Alte Schule und Glockenturm Neulehe

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alte Schule Neulehe

von Julia Nüßmann

Man könnte sich fragen: Warum ist dieser kleine, unscheinbare Ort an einer Straßenkreuzung in Neulehe ein besonderer historischer Schauplatz? Heute wird er für Verschnaufpausen von Fahrradfahrern, Straßenfeste oder der nebenstehende Spielplatz von Kindern genutzt. Was aber die wenigsten wissen: Bevor dieser Platz zum 200 - jährigen Jubiläum der Gemeinde neu gestaltet wurde, stand hier einmal eine kleine Schule. Nur noch die alte Schulglocke in dem Glockenturm und der Name der danebenliegenden Haltestelle „alte Schule“ erinnern uns an ein wertvolles Stück Geschichte. Denn diese Geschichte reicht ganz bis in die Entstehungszeit Neulehes zurück. Sie gibt uns einen kleinen Einblick, wie die Lebensumstände in dieser 1788 gegründeten Moorkolonie waren, die sich zunächst fast völlig abgeschnitten von anderen Dörfern entwickelte.


Wie ist diese Schule entstanden?

Seit 1800 hatten die Neuleher Kolonisten unterrichtsbedürftige Kinder, welche zuerst nach Lehe oder Neudörpen zur Schule geschickt wurden. Doch die Wege waren lang und schlecht, weshalb die Kolonisten die Kinder selbst im Schreiben, Lesen und in der katholischen Religion unterrichteten. Da dies keine dauerhafte Lösung war, kam im Jahre 1818 der erste Lehrer (Schwatte war sein Name) nach Neulehe und baute hier selbst die erste Schule. Als dann 1868 eine neue an ungefähr derselben Stelle gebaut wurde, nutzte man die alten Steine als Fundamente. Die neue achtklassige Volksschule war nur 24m² groß und besaß in dem einen Raum an jeder Seite jeweils vier Bänke, auf denen 16 bis 24 Kinder Platz fanden. Zudem war die Schule von einem Spielplatz, der auch dem Sportunterricht diente, umgeben. Neben der Schule wurden zudem ein Wegkreuz und eine Lehrerwohnung errichtet. Außerdem befand sich eine Schulglocke, welche die Kinder selbst zu den Pausen läuten mussten, ab 1925 über dem Schuldach.

Wie kann man sich den Unterricht vorstellen?

Die materielle Ausstattung war nicht so modern wie heute. Bevor im Jahre 1921 Schreibhefte eingeführt wurden, mussten die Kinder auf Schiefertäfelchen mit einer Kreide schreiben. Und auch in die Schreibhefte schrieb man zunächst mit Feder und Tinte, bevor der schon fortschrittlichere Federfüllhalter in den Schultaschen der Kinder zu finden war. Zudem wurde der Unterricht traditionell sehr von der katholischen Religion dominiert, die von einem Pastor unterrichtet wurde. Weil es nur einen einzigen Raum gab, mussten alle acht Jahrgänge in einem Raum von nur einem Lehrer unterrichtet werden. Schulstunden unter solchen Umständen sind heutzutage fast nicht mehr denkbar.

Wie wurde der Schulalltag von allgemeinen geschichtlichen Ereignissen beeinflusst?

Auffällig ist zunächst, dass nach dem Ersten Weltkrieg ein besonderer Schwerpunkt auf das selbstständige Arbeiten der Kinder gelegt wurde. Zum Beispiel musste jedes Kind selbst ein Naturkundebeobachtungsbuch führen und Verantwortung für bestimmte Gegenstände der Schuleinrichtung übernehmen. In der Zeit des Nationalsozialismus wurde die Ideologie durch Zeitschriften wie die „Jugendburg“ oder durch Treffen der HJ am Samstag in Dörpen und der Bund deutscher Mädel in Lehe verbreitet. In dieser Zeit wurden zum Schutz der Kinder vor Fliegerangriffen auf dem Schulplatz Splittergräben ausgeworfen. Zudem diente die Schule als Verbandsplatz und die Lehrerwohnung als Schreibstube, als deutsche Soldaten am Küstenkanal Stellung gegen polnische Soldaten erhoben. In der darauffolgenden Nachkriegszeit wurde unter der Militärregierung dann der Geschichtsunterricht eingeführt.

Gab es schon so etwas wie Klassenfahrten oder Schulfeste?

Aber natürlich! Man kann viele Ausflüge und Festlichkeiten als Highlights im Schulalltag aufzählen, welche auch den Zeitzeugen besonders in Erinnerung geblieben sind: Beispielsweise wurden zur Weihnachtszeit von den Kindern Theaterstücke aufgeführt, welche die Neuleher begeisterten. Es wurden Ausflüge nach Logabirum (Leer) zum Kinderbelustigungspark gemacht und das Schloss in Bentheim besichtigt. Schulakte wurden zu besonderen Feiertagen wie dem 100. Todestag Schillers veranstaltet. Die Schule bot den Kindern in dieser bäuerlichen Gegend also viel Abwechslung.

Aber warum gibt es diese Schule heute nicht mehr?

Nun, diese Frage lässt sich leicht beantworten: Der Klassenraum war schlichtweg viel zu klein. Schon ab 1940 besuchten immer mehr Kinder die Schule, denn Neulehe und weitere Siedler in dessen Nähe wurden zusammengeschlossen und erhielten nun den Namen Eggershausen (nach dem Krieg wieder Neulehe). Anstatt der 20 Kinder besuchten nun um die 50 Kinder die Schule. Schon zu dieser Zeit plante man den Bau einer neuen Lehreinrichtung, doch diese Planungen wurden durch die Kriegstätigkeiten durchkreuzt. Während des Krieges kamen dann auch noch viele Flüchtlinge, zumeist aus Ostpreußen und Pommern, nach Neulehe und auch die Zahl der Siedler wuchs weiter. Als die Schule zuletzt mit fast 100 Kindern fast aus den Nähten platzte, wurde 1950 eine neue mit zwei Klassenräumen im heutigen Dorfkern fertiggestellt.


Dieser Ort ist also voller Erinnerungen und Erlebnisse. Wenn Sie den Glockenschlag hören oder auf den nebenstehenden Spielplatz mit den dort tobenden Kindern schauen, können Sie sich in diese Zeit der Schiefertafeln, in die Zeit, wo man auf dem Pausenhof noch „Hinke Pinke“ gespielt hat und in die Zeit, in der jeder in dieser bäuerlichen Gegend einen besonderen Bezug zu den Tieren und der Natur hatte, zurückversetzen.

Quellen

Schulchronik Neulehe, Gemeindearchiv Neulehe, Befragung von Zeitzeugen