisch günstigen Stellen in Ostfriesland Burgen, so in Stickhausen und ab 1435 im heutigen Stadtteil Leerort. Im Jahr 1453 ging der gesamte Hamburger Besitz in Ostfriesland einschließlich der Festung Leerort gegen Zahlung von 10.000 Mark an den Häuptling und späteren Grafen Ulrich Cirksena über. Die Burg wurde Sitz des gräflichen Drosten und Amtmannes und zur stärksten Festung in Ostfriesland ausgebaut. Das neu gebildete Amt Leerort umfasste Leer mit dem Moormerland, das westliche Overledingerland und das Oberrheiderland bis zur heutigen niederländischen Grenze.[19]

Im 16. Jahrhundert begann der Aufstieg Leers zum Marktort. Um ein Gegengewicht zum Handelszentrum Groningen zu schaffen, das sich von 1506 bis 1514 im Machtbereich Graf Edzard I. befand, verlieh dieser dem Ort 1508 aus wirtschaftlichen und politischen Gründen das Marktrecht am Sankt-Gallus-Tag und schuf damit den noch heute begangenen Gallimarkt als Flachsmarkt. Damit wurde die Grundlage zur Entwicklung Leers zu einem bedeutenden Zentrum der Tuchproduktion gelegt, deren Grundstoff Flachs war.[5]

Während der Sächsischen Fehde fiel Heinrich I. von Braunschweig-Wolfenbüttel mit einem Heer von 20.000 Mann in Ostfriesland ein und belagerte die nur durch wenige Bauern und Soldaten verteidigte Festung Leerort. Jedoch wurde er dort am 23. Juni 1514 durch einen gezielten Kanonenschuss getötet.[20] Die dadurch führerlos gewordene Truppe zog sich daraufhin aus Ostfriesland zurück.[19] Nach Beendigung der Sächsischen Fehde musste Graf Edzard I. seine Ansprüche auf Groningen aufgeben und sich auf Ostfriesland beschränken. Im Jahr 1528 gewährte er Leer die Erlaubnis, einen weiteren Markttag zum Fest der Kreuzerhöhung, den Kreuzmarkt, am 14. September sowie jeden Donnerstag einen Wochenmarkttag abzuhalten. Später kamen noch der Fastmarkt sowie Pferde- und Viehmärkte hinzu.

Die Reformation wurde durch den 1525 in Münster abgesetzten und von dort vertriebenen Prediger Lübbert Cansen (auch: Lübbert Kanz) in der Stadt eingeführt, der einen Bildersturm auslöste. Monstranzen, Kelche sowie alles Gold und Silber wurden aus den Kirchen entfernt und an den Mauern und Wänden befindliche lateinische Inschriften und Malereien übertüncht.[21]

Zunächst lebten Lutheraner und Reformierte in Leer nebeneinander, dann setzten sich die Reformierten durch. Die reformierte Gemeinde übernahm die Verwaltung des Marktfleckens und wurde sehr wohlhabend. Sie richtete 1525 die erste Volksschule ein. Die Lutheraner wurden immer stärker aus dem Stadtleben herausgedrängt und wichen infolgedessen erst nach Esklum und dann nach Logabirum aus.[6]

Während der Geldrischen Fehde wurde der Flecken 1533 nach der Schlacht bei Jemgum zweimal von den geldrischen Truppen des Balthasar von Esens geplündert und angezündet. Ein Jahr später ließen sich in dem Ort erstmals Mennoniten nieder. Niederländische Mennoniten verbesserten und vergrößerten ab Mitte des 16. Jahrhunderts die seit langem betriebene Leinenweberei und den Handel. Vor allem die Leinweberei profitierte davon. Wurde diese bisher nur als Hausweberei betrieben, erfolgte nun erstmals die Produktion in größeren Manufakturen. Leer gelangte infolgedessen durch seine Handwerker, besonders die Leinenweber, zu Wohlstand. Einen weiteren Schub in der Entwicklung erlebte der Ort durch den Zuzug niederländischer Glaubensflüchtlinge – vorwiegend Reformierte und Mennoniten – aus den Ommelanden und aus Groningen. Unter ihnen befanden sich auch reiche, adelige und einflussreiche Persönlichkeiten. Durch diesen Kapitalzufluss und eine stärkere Arbeitsteilung zwischen der Stadt und dem Umland erlebte Leer seit 1566 einen wirtschaftlichen Aufschwung und entwickelte ein weiträumiges Netzwerk von Beziehungen unter den Fernhändlern. Im Jahr 1580 waren etwa 160 Flüchtlinge in der Stadt. Sie weitete sich dadurch nach Osten auf das Ledaufer aus und hatte um 1600 zwischen 3000 und 3500 Einwohner, die in etwa 500 bis 550 Häusern lebten.[22] Die niederländischen Flüchtlinge waren es auch, die die Möglichkeiten des Hafens erkannten und diesen als Standort für ihre Reedereien und den Leinenhandel ausbauten. Im Jahr 1570 wurde deshalb die Waage an die Leda verlegt.[6]

Unter dem reformierten Grafen Graf Johann wurde 1584 eine Lateinschule in Leer gegründet, die 1588 bis 1594 von Ubbo Emmius geleitet wurde. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts hatte der Ort etwa 3500 Einwohner. Unter ihnen waren viele Zugezogene. Neben den niederländischen Glaubensflüchtlingen zogen aus weiteren Orten wie Meppen, Münster, Oldenburg viele Menschen in den aufstrebenden Hafenort. Dass nur sehr wenige Zugang zu den zünftischen Berufen hatten, zeigt eine Aufzählung der entsprechenden Berufe: fünf Kuper, vier Schmiede, vier Schneider, vier Schuhmacher, drei Zimmerleute, zwei Kistenmacher, zwei Bäcker, zwei Kannegießer, zwei Brauer, zwei Schlachter, zwei Glaser sowie je ein Krämer, Blickschlager, Stellmacher und Korbmacher.[23] In dieser Zeit – nachweislich ab 1611 – ließen sich Juden in Leer nieder. Ihre 1650 gegründete Gemeinde erlangte später im Viehhandel größte Bedeutung.

Während des Dreißigjährigen Krieges litt der Ort große Not unter den Truppen des protestantischen Heerführers Ernst von Mansfeld, die von 1622 bis 1624 in Ostfriesland weilten und die Stadt besetzten. Die dabei von den Einwohnern verlangten Kontributionen (November 1622: 5000 Reichsthaler, Februar 1623: 1000 Reichsthaler) stürzten viele in Armut, da die Mehrzahl auf Kredite zurückgreifen musste, um diese zu bezahlen. Nachdem Mansfeld am 19. August 1623 sein Quartier nach Aurich verlegt hatte, plünderten ihm unterstellte französische Truppen den Ort. Am 14. und 15. Januar 1624 entließ Graf Mansfeld seine Truppen, die daraufhin abzogen. Auf sie folgten 1629 Truppen der ligistischen Armee Tillys, die bis 1631 blieben. Danach begann eine kurze Phase der wirtschaftlichen Erholung, die endete, als hessische Truppen unter Führung des Landgrafen Wilhelm V. von Hessen-Kassel den Flecken 1637 erneut besetzten und hier ihr Hauptquartier aufschlugen. Die hessischen Truppen blieben bis August 1650 und beuteten den Ort und das Land durch hohe Kontributionen abermals aus.

Auch nach dem Krieg musste Leer Besatzungen erdulden. Die Auseinandersetzungen zwischen den mittlerweile gefürsteten ostfriesischen Landesherren aus dem Haus Cirksena und den ostfriesischen Ständen führten zunächst dazu, dass mit dem Fürsten verbündete münstersche Truppen 1676 bis 1678 in Leer Quartier nahmen. Von 1687 an sollten Truppen des Kaisers, die „Salve Garde“, den Frieden in Ostfriesland aufrechterhalten. Auch die Kaiserlichen wurden im Flecken Leer einquartiert. Mit ihnen kamen erstmals wieder katholische Geistliche in den Ort.

Um die Mitte des 17. Jahrhunderts ließen sich Lutheraner wieder im Ort nieder. Die Lutherkirche wurde 1675 errichtet. Daneben ging der Zuzug vertriebener reformierter Protestanten unvermindert weiter. Diese kamen nun auch aus der Pfalz und aus Süddeutschland nach Leer. Davon profitierte der Ort vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht. In der heimischen Leinenindustrie nahm die Zahl der Webereien erheblich zu.

Die kaiserliche „Salve Garde“ blieb bis zum Aussterben der Cirksena 1744 in Leer, konnte aber den Appell-Krieg zwischen Fürst Georg Albrecht und den Ständen nicht verhindern. Im Jahr 1726 kam es in Leer mehrfach zu schweren Kämpfen zwischen fürstlichen und Emder Truppen.

Preußen (1744 bis 1806)

Nach dem Tod des letzten Fürsten von Ostfriesland, Carl Edzard aus dem Hause Cirksena (Regierungszeit 1734–1744), fiel Ostfriesland, und damit auch Leer, im Zuge einer Exspektanz an Preußen. Wenige Jahre später drangen während des Siebenjährigen Krieges 1757 französische und österreichische Truppen in Ostfriesland ein und besetzten Leer. Plünderungen blieben aus, aber der Ort wurde durch die Einquartierungen und zu zahlende Kontributionen abermals schwer belastet. Vier Jahre später rückte ein Freikorps deutscher Hilfstruppen der französischen Armee unter dem Kommando des Louis Gabriel Marquis de Conflans in Ostfriesland ein und plünderte vor allem den Flecken Leer und die Evenburg. Insgesamt wurde der von der Söldnertruppe angerichtete Schaden für Ostfriesland auf 358.557 Reichsthaler beziffert. Fast zwei Drittel dieser Summe, 226.096 Reichsthaler, entfielen auf die Evenburg und den Flecken Leer. Nach dem Ende des Krieges wurde Leer von Friedrich dem Großen gefördert und nahm einen erneuten wirtschaftlichen Aufschwung. Vor allem die Textilwirtschaft florierte. Im Jahre 1763 waren unter den etwas mehr als 4000 Einwohnern 194 Leinenweber elf Weberinnen, sieben Altflicker, elf Leinenreeder, 66 Weberknechte, 25 Schneider, vier Hutmacher, vier Knopfmacher, ein Blaufärber und ein Buntdrucker. Innerhalb der jüdischen Gemeinde werden 14 Schlachtjuden, je fünf Handelsjuden sowie Lombard- und Wechseljuden genannt.[23]

Von größter Bedeutung war auch der Abbau des Emder Stapelzwangs, der in mehreren Schritten 1749, 1765, 1808 bis 1842 abgeschafft wurde. Damit waren dem Hafen seine Schranken genommen und es entwickelte sich ein reger Butterhandel mit England. Zwischen 1766 und 1770 liefen 430 Schiffe den Hafen an, darunter 76 Leeraner Schiffe. Der Seehandel Leers holte den Emder ein und übertraf ihn sogar 1792 bis 1798.

Im Zuge der Proto-Industrialisierung siedelten sich in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts mehrere Fabriken an, darunter eine kleine Seifenfabrik, eine Strumpffabrik, eine Leimsiederei, eine Hutfabrik, eine Ölmühle, eine Lederfabrik und weitere kleinere Betriebe. Die Leeraner Leinenweber hingegen, die im Verlagssystem arbeiteten, hatten am Ende des Jahrhunderts bereits mit den neuen moderneren Produktionsweisen zu kämpfen, nachdem die Dampfmaschine in der Textilproduktion rasche Verbreitung gefunden hatte. 1782 hatte Leer 4.405 Einwohner.

Die um 1189 errichtete alte reformierte Kirche St. Liudger wurde 1787[6] wegen Baufälligkeit abgebrochen. Lediglich die Krypta blieb bis in die heutige Zeit erhalten. Die neue Kirche wurde am 16. September 1787 geweiht.

Napoleon (1806 bis 1813)

Elf Tage nach der Schlacht bei Jena und Auerstedt zogen am 25. Oktober 1806 niederländische Truppen auf Befehl ihres Königs Louis Bonaparte, eines Bruders Napoleons, in Leer ein. Die Soldaten wurden, wie immer, in Privathäusern einquartiert. Während der Besatzungszeit bis 1813 gehörte Leer zunächst dem Königreich Holland (bis 1810) und schließlich als Teil des Départements Ems-Oriental Frankreich an. Während der Kontinentalsperre durften die Händler nur genau vorgeschriebene Wege benutzen. Erstmals wurden in Ostfriesland im März und April 1811 Soldaten ausgehoben. Dabei kam es in der lutherischen Kirche von Leer am 2. April 1811 zu Tumulten durch die dort versammelten Seeleute, die jedoch unterdrückt wurden.[24] Am 12. November 1813 verließen die Franzosen die Stadt, ihre Einwohner bejubelten den Einzug der russischen Kosaken. Bis zum Wiener Kongress wurde die Stadt preußisch.

Königreich Hannover (1815 bis 1866)

Nach dem Wiener Kongress 1815 fiel die Stadt an das Königreich Hannover. Preußen richtete im Oktober 1816 in Leer und in Emden Konsulate ein.[25] Durch König Georg IV. erhielt der Ort 1823 die Stadtrechte verliehen. Dabei spielte die Leinenindustrie eine immer geringere Rolle, auch die Bedeutung der Branntweinbrennereien und der Brauereien ging drastisch zurück. 1824 hatte die Stadt 5.908 Einwohner.

Im Revolutionsjahr 1848 war Leer die erste ostfriesische Stadt, deren Einwohner eine politische Petition an den Hannoverschen König einreichten. Darin wurden Forderungen nach politischer Gleichberechtigung aller Staatsbürger, Reform des Wahlrechts, Aufhebung der Zensur, Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Gerichtsverfahren sowie eines deutschen Nationalparlaments gestellt.[26] In der Folge gab es in der Stadt bis 1849 Bürgerversammlungen, Bürgerwehr und Volksbewaffnung. In Hannover wirkte Ostfriesland insgesamt unruhig. Nirgends ist es schlimmer als in Ostfriesland, wovon ich ständig Petitionen bekomme, so König Ernst August am 24. April. Drei Tage später ließ er verlauten: Leider ist die Stimmung in Ostfriesland beinah die aller schlechteste im ganzen Land, révolutionaire au possible.[26]

In das Frankfurter Paulskirchenparlament wurde der liberale Amtsassessor Carl Groß entsandt. Er gehörte zunächst der Casino-, später der Landsbergfraktion an. Nach dem Niedergang der Revolution galten die Leeraner Bürger als ausgesprochen königstreu.[6]

Leer entwickelte sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts zum wichtigsten Ausfuhrhafen Ostfrieslands für landwirtschaftliche Produkte, während der Emder Hafen gleichzeitig verschlammte. Im Jahr 1856 erhielt die Stadt mit einem Bahnhof an der Hannoverschen Westbahn von Emden nach Rheine eine erste Eisenbahnverbindung. Neben dem Bahnhof wurde bis 1861 das tideunabhängige Georgsdock angelegt. So wurde Leer allmählich zum wichtigsten Verkehrsknotenpunkt in Ostfriesland.

Am 6. August 1861 verlieh Georg V., König von Hannover, der Stadt ihr erstes Stadtwappen. Ostfriesland, und damit auch Leer, fiel 1866 mit dem Ende des hannoverschen Königreichs wieder an Preußen zurück.

Im Deutschen Kaiserreich (1871 bis 1918)

Unter preußischer Herrschaft wurde der Ausbau der Infrastruktur fortgesetzt. Von 1867 bis 1869 wurde die Bahnverbindung nach Oldenburg gebaut, 1876 diejenige an die niederländische Grenze nach Neuschanz. Leer wurde damit zum Eisenbahn-Knotenpunkt Ostfrieslands mit Verbindungen in alle vier Himmelsrichtungen.

Der wirtschaftliche Aufstieg Leers zeigte sich besonders deutlich in der Amtsperiode des Bürgermeisters August Dieckmann, die von 1888 bis 1913 währte. Im Jahr 1900 wurde die Kleinbahn Leer–Aurich–Wittmund eröffnet, die bis 1956 für den Personenverkehr und bis 1967 für den Güterverkehr genutzt wurde. In dieser Zeit verfügte Leer über eine zusätzliche fünfte Eisenbahnanbindung in nordöstliche Richtung. Zwischen 1900 und 1903 ergriff Leer verschiedene Baumaßnahmen, um den Hafen tidenfrei schiffbar zu machen. Die Ledaschleife wurde von dem Fluss abgetrennt und mit einer Seeschleuse mit der Leda verbunden. Mit einer großen Feier weihte die Stadt den neuen Hafen am 19. September 1903 ein. Finanziert wurde der Ausbau des Hafens durch Anleihen: Im Gegensatz zu Emden, wo der preußische Staat den Hafen und damit auch die Finanzierung des Ausbaus übernommen hatte, musste Leer die Finanzierung selbst tragen. Investiert wurde zudem in den Deichbau an Ems und Leda, so dass Überflutungen des Stadtgebiets, wie es sie noch bei Sturmfluten 1877, 1883 und 1901 gegeben hatte, nach 1901 der Vergangenheit angehörten. 1901–1903 baute Leer die erste Kanalisation in Ostfriesland, 1910 wurde es mit Strom versorgt.

Die jüdische Gemeinde baute von 1883 bis 1885 erstmals eine Synagoge in Leer. Im Jahr 1887 begann die Planung für das Rathaus der Stadt, da mit rund 160.000 Mark aus dem Nachlass des Leeraner Bürgers Schelten ein erheblicher Teil der Baukosten (etwa 40 Prozent) gedeckt war. Nach fünf Jahren Bauzeit wurde das Rathaus am 29. Oktober 1894 eingeweiht, es entstand nach Entwürfen des Architekten Karl Henrici, der als Hochschullehrer an der Technischen Hochschule Aachen lehrte.

Politisch waren in Leer im ersten Jahrzehnt des Kaiserreichs die Nationalliberalen die tonangebende Partei, wie in weiten Teilen des Reichstagswahlkreises Emden/Norden/Leer. Ab den 1880er Jahren hingegen wurden sie von den linksliberalen Freisinnigen überflügelt. Bis 1912 erreichten die beiden liberalen Parteien zusammengenommen stets die absolute Mehrheit der Stimmen bei den Reichstagswahlen in Leer.[27] Im Jahr 1891 gründete der Korbmacher Georg Bartels in Leer einen sozialdemokratischen Arbeiterverein. Leer war damit die erste ostfriesische Stadt, in der es einen sozialdemokratischen Arbeiterverein gab. Ein Ortsverein der SPD bildete sich 1905. In Leer hatten die ostfriesischen Sozialdemokraten bis 1912 auch ihre besten Ergebnisse erzielt, erst dann wurden sie von den Emder Genossen darin abgelöst. Gelegentlich kam es in Leer zu Streiks, so etwa 1906, als die rund 900 Mitarbeiter der Leeraner Eisengießereien in den Ausstand traten, um die Weiterbeschäftigung von Kollegen herbeizuführen, denen wegen Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft gekündigt worden war. Bürgermeister Dieckmann, obgleich selbst nationalliberal geprägt, schlichtete den Streik, der mit der Wiederbeschäftigung der Gewerkschafter endete.

Bis zur Jahrhundertwende wurden in Leer eine Reihe von Industriebetrieben oder industriell geprägten größeren Handwerksbetrieben gegründet. Neben den Eisengießereien waren es zudem Tabak- und Seifenfabriken, Spirituosenhersteller, Maschinen- und Papierfabriken sowie eine Ölmühle. Größter Betrieb im gesamten Kreis Leer war eine Strohpappenfabrik mit zirka 400 Beschäftigten.[28] Die Zunahme der Einwohnerzahl korrespondierte mit dem wirtschaftlichen Aufstieg, zwischen 1880 und 1912 nahm sie um 29 Prozent zu (von 9900 auf 12.000).

Den Ausbruch des Ersten Weltkriegs bejubelte die Leeraner Bevölkerung ebenso sehr wie die in anderen Städten Deutschlands.[29] Mit zunehmender Kriegsdauer wich die Euphorie jedoch der Ernüchterung. Im Hafen führte der Krieg zu einem spürbaren Umschlagrückgang, und die Versorgungslage wurde selbst in einer Stadt wie Leer mit einem fruchtbaren Umland schwieriger. So mussten bereits 1916 in den Straßen der Stadt aus städtischen Mitteln finanzierte „Gulaschkanonen“ die Versorgung von Bedürftigen sicherstellen.

Weimarer Republik (1919 bis 1933)

Nach der militärischen Niederlage im Ersten Weltkrieg übernahmen auch in Leer Arbeiter- und Soldatenräte vorübergehend die Macht in der Stadt. Am 9. November 1918 erschien eine Abordnung von 20 Marinesoldaten aus Wilhelmshaven in der Stadt und forderte die in Leer stationierten Soldaten auf, gemeinsam mit Arbeitern einen Arbeiter- und Soldatenrat einzurichten. In diesem war unter anderem der Garnisonskommandant vertreten, was sich in der Folgezeit positiv auf die Akzeptanz des Rates und die Zusammenarbeit mit der Stadtverwaltung auswirkte.[30] Gemeinsam mit einem liberal orientierten Bürgerverein und Vertretern von Kaufleuten sowie dem Studienassessor (und späteren niedersächsischen Kultusminister) Adolf Grimme gingen die Mitglieder des Arbeiter- und Soldatenrates vor allem das drängende Ernährungsproblem an. Der Arbeiter- und Soldatenrat sicherte die öffentliche Ordnung und stellte die Zwangsbewirtschaftung im Agrarsektor und Handel sicher. Dazu zählten die Einrichtung einer Lebensmittelkommission unter dem Kaufmann Engelke Eimers und die Eindämmung des Schwarzmarktes. Im Übrigen verlangte der Arbeiter- und Soldatenrat die Einbeziehung der bisher unterprivilegierten Schichten in das politische Leben der Stadt.

Bei den Kommunalwahlen am 2. März 1919 wurden 30 Bürgervorsteher als Stadtparlament bestimmt – erstmals nach allgemeinen und gleichen Wahlen. Einmütigkeit zeigte sich darin, dass sich Parteien, Bürgerverein und Gewerkschaften bereits vor der Wahl auf eine gemeinsame Kandidatenliste geeinigt hatten, deren Grundlage die Leeraner Ergebnisse bei der Wahl zur Nationalversammlung im Januar war. So erhielt die SPD elf von 30 Sitzen. Im damaligen Magistrat, der in etwa dem heutigen Verwaltungsausschuss einer Kommune entspricht, war damit erstmals auch ein Sozialdemokrat vertreten. Der Arbeiter- und Soldatenrat löste sich in der Folgezeit auf.

Im November 1920 trat der aus Solingen stammende Erich vom Bruch sein Amt als Bürgermeister an. Er behielt es während der folgenden knapp 13 Jahre. Vom Bruch sicherte sich in den folgenden Jahren nicht nur den Rückhalt der bürgerlichen Parteien, sondern auch den der Sozialdemokraten. Der Einbruch der Wirtschaft während der Inflation bis 1923 wirkte in einer peripher gelegenen Stadt wie Leer noch lange nach, als sich in den Wirtschaftszentren Deutschlands bereits eine Erholung ankündigte. Mit der breiten Mehrheit der Bürgervorsteher wurde daher ab Mitte der 1920er Jahre städtische Wirtschaftspolitik betrieben. Auf der Halbinsel Nesse im Hafen entstand ein großer Viehmarkt. Außerdem wurden ein Wasserturm, eine neue Hafenumschlagstelle und die Rathausbrücke gebaut, die die Altstadt mit den Betrieben auf der Nesse-Halbinsel verband.[31] Im Jahr 1926 siedelte sich auf der Nesse-Halbinsel ein Milchwerk der deutschen Libby an. Die Stadt verschuldete sich jedoch für diese Investitionen – ein Umstand, den die Nationalsozialisten später vom Bruch ankreideten.

Von der Weltwirtschaftskrise ab 1929 blieb auch Leer nicht verschont. Die Arbeitslosenquote stieg rasch. Im Arbeitsamtsbezirk Leer (Kreise Leer, Weener, Aschendorf und Hümmling) wurden am 1. Oktober 1928 lediglich 692 Arbeitssuchende registriert. Im Dezember 1929 waren es 2857, ein Jahr darauf 4643 und im Dezember 1932 schließlich mehr als 8200. In der Stadt, die 1930 etwa 13.000 Einwohner hatte, waren im September 1932 bereits knapp 2000 Menschen auf die Krisenunterstützung des Arbeitsamts und das Wohlfahrtsgeld der Stadt angewiesen.[32]

Die Zustimmung zu den Parteien der Weimarer Koalition schwand in dem Maße, in dem die rechtsgerichtete DNVP und die Nationalsozialisten Zulauf gewannen. Noch am wenigsten lässt sich dies von der SPD sagen, die bei den Reichstagswahlen 1933 immerhin noch 28,3 Prozent der Stimmen erhielt. Die katholische Zentrumspartei spielte im evangelisch geprägten Leer ohnehin nur eine untergeordnete Rolle. Während sie 1919 7 Prozent der Stimmen erhielt, waren es 1933 noch 5,2 Prozent. Besonders deutlich hingegen verloren die liberalen Parteien, die in den 1920er Jahren noch die städtische Politik wesentlich mitbestimmt hatten. Im Jahr 1919 hatten sie zusammen noch die absolute Mehrheit der Stimmen in den Leeraner Wahllokalen für die Reichstagswahl geholt, bei den Märzwahlen 1933 waren es nur noch 4 Prozent. Die Nationalsozialisten waren erstmals bei der Reichstagswahl 1932 stärkste Partei und errangen im März 1933 rund 43 Prozent der Stimmen, was dem Wähleranteil im Reichsdurchschnitt entsprach. Im Leeraner Stadtparlament hingegen waren sie bis 1933 nicht vertreten.

Nationalsozialismus (1933 bis 1945)

Bei der Kommunalwahl am 12. März 1933 erhielt die NSDAP 50 Prozent der Stimmen. Da die Gewählten der KPD nach dem Verbot ihrer Partei ihre Sitze nicht mehr einnehmen konnten, ergab sich bereits rechnerisch eine absolute Mehrheit für die NSDAP. Verstärkt wurde diese durch die Abgeordneten der DNVP, die mit der NSDAP stimmten. Einzig verbliebene Oppositionspartei war die SPD, die acht Vertreter stellte. Die NSDAP/DNVP-Mehrheit nahm den Sozialdemokraten in der konstituierenden Sitzung das Rederecht, woraufhin die SPD-Abgeordneten die Versammlung verließen. Am 22. Juni wurde die SPD verboten. Der Bürgervorsteher und ehemalige Reichstagsabgeordnete Hermann Tempel floh in die Niederlande.

NSDAP-Politiker nahmen die Verschuldung der Stadt seit 1925 zum Anlass, gegen die vermeintliche Korruption und Misswirtschaft der früheren Stadtspitze zu wettern und Bürgermeister vom Bruch und weitere Verwaltungsbeamte in Schutzhaft zu nehmen. Er kam zwar nach einem Tag wieder frei, ihm wurde aber das Gehalt gesperrt. Das Landgericht Aurich entschied 1934 ein von der Staatsanwaltschaft initiiertes Verfahren wegen vermeintlicher Untreue zugunsten des Bürgermeisters. Das erlebte vom Bruch nicht mehr; er erschoss sich am 7. Mai in seiner Dienstwohnung im Rathaus. Sein Nachfolger wurde der NSDAP-Kreisleiter Erich Drescher. Um dies zu ermöglichen, musste das noch aus hannoverscher Zeit stammende Stadtstatut geändert werden, wonach der Bürgermeister „der Rechte kundig sein muss“.[33]

Die Juden in Leer hatten unter Repressionen staatlicher Organe zu leiden. Bereits am 13. März 1933 wurden in einer öffentlichen Aktion die Schächtmesser der Juden verbrannt. Am 1. April 1933 begann der Boykott jüdischer Geschäfte. Die ersten Juden verließen Leer 1933 und 1934. Bei den Novemberpogromen 1938 wurde die Synagoge in Leer zerstört; danach emigrierten oder flohen weitere Juden. Etwa 90 Prozent der jüdischen Leeraner (1925: 289 Personen) wurden im Holocaust ermordet; etwa 20 bis 30 von ihnen überlebten.

In den ersten fünf Kriegsjahren wurde Leer kaum behelligt. Vereinzelte Bombenabwürfe richteten nur an wenigen Häusern Schäden an. Am Ende des Krieges jedoch wurde die Stadt verbissen verteidigt und entsprechend in Mitleidenschaft gezogen. So ließ der Stadtkommandant am 24. April 1945 die Brücken über Ems und Leda sprengen, woraufhin die am westlichen Ufer der Ems stehenden Kanadier mit Artillerie- und Fliegerangriffen antworteten. Die überlegenen alliierten Kräfte eroberten Leer am 28./29. April.[34] Beim vorherigen Beschuss wurden 210 Häuser zerstört und 400 Zivilisten starben.

Der am Ende des Krieges von seiner Einheit getrennte Gefreite Willi Herold gab sich als Hauptmann aus und ließ am 25. April 1945 in Leer fünf niederländische Gefangene „wegen Spionage“ erschießen. Seit April 2014 erinnert eine Gedenktafel an die Tat.[35]

Nachkriegsentwicklung

In den ersten Nachkriegsjahren wurden Stadt und Landkreis Leer von einem britischen Militärkommandanten regiert. Das politische Leben in Leer erwachte ab 1946 wieder: Im März erfolgte die Gründung der SPD, der im April CDU, KPD und FDP folgten. Bei den ersten freien Kommunalwahlen am 15. September 1946 erhielt die SPD die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Diese konnte sie zwei Jahre lang halten, ab 1948 kamen bürgerliche Parteien 16 Jahre lang zusammen auf die absolute Mehrheit.

Die Stadt nahm bald nach Kriegsende eine große Zahl von Vertriebenen und Flüchtlingen auf. Betrug die Einwohnerzahl bei Kriegsende 1945 noch rund 14.200, so lag sie fünf Jahre später bereits bei deutlich mehr als 20.000.[36] Davon waren 5.578 Vertriebene, was einem Anteil von 27,1 Prozent entspricht.[6] Massive Investitionen in den Wohnungsbau wurden nötig, wobei neben Wohnungsbaugenossenschaften auch die Stadt selbst Häuser errichten ließ. Auch Schulneubauten wurden erforderlich und umgesetzt.

In der Nachkriegszeit war der Landkreis Leer unter den drei ostfriesischen Landkreisen am stärksten mit Ostflüchtlingen belegt, weil er – anders als die Landkreise Aurich und Wittmund – nicht als Internierungsgebiet für kriegsgefangene deutsche Soldaten diente.[37] Allerdings nahm der Landkreis Leer in der Folgezeit unter allen niedersächsischen Kreisen die meisten Personen auf, die schon in den Ostgebieten arbeits- oder berufslos waren. Auch der Anteil der über 65-Jährigen war höher als im Durchschnitt Niedersachsens. Hingegen verzeichnete der Landkreis Leer unter allen niedersächsischen Landkreisen den geringsten Anteil an männlichen Ostflüchtlingen im Alter von 20 bis 45 Jahren.[38]

Der Zustrom von Flüchtlingen und Vertriebenen und der Rückstrom der heimkehrenden Soldaten stellte die Stadt vor wirtschaftliche Probleme. Die Zahl der Arbeitsplätze reichte bei weitem nicht aus. Seit den späten 1940er-Jahren verfolgte die Stadt daher eine Ansiedlungspolitik für Firmen von außerhalb, die 1950 mit der Ansiedlung der Schiffswerft Martin Jansen einen ersten Erfolg zeitigte. Im Jahr 1957 wurde ein Zweigwerk des Büromaschinenherstellers Olympia errichtet, das sich zum größten Arbeitgeber Leers mit zeitweilig 2700, zuletzt zirka 1300 Beschäftigten entwickelte. Die Zahl der Industriebetriebe nahm zwischen 1948 und 1960 von 20 auf 36 zu, die Zahl der Großhandelsbetriebe von 80 auf 119.[39]

1950 verlieh der niedersächsische Minister des Innern der Stadt Leer das Recht, ein neues Wappen zu führen. Das neue Stadtwappen basierte auf einem Siegelabdruck von 1639. Am 1. Oktober 1955 wurde Leer der Status einer selbstständigen Stadt verliehen. Im Jahr 1968 wurden Heisfelde und Loga Leeraner Stadtteile, Leerort wurde 1971 eingemeindet. Bingum, Hohegaste, Logabirum, Nettelburg und Nüttermoor folgten schließlich 1972, die Einwohnerzahl überschritt daraufhin erstmals in der Stadtgeschichte die 30.000er-Marke.

Politisch hatte die SPD seit 1964 die Oberhand im Rathaus. Sie stellte in den folgenden fast vier Jahrzehnten die Mehrheit im Stadtrat und auch den Bürgermeister. Der aus Niederschlesien stammende Horst Milde wurde 1968 zum Bürgermeister gewählt. Ihm folgte 1973 Günther Boekhoff, der dieses Amt bis 2001 innehatte und damit von allen Nachkriegsbürgermeistern mit Abstand am längsten.

Ab 1971 wurde die Leeraner Altstadt mit eigenen sowie Bundes- und Landesmitteln nach dem Städtebauförderungsgesetz erheblich saniert. War zunächst noch eine Flächensanierung ähnlich wie in Teilen der Norder Altstadt vorgesehen, so gelang es engagierten Bürgern, die Politiker zu einem Umdenken zu bewegen und auf Objekt- und Ensemblesanierung zu setzen. Zwischen 1971 und 1990 flossen etwa 60 Millionen D-Mark öffentliche Mittel (je ein Drittel Stadt, Land und Bund) und rund 70 Millionen D-Mark an privaten Investitionen in die Innenstadt.[40] Dies hatte positive Auswirkungen auf den Tourismus und stärkte Leer als die bedeutendste Einkaufsstadt Ostfrieslands (s. Wirtschaft). 2001 wurden Teile der Oststadt Leer auf beiden Seiten der Bahnlinie in das Programm Soziale Stadt aufgenommen und werden seitdem städtebaulich saniert.[41]

Die Schließung des Olympia-Werks trieb 1984 und 1985 die Arbeitslosigkeit in Leer auf Höhen um 23 Prozent.[42] Die Insolvenz der Jansen-Werft 1987 kam hinzu. Die Gründung der ersten Reedereien in den 1980er-Jahren erwies sich als Grundlage für einen heute erfolgreichen Wirtschaftszweig in der Stadt. In den folgenden Jahren kamen weitere Reedereien hinzu.


Text: Wikipedia

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