Kammergericht Berlin

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Geschichte

Das Kammergericht ist das älteste deutsche Gericht mit ununterbrochener Tätigkeit seit seiner Gründung. Erstmals wurde es 1468 urkundlich erwähnt. Als Hofgericht übte es im Namen des Kurfürsten von Brandenburg und in dessen Räumen (Kammern) dessen Gerichtsgewalt aus. Es war ein Gericht auf Grund des kurfürstlichen Ius de non appellando (lat. sinngemäß das Recht der letzten Instanz), also eine Institution, gegen deren Urteile keine Berufung vor den kaiserlichen Reichsgerichten möglich war – damit war es die höchste Gerichtsinstanz in Brandenburg, mithin in Preußen. 1735 wurde das Kammergericht unabhängig vom inzwischen königlichen Hof und bezog das Collegienhaus in der Lindenstraße. König Friedrich Wilhelm I. hatte hier durch Philipp Gerlach das erste große Verwaltungsgebäude seiner Regierungszeit erbauen lassen, um die verschiedenen zivilen, strafrechtlichen, geistlichen und ständischen Gerichte unter einem Dach zusammenzufassen. Heute ist das barocke Collegienhaus Teil des Jüdischen Museums.

Ein bekannter Kammergericht-Prozess aus dem 18. Jahrhundert war das Revisionsverfahren des Predigers Johann Heinrich Schulz (genannt Zopfschultz) gegen seine Suspendierung vom Dienst. In einem anderen Prozess, der als Indiz für die Unabhängigkeit des Kammergerichts gedeutet wurde, unterlag König Friedrich Wilhelm III., welcher der Stadt Berlin die Kosten für das Pflastern der Wege aufbürden wollte.

Einer der bedeutenden Prozesse des Gerichts im 19. Jahrhundert war der so genannten Polenprozess. Er war der erste öffentliche politische Prozess Preußens, fand aber wegen der großen Zahl der Angeklagten nicht im Gerichtsgebäude sondern im neuen Zellengefängnis Lehrter Straße statt. Seit 1853 war das Kammergericht für alle „Staatsverbrechen“ in Preußen zuständig.

Wegen des ständig wachsenden Raumbedarfs wurde zwischen 1909 und 1913 an der Elßholzstraße in Berlin-Schöneberg ein Neubau für das Kammergericht errichtet. Er entstand auf dem Gelände des früheren Botanischen Gartens, der seit 1679 hier zunächst als Küchen- und Obstgarten existierte, ab 1809 nach wissenschaftlichen Kriterien ausgebaut und Ende des 19. Jahrhunderts auf eine wesentlich größere Fläche nach Berlin-Dahlem verlegt worden war. Nördlich und südlich des neuen Gerichtsgebäudes reservierte man Freiflächen für eventuelle Erweiterungsbauten. Vor der nach Osten gelegenen Front des Gebäudes entstand zwischen 1909 und 1911 ein Park, der aus Anlass des 100. Todestages von Heinrich von Kleist am 21. November 1911 nach dem Dichter benannt wurde.

Von August 1944 bis Januar 1945 fanden im Kammergerichtsgebäude die Schauprozesse des sogenannten Volksgerichtshofes unter seinem Präsidenten Roland Freisler statt, in denen die Beteiligten am Attentat auf Adolf Hitler vom 20. Juli 1944 angeklagt und abgeurteilt wurden. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs beschlagnahmten die vier Siegermächte das Gebäude und brachten hier verschiedene administrative Einrichtungen unter, an erster Stelle den Alliierten Kontrollrat. Am 18. Oktober 1945 konstituierte sich im Plenarsaal das internationale Militärtribunal für die Nürnberger Kriegsverbrecher-Prozesse; nach Vereidigung der Richter und förmlicher Anklageerhebung vertagte sich das Tribunal nach Nürnberg, behielt aber gemäß Artikel 22 seiner Charta seinen ständigen Sitz in Berlin. Der Alliierte Kontrollrat verlor seine praktische Bedeutung, nachdem ihn die Sowjetunion im März 1948 aus Protest gegen die Deutschlandpolitik der drei westlichen Besatzungsmächte „vertagt“ hatte – danach trat er nie wieder zusammen, wurde aber formal erst nach der deutschen Wiedervereinigung aufgelöst. Am 3. September 1971 unterzeichneten die Botschafter der vier Alliierten im Plenarsaal das Viermächte-Abkommen über den Status Berlins. Als letzte gemeinsame Einrichtung nutzte bis 1990 die Alliierte Luftsicherheitszentrale 20 Räume des Gebäudes.

Seit der Wiedervereinigung steht das Gebäude wieder unter deutscher Verwaltung. Nach umfassender Sanierung sind darin neben dem Kammergericht der 1992 eingerichtete Verfassungsgerichtshof des Landes Berlin, die Generalstaatsanwaltschaft Berlin sowie mehrere Berufsgerichte untergebracht. Präsidentin des Kammergerichts ist seit 2002 Monika Nöhre (* 1951).


Gebäude

Für das Gebäude in der Elßholzstraße waren als Architekten hauptsächlich Rudolf Mönnich und Paul Thoemer (1851-1918) verantwortlich. Mönnich kam als Vierzigjähriger nach Berlin und arbeitete hier unter anderem als Regierungs- und Geheimer Baurat im preußischen Ministerium für öffentliche Arbeiten. Er war beteiligt an den Bauten des Kriminalgerichts Moabit in der Turmstraße (1902-1906) und des Amtsgerichts Wedding (1901-1906), entwarf das Landgericht Berlin und leitete den Bau der Amtsgerichte von Berlin-Lichtenberg, Berlin-Pankow und Berlin-Weißensee. Thoemer absolvierte schon sein Studium in Berlin und war danach im Staatsdienst tätig, zuletzt mit dem Titel eines Wirklichen Geheimen Oberbaurates. Im Ministerium für öffentliche Arbeiten bearbeitete er zunächst Eisenbahnhochbauten und wechselte dann in das Dezernat für Justizbauten. Mehrfach gemeinsam mit Mönnich entwickelte er in ganz Preußen Justizgebäude, darunter auch das besonders aufwändig gestaltete Amtsgericht Wedding in Berlin. Für die Erweiterung des Königlichen Polizeipräsidiums am Alexanderplatz entwarf er die Fassaden.

Das Kammergericht gehört zu einer größeren Zahl monumental-repräsentativer Justizbauten, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert für deutsche Gerichte und Justizbehörden errichtet worden sind, oft in Formen des Historismus. Die Amtsgeschäfte des Gerichts nahmen noch während der Entwurfsarbeiten für das Gebäude erheblich zu, sodass die ersten Entwürfe dem inzwischen erhöhten Raumbedarf angeglichen werden mussten. Das Kammergericht ist ein neobarockes, fünfgeschossiges Gebäude (einschließlich Sockelgeschoss) mit 38 Fensterachsen und ursprünglich 540 Räumen, es ist 135 Meter lang und in der Mittelachse 67 Meter tief. Die Gesamtkosten für den Bau betrugen 4.283.700 Mark. Als repräsentative Front mit Hauptportal wurde die zum Park hin gelegene Fassade behandelt. Schwerpunkt der Gestaltung ist hier ein reich dekorierter Mittel-Risalit, der um vier Meter aus der Fluchtlinie hervortritt. Der anfangs darüber errichtete Turm ist nicht mehr vorhanden. Er wurde im Zweiten Weltkrieg bei einem Bombeneinschlag in unmittelbarer Nähe des Gebäudes schwer beschädigt und nach Kriegsende wegen Einsturzgefahr abgerissen.

Die Wände der beiden großen Innenhöfe sind ornamentiert, die der kleineren Höfe mit glasierten weißen Ziegeln verblendet, was die Helligkeit fördern und die Reinigung erleichtern sollte. In allen Fluren sind die Wände gefliest, je nach Stockwerk in verschiedenen Farben. Über Fluren und Wartehallen finden sich Gewölbe in verschiedenen Ausformungen: römische Kreuzgewölbe, Tonnen-, Ring-, Kloster- oder Trichtergewölbe. Wie die Fassaden sind auch verschiedene Bereiche im Inneren des Gebäudes mit schmückenden Elementen versehen worden. Insbesondere die Eingangshallen und die haushohe Mittelhalle weisen figurative und ornamentale Bildhauerarbeiten auf. Mit Stuckarbeiten und mit Deckengemälden von Albert Maennchen ist der acht Meter hohe Plenarsaal ausgeschmückt. Auch die Empfangs- und Arbeitsräume des Gerichtspräsidenten und des Generalstaatsanwalt wurden besonders repräsentativ gestaltet. Die Gerichtsbibliothek enthält auf vier Ebenen – zwei durch Zwischendecken jeweils in der Höhe halbierten Etagen – Bücher in Regalen von insgesamt 7000 Meter Länge.

Eine bestimmende Sichtachse verläuft vom Hauptportal des Gerichtsgebäudes zu den Königskolonnaden am gegenüberliegenden Rand des Kleistparks. Dieses barocke Schmuckbauwerk des Architekten Carl von Gontard, 1777–1780 entstanden, war 1910 von seinem ursprünglichen Standort in der Königstraße am Alexanderplatz hierher umgesetzt worden. Auf dem Vorplatz des Hauptportals stehen rechts und links seitlich des Gebäudes zwei Bronzeskulpturen des russischen Bildhauers Peter Clodt von Jürgensburg; die Rossebändiger waren 1842 als Geschenk des Zaren Nikolaus I. an seinen Schwager Friedrich Wilhelm IV. nach Berlin gelangt und bis 1945 vor dem Berliner Stadtschloss aufgestellt.

1994 begannen umfangreiche Arbeiten zur Rekonstruktion und technischen Modernisierung des Gebäudes unter Federführung des Berliner Architektenehepaars Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte. Dabei wurden zum Beispiel Flure und Treppenräume farblich wieder hergestellt, zusätzliche Fluchtwege eingerichtet, Fahrstühle in den Höfen installiert. Der Ausbau des Dachgeschosses erbrachte fast 6000 m² neuer Nutzfläche, die Gesamtfläche betrug danach 35.165 m². Mehrfach wird im Gebäude an die Nutzung durch die Alliierten erinnert. Eine Pförtnerloge, die von den Amerikanern in der westlichen Eingangshalle errichtet worden war, genießt aus diesem Grund Bestandsschutz, ebenso die vier Fahnenstangen an der Ostfassade und eine schrankgroße, hölzerne Termintafel im östlichen Eingangsbereich.



Text: Wikipedia

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