Physikalisch-Technische Reichsanstalt

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Die Physikalisch-Technische Bundesanstalt (PTB) ist das nationale Metrologie-Institut der Bundesrepublik Deutschland mit wissenschaftlich-technischen Dienstleistungsaufgaben, eine Bundesoberbehörde und bundesunmittelbare, nicht rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie.

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Geschichte

Zwei wesentliche Faktoren, die zur Gründung der Physikalisch-Technischen Reichsanstalt (PTR) führten, waren die Festlegung international gültiger, einheitlicher Maße in der Meterkonvention von 1875 und die dynamische industrielle Entwicklung in Deutschland im 19. Jahrhundert. Schon im Deutsch-Französischen Krieg war die Stagnation von wissenschaftlicher Mechanik und Instrumentenkunde in Deutschland offenbar geworden. Für die industrielle Fertigung wurde immer präzisere Messtechnik benötigt. Maßgeblichen Einfluss auf die Initiative zur Gründung eines Staatsinstituts für Messtechnik zur Förderung der nationalen Interessen von Wissenschaft, Handel und Militär nahm vor allem die aufstrebende Elektroindustrie unter Führung des Erfinders und Industriellen Werner Siemens. Anders als bei den Längen- und Gewichtseinheiten existierten im elektrischen Messwesen zu dieser Zeit noch keine anerkannten Methoden und Standards. Das Fehlen von zuverlässigen und verifizierbaren Messmethoden für die Darstellung elektrischer (und anderer) Maßeinheiten war ein drängendes wissenschaftliches und auch wirtschaftliches Problem.

1872 schlossen sich einige preußische Naturwissenschaftler zusammen und forderten die Einrichtung eines Staatsinstituts, das dieses Problem lösen sollte. Denn für Industrielaboratorien war diese Aufgabe wissenschaftlich zu ambitioniert und außerdem nicht lukrativ, und auch klassische Lehrinstitute waren der Aufgabe nicht gewachsen. Zu den Unterstützern der nach ihrem Autor Karl Heinrich Schellbach benannten „Schellbach-Denkschrift“ gehörten unter anderem Hermann von Helmholtz und der Mathematiker und Physiker Wilhelm Foerster. Doch Preußen erteilte ihren Forderungen vorerst eine Absage.

Erst einige Jahre später, im Jahr 1887, gelang es Werner Siemens gemeinsam mit Hermann von Helmholtz, den „Gründervätern“ der PTR, ihre Vision wahr werden zu lassen: die Einrichtung eines Forschungsinstituts, das wissenschaftliche, technische und industrielle Interessen optimal verknüpfen sollte. Am 28. März beschloss der Deutsche Reichstag den ersten Jahresetat der PTR – die Gründung der ersten staatlich finanzierten außeruniversitären Großforschungseinrichtung in Deutschland, die freie Grundlagenforschung mit Dienstleistungen für die Industrie verband. Siemens stellte der Reichsanstalt ein privates Gelände in Berlin-Charlottenburg zur Verfügung. Hermann von Helmholtz wurde ihr erster Präsident. In dieser Zeit beschäftigte die PTR 65 Personen, darunter mehr als ein Dutzend Physiker, und verfügte über ein Budget von 263.000 Reichsmark. In ihren ersten Jahrzehnten gelang es der PTR, bedeutende Wissenschaftler als Mitarbeiter und Mitglieder des Kuratoriums für sich zu gewinnen, darunter Wilhelm Wien, Friedrich Kohlrausch, Walther Nernst, Emil Warburg, Walther Bothe, Albert Einstein und Max Planck. Die PTR und die Geburt der Quantenphysik

Eng mit Max Planck verbunden war auch die erste herausragende wissenschaftliche Leistung der PTR. Um zu entscheiden, ob Elektrizität oder Gas für die Berliner Straßenbeleuchtung wirtschaftlicher wäre, sollte die PTR ein präziseres Lichtstärkenormal entwickeln. Dazu entwickelten Otto Lummer und Wilhelm Wien 1895 den ersten Hohlraumstrahler zur praktischen Erzeugung der Wärmestrahlung Schwarzer Körper. Ihre Messungen des Spektrums der Schwarzkörperstrahlung waren dabei so präzise, dass sie dem Wien'schen Strahlungsgesetz bei langwelliger Strahlung widersprachen. Damit geriet ein Grundpfeiler der damals klassischen Physik ins Wanken. Die Messungen brachten Max Planck dazu, in einem „Akt der Verzweiflung“ – wie er es selbst später ausdrückte – die Wärmestrahlung in getrennte Portionen aufzuteilen – die Geburtsstunde der Quantenphysik. Neue Struktur und Neue Physik

1914 hob PTR-Präsident Emil Warburg die Unterteilung in eine physikalische und eine technische Abteilung auf und gliederte die PTR in Fachabteilungen für Optik, Elektrizität und Wärme mit rein wissenschaftlichen und technischen Unterabteilungen. Unter Warburgs Nachfolger Walther Nernst wurde darüber hinaus die Reichsanstalt für Maß und Gewicht in die PTR eingegliedert. Eine neu gegründete Abteilung übernahm von dieser umfangreiche Aufgaben für das Eichwesen und die damit verbundenen Messungen von Länge, Gewicht und Volumen. Damit entsprach das Aufgabenprofil im Wesentlichen dem der heutigen PTB: Die PTR sollte durch eigene Forschung und Entwicklung und darauf aufbauende Dienstleistungen für die Einheitlichkeit des Messwesens und dessen stete Weiterentwicklung sorgen. Inhaltlich widmete sich die PTR in dieser Zeit der sogenannten Neuen Physik. Dazu gehörten u.a. die Forschung an der gerade entdeckten Röntgenstrahlung, neue Atommodelle, Einsteins Spezielle Relativitätstheorie, die Quantentheorie (ausgehend von der erwähnten Arbeit am Schwarzen Strahler) und die Erforschung der Eigenschaften des Elektrons. Beteiligt an dieser Forschung waren Wissenschaftler wie Hans Geiger, der das erste Radioaktivitätslabor der PTR aufbaute. Walther Meißner gelang die Verflüssigung von Helium, was ihn zur Entdeckung der Supraleitfähigkeit einer Reihe von Metallen führte. Dabei erkannte er zusammen mit seinem Kollegen Robert Ochsenfeld einige Jahre später, dass Supraleiter die Eigenschaft besitzen, ein von außen angelegtes Magnetfeld aus ihrem Inneren zu verdrängen – der Meißner-Ochsenfeld-Effekt. Die PTR im Dritten Reich

Mit der Einsetzung von Johannes Stark als Präsident am 1. Mai 1933 erhielt die Ideologie des Nationalsozialismus Einzug an der PTR. Der überzeugte Verfechter einer Deutschen Physik beendete diverse Forschungsprojekte zu Themen der modernen Physik, die er als „jüdisch“ bezeichnete, darunter vor allem Arbeiten zur Quantenphysik und zur Relativitätstheorie. Auch bemühte Stark sich, das Führerprinzip an der PTR durchzusetzen, indem er 1935 das Kuratorium auflöste und dessen Kompetenzen selbst übernahm. Jüdische Mitarbeiter und Kritiker der NSDAP (wie Max von Laue) wurden entlassen. Von Laue beteiligte sich nach dem Zweiten Weltkrieg an der Neugründung der PTB. Albert Einstein, der bereits vor dessen Auflösung aus dem Kuratorium geworfen worden war, brach seinen Kontakt zur PTR/PTB ab.

Unter Stark und ab 1939 unter seinem Nachfolger Abraham Esau widmete sich die PTR stark der Rüstungsforschung. Ein neu gegründetes Labor für Akustik sollte nicht nur allgemeine, sondern vor allem auch militärische Anwendungsgebiete erforschen. Dazu gehörten unter anderem die akustische Ortung von Geschützen, die militärische Nutzung von Ultraschall und die Entwicklung von Verschlüsselungsverfahren. Forscher der PTR entwickelten außerdem akustische Minen und ein Lenksystem für Torpedos, das sich am Schallfeld fahrender Schiff orientierte. Auch über ihre klassischen metrologischen Aufgaben war die PTR eng mit der Rüstungsindustrie des Dritten Reiches verbunden. Da exakte Maße eine Grundvoraussetzung für die Herstellung von Kriegsgerät sind, wuchs der Reichsanstalt eine Schlüsselrolle in der Rüstungsproduktion und Wehrtechnik zu. Das Ausmaß, in dem sich die PTR darüber hinaus am deutschen Kernwaffenprojekt beteiligt hat, ist umstritten. Bekannt ist, dass Abraham Esau vor seiner Zeit als PTR-Präsident bis August 1939 eine Forschergruppe zur Kernspaltung leitete. Später übernahm er die „Fachsparte Kernphysik“ im Reichsforschungsrat, der ab dem Frühjahr 1942 das deutsche Uranprojekt betreute. Kurz darauf unterstellte Hermann Göring die Arbeitsgruppe unter dem ehemaligen PTR-Physiker Kurt Diebner der Abteilung V für Atomphysik an der PTR. Esau erhielt den Titel „Bevollmächtigter des Reichsmarschalls für Kernphysik“, ein Amt, das er jedoch bereits Ende 1943 an Walther Gerlach abtrat.

Um den Bombenangriffen der Alliierten zu entgehen, wurde die PTR 1943 auf Initiative des Präsidenten und thüringischen Staatsrates Abraham Esau an verschiedene Orte in Deutschland verlegt, etwa nach Weida und Ronneburg in Thüringen und Bad Warmbrunn in Niederschlesien. Bei den Angriffen auf Berlin wurden die Gebäude der PTR schwer beschädigt. 1945 war die Reichsanstalt faktisch zerschlagen und über das ganze Land verstreut. Die Neugründung der PTB in Braunschweig und andere PTR-Nachfolger

Etwa ab 1947 entstanden neben der PTR in Berlin-Charlottenburg für die Sowjetische Besatzungszone in Ost-Berlin sowie in der Bizone und späteren Trizone Nachfolgeeinrichtungen. Mit wohlwollender Unterstützung der britischen Militärregierung wurden Teile der alten Reichsanstalt in Braunschweig angesiedelt. Ideen für diese Neugründung hatte der ehemalige PTR-Berater für Theoretische Physik, Max von Laue, bereits während seiner Internierung in Farm Hall. 1947 konnte er die britischen Behörden überzeugen, die ehemalige Luftfahrtforschungsanstalt in Völkenrode bei Braunschweig für den PTR-Nachfolger zur Verfügung zu stellen. Erster Präsident wurde 1948 Wilhelm Kösters, langjähriger Direktor der Abteilung 1 in Berlin, dem zahlreiche ehemalige PTR-Mitarbeiter aus Berlin, Weida und Heidelberg nach Braunschweig folgten. Die neue Einrichtung erhielt den Namen Physikalisch-Technische Anstalt (PTA) und seit 1. April 1950 Physikalisch-Technische Bundesanstalt; in diese wurde 1953 die West-Berliner PTR als „Institut Berlin“ unter Wahrung des Vier-Mächte-Status Berlins eingegliedert.

In der DDR hatte sich mit Hauptsitz in Berlin das Deutsche Amt für Maß und Gewicht (DAMG) etabliert, das nach mehreren Umbenennungen in den letzten DDR-Jahren die Bezeichnung Amt für Standardisierung, Meßwesen und Warenprüfung (ASMW) trug; der Name deutet schon an, dass es umfangreichere Aufgaben besaß als die PTB der BRD, nämlich noch Aufgaben im Bereich der Normung, der Qualitätssicherung und das Tätigkeitsfeld der Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM). Wachstum und Wiedervereinigung

Die junge PTB wuchs rasch in den Jahren nach der Neugründung – sowohl personell als auch in der finanziellen Ausstattung. Das wissenschaftliche Profil auf metrologischem Terrain wurde ebenso ausgebaut wie die Dienstleistungen für die Industrie, insbesondere in Form von Kalibrierungen von Messgeräten. Dies führte in den 1970er Jahren zur Gründung des Deutschen Kalibrierdienstes, der Dienstleistungsaufgaben an akkreditierte privatwirtschaftliche Laboratorien delegierte und der PTB ermöglichte, sich auf anspruchsvolle Messaufgaben zu beschränken.

Von 1967 bis 1995 betrieb die PTB den Forschungs- und Messreaktor Braunschweig, der vor allem als Neutronenquelle zur Grundlagenforschung und nicht zur Erforschung der Kernenergie diente. Mit diesem kontroversen Thema war die PTB von 1977 bis 1989 vor allem über ihre Aufgabe der „Sicherstellung und Endlagerung radioaktiver Abfälle“ befasst, bevor diese mit der Gründung des Bundesamts für Strahlenschutz aus der Bundesanstalt ausgegliedert wurde. Mit ionisierender Strahlung im Allgemeinen beschäftigt sich heute die Abteilung 6. Dazu gehört auch eine hochempfindliche Spurenmessstelle für Radionuklide, die seit mittlerweile 50 Jahren radioaktive Stoffe in bodennaher Luft misst.

Nach der „Wende“ kam es 1990 auch zu einer „metrologischen Wiedervereinigung“. Die PTB übernahm Teile des ASMW, darunter allein 400 Mitarbeiter sowie den Standort Berlin-Friedrichshagen als zusätzliche Außenstelle (mittlerweile wieder aufgegeben). Andere Teile des ASMW gingen in der BAM auf. Trotz einer Phase der Personalkürzungen nach dem starken Ausbau infolge der Wiedervereinigung gehört die PTB heute zu den größten nationalen Metrologie-Instituten der Welt. Als solches ist sie für die Darstellung und Weitergabe der physikalischen Einheiten verantwortlich und befördert die weltweite Einheitlichkeit des Messwesens.


Adresse: Abbestraße 2–12 in Berlin, Hauptsitz heute Bundesallee 100, 38116 Braunschweig

Text: Wikipedia

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