Friedrich Nietzsche

Aus veikkos-archiv
Wechseln zu: Navigation, Suche

Friedrich Wilhelm Nietzsche ([ˈniːtʃə] oder [ˈniːtsʃə];[1] * 15. Oktober 1844 in Röcken; † 25. August 1900 in Weimar) war ein deutscher klassischer Philologe und Philosoph. Nietzsche, der im Nebenwerk auch Dichtungen und musikalische Kompositionen schuf, sprengte mit seinem eigenwilligen Stil bis dahin gängige Muster und ließ sich kaum einer klassischen Disziplin zuordnen. Er war zunächst preußischer Staatsbürger, ab seiner Übersiedlung nach Basel 1869 wurde er auf eigenen Wunsch hin staatenlos.

Im Alter von 24 Jahren war Nietzsche im Anschluss an sein Studium als außerordentlicher Professor für klassische Philologie an die Universität Basel berufen worden. Bereits zehn Jahre später legte er 1879 aus gesundheitlichen Gründen die Professur nieder. Von nun an bereiste er – auf der Suche nach Orten, deren Klima sich günstig auf seine diversen Leiden auswirken sollten – vor allem Italien und die Schweiz. Ab seinem 45. Lebensjahr (1889) litt er unter zunehmenden psychischen Störungen, die ihn arbeits- und geschäftsunfähig machten. Seinen Anfang der 1890er Jahre einsetzenden Ruhm hat er nicht mehr bewusst erlebt. Den Rest seines Lebens verbrachte er als Pflegefall in der Obhut zunächst seiner Mutter, dann seiner Schwester, und starb 1900 im Alter von 55 Jahren möglicherweise an den Spätfolgen einer Syphilis, die er sich in jungen Jahren zugezogen hatte.[2]

Den jungen Nietzsche beeindruckte besonders die Philosophie Schopenhauers. Später wandte er sich von dessen Pessimismus ab. Sein Werk enthält scharfe Kritiken an Moral, Religion, Philosophie, Wissenschaft und Formen der Kunst. Die zeitgenössische Kultur war in seinen Augen lebensschwächer als die des antiken Griechenlands. Wiederkehrendes Ziel von Nietzsches Angriffen sind vor allem die christliche Moral sowie die christliche und platonistische Metaphysik. Er stellte den Wert der Wahrheit überhaupt in Frage und wurde damit Wegbereiter postmoderner philosophischer Ansätze. Auch Nietzsches Konzepte des „Übermenschen“, des „Willens zur Macht“ oder der „ewigen Wiederkunft“ geben bis heute Anlass zu Deutungen und Diskussionen.

Nietzsche schuf keine systematische Philosophie. Oft wählte er den Aphorismus als Ausdrucksform seiner Gedanken. Seine Prosa, seine Gedichte und der pathetisch-lyrische Stil von Also sprach Zarathustra verschafften ihm Anerkennung auch als Schriftsteller.

Reklamemarke

Leben

Jugend (1844–1869)

Friedrich Nietzsche wurde am 15. Oktober 1844 in Röcken, einem Dorf nahe Lützen im Kreis Merseburg in der preußischen Provinz Sachsen (heute Sachsen-Anhalt), geboren. Seine Eltern waren der lutherische Pfarrer Carl Ludwig Nietzsche und dessen Frau Franziska. Seit der Reformation im 16. Jahrhundert ist die Familie Nietzsche in Sachsen als evangelisch dokumentiert. In den Familien beider Elternteile gab es einen hohen Anteil protestantischer Pfarrer. Seinen Vornamen gab ihm sein Vater zu Ehren des preußischen Königs Friedrich Wilhelm IV., an dessen 49. Geburtstag er geboren wurde. Nietzsche selbst behauptete in seinen späten Jahren, in väterlicher Linie von polnischen Edelleuten abzustammen,[3] was jedoch nicht bestätigt werden konnte.

Die Schwester Elisabeth kam 1846 zur Welt. Nach dem Tod des Vaters 1849 und des jüngeren Bruders Ludwig Joseph (1848–1850) zog die Familie nach Naumburg. Der spätere Justizrat Bernhard Dächsel wurde formal zum Vormund der Geschwister Friedrich und Elisabeth bestellt.

Von 1850 bis 1856 lebte Nietzsche im „Naumburger Frauenhaushalt“, das heißt zusammen mit Mutter, Schwester, Großmutter, zwei unverheirateten Tanten väterlicherseits und dem Dienstmädchen. Erst die Hinterlassenschaft der 1856 verstorbenen Großmutter erlaubte der Mutter, für sich und ihre Kinder eine eigene Wohnung zu mieten. Der junge Nietzsche besuchte zunächst die allgemeine Knabenschule, fühlte sich dort allerdings so isoliert, dass man ihn auf eine Privatschule schickte, wo er erste Jugendfreundschaften mit Gustav Krug und Wilhelm Pinder, beide aus angesehenen Häusern, knüpfte. Ab 1854 besuchte er das Domgymnasium Naumburg und fiel bereits dort durch seine besondere musische und sprachliche Begabung auf. 1857 bereitete Pastor Gustav Adolf Oßwald, ein enger Freund seines Vaters, ihn in Kirchscheidungen für die Aufnahmeprüfung in Schulpforta vor. Am 5. Oktober 1858 wurde Nietzsche als Stipendiat in die Landesschule Pforta aufgenommen,[4] wo er als bleibende Freunde Paul Deussen und Carl Freiherr von Gersdorff kennenlernte. Seine schulischen Leistungen waren sehr gut, in seiner Freizeit dichtete und komponierte er.[5] In Schulpforta entwickelte sich zum ersten Mal seine eigene Vorstellung von der Antike und, damit einhergehend, eine Distanz zur kleinbürgerlich-christlichen Welt seiner Familie. In dieser Zeit lernte Nietzsche den älteren, einstmals politisch engagierten Dichter Ernst Ortlepp kennen, dessen Persönlichkeit den vaterlosen Knaben beeindruckte. Von Nietzsche besonders geschätzte Lehrer, mit denen er nach seiner Schulzeit noch in Verbindung blieb, waren Wilhelm Corssen, der spätere Rektor Diederich Volkmann und Max Heinze, der 1897, als Nietzsche entmündigt war, zu dessen Vormund bestellt wurde. Corssen hatte sich auch vor dem Kollegium dafür eingesetzt, dass Nietzsche, trotz einer schlechten Note in Mathematik, sein Abitur erhielt, indem er auf dessen besondere Begabung in den alten Sprachen und Deutsch verwies.[6]

Gemeinsam mit seinen Freunden Pinder und Krug traf sich Nietzsche ab 1860 auf der Burgruine Schönburg, wo er mit ihnen über Literatur, Philosophie, Musik und Sprache diskutierte. Mit Ihnen gründete er dort die künstlerisch-literarische Vereinigung „Germania“. Die Gründungsfeier fand am 25. Juli 1860 statt: „… bei Naumburger Rotwein (die Flasche zu 75 Pfennige) leisteten die drei sechzehnjährigen Vereinsmitglieder ihren Bundesschwur. Gedichte, Kompositionen, Abhandlungen mußten regelmäßig geliefert werden. Man wollte dann gemeinsam darüber diskutieren.“[7] Die Versammlungen fanden vierteljährlich statt. Auf ihnen wurden Vorträge gehalten. Es gab eine Gemeinschaftskasse, aus der Bücher beschafft wurden. Bereits in dieser Zeit entwickelte Nietzsche seine Leidenschaft für die Musik Richard Wagners. Zu Nietzsches frühen Werken, die vor dem Hintergrund der Schönburger Germania entstanden sind, zählen die Synodenvorträge, Kindheit der Völker, Fatum und Geschichte sowie Über das Dämonische in der Musik. 1863 wurde die Germania aufgelöst, nachdem Pinder und Krug ihr Interesse daran verloren hatten.

Im Wintersemester 1864/65 begann Nietzsche an der Universität Bonn das Studium der klassischen Philologie und der evangelischen Theologie unter anderem bei Wilhelm Ludwig Krafft.[8] Zusammen mit Deussen wurde er Mitglied der Bonner Burschenschaft Frankonia.[9] Er bestritt freiwillig eine Mensur, von welcher er einen Schmiss auf dem Nasenrücken zurückbehielt.[10] Nach einem Jahr verließ er die Burschenschaft, weil ihm das Verbindungsleben missfiel. Neben seinem Studium vertiefte er sich in die Werke der Junghegelianer, darunter Das Leben Jesu von David Friedrich Strauß, Das Wesen des Christentums von Ludwig Feuerbach und Bruno Bauers Evangelienkritiken. Diese bestärkten ihn (zur großen Enttäuschung seiner Mutter) in dem Entschluss, das Theologiestudium nach einem Semester abzubrechen.

Nietzsche wollte sich nun ganz auf die klassische Philologie konzentrieren, war jedoch mit seiner Lage in Bonn unzufrieden. Daher nahm er den Wechsel des Philologieprofessors Friedrich Ritschl nach Leipzig (in Folge des Bonner Philologenstreits) zum Anlass, zusammen mit seinem Freund Gersdorff ebenfalls nach Leipzig zu ziehen. In den folgenden Jahren sollte Nietzsche zu Ritschls philologischem Musterschüler werden, obwohl er in Bonn noch dessen Konkurrenten Otto Jahn zugeneigt war. Ritschl war für Nietzsche zeitweise eine Vaterfigur, ehe später Richard Wagner diese Stelle einnahm.

Im Oktober 1865, kurz bevor Nietzsche das Studium in Leipzig aufnahm, verbrachte er zwei Wochen in Berlin bei der Familie seines Studienfreundes Hermann Mushacke. Dessen Vater hatte in den 1840er Jahren zu einem Debattierzirkel um Bruno Bauer und Max Stirner gehört. Dass Nietzsche bei diesem Besuch mit Stirners 1845 erschienenem Buch Der Einzige und sein Eigentum konfrontiert wurde, liegt nahe, lässt sich aber nicht belegen.[11] Jedenfalls wandte Nietzsche sich unmittelbar danach einem Philosophen zu, der Stirner und dem Junghegelianismus denkbar fernstand: Arthur Schopenhauer. Ein weiterer Philosoph, den er in seiner Leipziger Zeit für sich entdeckte, war Friedrich Albert Lange, dessen Geschichte des Materialismus 1866 erschien. In erster Linie setzte Nietzsche jedoch zunächst sein philologisches Studium fort. In dieser Zeit knüpfte er eine enge Freundschaft mit seinem Kommilitonen Erwin Rohde. Mit diesem zusammen beteiligte er sich 1866 an der Gründung des Klassisch-philologischen Vereins an der Universität Leipzig.[12]

Hatte er im sogenannten Deutschen Krieg zwischen Preußen und Österreich, in dessen Verlauf auch Leipzig preußisch besetzt wurde, noch seine militärische Einberufung vermeiden können, so wurde Nietzsche nun (1867) als Einjährig-Freiwilliger bei der preußischen Artillerie in Naumburg verpflichtet. Als er nach einem schweren Reitunfall im März 1868 dienstunfähig geworden war, nutzte er die Zeit seiner Kur zu weiteren philologischen Arbeiten, die er in seinem letzten Studienjahr fortsetzte. Von großer Bedeutung wurde sein erstes Zusammentreffen mit Richard Wagner im Jahre 1868. Hauptgebäude der Universität Basel, der ältesten Hochschule der Schweiz, an welche Friedrich Nietzsche im Jahr 1869 berufen wird

Professor an der Universität Basel (1869–1879)

Auf Empfehlung seines Lehrers Friedrich Ritschls und auf Betreiben Wilhelm Vischer-Bilfingers wurde Nietzsche 1869 als besonderes altsprachliches Talent, jedoch ohne Promotion, zum außerordentlichen Professor für klassische Philologie an die kleine, damals finanzschwache Universität Basel berufen.[13] Zu seiner Tätigkeit gehörte auch der Unterricht am traditionsreichen Basler Gymnasium am Münsterplatz. Als seine wichtigste Erkenntnis auf dem Gebiet der Philologie wird die Entdeckung des quantitierenden Prinzips angesehen, also die Erkenntnis, dass die antike Metrik, im Gegensatz zur modernen Metrik, ausschließlich auf der Länge von Silben basierte.[14]

Auf eigenen Wunsch wurde Nietzsche nach seiner Übersiedlung nach Basel aus der preußischen Staatsbürgerschaft entlassen und blieb für den Rest seines Lebens staatenlos.[15] Allerdings diente er im Deutsch-Französischen Krieg für kurze Zeit als Sanitäter auf deutscher Seite. In dieser Zeit zog er sich eine schwere Dysenterie- und Diphtherieerkrankung zu, deren Rekonvaleszenz von längerer Dauer war. Die Gründung des Deutschen Reichs und die anschließende Ära Otto von Bismarcks[16] nahm er mit einer Portion Skepsis zur Kenntnis.

Wegen seiner schlechten gesundheitlichen Verfassung sah sich Nietzsche gezwungen, sich für den Rest des Wintersemesters 1875/1876 beurlauben zu lassen, was bald darauf zur Beendigung seiner Lehrtätigkeit führen sollte.[17] In Basel begann 1870 die bis in die Zeit von Nietzsches geistiger Umnachtung andauernde Freundschaft zu Franz Overbeck, einem Theologieprofessor und späterem Rektor der Universität Basel. Nietzsche schätzte auch den älteren Kollegen Jacob Burckhardt, der ihm gegenüber jedoch distanziert blieb.

Bereits im Jahre 1868 hatte Nietzsche in Leipzig Richard Wagner und dessen spätere Frau Cosima kennengelernt. Er verehrte beide zutiefst und war seit Beginn seiner Zeit in Basel häufig Gast im Haus des „Meisters“ in Tribschen bei Luzern. Dieser nahm ihn zwar zeitweise mit in seinen Freundeskreis auf, sah in ihm aber vor allem einen Propagandisten für die Gründung seines Bayreuther Festspielhauses.

1872 veröffentlichte Nietzsche sein erstes größeres Werk, Die Geburt der Tragödie aus dem Geiste der Musik, eine Untersuchung über den Ursprung der Tragödie, in der er die traditionelle philologische Methode durch philosophische Spekulation ersetzte. Er entwickelte darin eine Art Kunstpsychologie, indem er die griechische Tragödie aus dem Begriffspaar apollinisch-dionysisch zu erklären versuchte.[18] Die Schrift wurde von den meisten seiner Kollegen – unter anderem von Friedrich Ritschl – abgelehnt bzw. mit Schweigen übergangen. Aufgrund der Kritik von Ulrich von Wilamowitz-Moellendorffs, der Nietzsche in seiner Streitschrift Zukunftsphilologie! unsauberes wissenschaftliches Arbeiten vorwarf, kam es zu einer kurzen öffentlichen Kontroverse, in der sein ehemaliger Studienkollege Erwin Rohde, inzwischen außerordentlicher Professor in Kiel, und Richard Wagner für Nietzsche Partei ergriffen. Nietzsche wurde sich seiner Sonderstellung in der Philologie zunehmend bewusst, weswegen er sich bereits 1871 vergeblich um den freiwerdenden Basler philosophischen Lehrstuhl Gustav Teichmüllers bemüht hatte.

Im Jahre 1873 lernte Nietzsche Bertha Rohr (1848–1940) in Flims kennen und lieben.[19]

Auch die vier Unzeitgemäßen Betrachtungen (1873–1876), in denen er eine von Schopenhauer und Wagner beeinflusste Kulturkritik übte, fanden nicht die erhoffte Resonanz. Im Umkreis Wagners hatte Nietzsche inzwischen Malwida von Meysenbug und Hans von Bülow kennengelernt, und auch die Freundschaft mit Paul Rée, dessen Einfluss ihn vom Kulturpessimismus seiner ersten Schriften abbrachte, begann. Seine Enttäuschung über die ersten Bayreuther Festspiele von 1876, wo er sich von der Banalität des Schauspiels und der Niveaulosigkeit des Publikums abgestoßen fühlte, nahm Nietzsche zum Anlass, sich von Wagner zu entfernen. Seine frühere Leidenschaft schlug in Ablehnung und schließlich radikale Gegnerschaft um.

Derselbe Prozess fand mit Schopenhauer statt. Nietzsche begann am 6. Dezember Philipp Mainländers 200 Seiten lange Kritik der Philosophie Schopenhauers zu lesen[20] – wenige Tage später schrieb er, mit Schopenhauer gebrochen zu haben.[21][22] Mit der Publikation von Menschliches, Allzumenschliches (1878) wurde die Entfremdung von Wagner und von der Schopenhauerschen Philosophie offenbar. Auch die Freundschaften zu Deussen und Rohde hatten sich inzwischen merklich abgekühlt. In dieser Zeit unternahm Nietzsche mehrere vergebliche Versuche, eine junge und vermögende Ehefrau für sich zu finden, worin er vor allem von der mütterlichen Gönnerin Malwida von Meysenbug unterstützt wurde. Außerdem nahmen die seit seiner Kindheit auftretenden Krankheiten (Migräneanfälle und Magenstörungen sowie eine starke Kurzsichtigkeit, die letztlich praktisch bis zur Blindheit führte) zu und zwangen ihn zu immer längeren Urlauben von seiner Lehrtätigkeit. 1879 musste er sich deswegen schließlich vorzeitig pensionieren lassen.

Freier Philosoph (1879–1889)

Getrieben von seinen Krankheiten auf der ständigen Suche nach für ihn optimalen Klimabedingungen, reiste er nun viel und lebte bis 1889 als freier Autor an verschiedenen Orten. Dabei lebte er vor allem von der ihm gewährten Pension; zudem erhielt er mitunter Zuwendungen von Freunden. Im Sommer hielt er sich meist in Sils-Maria, im Winter vorwiegend in Italien (Genua, Rapallo, Turin) und in Nizza auf. Hin und wieder besuchte er die Familie in Naumburg, wobei es mehrfach zu Zerwürfnissen und Versöhnungen mit seiner Schwester kam. Sein früherer Schüler Peter Gast (eigtl. Heinrich Köselitz) wurde zeitweilig zu einer Art Privatsekretär. Köselitz und Overbeck waren Nietzsches beständigste Vertraute.

Aus dem Wagnerkreis war ihm vor allem Meysenbug als mütterliche Gönnerin erhalten geblieben. Kontakt hielt er außerdem mit dem Musikkritiker Carl Fuchs und zunächst auch mit Paul Rée. Anfang der 1880er erschienen mit Morgenröte und Die fröhliche Wissenschaft weitere Werke im aphoristischen Stil von Menschliches, Allzumenschliches. Lou von Salomé, Paul Rée und Nietzsche; von Nietzsche arrangierte Fotografie von Jules Bonnet, 1882 Der Nietzsche-Stein bei Surlej im Oberengadin. Der Stein soll Nietzsche nach eigenen Angaben 1881 zur Grundkonzeption des Zarathustra angeregt haben.

1882 lernte er durch Vermittlung von Meysenbug und Rée in Rom Lou von Salomé kennen. Nietzsche fasste schnell weitreichende Pläne für die „Dreieinigkeit“ mit Rée und Salomé. Die Annäherung an die junge Frau gipfelte in einem mehrwöchigen gemeinsamen Aufenthalt in Tautenburg, mit Nietzsches Schwester Elisabeth als Anstandsdame. Nietzsche sah in Salomé bei aller Wertschätzung weniger eine gleichwertige Partnerin als eine begabte Schülerin. Er verliebte sich in sie, hielt über den gemeinsamen Freund Rée um ihre Hand an, doch Salomé lehnte ab. Unter anderem aufgrund von Intrigen Elisabeths zerbrach die Beziehung zu Rée und Salomé im Winter 1882/1883. Nietzsche, der angesichts neuer Krankheitsschübe und seiner nunmehr beinahe vollständigen Isolation – mit Mutter und Schwester hatte er sich wegen Salomé überworfen – von Suizidgedanken geplagt wurde, flüchtete nach Rapallo, wo er in nur zehn Tagen den ersten Teil von Also sprach Zarathustra zu Papier brachte.

Die Gedanken zum dritten Teil entwickelte er bei seinem Aufenthalt im Bergdorf Èze in der Nähe von Nizza. Eine Straße und eine Gedenktafel erinnern an Nietzsches Tage in Èze.

Waren ihm schon nach dem Bruch mit Wagner und der Philosophie Schopenhauers nur wenige Freunde erhalten geblieben, so stieß der völlig neue Stil im Zarathustra selbst im engsten Freundeskreis auf Unverständnis, das allenfalls durch Höflichkeit überdeckt wurde. Nietzsche war sich dessen durchaus bewusst und pflegte seine Einsamkeit geradezu, wenn er auch oft darüber klagte. Den kurzzeitig gehegten Plan, als Dichter an die Öffentlichkeit zu treten, gab er auf. Daneben plagten ihn Geldsorgen, denn seine Bücher wurden so gut wie nicht gekauft. Den vierten Teil des Zarathustra gab er 1885 nur noch als Privatdruck mit einer Auflage von 40 Exemplaren heraus, die als Geschenk für „solche, die sich um ihn verdient machten“, gedacht waren und von denen Nietzsche letztlich lediglich sieben verschenkte.

1886 ließ er Jenseits von Gut und Böse auf eigene Kosten drucken. Mit diesem Buch und den 1886/87 erscheinenden Zweitauflagen von Geburt, Menschliches, Morgenröte und Fröhlicher Wissenschaft sah er sein Werk als vorerst abgeschlossen an und hoffte, dass sich bald eine Leserschaft entwickeln würde. Tatsächlich stieg das Interesse an Nietzsche, wenn auch sehr langsam und von ihm selbst kaum bemerkt.

Neue Bekanntschaften Nietzsches in diesen Jahren waren Meta von Salis und Carl Spitteler, auch ein Treffen mit Gottfried Keller war zustande gekommen. 1886 war seine Schwester, inzwischen verheiratet mit dem Antisemiten Bernhard Förster, nach Paraguay abgereist, um die „germanische“ Kolonie Nueva Germania zu gründen – ein Vorhaben, das Nietzsche lächerlich fand. Im brieflichen Kontakt setzte sich die Abfolge von Streit und Versöhnung fort, persönlich sollten sich die Geschwister aber erst nach Friedrichs Zusammenbruch wiedersehen.

Nietzsche hatte weiterhin mit wiederkehrenden schmerzhaften Anfällen zu kämpfen, die ein konstantes Arbeiten unmöglich machten. 1887 schrieb er in kurzer Zeit die Streitschrift Zur Genealogie der Moral. Er wechselte Briefe mit Hippolyte Taine, dann auch mit Georg Brandes, der Anfang 1888 in Kopenhagen die ersten Vorträge über Nietzsches Philosophie hielt.

Im selben Jahr schrieb Nietzsche fünf Bücher, teilweise aus umfangreichen Aufzeichnungen für das zeitweise geplante Werk Der Wille zur Macht. Sein Gesundheitszustand hatte sich vorübergehend gebessert, im Sommer war er in regelrechter Hochstimmung. Seine Schriften und Briefe ab Herbst 1888 jedoch lassen bereits auf seinen beginnenden Größenwahn schließen. Die Reaktionen auf seine Schriften, vor allem auf die Polemik Der Fall Wagner vom Frühjahr, wurden von ihm maßlos überbewertet. An seinem 44. Geburtstag entschloss er sich, nach der Vollendung der Götzen-Dämmerung und des zunächst zurückgehaltenen Antichrist, die Autobiographie Ecce homo zu schreiben. Im Dezember begann ein Briefwechsel mit August Strindberg. Nietzsche glaubte, kurz vor dem internationalen Durchbruch zu stehen, und versuchte, seine alten Schriften vom ersten Verleger zurückzukaufen. Er plante Übersetzungen in die wichtigsten europäischen Sprachen. Überdies beabsichtigte er die Veröffentlichung der Kompilation Nietzsche contra Wagner und der Gedichte Dionysos-Dithyramben.

In geistiger Umnachtung (1889–1900)

Am 3. Januar 1889 erlitt er in Turin einen geistigen Zusammenbruch.[23] Kleine Schriftstücke, sogenannte „Wahnzettel“ bzw. „Wahnbriefe“, die er an enge Freunde, aber zum Beispiel auch an Cosima Wagner oder Jacob Burckhardt und sogar Umberto I. von Italien sandte, waren von einer psychischen Erkrankung gezeichnet. Die Ursache für den Zusammenbruch wird seitdem immer wieder kontrovers diskutiert.[24] Eine wichtige Frage ist, ob bereits vor diesem Zusammenbruch intermittierende Symptome auftraten und sich stilistisch niederschlugen[25] oder ob der Zusammenbruch abrupt auftrat und von Vorerkrankungen wie Migräne und Asthenopie bei hochgradiger Myopie isoliert zu betrachten ist. Eine umfangreiche und quellenkritische medizinhistorische Recherche in Originalbefunden spricht eher für letztere These bzw. dafür, dass Nietzsches Zusammenbruch sich am ehesten mit dem Quartärstadium einer Syphilis (bzw. Neurolues) erklären lässt.[26] Skulpturengruppe „Röckener Bacchanal“ auf der Nordseite der Kirche in Röcken. Das Grab befindet sich unweit davon auf der Südseite.

Der durch die Wahnzettel an Burckhardt und ihn selbst alarmierte Overbeck brachte Nietzsche zunächst in die von Ludwig Wille geleitete Irrenanstalt Friedmatt in Basel. Von dort wurde der inzwischen geistig vollständig Umnachtete von seiner Mutter in die Psychiatrische Universitätsklinik in Jena unter Leitung Otto Binswangers gebracht. Ein Heilungsversuch Julius Langbehns, der von sich aus Kontakt zur Mutter aufgenommen hatte, scheiterte. 1890 durfte die Mutter ihn schließlich bei sich in ihrem Haus in Naumburg aufnehmen. Zu dieser Zeit konnte er zwar gelegentlich kurze Gespräche führen, Erinnerungsfetzen hervorbringen und unter einige Briefe von der Mutter diktierte Grüße setzen, verfiel jedoch schnell und plötzlich in Wahnvorstellungen oder Apathie und erkannte auch alte Freunde nicht wieder.

Über das weitere Verfahren mit den teilweise noch ungedruckten Werken berieten zunächst Overbeck und Köselitz. Letzterer begann eine erste Gesamtausgabe. Gleichzeitig setzte eine erste Welle der Nietzsche-Rezeption ein.

Elisabeth Förster-Nietzsche kehrte nach dem Suizid ihres Mannes 1893 aus Paraguay zurück, ließ die bereits gedruckten Bände der Köselitzschen Ausgabe einstampfen, gründete das Nietzsche-Archiv und übernahm von der betagten Mutter Zug um Zug die Kontrolle sowohl über den pflegebedürftigen Bruder als auch über dessen Nachlass und die Herausgabe seiner Werke. Mit Overbeck zerstritt sie sich, während sie Köselitz für eine weitere Zusammenarbeit gewinnen konnte.

Nietzsche selbst, dessen Verfall sich fortsetzte, bekam von alldem nichts mehr mit. Nach dem Tod seiner Mutter 1897, nachdem seine Schwester das Haus in Naumburg verkauft hatte,[27] lebte er in der Villa Silberblick in Weimar, wo Elisabeth ihn pflegte. Ausgewählten Besuchern – etwa Rudolf Steiner – gewährte sie das Privileg, zu dem dementen Philosophen vorgelassen zu werden. So berichtete das Jenaer Volksblatt unter Berufung auf eine Naumburger Zeitung:

„Seine Lebensweise vergeht ganz nach ärztlicher Vorschrift, die seine Kost und Bedienung geregelt hat. Im Uebrigen sitzt er still in sich versunken da; nur wenn Straßen- oder Kinderlärm an sein Ohr dringt, äußert er unverständliche Laute, beruhigt sich aber wieder, wenn man ihm vorliest, ohne daß er freilich das Gelesene versteht. Sein Aussehen ist keineswegs ungesund, nur ist es etwas beschwerlich, ihn an- und auszukleiden, weil sich in letzter Zeit eine gewisse Ungelenkigkeit der Glieder bemerklich macht.“[28]

Von Steiner stammt eine weitere, ausführliche Schilderung des umnachteten Nietzsche.[29] Nach mehreren Schlaganfällen, die auch mit der Diagnose einer Neurolues vereinbar sind (siehe oben), war Nietzsche teilweise gelähmt und konnte weder stehen noch sprechen. Am 25. August 1900, im Alter von 55 Jahren, starb er an Pneumonie und einem weiteren Schlaganfall in Weimar.[26] Er wurde an der Röckener Dorfkirche im Familiengrab beigesetzt.


Text: Wikipedia

Liste der Autoren

Der Text und das Bild sind unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Einzelheiten sind in den Nutzungsbedingungen von Wikipedia beschrieben.