Rauhes Haus

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Ansichtskarte vom Schulhaus

Das Rauhe Haus ist eine 1833 begründete Stiftung der Diakonie in Hamburg.

Die Stiftung ist heute mit verschiedenen Einrichtungen, Wohngruppen und Stadtteilbüros im Raum Hamburg vertreten und betreut Kinder, Jugendliche und ihre Familien, alte Menschen, geistig Behinderte und psychisch Kranke. Sie unterhält außerdem die allgemeinbildende Evangelische Wichern-Schule, die Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie und die Evangelische Berufsschule für Altenpflege. Die Stiftung „Das Rauhe Haus“ wurde am 12. September 1833 in der Hamburger Börsenhalle gegründet. Der damals 25-jährige Theologe Johann Hinrich Wichern (1808–1881) hatte führende Hamburger Politiker und Kaufleute davon überzeugen können, dass es für die verwahrlosten und verwaisten Kinder aus den Elendsvierteln nur eine Hoffnung geben könnte: Ein „Rettungsdorf“ vor den Toren der Stadt. In dessen Rahmen wurde 1874 auch die Schule Paulinum gegründet, aus der sich die heutige Wichern-Schule entwickelte.


Geschichte

1832 lernt Wichern als Sonntagsschullehrer die Not im Armenviertel der Hamburger Vorstadt St. Georg kennen. Die Menschen – besonders die Kinder – lebten hier unter schlimmsten sozialen und hygienischen Bedingungen. Für Wichern steht fest: Diesen Kindern muss geholfen werden, indem man sie aus den städtischen Elendsverhältnissen herausführt.

Zu dieser Zeit ist Horn ein Dorf mit 600 Einwohnern, sechs Kilometer vor den Toren Hamburgs, das damals etwa 100.000 Einwohner hat. Senatssyndikus Karl Sieveking besitzt hier ein Flurstück, zu dem auch eine Bauernkate gehört, die von alters her „Ruges Hus“ genannt wurde. Richtig wäre die Übersetzung zu „Rotes Haus“ (entsprach der Farbe der roten Backsteinziegel, mit denen das Fachwerk ausgekleidet war), fälschlich wurde aber ins Hochdeutsche mit „Rauhes Haus“ übersetzt.


Historischer Kontext

Das Rauhe Haus entstand in einer von der beginnenden Industrialisierung geprägten Epoche. In dieser Zeit veränderte sich die Gesellschafts- und Wirtschaftsordnung. Die beginnende Industrialisierung hatte Auswirkungen auf viele Bevölkerungsschichten. Die Bauernbefreiung führte zu Umwälzungen in der Landwirtschaft; viele Landarbeiter suchten nach neuen Arbeitsstellen in den immer mehr anschwellenden Metropolen. Auch die Handwerker waren von Arbeitslosigkeit durch die große Konkurrenz von Fabriken und Manufakturen bedroht.

In den Städten führte das Überangebot an Arbeitskräften zu sinkenden Löhnen und zur Verarmung des Stadtproletariats. Die Arbeiter waren deklassiert und politisch sowie gesellschaftlich weitgehend rechtlos. Sie hatten kaum soziale Absicherungen und nur wenige Gesetze dienten den Arbeitern zum Schutz ihrer Gesundheit und ihres Lebens. Die traditionellen Strukturen der Großfamilie, also das Leben aller Generationen (auch der Knechte, Mägde und Tagelöhner) unter einem Dach, waren zerbrochen. Die Bevölkerung war zudem noch sprunghaft angewachsen, was die wirtschaftlichen und sozialen Probleme verstärkte.


Handlungsansatz – Rettungshaus

Ins Rauhe Haus wurden Kinder und Jugendliche aufgenommen, die straffällig geworden oder sozial gefährdet waren, aber auch Kinder, die durch das damals bestehende soziale System fielen. Das Ziel der Arbeit im Rauhen Haus war es, die Jugendlichen zu befähigen, ihren Platz im Leben zu finden und auf eigenen Füßen zu stehen. Sie sollten in das Volk und die christliche Gemeinschaft integriert werden. Die Absicht Wicherns bestand darin, die Kinder und Jugendliche auf das harte Leben in Armut vorzubereiten. Die Arbeit im Rauhen Haus sollte nach Wichern ausschließlich von der christlichen Gemeinde bezahlt werden und ohne staatlichen Zuschuss erfolgen.

Die zentralen Elemente der Pädagogik Wicherns sind: Freiheit, Unterricht, Berufsausbildung, Gespräche, Feste und Feiern, Gottesdienst sowie das Familienleben.


Aufnahme ins Rauhe Haus

Durch die „Befreiung“ der Kinder aus der sozialen und seelischen Verwahrlosung sollte ihnen ein Neuanfang und ein Hintersichlassen der Vergangenheit ermöglicht werden. Zum Schutz des Kindes wurde es aus der verwahrlosten Umgebung entfernt und ins Rauhe Haus aufgenommen. Der Empfang eines jeden Kindes war ein Fest und wurde mit großer Sorgfalt vorbereitet. Das Kind wurde gebadet, bekam neue Kleider. Danach wurden alle, auch das Kind, dazu angehalten über das Geschehene vor der Zeit im Rauhen Haus zu schweigen, welches die Grundlage für ein Vertrauensverhältnis zwischen dem Erzieher und dem Kind darstellt.


Erziehung im Rauhen Haus

Das Leben der Jugendlichen und Kinder bestand aus Lernen, Arbeiten und Feiern. Damit sie in einer Atmosphäre der Vertrautheit und Geborgenheit aufwachsen konnten, geschah die Erziehung mit Hilfe des Familienprinzips. Die Erziehung der Kinder erfolgte in und durch die „Familie“. Mehrere zusammengehörige Familien lebten auf einem Gelände. Jede Familie hatte ihre eigene Wohnung bzw. ihr eigenes Haus. Die Familiengruppen bestanden aus max. 12 Kindern und wurden von einem erwachsenen, elterlichen und geschwisterlichen Freund, dem Erzieher, betreut. Zu Beginn des Rauhen Hauses gab es nur Familiengruppen bestehend aus Jungen und einem männlichen Betreuer, später kamen dann auch Mädchenfamilien mit Erzieherinnen hinzu. Die Kinder sollten das Arbeiten lernen und eine realistische Vorstellung von den Anforderungen der Arbeitswelt bekommen. Ihnen stand ein Angebot an den überwiegend handwerklichen Berufsmöglichkeiten der Schusterei, Tischlerei, Schneiderei, Drechslerei, Spinnerei, Glaserei, Malerei, Druckerei und Landwirtschaft zur Auswahl. Sie stellten all das her, was zum Leben gebraucht wird. Die Erzieher hatten auch die Funktion der Ausbilder.


Nachbetreuung

Während der Zeit, in denen die Kinder und Jugendlichen im Rauhen Haus lebten, hielten die Erzieher weiterhin Kontakt zu deren Eltern, besuchten sie und boten ihnen Hilfe und Beratung an. Es wurde versucht, das Verhältnis zwischen den Eltern und den Kindern wieder zu ordnen. Die Rückkehr eines Kindes ins Elternhaus wurde als optimale Lösung gesehen, was aber selten möglich war. Durch die Vermittlung Wicherns hatten die Jugendlichen beim Verlassen des Rauhen Hauses eine Lehrstelle oder standen in einem anderweitigen Arbeitsverhältnis. Jedoch hörte die Fürsorge für die jungen Menschen nach der Entlassung mit ca. 17 Jahren nicht auf. Die Kinder gehörten ein Leben lang zu der Gemeinschaft des Rauhen Hauses, ähnlich wie bei einer „richtigen“ Familie. Durch Ehemaligentreffen und andere Feste konnten Kontakte gepflegt und erhalten bleiben.



Text: Wikipedia

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