Ludwig Feuerbach

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Ludwig Andreas Feuerbach (* 28. Juli 1804 in Landshut; † 13. September 1872 in Rechenberg bei Nürnberg[1]) war ein deutscher Philosoph und Anthropologe, dessen Religions- und Idealismuskritik bedeutenden Einfluss auf die Bewegung des Vormärz hatte und einen Erkenntnisstandpunkt formulierte, der für die modernen Humanwissenschaften, wie zum Beispiel die Psychologie und Ethnologie, grundlegend geworden ist.

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Leben

Herkunft, Familie

Ludwig Feuerbachs Vater war der aus Frankfurt am Main stammende Rechtsgelehrte Paul Johann Anselm von Feuerbach (1775–1833, 1808 geadelt), der als einer der bedeutendsten Juristen der neueren Zeit in Deutschland und insbesondere als Begründer des modernen deutschen Strafrechts gilt. Wenige Wochen vor Ludwigs Geburt hatte er an der Bayerischen Landesuniversität in Landshut einen Lehrstuhl übernommen. Im Jahr 1806 wurde er in die Regierung nach München berufen, um das Strafrecht zu modernisieren. Noch im selben Jahr erreichte er für Bayern die Abschaffung der Folter, 1813 trat das von ihm ausgearbeitete Bayerische Strafgesetzbuch in Kraft. Nach einem Zwischenspiel in Bamberg war er von 1817 bis zu seinem Tod 1833 Präsident des Appellationsgerichts Ansbach, wo er sich auch mit dem Fall Kaspar Hauser befasste.

Ludwigs Mutter, geb. Eva Wilhelmine Tröster (* 1774 in Dornburg/Saale, † 1852 in Nürnberg), stammte aus bescheidenen Verhältnissen, hatte allerdings hochadelige Vorfahren: Ihr Großvater väterlicherseits war ein außerehelicher Sohn von Ernst August I., Herzog von Sachsen-Weimar, sie war also eine Cousine zweiten Grades von Großherzog Carl August, dem Freund und Förderer Goethes.[2] Sie hatte nur eine Dorfschule besucht, war jedoch vielfältig interessiert, auch am Werk ihres Sohnes Ludwig, dessen Religionskritik sie teilte. Sie war nach dem Zeugnis einer jüngeren Verwandten „bis ins hohe Alter eine gewinnende Erscheinung, von seltener Herzensgüte und Sanftmut“.[3]

Die fünf Söhne und drei Töchter des Strafrechtlers zeigten vielfältige Begabungen:[4] Anselm (1798–1851, Vater des Malers Anselm Feuerbach) war vielfach musisch begabt und wurde mit dem Werk Der vatikanische Apollo bekannt; Karl (1800–1834) promovierte als 22-Jähriger mit einer mathematischen Entdeckung (er beschrieb erstmals den nach ihm benannten Feuerbachkreis); Eduard (1803–1843) besaß die Anlagen zum Naturforscher, wandte sich allerdings dem Vater zuliebe der Rechtswissenschaft zu, die er schon als 24-Jähriger erst in München, dann in Erlangen lehrte; Friedrich (1806–1880) studierte Indologie und Sanskrit bei Friedrich Rückert, Christian Lassen und August Wilhelm Schlegel; er trat auch als Übersetzer und Autor hervor. Von den drei Schwestern ist eine musikalische Begabung bekannt. Helene dichtete und komponierte; nach einem unsteten Leben, das sie nach England und Frankreich geführt hatte, lebte sie bis zu ihrem Tod in Italien. Die beiden jüngeren, Leonore und Elise, blieben unverheiratet bei der Mutter.

Alle Brüder Ludwigs engagierten sich in ihrer Studienzeit in der Burschenschaftsbewegung, die in der ersten Zeit nach den Befreiungskriegen die einzige einigermaßen zielgerichtete Opposition gegen die Restauration darstellte. Anselm und Eduard gehörten vermutlich, Karl erwiesenermaßen, dem geheimen Jünglingsbund an, zu dessen Zielen eine republikanische Verfassung und Bürgerfreiheiten in einem geeinten Deutschland gehörten. Auch beim jungen Ludwig Feuerbach sind Sympathien für die studentische Bewegung belegt; eine aktive Beteiligung ist nicht nachweisbar.[5]

Kindheit, Jugend, Studium

Als Zweijähriger kam Ludwig Feuerbach nach München, wo er später die Elementarschule besuchte. Freundschaften seines Vaters brachten es mit sich, dass in der Familie etliche der Geistesgrößen des damaligen München verkehrten, unter ihnen der Philosoph Friedrich Heinrich Jacobi sowie die beiden Erneuerer des bayerischen Schulwesens, Friedrich Immanuel Niethammer und Friedrich Thiersch. Nach der Versetzung des Strafrechtlers nach Bamberg besuchte Ludwig dort die Oberprimärschule. 1816 trennten sich die Eltern für mehrere Jahre. Die Brüder Friedrich, Ludwig und Eduard zogen mit dem Vater nach Ansbach, die drei Schwestern blieben einstweilen bei der Mutter in Bamberg.

Nachdem Ludwig Feuerbach sich schon in der Gymnasialzeit in Ansbach intensiv mit Theologischem beschäftigt und dafür sogar beim örtlichen Rabbiner Hebräisch-Unterricht genommen hatte, begann er 1823 in Heidelberg ein protestantisches Theologiestudium[6]. Von der rationalistischen Theologie, die in Heidelberg von Heinrich Eberhard Gottlob Paulus gelehrt wurde, fühlte er sich heftig abgestoßen, doch der mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel befreundete Carl Daub machte ihn auf die Philosophie aufmerksam. 1824 ging er nach Berlin, wo er gegen den Widerstand des Vaters das Studienfach wechselte: Zwei Jahre lang hörte er sämtliche Vorlesungen, die Hegel in dieser Zeit hielt, die Logik sogar zweimal. Da er als Stipendiat des bayerischen Königs das Studium an einer Landesuniversität abzuschließen hatte, kehrte er 1826 nach Bayern zurück. Nach einem Jahr privater Studien in Philologie, Literatur und Geschichte belegte er in Erlangen Botanik, Anatomie und Physiologie und schrieb gleichzeitig seine Dissertation mit dem Titel: Über die Unendlichkeit, Einheit und Allgemeinheit der Vernunft. Im Juni 1828 promovierte er in Philosophie; am Ende desselben Jahres folgte die Habilitation. Wenige Wochen danach begann er, als unbesoldeter Privatdozent in Erlangen zu lehren.

Erlangen, Bruckberg, die ersten Werke

Die akademische Karriere verbaute sich Feuerbach durch die anonyme Erstlingsschrift Gedanken über Tod und Unsterblichkeit. Sie erschien 1830 kurz nach dem Ausbruch der Unruhen, die im Gefolge der Pariser Julirevolution zwei Jahre lang auch ganz Deutschland erschütterten und im Hambacher Fest gipfelten. Wegen ihres religionskritischen Inhalts wurde die Schrift sofort verboten und der Verfasser polizeilich ermittelt. Im Frühjahr 1832 brach Feuerbach seine Vorlesungstätigkeit unvermittelt ab.

Auf der Suche nach Alternativen schrieb er die Aphorismensammlung Abälard und Héloïse oder Der Schriftsteller und der Mensch sowie die Geschichte der neuern Philosophie von Bacon von Verulam bis Benedict Spinoza. Letztere trug ihm die Einladung der hegelianischen „Societät für wissenschaftliche Kritik“ zur Mitarbeit an ihren „Jahrbüchern“ ein. Zwei der gelieferten Beiträge erregten Aufsehen: Der eine griff mit dem konservativen Staatsrechtler Friedrich Julius Stahl einen herausragenden Theoretiker der Restauration an. Der andere, veranlasst durch eine Polemik des Kantianers C. Fr. Bachmann gegen die Hegelschule, geriet zur Rechtfertigungsschrift der idealistischen Philosophie überhaupt. Weil der Aufsatz wegen seiner Länge von den „Jahrbüchern“ nur auszugsweise akzeptiert wurde, veröffentlichte Feuerbach ihn als eigenständige Schrift unter dem Titel Kritik des „Anti-Hegels“. Eine Einleitung in das Studium der Philosophie.

Im Wintersemester 1835/36 hielt Feuerbach noch einmal Vorlesungen in Erlangen, dann nahm er endgültig Abschied vom universitären Lehrbetrieb. Im ländlichen Bruckberg nahe Ansbach hatte er den ihm zuträglichen Ort gefunden. Seine Geliebte Bertha Löw, die 1837 seine Ehefrau wurde, war dort Mitinhaberin einer Porzellanmanufaktur, die im ehemals markgräflichen Jagdschloss untergebracht war. Die kleine Fabrik warf zwar nur bescheidene Gewinne ab, bot aber freies Wohnrecht und umfangreiche Naturaliennutzung. 1839 wurde die erste Tochter „Lorchen“ geboren, 1842 die zweite, die jedoch sehr früh starb. Das einfache, aber insgesamt sorglose Leben auf dem Land entsprach Feuerbachs persönlichem Geschmack, und die völlige Freiheit von allen akademischen Rücksichten wurde, wie er selbst bekannte, zum „archimedischen Punkt“[7] in seinem philosophischen Entwicklungsgang.

In Bruckberg trieb Feuerbach zunächst ausgiebig naturkundliche Studien und schrieb einen zweiten, ausschließlich Leibniz und dessen Monadentheorie gewidmeten Band seiner Geschichte der neueren Philosophie.

Die epochemachende Religionskritik

Eine Verlagerung der Aufmerksamkeit brachte im Herbst 1837 Arnold Ruges Einladung zur Mitarbeit an den Hallischen Jahrbüchern, dem ab 1. Januar 1838 erscheinenden publizistischen Sammelbecken der Junghegelianer: Die Zeitung bot Feuerbach ein willkommenes Forum, um in die geistig-ideologischen Auseinandersetzungen der Restaurationszeit einzugreifen. Er tat es mit einer Reihe von Rezensionen und Aufsätzen, von denen einige zu seinen wichtigsten Schriften zählen, so Zur Kritik der 'positiven Philosophie' (1838) und Zur Kritik der Hegelschen Philosophie (1839). An der Debatte um den Kölner Bischofsstreit wollte er sich mit einer umfangreichen Stellungnahme beteiligen. Als der Abdruck in den Hallischen Jahrbüchern nach zwei Folgen von der Zensur verboten wurde, veröffentlichte er sie insgesamt als eigenständige Schrift unter dem Titel Über Philosophie und Christentum in Beziehung auf den der Hegelschen Philosophie gemachten Vorwurf der Unchristlichkeit. Gleichzeitig schrieb er eine Monographie über den Begründer der französischen Aufklärung, Pierre Bayle, die zum persönlichen Bekenntnisbuch wurde (1839).[8]

Die heftige Polemik gegen die als rückwärtsgewandt und unredlich kritisierte „Christentümelei“ der Restauration veranlasste ihn, dem Phänomen Religion auf den Grund zu gehen. Zwei Jahre lang, von 1839 bis 1841, arbeitete er am Hauptwerk Das Wesen des Christentums. Das Buch erschien im Frühjahr 1841 im Verlag Otto Wigand in Leipzig und machte Feuerbach schlagartig berühmt. Im selben Jahr entstanden sechs weitere Polemiken und Artikel; sie erschienen zunächst in den Hallischen Jahrbüchern und, als diese zensurhalber umbenannt und nach Dresden verlegt wurden, im Nachfolgeorgan Deutsche Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst. Zum größeren Teil sind sie Erläuterungen seiner Religionskritik und Erwiderungen auf inzwischen erschienene Kritiken des Wesens des Christentums. In Zur Beurteilung der Schrift: Das Wesen des Christentums wird bereits deutlich, dass sich Feuerbach während der Arbeit an seinem Hauptwerk auch von Hegel gelöst hat.

In den Anfang 1842 geschriebenen, wegen des Verbots durch die Zensur allerdings erst im Herbst 1843 erschienenen Vorläufigen Thesen zur Reformation der Philosophie entwickelte Feuerbach erstmals seine berühmt gewordene Kritik der spekulativ-idealistischen Philosophie. Im darauffolgenden Winterhalbjahr arbeitete er diese Kritik systematisch aus in Grundsätze der Philosophie der Zukunft. Danach konzentrierte er sich wieder auf die Fortführung der Religionskritik: Im Sommer 1843 hatte er sich intensiv mit Luther beschäftigt und daraufhin Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers geschrieben, wo er anhand von Zitaten aufzeigte, dass seine Sicht des Christentums schon beim großen Reformator angelegt gewesen sei. Zwei Jahre lang arbeitete er dann an einer Schrift, die in ihrer ersten Fassung weniger als achtzig Seiten stark ist: Das Wesen der Religion. In ihr fließen Religionskritik und weltanschaulicher Materialismus erstmals explizit zusammen.

Seit dem Erscheinen des Wesens des Christentums war auch Feuerbachs Privatleben wesentlich bewegter als zuvor. Er ging häufiger auf Reisen: Im Sommer verbrachte er regelmäßig einige Wochen bei Christian Kapp in Heidelberg. Im Hause dieses Freundes entspann sich die bekannte Liebesaffäre mit der Tochter Johanna Kapp: Sie verliebte sich als Sechzehnjährige so heftig in Feuerbach, dass sie lebenslang alle Aspiranten abwies, darunter August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Gottfried Keller (die Liebe war gegenseitig, Feuerbach „bereinigte“ die Affäre erst 1846 endgültig). In Heidelberg entstanden auch mehrere lebenslange Freundschaften, so mit Georg Herwegh, Friedrich Kapp und Jakob Moleschott. Im Sommer 1845 reiste Feuerbach von Heidelberg aus in die Schweiz, dann nach Köln und nach Westfalen. Häufiger war er auch in Nürnberg, wo inzwischen seine Mutter, zwei Schwestern und der jüngste Bruder Friedrich wohnten. Hier begann 1842 die Freundschaft mit Theodor Cramer, dem späteren Industriemagnaten Cramer-Klett, der sich zu dieser Zeit als Verleger in Nürnberg etablierte. In Bruckberg besuchte ihn erstmals Hermann Kriege, der einige Zeit mit Karl Marx und Friedrich Engels zusammenarbeitete und, obwohl wesentlich jünger, bei Feuerbachs Politisierung eine wesentliche Rolle spielte.

Durch seine in breiten Kreisen als befreiend empfundene Religions- und Idealismuskritik wurde Feuerbach zur intellektuellen Leitfigur der Dissidentenbewegungen des „Vormärz“. Ab 1842 erhielt er eine Reihe von Angeboten zur Mitarbeit an Zeitungen und Zeitschriften des oppositionellen Spektrums (so auch von der „Rheinischen Zeitung“). Er nahm keines wahr; eine Absage erteilte er 1843 auch Karl Marx, als dieser ihn für die in Paris erscheinenden (sehr kurzlebigen) Deutsch-französischen Jahrbücher gewinnen wollte. Marx ließ allerdings Das Wesen des Glaubens im Sinne Luthers im Pariser Vorwärts! abdrucken. Durch Lektüren und die Bekanntschaft mit einem Handwerksburschen entdeckte Feuerbach auch selbst die frühkommunistische Bewegung, die ihn begeisterte.[9]

1845 erhielt Feuerbach von seinem Verleger Otto Wigand das Angebot, seine Schriften in einer Werkausgabe zu versammeln. Bis 1866 erreichten diese Sämmtlichen Werke zehn Bände. Der erste erschien bereits 1846; Feuerbach überarbeitete alle seine Bücher aus den dreißiger Jahren, um der inzwischen vollzogenen Abkehr von der Hegelschen Philosophie Rechnung zu tragen. Auch das inzwischen in zweiter Auflage erschienene Wesen des Christentums unterzog er einer nochmaligen Revision.

Paulskirchen-Parlament, Heidelberger Vorlesungen

Nach dem Ausbruch der März-Revolution 1848 wurde Feuerbach von mehreren Seiten dazu aufgefordert, für die Frankfurter Nationalversammlung zu kandidieren. Er unterlag zwar bei der Kandidatenaufstellung knapp einem örtlichen Advokaten, ging aber dennoch als Beobachter nach Frankfurt, auch weil er glaubte, sich eine neue Existenz aufbauen zu müssen: Da die Bruckberger Porzellanfabrik zeitweilig zahlungsunfähig war, verlor seine Frau ihr Einkommen und dem Ehepaar drohte völlige Mittellosigkeit. In Frankfurt stand Feuerbach in engem Kontakt mit der Fraktion der radikaldemokratischen Linken. Zu den schon bestehenden Freundschaften mit Christian und Friedrich Kapp kamen hier wichtige neue Kontakte hinzu: Ludwig Bamberger, Julius Fröbel, Otto Lüning und Carl Vogt. Feuerbach erkannte sehr früh die Aussichtslosigkeit der parlamentarischen Bemühungen; auch auf außerparlamentarische Vereinigungen wie den Demokratenkongress, dessen eingeschriebenes Mitglied er war, setzte er kaum Hoffnungen. Im Herbst 1848 lud ihn eine studentische Delegation zu Vorlesungen in Heidelberg ein. Da die Universität die Aula verweigerte, las Feuerbach im Rathaussaal. Sein Publikum, etwa 250 Personen, bestand zu einem guten Drittel aus Studenten (darunter Gottfried Keller, der von Feuerbach „bekehrt“ wurde und das Erlebnis im Grünen Heinrich verarbeitete[10]), im Übrigen aus Bürgern, Handwerkern und Arbeitern. Für die Vorlesungen arbeitete Feuerbach die 1846 erschienene Schrift Das Wesen der Religion zu dreißig Vorlesungen aus, die 1851 als achter Band der Sämmtlichen Werke in Druckform erschienen.

Jahrzehnt der Reaktion

Im Frühjahr 1849 zog sich Feuerbach wieder nach Bruckberg zurück, von wo aus er voller Bitterkeit den endgültigen Zusammenbruch der Revolution in Europa verfolgte. Eine Weile lang spornte die Reaktion seinen Widerstandsgeist an. Sie habe, schrieb er 1851 einem Freund, „meinen Fleiß verdoppelt, meinen Geist konzentriert, meine Gallenabsonderung befördert“.[11]

Im Bruckberger Schloss scheint mehrere Jahre ein so reges Gehen und Kommen von Freunden, Gesinnungsgenossen und Bewunderern geherrscht zu haben, dass es die Aufmerksamkeit der Behörden erregte. Bruckberg sei, so heißt es in einem Polizeibericht, ein „fataler Herd der Demokratie und Irreligiosität“, und man vermute, dass dort „politische Verbrecher Aufnahme und Verbergung finden“. Im Ort wurde eigens eine Gendarmeriestation eingerichtet, um die Bewohner der Porzellanfabrik besser überwachen zu können.[12] Mehr als Landpartien in Orte der näheren Umgebung konnte man freilich der munteren Gesellschaft im Schloss nicht nachweisen.

Eine Weile spielte Feuerbach auch mit dem Gedanken an eine Emigration in die USA, doch die Pläne scheiterten am fehlenden Geld. 1850 gelang es ihm noch, zwei bissig ironische Artikel gegen die siegreiche Reaktion zu publizieren; der zweite, eine Rezension von Moleschotts Lehre der Nahrungsmittel für das Volk, wurde berühmt durch ein beiläufiges Wortspiel: „Der Mensch ist, was er isst.“[13] Neben einer zweibändigen Herausgabe von Nachlassschriften seines Vaters arbeitete er dann viele Jahre lang an der gelehrten Theogonie nach den Quellen des klassischen, hebräischen und christlichen Altertums, die 1857 erschien. Doch beide Werke fanden keine Resonanz mehr. Nachdem die Reaktion jeden politisch-emanzipatorischen Funken gründlich erstickt hatte, verschwand auch Feuerbachs Philosophie völlig aus dem öffentlichen Interesse; der allgemeine Defätismus verhalf der bislang fast unbekannten Schopenhauerschen Philosophie zu einem rasanten Aufstieg. Feuerbach hingegen wurde 1856 in einer Zeitungsmeldung sogar totgesagt. In Frankreich, England und den USA indes, wo Übersetzungen von Das Wesen des Christentums erschienen waren, begann er bekannt zu werden.

Rechenberg, Alterswerk

1859 war die Bruckberger Porzellanfabrik endgültig bankrott. Feuerbach und seine Frau verloren nicht nur alle investierten Ersparnisse, sondern auch ihr Wohnrecht und die Naturaliennutzung. Nach mühsamer Suche fand sich ein als Sommerwohnsitz konzipiertes Haus auf dem (heute zu Nürnberg gehörenden) Rechenberg, auf dem sich ein kleines Dorf entwickelt hatte, das damals noch vor den Toren Nürnbergs lag. Freunde aus der achtundvierziger Revolutionszeit bezahlten den Umzug und sammelten Spenden, die so reichlich flossen, dass Feuerbach nach einiger Zeit selbst um Einstellung der Sammlung bat. Von 1862 an erhielt er eine regelmäßig erneuerte Ehrengabe der eben geschaffenen Schillerstiftung, außerdem zwei Leibrenten: die eine von Ludwig Bamberger, der im französischen Exil zum einflussreichen Bankier aufgestiegen war, die andere vom Nürnberger Industriemagnaten Theodor von Cramer-Klett. Auch Besucher waren wieder häufiger. Da mit dem Anbruch der „Neuen Ära“ 1858 die Exilierten wieder einreisen durften, kamen Friedrich Kapp, Carl Vogt, Georg Herwegh, Ludwig Pfau und andere auf den Rechenberg. Das Haus bot freilich längst nicht die Ruhe und Idylle von Bruckberg. Feuerbach litt schwer unter dem Verlust seines „Musensitzes“ und fand auch nicht zur früheren Arbeitsfähigkeit zurück. Er rang sich dennoch eine Reihe kürzerer Texte ab, darunter die bedeutende Abhandlung Über Spiritualismus und Materialismus, besonders in Beziehung auf die Willensfreiheit.

Der preußisch-österreichische Krieg 1866 erschütterte Feuerbach zutiefst. Anders als früher verfolgte er jetzt mit gespannter Aufmerksamkeit das politische Geschehen. Bismarcks Einigungspolitik lehnte er entschieden ab, weil sie auf Gewalt gestützt war und in seinen Augen keine Freiheit brachte; hingegen studierte er den ersten Band von Marx’ Kapital kurz nach dessen Erscheinen und begeisterte sich für die in Amerika aufkommende Frauenbewegung. 1867 erlitt er einen leichten Schlaganfall, von dem er sich, vom freigeistigen Bergbauern Konrad Deubler eingeladen, im österreichischen Salzkammergut erholte. Im Frühjahr und Frühsommer 1868 begann er ein neues Buch über Moral und Willensfreiheit, doch im Sommer brach er die Arbeit daran ab. Am 20. Juli 1870 – am Vortag war der Deutsch-Französische Krieg erklärt worden – traf ihn ein zweiter, schwerer Schlaganfall, der sein geistiges Vermögen völlig zerstörte. Nur sehr beschränkt kontaktfähig, lebte Feuerbach noch etwas mehr als zwei Jahre. Am 13. September 1872 erlag er einer Lungenentzündung.

1869 war Feuerbach in die kurz zuvor von Wilhelm Liebknecht und August Bebel gegründete Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) eingetreten.[14] Um den Jahreswechsel 1871/72 rief eine der Partei nahestehende Zeitung dazu auf, für den angeblich verarmten Philosophen Geld zu sammeln. Zahlreiche andere Zeitungen übernahmen den Aufruf. Wenige Wochen später rief auch die auflagenstarke Familienzeitschrift Die Gartenlaube am Ende eines doppelseitigen Artikels über Feuerbach zu einem „Nationaldank“ auf. Die Spenden flossen so reichlich, dass für Frau und Tochter, um deren Zukunft Feuerbach gebangt hatte, ein bescheidenes, aber lebenslanges Auskommen gesichert war. Am Begräbnis auf dem Nürnberger Johannisfriedhof nahm eine, wie es in Zeitungsberichten hieß, „unübersehbare“ Menschenmenge teil: Neben zahlreichen bürgerlichen Vereinigungen hatte auch die mitgliederstarke Nürnberger Sektion der SDAP zur Massenkundgebung aufgerufen. Theodor von Cramer-Klett stiftete das Grabmal.


Text: Wikipedia

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