Lietzenburger Straße 28 (Berlin)

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Siegelmarke vom Kaiserin Auguste Victoria-Haus

Professor Dr. Leopold (Leo) Langstein.

Als Sohn eines Rechtsanwalts jüdischen Glaubens wurde er am 13. April 1876 in Wien geboren. Im berühmten Schottengymnasium in Wien, das er 1893 verließ, erwarb er seine wissenschaftliche Vorbildung. In Wien und Heidelberg absolvierte er das Studium der Medizin und Chemie. Zum Doktor der Medizin promovierte er im Sommer 1899. Es folgten Tätigkeiten an der philosophischen Fakultät in Straßburg, als Arzt in der Kinderpoliklinik des Prof. Siegert und als Praktikant am physiologisch-chemischen Laboratorium des Prof. Dr. Hofmeister. Im Sommer 1902 erfolgte dann die Promotion zum Doktor der Philosophie. Anschließend arbeitete er als Arzt an der medizinischen Universitätsklinik in Basel bei Prof. Friedrich Müller.

Ende 1902 kam Dr. med. Langstein nach Berlin und war dort unter Leitung des Chemikers Emil Fischer mit Untersuchungen zum Thema Eiweißabbau beschäftigt. 1903 war er kurze Zeit als Assistent an der Universitätsklinik des Prof. Dr. Czerny in Breslau tätig. 1904 kam er an die Universitätsklinik in Berlin, wo er bei dem Altmeister der Kinderheilkunde Prof. Heubner tätig war und habilitierte sich 1908 als Privatdozent für Kinderheilkunde an der Universität Berlin.

Im Sommer 1909 erfolgte seine Berufung als Oberarzt an das neu eingerichtete „Kaiserin Auguste Victoria Haus“ zur Bekämpfung der Säuglings- und Kleinkindersterblichkeit. Im gleichen Jahr erfolgte seine Berufung zum außerordentlichen Professor. In diesem Haus wurde er am 1.Oktober 1911 Direktor dieser Heilanstalt.

Prof. Dr. L. Langstein wohnte zur damaligen Zeit in Berlin-Charlottenburg, in der Lietzenburger Straße. Bereits seit 1917 war er Pächter eines Waldgebietes in Biesenthal. 1920 aber verlegte er seinen Wohnsitz nach Biesenthal, indem er von dem Bankier Heinroth das Grundstück, die Villa und den dazugehörigen See, den Kleinen Wukensee, erwarb. Herr Heinroth kaufte 1891 vom Magistrat Biesenthal den Kleinen Wukensee und im darauf folgenden Jahr das umliegende Grundstück, auf welchem er 1892/93 die kleine Villa erbauen ließ.

In einem kleinen Büchlein, geschrieben von Dr. Th. Lennert über das Wirken und Leben von Prof. Dr. Langstein, fand ich eine kleine Notiz, einen Auszug aus einem Brief an seinen Freund: „Ich genieße eine schöne Hochwildjagd, die ich mir gepachtet habe, nur 40 Minuten von Berlin. Es handelt sich um ein großes Revier in Biesenthal i. d. Mark, idyllisch am Kleinen Wukensee gelegen, mit einem zweistöckigem massiven Jagdhaus, nebst ausgedehnten Gartenanlagen, Gewächshäusern, Ställen für Pferde, Kühe, Schweine und Jagdhunde, Bienenhäusern und Booten für den fischreichen See.“

In diesem kleinen Buch finden sich viel Anekdoten und Erlebnisse, überwiegend aus seiner Jagdzeit beschrieben. Er versorgte sogar die Klinik mit seinem selbst erlegten Wild. Herr Helmut Hilgendorf, Kaufmann in Biesenthal, war zur damaligen Zeit bei Prof. Langstein auch als Förster tätig.

Prof. Langstein war ein großer Bewunderer der kaiserlichen Familie, auch hat er sich stets für sozial Benachteiligte eingesetzt. So sorgte er dafür, dass die Tochter eines Gastwirts in Biesenthal, die an einer schlimmen Krankheit litt, auf seine Kosten als Privatpatientin des Professors im Westend-Krankenhaus aufgenommen wurde.

Weiterhin war er als Lehrer und Herausgeber von größeren Werken und Handbüchern, die dem Unterricht und der Forschung dienten, umfassend und unermüdlich tätig. Zahlreiche Orden und Auszeichnungen wurden ihm verliehen, z. B. 1917 Friedrich-Luisen-Medaille von seiner königlichen Hoheit, dem Großherzog von Baden und 1917 Friedrich-August-Kreuz vom Großherzog zu Oldenburg.

Als Präsident des Fünften Wohlfahrtsverbandes stellte er sich führend in den Dienst der Erhaltung und Weiterentwicklung des Anstaltswesens. All seine Titel, Tätigkeiten, Auszeichnungen und Ehrenämter an dieser Stelle aufzuzählen, würde jedoch den Rahmen sprengen.

In Biesenthal unterhielt das Ehepaar Langstein ein offenes Haus, in dem häufig besondere Festlichkeiten stattfanden. Das Ehepaar war in Biesenthal mit dem damaligen Stadtförster Klähr und seiner Gattin befreundet – deren Enkelin, Frau Drotleff, erzählte mir davon. Von Frau Mirbauer erfuhr ich auch einige Details, da ihre Eltern sowohl für den Bankier Heinroth als auch für Prof. Langstein tätig waren – der Vater war Hausmeister, die Mutter Hauswirtschafterin.

Von 1911-1933 war Prof. Dr. Langstein ärztlicher Direktor des Auguste-Viktoria- Krankenhauses. Aufgrund seiner jüdischen Abstammung wurde er am 7.Juni 1933 von der Gestapo in seinem Dienstzimmer des Krankenhauses aufgesucht und aufgefordert, das Krankenhaus sofort zu verlassen, da ein jüdischer Arzt nicht tragbar sei. Prof. Dr. Langstein konnte diese Erniedrigung nicht verkraften; das Krankenhaus war sein Lebenswerk. Er nahm sich kurze Zeit nach dem Auftritt der Gestapo das Leben, er erschoss sich.

In der „Biesenthaler Zeitung“ vom 9.Juni 1933 findet sich folgende Anzeige: „Am Mittwoch Nachmittag, 7.Juni 1933, verstarb plötzlich an Herzschlag Prof. Dr. Leo Langstein. Direktor, namhafter Forscher, Arzt und Wissenschaftler des Auguste-Victoria-Krankenhauses. Er war Besitzer des Jagdschlosses am Kleinen Wukensee und seit dem Jahr 1917 Pächter und Jäger der Oberheide in Biesenthal.“ So wurde von Seiten der Nazis öffentlich sein Schicksal verharmlost dargestellt.

Seiner Gattin wurde nahe gelegt, das Anwesen sofort zu verkaufen, da ihr ansonsten eine Zwangsversteigerung drohe. Sie verkaufte das Grundstück an den damaligen Viehhändler Bagusat und wanderte nach England aus. Da das Ehepaar keine Kinder hatte, war ich der Ansicht, dass auch keine weiteren Angehörigen verblieben sind. Doch dann bekam ich eines Tages Besuch von einem Ehepaar und die Dame erklärte mir, dass sie eine Verwandte von Frau Langstein sei. Sie konnte noch mit ein paar weiteren Informationen aufwarten. So erfuhr ich, dass die Grabstelle von Prof. Dr. Langstein bis 2007 vom Berliner Senat als Ehrengrab gepflegt wurde. Da diese Frist nun aber abgelaufen ist, hat die Verwandte die Grabstelle für weitere 20 Jahre verlängert und in Privatpflege übernommen. Weiterhin ließ sie zur Erinnerung und zum Gedenken an Prof. Dr. Langstein vor dem ehemaligen früheren Wohnhaus in Berlin am 18.März 2011 einen Stolperstein verlegen.

Gertrud Poppe