Annemarie Renger

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Annemarie Renger, geb. Wildung (* 7. Oktober 1919 in Leipzig; † 3. März 2008 in Remagen-Oberwinter), war eine deutsche Politikerin (SPD). Sie war von 1972 bis 1976 Präsidentin und von 1976 bis 1990 Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages.

Familie

Annemarie Renger stammt aus einer sozialdemokratischen Familie. Schon ihr Großvater war aktiver Sozialdemokrat. Sie war eines von sieben Kindern des Tischlers, SPD-Politikers und Sportfunktionärs Fritz Wildung (1872–1954) und dessen Ehefrau Martha (1881–?). Die Mutter trat im Jahre 1908 der SPD bei – dem Jahr, in dem Frauen überhaupt erstmals Mitglied der Partei werden konnten. Der Vater wurde 1924 Geschäftsführer der Zentralkommission für Arbeitersport in Berlin. Die Nazis belegten ihn mit einem Berufsverbot und verfolgten ihn. 1938 heiratete Annemarie Wildung den Werbeleiter Emil Ernst Renger, der 1944 in Frankreich fiel. Ihr gemeinsamer Sohn Rolf Renger (1938–1998) konnte den Vater nie richtig kennenlernen. Er war fast sein ganzes Leben lang aktiver Sozialdemokrat und an der Seite seiner Mutter. Er starb 10 Jahre vor ihr. Mit 26 Jahren war Annemarie Renger zum ersten Mal Witwe und hatte drei ihrer Brüder im Krieg verloren. 1945 lernte sie Kurt Schumacher kennen, dessen enge Vertraute und Lebensgefährtin sie bis zu seinem Tod 1952 wurde. Von 1965 an war Annemarie Renger in zweiter Ehe mit dem aus Jugoslawien stammenden Volkswirt Aleksandar Loncarevic verheiratet, der 1973 verstarb. Ab 1965 lebte sie in Oberwinter-Birgel, zuletzt gemeinsam mit ihrer Enkeltochter, deren Ehemann und zwei Urenkeln.

Ausbildung und Beruf

Annemarie Renger besuchte zunächst das Berliner Augusta-Lyzeum, das sie 1934 verlassen musste, weil ihr wegen der sozialdemokratischen Gesinnung der Eltern das damals notwendige Stipendium entzogen wurde. Notgedrungen absolvierte Renger anschließend eine Verlagslehre, die sie mit der Kaufmannsgehilfenprüfung erfolgreich abschloss; bis 1945 war sie dann als Verlagskauffrau in Berlin tätig. Danach arbeitete sie als Privatsekretärin des SPD-Vorsitzenden Kurt Schumacher in dem nach ihm benannten Büro Dr. Schumacher. Daneben leitete sie ab 1946 das Büro des SPD-Parteivorstandes zunächst in Hannover und danach in Bonn.

Partei

Die Beziehung zur SPD überdauerte die Schrecken des Nationalsozialismus. Die neu gewonnene Freiheit nach dem Untergang des Hitler-Regimes wollte Annemarie Renger nutzen: „Vor uns lag das Trümmerfeld Deutschland. Ich war fest entschlossen, mich politisch zu engagieren und am Aufbau eines demokratischen Deutschland mitzuwirken. Ich wollte mithelfen, dass die Welt keinen Krieg mehr erleben muss.“ Ab 1945 war Annemarie Renger Mitglied der SPD. Am 1. Oktober trat sie eine Stelle als Privatsekretärin Kurt Schumachers an. Sie sagte später, schon mit zehn Jahren sei ihr Berufswunsch „Parteisekretärin“ gewesen. Auf den von den Nazis im KZ gequälten SPD-Vorsitzenden Schumacher wurde sie aufmerksam, als sie seine Rede mit dem Titel „Wir verzweifeln nicht“ las; sie beschloss daraufhin, den Autor dieser Zeilen kennenzulernen. Das berühmte Foto, auf dem Annemarie Renger den schwer kranken, wegen seiner Bein- und Armamputation behinderten Kurt Schumacher stützt,[1] ist „geradezu eine Ikone der Nachkriegsgeschichte“ geworden.[2] Von 1962 bis 1973 war sie Mitglied im SPD-Bundesvorstand, von 1970 bis 1973 auch im Präsidium der SPD. Von 1979 bis 1983 war sie Mitglied der Kontrollkommission der SPD. Renger gehörte neben Egon Franke zu den führenden Köpfen der so genannten „Kanalarbeiterriege“ in der SPD.

Bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten 1979 trat sie als Kandidatin der SPD an, unterlag aber mit 431 Stimmen dem Kandidaten der Unionsparteien Karl Carstens, der 528 Stimmen erhielt. Die 66 Vertreter der FDP in der Bundesversammlung hatten sich der Stimme enthalten.

„Sie hat die SPD also nicht nur als eine politische Interessenvertretung wahrgenommen, sondern vor allem als eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten. Diese Gemeinschaft sprach nicht nur den Verstand, sondern auch Herz und Gefühl an. Hier lernte sie die Welt nicht nur zu betrachten, sondern zu begreifen. Hier fand sie Halt. Hier entstand der Wille, die Welt verbessern zu helfen. Die Bindungen und Formungen, die hier entwickelt wurden, waren so stark, dass sie ein Leben lang hielten.“

– Gerhard Schröder, Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland a.D.[3]

Abgeordnete

Annemarie Renger wurde 1953 in den Deutschen Bundestag gewählt, dem sie danach bis 1990 ununterbrochen angehörte. Von 1959 bis 1966 war sie außerdem Mitglied der Beratenden Versammlung des Europarates und der WEU. Von 1969 bis 1972 war sie Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion und damit die erste Frau, die in den engeren Fraktionsvorstand der SPD-Fraktion einzog.

Nachdem die SPD nach der Bundestagswahl 1972 erstmals die stärkste Fraktion stellte, wurde sie am 13. Dezember 1972 als erste Frau in das Amt des Präsidenten des Deutschen Bundestages gewählt. Sie war damit die erste Frau der Welt an der Spitze eines frei gewählten Parlaments.[4] Dazu sagte Renger später: „Ich habe mich in der Fraktion selber für das Amt des Bundestagspräsidenten vorgeschlagen. Glauben Sie, man hätte mich sonst genommen?“ Annemarie Renger bei einer Tagung von SPD-Bundesarbeitsgemeinschaften

Gleichzeitig war sie auch Vorsitzende der „Unterkommission Haushalt“ und der „Kommission für Fragen der Besteuerung der Abgeordneten-Diäten“ des Ältestenrates des Bundestages und auch des Gemeinsamen Ausschusses nach Artikel 53a des Grundgesetzes. Nach der Bundestagswahl 1976 stellten wieder CDU und CSU die stärkste Fraktion und Annemarie Renger wurde von Karl Carstens abgelöst. Renger selbst wurde zur Vizepräsidentin des Bundestages gewählt. Dieses Amt bekleidete sie bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Deutschen Bundestag im Dezember 1990 und war auch in dieser Zeit Vorsitzende diverser Kommissionen des Bundestags-Ältestenrates. Vom 24. Juni 1977 bis 1983 war Renger außerdem stellvertretende Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Bundestages.

Bei der Bundestagsabstimmung am 22. November 1983 über einen SPD-Antrag[5] zum NATO-Doppelbeschluss, in dem weitere Verhandlungen mit der Sowjetunion vor der Stationierung neuer Mittelstreckenraketen gefordert wurden, enthielt sie sich, gemeinsam mit 24 weiteren Fraktionskollegen (unter anderem Helmut Schmidt sowie Egon Franke, Dieter Haack, Karl Ahrens und Hans Matthöfer vom rechten SPD-Flügel), der Stimme.[6]

Gesellschaftliches Engagement

Ab 1985 war Renger Präsidentin des Arbeiter-Samariter-Bundes. Von 1987 bis 1998 war sie Aufsichtsratsvorsitzende der McDonald’s Kinderhilfe und 1991 bis 1995 Vorsitzende der „Vereinigung ehemaliger Mitglieder des Deutschen Bundestages und des Europäischen Parlaments e. V.“. Weiter war sie Vorsitzende des Zentralverbandes demokratischer Widerstandskämpfer- und Verfolgtenorganisationen und Präsidentin der Kurt-Schumacher-Gesellschaft sowie von 1990 bis 1992 Präsidentin der Europäischen Bewegung Deutschland.[7]

Ehrungen

Annemarie Renger wurde in vielfältiger Weise für ihr besonderes Engagement im deutsch-jüdisch-israelischen Verhältnis ausgezeichnet. Sie leitete vierzehn Jahre lang die Deutsch-israelische Parlamentariergruppe. 1992 erhielt Renger gemeinsam mit Hildegard Hamm-Brücher die Buber-Rosenzweig-Medaille. Man verlieh ihr die Ehrendoktorwürde der Ben-Gurion-Universität des Negev und im Jahre 2006 den Heinz-Galinski-Preis der Jüdischen Gemeinde Berlin. Des Weiteren erhielt sie das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland.

Zu Ehren ihres Lebens fand am 13. März 2008 ein Trauerstaatsakt in Berlin statt.[8]

Ihre letzte Ruhestätte fand sie auf dem Bonner Südfriedhof.

Trivia

Sie galt gemeinhin als „Grande Dame“, als letzte große Dame der deutschen Sozialdemokratie, dies nicht nur wegen ihres politischen Einflusses, ihres im sozialdemokratischen Milieu verankerten Lebenslaufes oder schlicht ihres Alters, sondern auch aufgrund ihres Auftretens. Renger legte großen Wert auf Stil und Auftreten; man sagte ihr eine Vorliebe für Sportwagen und Pelze nach, auch ihr Haar war perfekt frisiert. Legendär sind die Anekdoten, dass sie 1980 den neugewählten SPD-Abgeordneten und seinerzeitigen Juso-Vorsitzenden Gerhard Schröder freundlich, aber resolut auf das Fehlen einer Krawatte aufmerksam machte: „Genosse Schröder, wenn morgen die Wahl des Bundeskanzlers ist, bindest Du Dir aber eine Krawatte um, wie es sich gehört.“ Schröder folgte der Anweisung und sagte später: „Für sie war die korrekte Kleidung Ausdruck des Respekts vor einem Verfassungsorgan des demokratischen Deutschlands. Die Institutionen der parlamentarischen Demokratie waren zu achten. Sie strahlten für Annemarie Renger eine eigene Würde aus, die nicht verletzt werden durfte.“[9] Im Jahre 1987 trat der Grünen-Abgeordnete Thomas Ebermann recht leger gekleidet ans Rednerpult im Plenarsaal des Deutschen Bundestages. Renger wies ihn kurz und unmissverständlich darauf hin: „Machen Sie Ihr Hemd zu.“ Dies geschah so klar, dass sogar Ebermann dem Folge leistete.


Adresse: Bülowstraße 29, Berlin-Schöneberg


Text: Wikipedia

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