Wanderer-Werke

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Die Wanderer-Werke waren ein bedeutender deutscher Hersteller von Fahrrädern, Motorrädern, Autos, Lieferwagen, Werkzeugmaschinen und Büromaschinen, der im Jahr 1885 in Chemnitz gegründet wurde. Den Namen „Wanderer“ bezogen die beiden Firmengründer Winklhofer und Jaenicke aus der Übersetzung der Bezeichnung „Rover“, die der Engländer John Kemp Starley seinen Fahrrädern gegeben hatte.

Die Kraftfahrzeugsparte wurde 1932 in die Auto Union eingebracht und somit zum Vorläufer der heutigen Audi AG. Die übrigen Betriebsteile wurden nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet und unter anderen Namen fortgeführt (Werkzeugmaschinenkombinat Fritz Heckert, Astra/Ascota-Buchungsmaschinenwerk, Elrema).

In der Bundesrepublik war die Wanderer-Werke AG zuletzt als Finanzholding ohne eigenen Geschäftsbetrieb tätig und ging im Juli 2010 in die Insolvenz. Die Marke Wanderer wurde daraufhin von dem in Köln ansässigen Fahrradhersteller Hercules erworben.

Reklamemarken

Verzeichnis der Reklamemarken und Siegelmarken.

Geschichte bis 1945

1885: Beginn der Fahrradherstellung

Die Wurzeln von Wanderer gehen bis in das Jahr 1885 zurück. In diesem Jahr gründeten Johann Baptist Winklhofer und Richard Adolf Jaenicke in Chemnitz die am 26. Februar 1885 ins Handelsregister eingetragene Gesellschaft „Chemnitzer Velociped-Depôt Winklhofer & Jaenicke“ zum Verkauf und zur Reparatur von Fahrrädern. Wenig später fertigten sie bereits einige Hochräder selbst an und ab dem Winter 1885/1886 wurde eine fabrikmäßige Herstellung vorbereitet. Winklhofer und Jaenicke firmierten daher ab 4. Januar 1887 als „Chemnitzer Veloziped-Fabrik Winklhofer & Jaenicke“.

1894 erwarben Winklhofer und Jaenicke ein Areal von 19.000 m² in Schönau bei Chemnitz und bauten dort ein Verwaltungs- und Lagerhaus mit 52 Metern Front, einen Shedbau mit 2.500 Quadratmetern Nutzfläche, ein Maschinenhaus, ein Kesselhaus, einen Stall und eine Wagenremise. Für sich selbst ließen die Unternehmer gegenüber ein Doppelwohnhaus errichten. Um 1900 war Wanderer zu einem bedeutenden Unternehmen auf dem Fahrradmarkt geworden und hielt verschiedene Patente, unter anderem für die erste deutsche Zweigang-Nabenschaltung.

Ausweitung der Produktion auf Werkzeugmaschinen, Motorräder, Schreibmaschinen und anderes

Ab 1899 begann Wanderer mit der Serienproduktion von Fräsmaschinen.[3] Dieser Schritt war maßgeblich dadurch motiviert, dass die zur damaligen Zeit auf dem Markt verfügbaren Fräsmaschinen nicht die Genauigkeitsanforderungen Winklhofers und Jaenickes erfüllten.

Das erste Motorrad wurde 1902 gebaut, 1903/1904 begann die Serienproduktion von Schreibmaschinen unter der Marke Continental und 1909 die von Additions- bzw. Zweispeziesrechenmaschinen.

Die Wanderer-Werke selbst konzentrierten sich sehr erfolgreich auf die Produktion hochwertiger Werkzeugmaschinen, Schreibmaschinen, Rechenmaschinen und Fahrräder. Das Radsportteam des Unternehmens konnte viele sportliche Erfolge erringen. Die fast lautlos arbeitende Schreibmaschine Wanderer Continental silenta war mit ihrem speziellen Hebelwerk weltweit konkurrenzlos.

Pkw-Modelle

1905 entstand der erste Auto-Prototyp Wanderermobil, 1907 folgte der zweite und 1911 wurde auf dem Berliner Autosalon der Wanderer 5/12 PS Typ W1 gezeigt. 1913 konnte die Automobil-Serienproduktion aufgenommen werden. „Wir hatten einen ganz niedlichen, kleinen Wagen im Auge, kleiner als alle bisher gebauten Wagen, niedrig im Anschaffungspreis, sparsam im Benzin-, Gummi- und Ölverbrauch, anspruchslos im Platzbedarf, aber großen Wagen gleich an Schnelligkeit und im Nehmen von Steigungen“, schrieb Winklhofer später.

In Anlehnung an die im selben Jahr in Berlin uraufgeführte Operette Puppchen von Jean Gilbert wurde das zierliche Auto (1,5 m breit, 3 m lang) nach einer Aufführung in Chemnitz vom Volksmund Puppchen genannt. Bereits 1913 kam die Weiterentwicklung zum W2, der 15 PS leistete. Die weitere Entwicklung ging bis zum W8 5/20 PS 1926/1927. Zur Ausweitung der Autoproduktion baute Wanderer ein weiteres Werk im Chemnitzer Vorort Siegmar, das 1927 die Produktion aufnahm. Für den Nachfolger des Puppchen wurde 1930 bei Ferdinand Porsche in Stuttgart die Konstruktion eines Sechszylinder- und zweier Achtzylinder-Motoren in Auftrag gegeben. Nur der Sechszylinder debütierte 1931 im W14 12/65 PS mit einem Dreiliter-Leichtmetallmotor, denn Probleme des Unternehmens ließen es von der Fahrzeugproduktion abrücken. Auch auf Druck der Dresdner Bank, die Wanderer Kredite über fünf Millionen Reichsmark gewährt hatte, verkaufte Wanderer Lizenzen für die schweren Motorräder an den tschechischen Ingenieur František Janeček, der damit die Motorradmarke Jawa gründete, und schloss Mitte 1932 mit der auf Bestreben der Sächsischen Landesbank gegründeten Auto Union AG einen Kauf- und Pachtvertrag für das moderne Wanderer-Fahrzeugwerk in Siegmar ab. Der Auto-Union-Konzern produzierte neben Audi, DKW und Horch weiter Kfz der Mittelklasse unter der Marke Wanderer.

Unter der Regie der Auto Union kam 1933 der W21, ein direkter Konkurrent des Mercedes-Benz 170, auf den Markt. Insgesamt bot die Marke Wanderer ab diesem Jahr eine breitgefächerte Modellpalette von sechs Karosserien mit drei Motoren an. Vom erfolgreichsten Modell Wanderer W24 wurden von 1937 bis 1940 rund 22.500 Exemplare hergestellt. Eine Besonderheit mehrerer Wanderer-Modelle war in der damaligen Zeit eine geteilte Windschutzscheibe.

Geschichte ab 1945

Enteignung und Zerschlagung in der DDR

Nach dem Krieg kam es am 30. Juni 1946 zu dem von der sowjetischen Besatzungsmacht wohlwollend geduldeten Volksentscheid über die Enteignung von Kriegs- und Naziverbrechern. Aufgrund dieses Volksentscheids wurden sowohl die Wanderer-Werke als auch die Auto Union enteignet und bis 1948 teilweise demontiert und als Reparationsleistungen in die Sowjetunion verbracht. Anschließend wurden die Werke zerschlagen und als Volkseigene Betriebe (VEB) neu geordnet:

Das Autowerk in Siegmar wurde dem Industrieverband Fahrzeugbau (IFA) zugeordnet und ging später in den VEB Barkas-Werken auf (heute VW-Motorenwerk Chemnitz).

Der Werkzeugmaschinenbereich wurde zunächst als VEB Wanderer-Fräsmaschinenbau weitergeführt, 1951 in VEB Fritz-Heckert-Werk umbenannt und später zum Stammbetrieb des VEB Werkzeugmaschinenkombinat „Fritz-Heckert“ (heute Starrag Group).[4]

Die wechselvollste Geschichte hatte der Büromaschinenbetrieb in Schönau: Er wurde zunächst zum VEB Wanderer-Continental Büromaschinenwerk unter dem Dach der VVB Mechanik. 1953 wurde er mit der ehemaligen Astrawerke AG zum VEB Büromaschinen Chemnitz fusioniert, zwei Jahre später aber schon wieder als VEB Industriewerk Karl-Marx-Stadt ausgegliedert und mit der Produktion von Flugzeugmotoren beauftragt. Die Produktion von Schreibmaschinen wurde an das Optima Büromaschinenwerk Erfurt abgegeben, Rechen- und Buchungsmaschinen wurden fortan im VEB Buchungsmaschinenwerk Karl-Marx-Stadt (vormals Astrawerke) weiterentwickelt und hergestellt. Nach dem plötzlichen Ende des DDR-eigenen Flugzeugbaus 1961 fertigte man im Industriewerk Hydraulikpumpen und Motoren für die Fahrzeugindustrie. Ein kleiner Teil überlebte die Wiedervereinigung als Sachsenhydraulik GmbH und ging später an den US-Konzern Parker-Hannifin.[5]

Neuanfang in Westdeutschland

Als Folge von Enteignung und Verstaatlichung in der DDR führten Eigentümer und Manager der Wanderer-Werke das Unternehmen in Westdeutschland fort. So tagte im Jahr 1948 in München eine außerordentliche Hauptversammlung der Wanderer-Werke AG und beschloss, den Sitz der Gesellschaft von Chemnitz nach München zu verlegen. Ab 1949 wurden wieder Fahrräder und Mopeds gehandelt, hergestellt von der Firma Meister in Bielefeld. Daraus entwickelte sich die heutige Wanderer-Werke AG; die Automobilproduktion wurde indes nicht wieder aufgenommen. Büromaschinen

In den 1950er Jahren setzte Wanderer die Tradition als Büromaschinenhersteller fort. Das Unternehmen beteiligte sich 1953 zunächst zu 50 % an der Exacta Büromaschinen GmbH und späteren Exacta Continental GmbH in Köln. 1960 folgten die restlichen 50 %. Damit war Wanderer der damals größte westdeutsche Büromaschinenproduzent.

Um mit der rasanten Entwicklung des modernen Informatik Schritt halten zu können, hatte Wanderer einen elektronischen Tischrechner, die Wanderer Logatronic für die Mittlere Datentechnik entworfen, dessen Elektronik Wanderer beim Computerpionier Heinz Nixdorf entwickeln ließ. Infolge einer Unternehmenskrise wurde das Unternehmen 1968 schließlich an Nixdorf verkauft und bildete von nun an den industriellen Kern der Nixdorf Computer AG.

Holding und Insolvenz

Fahrräder mit dem Markennamen „Wanderer“ wurden seit 1998 wieder hergestellt. Seit 2006 geschah dies unter Federführung der Zwei plus zwei GmbH in Köln. Dort werden die Fahrräder entwickelt, in Deutschland hergestellt und von ausgewählten Fachhändlern vertrieben. Die Wanderer-Werke AG treten dabei lediglich als Lizenzgeber für den Markennamen auf.

Ansonsten stellte sich die Wanderer-Werke AG 2008 als Finanzholding ohne eigenen Geschäftsbetrieb mit den Sparten Poststellen-Verwaltung (engl. „mailroom management“) (über eine 50,1-%-Beteiligung an der börsennotierten Böwe-Systec-Gruppe), Kraftfahrzeugteile (Carl Kittel Autoteile GmbH, Kittel Supplier GmbH) und Verpackungsmaterialien (Karl Fislage GmbH & Co. KG, Merseburger Verpackung GmbH) dar. Zuletzt wurde der Konzern über zwei Jahrzehnte von Claus Gerckens geführt.[6]

Als höchst problematisch erwies sich dabei die Tatsache, dass große Teile des Unternehmens auf Kredit finanziert worden waren. Die Kredite wurden dabei nicht nur durch Banken, sondern auch zwischen den Unternehmenstöchtern vergeben. Als die Sparte Kraftfahrzeugteile im Zuge der Absatzkrise der Automobilindustrie hohe Verluste einfuhr und sich gleichzeitig die Übernahme des US-Konkurrenten Bell & Howell durch die Böwe-Systec-Gruppe als Fehlinvestition herausstellte, ließen sich die Defizite nicht mehr auffangen, und die Wanderer-Gruppe brach Stück für Stück zusammen.[7][8][9] Das Insolvenzverfahren wurde im Juli 2010 eröffnet. Während die Sparte Verpackungen noch über ein Management-Buy-Out an eine Investorengemeinschaft[10] und Böwe Systec an die Possehl-Gruppe[11] verkauft werden konnten, musste der Bereich Kraftfahrzeugteile mit seinen rund 500 Mitarbeitern gänzlich schließen.[12] Nur die Fahrräder wurden bis März 2013 noch unter dem Markennamen Wanderer produziert, zuletzt von der Zwei plus zwei GmbH. Seit 2017 gehört die Domain www.wanderer.de der Hercules GmbH aus Köln, die weiterhin unter dem Markennamen Wanderer Fahrräder vertreibt.

Text: Wikipedia

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