Johannes R. Becher (Wohnung)

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Johannes R. Becher

Johannes Robert Becher (* 22. Mai 1891 in München; † 11. Oktober 1958 in Ost-Berlin) war ein deutscher expressionistischer Dichter und Politiker, Minister für Kultur sowie erster Präsident des Kulturbundes der DDR. Bekannt ist er auch als Verfasser des Textes der Nationalhymne der DDR.


Kindheit und Jugend

Am 22. Mai 1891 wurde Hans Robert Becher als Sohn von Heinrich Becher, Jurist am Oberlandesgericht München, und dessen Ehefrau Johanna, geborene Bürck, in München geboren. Seinen Vater Heinrich Becher beschrieb er politisch als “Ungefähr stimmungsmäßig deutschnational, sonst betont unpolitisch”, dennoch galt im Hause Becher Loyalität zum Monarchen und nationale Begeisterung als oberste Pflicht. Als größter Feind galten dabei Sozialisten und Sozialdemokraten. Fleiß und Pflichterfüllung waren die Lebensphilosophie des Vaters, der Teil des “protestantisch-bürokratisch-preußisch-militärischen Establishments” ist.

Die Erziehung des oftmals jähzornigen Vaters war streng, Hans dem permanenten Leistungsdruck kaum gewachsen. Zuflucht fand er bei seiner Großmutter, die in ihm wohl auch die Leidenschaft für Literatur und Dichtung weckte. Wegen der anhaltend schlechten Leistungen in der Schule wählte der Vater für Hans die Offizierslaufbahn, was dem sportbegeisterten Sohn zunächst gefiel. Mehr und mehr kam allerdings der Wunsch auf, Dichter zu werden, viele heftige Auseinandersetzungen zwischen Vater und Sohn waren vorprogrammiert.

In jugendlicher Verzweiflung kam es 1910, gemeinsam mit seiner um sieben Jahre älteren Jugendliebe Franziska Fuß, zu einem Doppelselbstmordversuch. Dem Vorbild Heinrich von Kleist nacheifernd, schoß er mit einer Pistole zuerst auf Franziska und dann auf sich selbst, sie erlag ihren Verletzungen, Becher überlebte nach drei Monaten in Lebensgefahr. Er wurde nach Paragraph 51 des Strafgesetzbuches für unzurechnungsfähig erklärt und nicht bestraft.


Verfall und Triumph

In den folgenden Jahren tauschte Becher die Kontrolle des Vaters gegen die Kontrolle des Morphiums. Gemeinsam mit Heinrich Bachmair ging er zunächst nach Berlin, um sich dort für das Medizinstudium einzuschreiben. Sie zogen wegen der billigen Miete in den proletarischen Osten Berlins. Zu Heinrich von Kleists 100. Todestag erschien Bechers erstes Gedicht: Der Ringende, und zwar im gemeinsam neu gegründeten Verlag Heinrich F. S. Bachmair. Von nun an wurde Hans Robert unter dem Namen Johannes R. Becher bekannt.

Das Studium fiel dem Verlag zum Opfer, der jedoch finanziell schnell am Ende war. So kehrten sie 1912 schon wieder nach München zurück und hofften auf Hilfe aus dem Elternhaus, die zunächst auch gewährt wurde. Obwohl Bachmair viele bedeutende Expressionisten, von Walter Hasenclever bis Else Lasker-Schüler, für sich gewinnen konnte, ging der Verlag, wohl wegen mangelnden Geschäftssinns, bald bankrott. Nach nur drei Jahren kam der gesamte Verlag zur Versteigerung.

Im Jahr zuvor machte Becher eine für die folgenden Jahre – wohl nicht im positivsten Sinn – prägende Begegnung mit Emmy Hennings. Nicht nur Schönes verdankte er ihr, auch die in den Folgejahren aufkommende Morphiumsucht mit einhergehender Geldnot und Hungerleiden und wechselnden Wohnorten zwischen München, Leipzig und Berlin hatte er (zumindest anfangs) ihr zu verdanken. Zahlreiche Entziehungskuren in den Jahren bis 1918 schlugen fehl. Nur mit Lügenmärchen, Krediten und Gönnern wie Harry Graf Keßler und dem Ehepaar Kippenberg konnte er sich über Wasser halten, mit den Eltern herrschte nun jahrelang Funkstille. So verpfändete er auch sein Gehalt auf viele Monate im Voraus. Nicht zufällig entstand in dieser Zeit sein wohl wichtigstes expressionistisches Werk: Verfall und Triumph.

Der Krieg und die Politik zogen zunächst scheinbar spurlos an ihm vorüber, auch weil er wegen seiner Schussverletzung keine Einberufung zu befürchten hatte. Viele Expressionisten landeten, so wie Becher, “bei einer der beiden großen politischen Religionen des zwanzigsten Jahrhunderts, beim Nationalsozialismus oder Kommunismus”. Seine politische Biographie wird jedoch bis heute – vorsichtig ausgedrückt – sehr unterschiedlich dargestellt. So ist über seine politischen Anfänge sowohl von “nicht die geringste Spur eines politischen Gedankens” und “Revolution fand [...] nur auf dem Papier statt” zu lesen, als auch von “Solidarität mit der geköpften Revolution” (In Bezug auf die Ermordung Karl Liebknechts und Rosa Luxemburg) und nobler Zurückhaltung “aus den Tageskämpfen”. Selbst seine USPD- und die (erste) KPD-Mitgliedschaft scheinen umstritten. Mit einem harten persönlichen Schlag kämpfte er 1918, als sein jüngerer Bruder Ernst Becher auf dem Schwabinger Friedhof Selbstmord beging. Dieses Ereignis schien ihm jedoch die Augen zu öffnen, er begann wiederholt einen Morphium-Entzug, der erfolgreich war. Während zur Zeit der Novemberrevolution und danach in Deutschland bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten, lenkte sich das Leben Bechers wieder in geordnete Bahnen. In Jena war er im Gegensatz zu vielen Freunden und Bekannten jedoch kein revolutionärer Umstürzler. Auch seine damalige Kurzzeitbeziehung ging dadurch in die Brüche, “als ich die Revolution nicht auf der Barrikade noch als Redner mitmache”, er steigt “nur auf Barrikaden, die aus Tinte waren”.

In Jena trat Becher dem kommunistischen Ortsverband bei; die Begeisterung für die Partei hielt zunächst jedoch nicht lange an, er trat bald darauf wieder aus, um in der katholischen Kirche Zuflucht zu suchen. Über sein Werk jener Zeit meinte er: “Über die sogenannte politische expressionistische Lyrik habe ich mich hinausentwickelt. Mein Ziel ist eine intensive erfüllte Klassik.”

Künstlerisch stand er in seiner expressionistischen Phase, von der er sich später distanzieren sollte, der Magdeburger Künstlervereinigung Die Kugel nah und veröffentlichte unter anderem in den Zeitschriften Verfall und Triumph, Die Aktion und Die neue Kunst. Zusammen mit Albert Ehrenstein arbeitete Becher für kurze Zeit als Lektor im Verlag Kurt Wolff.


Aufstieg in der KPD

Bechers Rückwendung zur KPD erfolgt schon 1923. Nach der Trennung von Eva Herrmann, Tochter eines millionenschweren amerikanischen Malers, regt sich in ihm wieder der Widerstand gegen eine dominante Vaterfigur – der Vater Frank Herrmann verbietet seiner Tochter die Heirat mit Becher – und das reiche Bildungsbürgertum. Zusätzlich fördert die Hyperinflation von 1923 seinen Linksschwenk. Seinen Wohnort verlegt er nun nach Jahren des Zigeunerlebens endgültig nach Berlin, wo er mit vielen Linksintellektuellen, von Robert Musil bis Lion Feuchtwanger, verkehrt. So wird er im März 1923 wieder Mitglied der KPD, froh darüber, Struktur für sein Leben gefunden zu haben. “Meine Schlamperei von früher ist mir ein Greuel. Wie froh, wie froh bin ich, daß ich auf diesen Weg noch gefunden habe.” Umso schwieriger wird es nun für ihn, Literatur und Politik voneinander zu trennen, so er das nun auch gar nicht mehr will.

Innerhalb der Partei ebnen seine bürgerliche Bildung und Umgangsformen sowie das benötigte Maß an Opportunismus ihm schlussendlich den Weg bis ganz nach oben. Sein Aufstieg ist dabei eng mit der wechselhaften Geschichte und den politischen Richtungsänderungen der Kommunistischen Partei in der Weimarer Republik verbunden. Anfänglich sieht er seine Aufgabe darin, soziale Probleme abseits der Poesie zu lösen, jedoch etabliert sich Becher schnell als Parteidichter, der im Auftrag der Partei Gedichte und Artikel schreibt wie etwa Am Grabe Lenins. Die Aufgabe der Kunst sieht er zunächst in der „Entlarvung und Destruktion aller bürgerlichen Denk- und Seinsformen“. Die Kulturpolitik der Kommunisten liegt anfangs brach. Nach Leo Trotzki ist eine proletarische Kunst erst nach der Überwindung des Kapitalismus möglich, wovon man in Deutschland noch weit entfernt ist. Becher sieht hier eine Chance für sich, die „Kunst nach dem Muster der Gesamtpartei zu bolschewisieren“.

Mit der neuen Parteichefin Ruth Fischer arrangiert er sich schnell, auch Gerhart Eisler, der für den Pressedienst der KPD arbeitet, lernt er über Hede Eisler, Gerharts erste Frau, kennen. Über diese Gruppe gelangt er in das ZK der KPD. Als Ruth-Fischer-Anhänger gerät er nach ihrer Entmachtung mit in Bedrängnis, gerade noch rechtzeitig erkennt er „die sowjetfeindliche Haltung des Trotzkismus“, um ihr den Rücken zu kehren. Neben den vielen internen Machtkämpfen hat die KPD auch gegen die Weimarer Justiz zu kämpfen, bis zum sozialdemokratischen Regierungswechsel ist sie in zahlreiche Prozesse verwickelt. Auch Johannes R. Becher findet sich bald in einer fünf Tage dauernden Untersuchungshaft wieder, ein Verfahren wegen Hochverrats gegen ihn wird später wieder fallen gelassen.

Für Becher, wie für viele andere, längst nicht nur Kommunisten, ist der Wirtschaftsmotor Sowjetunion, in dem die Industrie ins Unendliche zu wachsen scheint, mit „Vater Stalin“ nun wirtschaftliche und gesellschaftliche Zukunft. Unter die Oberfläche will oder darf man natürlich nicht blicken. Noch während Ermittlungen gegen ihn laufen, reist er zum zehnten Jahrestag der russischen Revolution erstmals in die UdSSR, klarerweise mit einem überwältigenden Besucherprogramm, um nicht auf die erheblichen sozialen Probleme aufmerksam zu werden. Aus Russland kommt auch die Idee, wie man Gedichte an den “klassenbewussten Proleten” bringt: gemeinsam werden in Versammlungen Gedichte gesprochen bzw. als Sprechchor aufgeführt. 1928 wird der Bund proletarisch-revolutionärer Schriftsteller gegründet, dessen Vorsitzender Becher wird. Mit Basisarbeit will er sich nun nicht mehr aufhalten, an unrepräsentativen Tätigkeiten hat er kaum Interesse. Darunter hat auch sein sprachliches Talent zu leiden, das im administrativen Apparat der Partei immer mehr verkommt. Als Vorsitzender des Bundes ist es für ihn von besonderer Bedeutung, am “Puls des Kremls” zu bleiben. Zahlreiche Richtungswechsel unter der Führung von Ernst Thälmann werden jedoch zu einer steten Gratwanderung. Die Richtungskämpfe im Bund drehen sich auch um die Nähe zu linksbürgerlichen und liberalen Schriftstellern wie Alfred Döblin, Kurt Tucholsky oder Bertolt Brecht. Mehr als einmal werden sie scharf kritisiert, um bald darauf wieder eine Anordnung der Komintern zu erhalten: “Gewinnt die bürgerlichen Literaten, verprellt sie uns nicht!” Nicht immer sollte Becher der Richtungswechsel schnell genug gelingen, auch er wird 1930 für vier Monate aus dem Parteiapparat verbannt, in denen er bereits davon überzeugt ist, Berlin für immer den Rücken zu kehren. Wie weit Bechers Obrigkeitshörigkeit geht, zeigt einmal mehr sein Kommentar zum Schauprozess gegen die Industriepartei: “Wir proletarischen Dichter [...] begrüßen den Vernichtungswillen des ersten proletarischen Staates der Welt, der Sowjetunion, gegenüber den Schädlingen und Saboteuren.”

Mit dem Schwarzen Freitag des Jahres 1929 kollabiert der „Erzfeind Kapitalismus”. Nutznießer der Weltwirtschaftskrise in Deutschland werden die NSDAP und die KPD, die sich über erheblichen Zulauf freuen können. Mit der Wahl im September 1930 wird die NSDAP hinter der SPD zweitstärkste Kraft im Land, für die KPD unter Thälmann heißt der große Feind jedoch weiterhin „Sozialfaschismus“ (SPD), so trifft die Machtergreifung Hitlers die KPD weitgehend unvorbereitet. Johannes R. Becher steht als wichtiger Funktionär schon lange auf der schwarzen Liste der SA, mit einem gefälschten Pass gelingt ihm im März 1933 die Ausreise in die Tschechoslowakei, wo er zunächst auf seine Frau Lotte und ihren gemeinsamen Sohn Hans Thomas wartet. Die Ehe ist längst kaputt, Lotte zieht mit Hans Thomas nach Großbritannien, erst im Dezember 1950 folgt das erste und einzige Wiedersehen.


Becher im Exil

“Die zwölf Jahre, die ich außerhalb Deutschlands leben mußte, waren für mich die härtesten Prüfungen meines Lebens; ich möchte beinahe sagen, es war das Fegefeuer, wenn nicht die Hölle. Aber es war eben das, [...] daß ich solch ein ganzer Deutscher war, auch mit seinen negativen Eigenschaften, daß ich mich nirgendwo anpassen konnte und eigentlich nur zwölf Jahre lang gewartet habe, um wieder heimkehren zu können.” Froh, gerade noch der SA entwischt zu sein, spricht Becher später ungern über diese zwölf Jahre der Heimatlosigkeit. Im April 1933 kommt er nach Moskau, wo er sich nun mit aller Kraft der Reorganisation des Exil-Bundes zuwendet. Mit dem gemeinsamen Feind Nationalsozialismus rückt auch die Idee der Einheitsfront zwischen Kommunisten und Sozialisten wieder stärker in den Mittelpunkt. Auch Eislers Einheitsfrontlied von 1934 ist davon ein Zeugnis. Bechers Auftrag von der Komintern war dabei die Bildung einer literarischen Einheitsfront. Zu diesem Zweck reist er quer durch Europa und verbringt viel Zeit in Paris, um Kontakt zu zahlreichen Exilliteraten, von Thomas Mann und Heinrich Mann über Robert Musil bis zu Bertolt Brecht, aufzunehmen. Dass Becher zunächst ganz und gar nicht von der Einheitsfrontidee überzeugt ist, zeigt ein Brief an Ernst Ottwalt deutlich: “Dürfen wir den Kampf gegen die Sozialdemokratie nur den Nationalsozialisten überlassen?” schreibt er noch im Februar 1934, obschon dann seine Rede auf dem Allunionskongress der Sowjetschriftsteller ganz im Zeichen der Einheitsfront steht.

In der Sowjetunion wird nun der Sozialistische Realismus propagiert, mit dem es sich schnell anzufreunden heißt. Indes sind erste Opfer der Stalinistischen Säuberungen zu beobachten. Auch ein Verbindungsmann Bechers im Moskauer Deutschland-Büro verschwindet von einen Tag auf den anderen. Am 5. September geht ein Telegramm der Parteileitung bei Becher in Paris ein, er solle sofort nach Moskau zurückkehren. Wohl ahnend, dass ihm nichts Gutes bevorsteht, muss er dem Befehl schließlich dennoch gehorchen, da ihm von der Komintern der Geldhahn abgedreht wird. Zurück in Moskau, zieht der Große Terror immer weitere Kreise. Die Hysterie des „Schädlingswahns“ führt auch zu einer genauen Überprüfung sämtlicher exilierter Schriftsteller. Warum Becher, der mittlerweile Chefredakteur der Internationalen Literatur war, die „Säuberung“ unbeschadet übersteht, wohingegen dreiviertel aller deutschen UdSSR-Emigranten ermordet wurden oder in Gulags verschwanden, liegt weitgehend im Dunkeln. Letzten Endes war es wohl hohen Parteifunktionären wie Wilhelm Pieck zu verdanken. Der glühende Funktionärs-Eifer wich jetzt weitgehend der furchtsamen Hingabe an Stalin. „[…] in demselben Maße wie ich Stalin verehrte und liebte, [war] ich ergriffen […] angesichts gewisser Vorgänge, die ich in der Sowjetunion erleben mußte. Ich kann mich nicht darauf hinausreden, daß ich von nichts gewußt hätte. Ich kann auch nicht behaupten, daß ich davon nichts wissen wollte. Ich ahnte nicht nur, oh, ich wußte!“ So beschreibt er die Zeit des Großen Terrors im Jahre 1957, erst lange nach Chruschtschows Rede am XX.Parteitag.

Immer wieder spielt er mit dem Gedanken, die Sowjetunion in Richtung USA oder Schweden zu verlassen. In seinen Werken folgt er der allgemeinen Sowjetästhetik der Zeit und besinnt sich auf nationale Werte und Traditionen zurück. Zur persönlichen Tragöde vieler deutscher Exilanten wird der Hitler-Stalin-Pakt 1939. Von einem Tag auf den anderen verschwindet der Antifaschismus aus den Medien, rund 1200 Emigranten werden an die Gestapo ausgeliefert. Nur Musterbeispiele bürokratischer Parteidiener, wie Walter Ulbricht können verkünden: „Wer gegen die Freundschaft des deutschen und des Sowjetvolkes intrigiert, ist ein Feind des deutschen Volkes und wird als Helfershelfer des englischen Imperialismus gebrandmarkt.“ Bis zum Überfall der Wehrmacht auf die UdSSR 1941 muss das Feindbild nun wieder Finanzkapitalismus heißen. Unter den deutschen Schriftstellern, die noch in der UdSSR verbleiben, darf Becher nun als der prominenteste und wichtigste gelten. In den Kriegswirren wechseln dann Depressionen, Flucht vor der deutschen Reichswehr und Sitzungen der KPD-Führung im Hotel Lux. Als sich im Herbst 1944 die Niederlage des deutschen Reiches nähert, wird dort auch eine Arbeitskommission zur Gestaltung des neuen Deutschlands ins Leben gerufen. Mit dabei sind viele zukünftige SED-Funktionäre wie Walter Ulbricht, Wilhelm Pieck oder Hermann Matern; im Referat zum Wiederaufbau des Kulturlebens sind: Johannes R. Becher, Alfred Kurella und Erich Weinert. Nach zwölfjährigem Exil darf Becher im Juni 1945 endlich in seine Heimat zurückkehren.


Becher in der SBZ/DDR

Der kulturelle Neubeginn in der Sowjetischen Besatzungszone ist auch Bechers Werk. Darauf hatten sie sich bereits im Vorjahr vorbereitet und zu diesem Zweck wird er von Stalin nach Berlin geschickt. Bald nach Bechers Rückkehr wird der Kulturbund zur demokratischen Erneuerung Deutschlands gegründet, dessen Präsident er wird. Der Kulturbund sollte keine kommunistische Massenorganisation darstellen, sondern kann als verhältnismäßig liberal gewertet werden, der vielen Intellektuellen, Bürgerlichen wie Linken, ein Verband sein sollte. Klarerweise widerspricht es den übergeordneten Zielen der KPD nicht, insofern Becher ja auch Mitglied des ZK der KPD und dann im Zentralvorstand der SED ist.

Als Präsident des Kulturbundes ist er besonders bemüht, emigrierte Künstler von der Rückkehr nach Deutschland zu überzeugen – darunter etwa die Brüder Mann, Bert Brecht, Hermann Hesse, Lion Feuchtwanger und Hanns Eisler – aber auch, sie mit „inneren Emigranten“ wie Erich Kästner oder gar Wilhelm Furtwängler, zu versöhnen, die nun vielen Vorwürfen ausgesetzt waren. Er will den Kulturbund als gesamtdeutsche Organisation positionieren, womit er bald zwischen die Fronten des Kalten Krieges gerät. Von westlicher Seite wird er als sowjetische Marionette betrachtet, von den eigenen Reihen bald als politischer Abweichler. So drängt die SMAD darauf, ihn durch einen linientreueren Genossen zu ersetzen. Nachdem er immer mehr zwischen die Fronten der Westpresse und der SED-Führung gelangt, muss er schließlich die Notbremse ziehen; klarerweise in seiner liberalen Arbeit. Lieber opfert er seine persönlichen Ansichten, als sein Parteibuch. So bleibt die Partei für ihn bis zu seinem Lebensende Fluch und Segen. Sein Widerstand, den Kulturbund zum Propagandainstrument der Partei zu degradieren, erlischt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Becher um eine Wiederaufnahme deutscher Schriftsteller in die internationale Schriftstellervereinigung PEN als gesamtdeutscher PEN-Club bemüht. Ebenso wie im Kulturbund wenden sich aber auch hier seine Prioritäten. So ist das Jahr 1950 geprägt durch viele Auseinandersetzungen im gesamtdeutschen PEN. Als einer von drei Präsidenten gerät er zusehends unter Beschuss, da er sein Amt einer eigentlich unpolitischen Vereinigung immer mehr als politische Bühne des Stalinismus verwendet und die politische Justiz in der DDR pauschal in Schutz nimmt. Trotz erheblichen Drucks auf ihn will er nicht als PEN-Präsident zurücktreten, Schmutzkampagnen beiderseits führen Ende des Jahres schließlich zu einer Spaltung des deutschen PEN.

Die Dichtung wird für ihn ein „Hilfsmittel in der Politik“, schreibt ein junger Historiker in Döblins Zeitschrift Das Goldene Tor, ein Vorwurf der nicht ganz von der Hand zu weisen ist. Unter den Werken finden sich etwa die Nationalhymne der DDR, eine Bestellung des Politbüros, oder das Libretto zur Kantate 1950. Ob seiner Loyalität wird er auf dem III. Parteitag der SED ins ZK gewählt, nun da der Mittelpunkt seiner Arbeit dem „Kampf um den Frieden, um die demokratische Einheit Deutschlands und um die Festigung unserer antifaschistisch-demokratischen Ordnung“ gilt. Die folgenden Jahre sind für ihn nach außen hin ein weiterer politischer Aufstieg und ein (SED interner) Fall, bei genauerer Betrachtung aber auch vor allem eine Zeit vieler körperlicher Leiden und literarischen sowie politischen Verfalls. „Dies ist der größte Dichter, so redet und schreibt man. Ich stimme immer damit überein, er ist der größte, gewiß; nämlich der größte tote Dichter bei Lebzeiten, einer den niemand hörte und las -, aber er lebte und schrieb.“ Ein wohl hartes aber nicht ganz aus der Luft gegriffenes Urteil.

Im Januar 1954 wird er erster DDR-Kulturminister, seine Staatssekretäre sind Alexander Abusch und Fritz Apelt. Sein Amt hat er wohl vor allem zwei äußeren Einflüssen zu verdanken: dem Tod Stalins und dem Juni-Aufstand 1953. Das Amt eines Kulturministers war von Seiten der Regierung hauptsächlich als repräsentative Rolle gedacht. Als noch immer ein Anhänger der deutschen Einheit organisiert er in einer kurzen politischen Tauwetterperiode, die mit dem Amtsantritt Nikita Chruschtschows eintritt, einige Ost-West-Gespräche und lässt wieder mit Gedanken zur kulturellen Einheit Deutschland aufhorchen. Alle Bemühungen in diese Richtung fallen allerdings wieder schnell dem Parteiapparat zum Opfer.

Zwei weltpolitische Ereignisse 1956 werden ihm schließlich zum Verhängnis: die Parteitagsrede Chruschtschows und der Ungarnaufstand. Mit der Rede Chruschtschows formiert sich in der DDR eine antistalinistische Opposition, der Becher zwar nicht angehört, in deren Pläne er jedoch eingeweiht war und mit der er durchaus sympathisiert. Diese Opposition plant auch eine Intervention im Ungarnaufstand, Becher beschließt gemeinsam mit Kollegen, seinen alten Freund Lukács aus Ungarn herauszuholen, was jedoch an der Blauäugigkeit Bechers scheitert. Die SED-Führung ist zutiefst verunsichert, Walter Ulbricht entledigt sich zahlreicher Parteigenossen, Becher behält zwar pro forma seinen Titel und sein Amt, wird aber entmachtet und durch Alexander Abusch ersetzt. In Das poetische Prinzip rechnet er nun mit dem Sozialismus als der „Grundirrtum meines Lebens“ ab, das in der DDR erst 1988 veröffentlicht wird. Am 11. Oktober 1958 verstirbt er nach einer schweren Krebsoperation. Mit dem Tod Johannes R. Bechers hievt ihn die Partei, allen voran Walter Ulbricht, in den Himmel der deutschen Dichterkunst, indem er zum „größten deutschen Dichter der neuesten Zeit“ erhoben wird; sein letzter Wille „Man möge die Öffentlichkeit nicht mit Gedenkfeiern langweilen“ und von „offiziellen Ehrungen“ und „Schaftelhubereien“ Abstand zu nehmen, wird mit einem Staatsbegräbnis, wie es kein Autor in der DDR vor ihm erhält, zur Gänze missachtet.

Das Institut für Literatur „Johannes R. Becher“, das 1955 in Leipzig gegründet worden war, wurde im Jahr 1959 nach ihm benannt. Auch mehrere Schulen und Straßen in der DDR trugen seinen Namen.


Werke

Der Idiot, 1913

Verfall und Triumph, 1914

Verbrüderung, 1916

An Europa, 1916

Die heilige Schar, 1918

Gedichte um Lotte, 1919

Gedichte für ein Volk, 1919

An Alle!, 1919

Ewig im Aufruhr, 1920

Mensch, steh auf!, 1920

Um Gott, 1921

Arbeiter Bauern Soldaten – der Aufbruch eines Volkes zu Gott, 1921

Drei Hymnen, 1923

Am Grabe Lenins, 1924

Vorwärts, du Rote Front, 1924

Levisite oder der einzig gerechte Krieg, 1925

Maschinenrhythmen, 1926

Die hungrige Stadt, 1927/28

Im Schatten der Berge, 1928

Der große Plan. Epos des sozialistischen Aufbaus, 1931

Deutscher Totentanz 1933, 1933

Deutschland, ein Lied vom Köpferollen und von den Nützlichen Gliedern, 1934

Gewißheit des Siegs und Sicht auf große Tage. Gesammelte Sonette 1935–1938, 1939

Wiedergeburt, 1940

Abschied, 1940

Deutschland ruft, 1942

Schlacht um Moskau, 1942

Dank an Stalingrad, 1943

Das Sonett, 1945

Ihr Mütter Deutschlands..., 1946

Heimkehr, 1947

Wiedergeburt. Buch der Sonette, 1947 (1987 in der Insel-Bücherei Nr. 1079 - ISBN 3-7351-0084-8)

Die Asche brennt auf meiner Brust, 1948

Neue deutsche Volkslieder, 1950

Auf andere Art so grosse Hoffnung (Tagebuch 1950), 1951

Schöne deutsche Heimat, 1952

Zum Tode J. W. Stalins, 1953 Lesbar hier

Der Weg nach Füssen, 1956

Schritt der Jahrhundertmitte, 1958

Lenin,(Jahr unbekannt)


Adressen: Als Kultusminister bewohnte Johannes R. Becher in Bad Saarow einen Bungalow am Friedrich-Engels-Damm 107, Bad Saarow, in Berlin nach 1945 Schlüterstraße 45, Majakowskiring 34



Text: Wikipedia

Bild: Wikipedia/Bundesarchiv, Bild 183-M0213-0307 / Otto Donath / CC-BY-SA

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