Eichwalde unterm Hakenkreuz: Unterschied zwischen den Versionen

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33  Kreisarchiv, B.E., Nr.145.<br />   
 
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34  Ploetz, S.52.<br />
 
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== 2. Machtausbau ==
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Am 6. April 1933 versammelten sich im Rathaussaal die neugewählten Gemeindevertreter zu ihrer ersten Sitzung. Die Zeitung berichtete: " Der Saal war festlich mit schwarz-weiß-roten und Hakenkreuzfahnen geschmückt."  Laut vorläufiger Flaggenverordnung des Reichspräsidenten Hindenburg galten seit dem 12. März 1933 die schwarz-weiß-rote Fahne und die Hakenkreuzfahne als gemeinsame Reichsfahnen. Es war eine von den Nazis wegen noch nicht eindeutiger Mehrheitsverhältnisse im Reichstag ungeliebte Zwischenlösung. Der Doppelzustand wurde mit dem Reichsflaggengesetz vom 15. September 1935 beseitigt und die Hakenkreuzflagge zur alleinigen Reichsfahne. Obwohl es anscheinend Äußerlichkeiten waren, ließen die Reichsfarben schwarz-weiß-rot, die sich auch in der Hakenkreuzfahne fanden, die Symbiose konservativer Feinde der Weimarer Republik mit der Hitlerbewegung erkennen.
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Eichwaldes Weg unter dem Hakenkreuz hatte - anscheinend endgültig - begonnen.
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Zur Festigung der faschistischen Diktatur ging die NSDAP zielstrebig an die weitere Vernichtung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie. Um dafür freie Hand zu bekommen, entledigte sich die Hitlerregierung mit dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" (‘Ermächtigungsgesetz’) am 23. März 1933 aller Bindungen der Verfassung und jeglicher parlamentarischer Kontrolle. Der Errichtung einer totalitären Herrschaft stand nichts mehr im Wege. Am 24. März 1933 dankte der Reichsverband der deutschen Industrie Hitler für die Sicherung der Wirtschaft vor 'Störungen' und 'politischen Schwankungen'.
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Mit dem Ermächtigungsgesetz hatte sich das NS-Regime den Anschein der Legalität verschafft. Die Regierung selbst konnte jetzt ohne das Parlament sogar von der Verfassung abweichende Gesetze zur Stabilisierung der NS-Diktatur erlassen. Um gegen möglichen Widerstand von Parlamenten der deutschen Länder und Gemeinden die Reichsregierungspolitik einheitlich verwirklichen zu können, wurden nacheinander sogenannte Gleichschaltungsgesetze erlassen. Begrifflich abgeleitet von dem am 31. März erlassenen " Vorläufigen Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich ", leiteten sie den Stabilisierungsprozeß der NS-Herrschaft ein, die rein formal erst im "Reich", aber noch nicht in den Ländern etabliert war.  Mit diesem Gesetz wurde zunächst deren Selbständigkeit beseitigt, ihre Parlamente  ohne Neuwahlen umgebildet ( in Preußen durch Gesetze vom 17.Juli sowie vom 15. Dezember 1933 ) und schließlich am 30. Januar 1934 mit dem "Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" beseitigt. Am 7. April 1933 wurden mit einem weiteren Gesetz sogenannte Reichsstatthalter zur Überwachung der von Hitler bestimmten politischen Richtlinien eingesetzt. Sie konnten in ihren Ländern Regierungen ernennen und Gesetze erlassen. Hitler, der in Preußen selbst die Rechte eines Statthalters ausübte, übertrug Göring als preußischem Ministerpräsidenten und Innenminister Befugnisse zu deren Wahrnehmung. Dieser ließ im Preußischen Landtag gegen die Stimmen der SPD - die KPD-Abgeordneten waren bereits ausgeschlossen, verfolgt und verhaftet - am 18. Mai extra ein preußisches Ermächtigungsgesetz für die preußische Staatsregierung beschließen, mit dem nach den Märzwahlen die Gleichschaltung Preußens zu Ende geführt wurde.  Er hatte bereits das Geheime Staatspolizeiamt mit Sitz in Berlin errichtet und mit besonderen Vollmachten ausgestattet, welche bald auf ganz Deutschland ausgedehnt wurden.
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Die Gleichschaltungsgesetze stärkten die Reichsgewalt, also den Platz Hitlers als Reichskanzler und seiner als Diktatoren praktizierenden Statthalter. Dem Willen des "Führers" wurde alles untergeordnet, diese Beseitigung parlamentarischer Demokratie als Sieg verkündet. Weil für die Durchsetzung einer derartigen Politik eine willfährige Beamtenschaft erforderlich war, wurde am 7. April das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums"  erlassen. Es begann die sogenannte Säuberung der staatlichen Verwaltung und nicht nur dort.  Die "Gleichschaltung“ erwies sich als verschleiernde Bezeichnung für die mit offenem Terror gepaarte Methode der Machteroberung, als Sprachregelung für all jene Ereignisse, die nichts anderes als die Zerschlagung, Ausschaltung und Vernichtung bestehender bürgerlich-demokratischer Strukturen, politischer Gegner, besonders der Arbeiterparteien, der Gewerkschaften, Organisationen, Verbände und Vereine waren.
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Für das Eichwalder 'Gemeindeparlament' bedeuteten alle diese Vorgänge folgendes:
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Eine Aufhebung und Neubildung der Gemeindevertretung war durch die eben  abgehaltenen Wahlen in Preußen im Unterschied zu den anderen Ländern zunächst nicht erforderlich. Aber selbst hier sollte dem 'Ortsparlament' nur noch formal eine  Lebenszeit bis Dezember beschieden sein. Noch sollte alles sehr demokratisch aussehen, obwohl längst die Beseitigung des parlamentarischen Systems durch die Nazis in vollem Gange war. Außerdem konnte man nun endlich den politischen Gegnern im Ort zeigen, wie gerne man gewillt war, die neuen politischen Machtverhältnisse zu genießen und auszuspielen. Wie einleitend erwähnt, trat am
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6. April 1933 die von der NSDAP dominierte neugewählte Gemeindevertretung im Rathaussaal zu ihrer ersten Sitzung zusammen und wurde vom bisherigen Amts- und Gemeindevorsteher, Hans Friedrich, per Handschlag zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet. Am 16. April ließ ein Pressebericht durchblicken, wie die SPD-Vertreter bei der Wahl der Gemeindeschöffen isoliert worden waren.  Vor der Wahl der Gemeindeschöffen hatten sich NSDAP und die Kampffront 'Schwarz-Weiß-Rot' Eichwaldes auf gemeinsame Kandidaten geeinigt. Die "KönigsWusterhausener Zeitung“, die sich immer offensichtlicher als NS-Blatt profilierte, schrieb triumphierend:" Eine erdrückende Mehrheit der nationalen Regierungsparteien wird hinfort die Geschicke unseres Ortes leiten “.  Die beiden Sitze der SPD wurden im Juli annulliert. Als sich die bürgerlichen Parteien im Juni /Juli von selbst auflösten, wurden die zwei Vertreter der Kampffront 'Schwarz-Weiß-Rot' in die NSDAP-Fraktion der Eichwalder Gemeindevertretung aufgenommen. Der Spitzenkandidat der "Unpolitischen Bürgerliste“, Kaufmann Erich Michler, legte sein Amt als Gemeindevertreter, vermutlich im Zusammenhang mit der Auflösung dieser Parteien, im Juli 1933 nieder. An seine Stelle trat der Klempnermeister Walter Schmidt.
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Nachdem KPD und SPD, die Hauptgegner des NS-Regimes, ausgeschaltet waren, verboten und verfolgt wurden, kam die Reihe an die Gewerkschaften.  Die Hitler-Regierung hatte den Internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeiter, den 1. Mai, zum gesetzlich festgelegten "Tag der nationalen Arbeit “ bestimmt. Demagogisch wurde diese Tradition der Arbeiterbewegung mißbraucht und der Tag mit überall angesetzten Massenkundgebungen als Generalprobe für weitere Manipulationen im Zeichen einer sogenannten "Volksgemeinschaft“ begangen. Erstmals 1933 auf dem Berliner Tempelhofer Feld zentral durchgeführt und gleichzeitig in Eichwalde 'in neuer Weise' veranstaltet, wurde der 1. Mai  zu einem monströsen Spektakel aufgezogen. Kirchenglocken läuteten, alle Nazi-Formationen, militaristischen Vereine, Feuerwehr, sonstige Gruppierungen und Sparten bewegten sich schon seit 7 Uhr bei Blasmusik durch den Ort und hörten die "kernige“ Ansprache des kommissarischen Ortsgruppenleiters der NSDAP. Auf dem Volksfestplatz, dem heutigen Schillerplatz, ertönte ab 9 Uhr die Lautsprecher-Übertragung der Goebbelsrede aus dem Berliner Lustgarten. Von angeblich 1000 Teilnehmern wurde laut Zeitung berichtet, 10 Tage später diese nicht sehr beeindruckende Zahl auf 4000 geschönt. Besonders wurde auf die Speisung von etwa 700 Bedürftigen, von Arbeitslosen und Empfängern von Wohlfahrtsgeld, hingewiesen. Der Hitlerstaat sollte als Ordnung der Gerechtigkeit, Gleichheit und  Fürsorge angesehen werden. Deshalb hatten Firmeninhaber und Geschäftsleute, die bald "Gefolgschaftsführer“ hießen, am 1.Mai in Reih und Glied mit ihren Arbeitern und Angestellten zu marschieren.
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Eichwalder KPD-Mitglieder und Arbeitersportler kamen an diesem Tag auf verschiedenen Straßen und Wegen mit Gleichgesinnten aus dem ganzen KPD-Unterbezirk zu einer durch Antifaschisten weiträumig gesicherten illegalen Maifeier bei Grünheide zusammen.  Ein Jahr später, als wieder nach nun erprobtem NS-Muster der 1. Mai in Eichwalde veranstaltet wurde, stellte man einen Film über den Verlauf dieses Tages im Ort her, der als Vorfilm bei Kinoveranstaltungen gezeigt wurde.
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Am 2. Mai 1933 wurden die Gewerkschaften zerschlagen und ihre Mitglieder in die am 10. Mai gebildete und der NSDAP angeschlossene "Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) genötigt. Führende Gewerkschaftsfunktionäre kamen in sogenannte 'Schutzhaft '. Einige Gewerkschaftsführer, die in der Eichwalder Gewerkschaftssiedlung an der Waldstraße wohnten und nun verfolgt wurden, verließen Deutschland. So der Vorsitzende im Hauptvorstand des „Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der  öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs“, Mitglied des Reichstages Anton Reißner (1890-1940), der nach seiner Festnahme im April 1933 und mehreren Monaten Haft in die Niederlande  emigrierte.  Nach  Auflösung  der  Gewerkschaften  und  Bildung  der
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"Deutschen Arbeitsfront " mit der NS-Gemeinschaft  "Kraft durch Freude“( KdF) wurde in Eichwalde zunächst eine Ortsgruppe der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO), seit Januar 1934 die DAF installiert.
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Das " Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums “ vom 7. April 1933 galt natürlich auch in Eichwalde als Maßstab für eine Weiterverwendung im Staatsdienst. Es richtete sich vornehmlich gegen Parteimitglieder und Sympathisanten linker Parteien sowie gegen alle politisch unzuverlässigen Beamten. Wer auch nur im Verdacht stand, republikanisch zu denken, wurde in den Ruhestand versetzt. Überall begann eine Welle politischer "Säuberungen“, die " Bereinigung des Personalbestandes von Juden und Marxisten", die Ausschaltung aller Personen, die irgendwelcher Antipathien gegen den Faschismus verdächtigt wurden, besonders in  öffentlichen Verwaltungen und Einrichtungen.
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Der seit Dezember 1921 tätige und mit Wirkung vom 28. Mai 1925 für 12 Jahre bestätigte Amts- und Gemeindevorsteher Friedrich wurde trotz seines beflissenen Bekenntnisses zur 'nationalen Bewegung' offenbar nicht länger für geeignet gehalten, seine Arbeit fortzusetzen. Er wurde am 25. Juli 1933 zunächst durch den Referendar Louis Hähner abgelöst, der zuvor als kommissarischer
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Gemeindevorsteher in Schulzendorf tätig gewesenen war, sich hier bereits nach Meinung der Nazis "bewährt" hatte und nun in Eichwalde gleichfalls kommissarisch als Amts- und Gemeindevorstehers eingesetzt wurde.
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Das Beamtengesetz war mit dem §3, dem "Arierparagraphen“, zugleich die erste Maßnahme einer legalisierten Judenverfolgung. Danach galt als "nichtarisch“, wer einen jüdischen Elternteil oder Großelternteil hatte. Schon1939 versuchte der deutsche Publizist Sebastian Haffner die Frage zu beantworten, wer eigentlich ein Nazi sei. Er schrieb:
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" Woran erkennt man ihn? Sicherlich nicht daran, daß er eine Hakenkreuzfahne aus seinem Fenster hängt. Heute tut das jeder in Deutschland. Es bedeutet nichts. Er ist auch nicht daran erkennbar, daß er Mitglied irgendeiner NS-Gliederung oder der Partei ist. Jeder, der eine Familie hat, für die er sorgen muß, und es sich nicht leisten kann, seine Arbeit zu verlieren, ist in der einen oder anderen nationalsozialistischen Organisation. Und hat er das Pech, einen Beruf auszuüben, in dem die Mitgliedschaft in der NSDAP gefordert wird, tritt er ihr bei.....Das wichtigste und einfachste Kriterium ist die Haltung zur Politik gegenüber den Juden in Deutschland.“
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Auch wenn die Antwort neue Fragen ergibt, ist sie doch hilfreich für die Beurteilung mancher örtlicher  Ereignisse und Personen dieser Jahre, in denen sich die Mehrzahl der Bürger ab jetzt gegenüber den Nazis zustimmend, mindestens aber loyal verhielt.
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Die "Gleichschaltung“ war in Eichwalde außer in den politischen Gremien an weiteren Beispielen zu erleben: Parteigänger der Nazis oder ihnen nahestehende Personen, die nicht immer der NSDAP angehören mußten, rückten auch in Eichwalde an die Spitze von öffentlichen Einrichtungen oder örtlichen Vereinen jeder Art. Die bisher in den öffentlichen Funktionen tätigen Bürger wurden auf ihre Gesinnung überprüft.
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Die Gemeindeschule oder auch Volksschule (Klassen1 bis 8) Eichwalde leitete schon seit 1917 Rektor Richard Froböse, die gehobene und höhere Schule, später  Reformrealprogymnasium (Klassen 5 bis12) seit 1920 Studien-Direktor Dr. Karl Hohmann. Die Leiter beider Schulen waren für geeignet befunden worden, ihre Ämter weiter auszuüben. Sie waren dem NS-Regime nicht verdächtig. Beide hielten es wahrscheinlich für opportun und berufserhaltend, Mitglied der NSDAP zu werden, wie es in der Beamtenschaft besonders viele Lehrer taten.  Bereits seit 1929 waren Eichwalder Lehrer im NS-Lehrerbund des Kreises Teltow organisiert, bevor sich 1934 eine der NSDAP angeschlossene selbständige Ortsgruppe mit dem "Ortsgruppenamtswalter" Studienrat Richard Klein bildete, die auch pensionierte Lehrer einschloß. Im Schulbetrieb wurden sehr schnell mehrere Schritte der Gleichschaltung eingeleitet. "Seit dem Tage der nationalen Erhebung am 30.1. regte sich auch in unserer Schule ein neuer Geist...", schrieb Dr. Hohmann im Bericht über das Schuljahr 1932/33.  Hierzu einige Beispiele für die Zerschlagung demokratischer Strukturen:
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Der Elternbeirat der Schule wurde mit Runderlaß des Preußischen Innenministers vom 10. April 1933 abgeschafft, dafür ein Schulausschuß gebildet, in dem jetzt mehrere Mitglieder der NSDAP, u.a. Rechtsanwalt Lesser und Fabrikant Micklei sowie der Ortsgruppenführer des "Stahlhelm" und Lehrer am örtlichen Gymnasium, Studienrat Krönke, vertreten waren. Ihm durften keine Mitglieder angehören, die

Version vom 2. Februar 2014, 18:23 Uhr

Einleitung

Autor: Wolfgang Müller

Zur Geschichte des Ortes von 1933 bis 1945

Die Broschüre wurde im Jahre 2004 vom Heimatverein Eichwalde e.V. herausgegeben, gefördert aus Mitteln des Ministeriums für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Brandenburg, mit Unterstützung der Gemeinde Eichwalde und der SchlossDruckerei Königs Wusterhausen. Nachdruck nur mit Genehmigung des Autors.

(Im Jahr 2014 wurden entdeckte Fehler korrigiert.)

Vorwort

Eichwalde bestand 1933 vierzig Jahre, als jener geschichtliche Zeitraum begann, der heute meist NS-Zeit, auch die Zeit des Dritten Reiches oder einfach Nazi-Zeit genannt wird. Bezeichnungen für zwölf Jahre deutscher Geschichte, die mit der Machtübertragung an Hitler begannen, den Führer der deutschen Faschisten, die sich selbst Nationalsozialisten oder Nazis nannten. Jahre, in denen der zweite Weltkrieg entfesselt wurde und die mit der Zerschlagung des Naziregimes, mit der Befreiung vom Faschismus im Jahre 1945 durch die Armeen der Antihitlerkoalition endeten.

Die folgende Abhandlung versucht, vor dem Hintergrund allgemeiner Geschichte örtliche Ereignisse zu beschreiben, die in vielseitiger Übereinstimmung die deutsche Zeitgeschichte jener Jahre widerspiegeln. Hoffnung, Zustimmung, Mittun, Anpassung, Leid und Widerstand kennzeichnen die Wege von Einwohnern in diesen Jahren. Viele folgten bereitwillig der ideologischen Strömung und politischen Bewegung des Nationalsozialismus. Sie identifizierten sich mit dem Hitlerreich und wurden zwangsläufig in die Vorbereitung des zweiten Weltkrieges eingebunden. Wenige haben Widerstand geleistet. Sie wurden dafür verfolgt, jüdische Einwohner diskriminiert, ausgestoßen und vernichtet. Menschen anderer Länder wurden zur Zwangsarbeit nach Eichwalde gebracht. Besonders an diese Tatsachen soll mit dem Heimatheft erinnert werden, weil das Geschehene häufig unbekannt ist oder aus dem Gedächtnis verdrängt wurde. Indem mit der Aufzeichnung unbekannter oder vergessener Lokalgeschichte der Frage nachgegangen wird, was während dieser dunkelsten Zeit Deutschlands in Eichwalde geschah, soll einer Relativierung des Hitlerregimes und faschistischen Völkermords entgegnet werden. Es ist um unserer Zukunft willen notwendig, Friedensliebe, menschliche Solidarität, demokratisches Denken und Handeln als bleibende Werte zu bewahren, sie gegen neonazistische und antisemitische Aktivitäten zu verteidigen. Möge so das Bedürfnis nach weitergehender Auseinandersetzung mit der Vergangenheit unseres Ortes befördert werden.

Dank schulde ich den Mitarbeitern der von mir genutzten Archive für ihre Unterstützung. Herzlich danke ich heutigen und ehemaligen Eichwaldern, die zu Gesprächen bereit waren, dabei geduldig meine Fragen beantworteten und mir oft sehr persönliche Erinnerungen mitgeteilt haben. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich deshalb vor allem Frau Ruth Weis, geb. Freudenberg, Frau Erika Wolff, geb. Kaschel, Frau Erika Zietz, geb. John, und Herrn Erich Krüger, die selbst oder deren Angehörige Verfolgte des Naziregimes waren.

Wolfgang Müller


1. Märzwahlen

Am 30. Januar 1933 wurde Hitler, der Führer der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt. Einflußreiche Kreise einer konservativ-nationalen Fraktion sogenannter Eliten aus Großindustrie, Großlandwirtschaft und Großbanken sahen, übereinstimmend mit Revanchevorstellungen der Reichswehrgeneralität, in der Hitlerpartei eine erwünschte Massenbasis zur Überwindung der politischen Krise der Weimarer Republik und zur Stabilisierung ihrer Macht. Diese Kreise überblickten nicht, daß ihre Vorstellungen über autoritäre Regierungsgewalt hinter den Ansprüchen der Hitlerbewegung zur Errichtung einer Nazi-Diktatur zurückblieben. Die Arbeiterparteien, Gewerkschaften und Nazigegner bürgerlicher Parteien waren durch selbst verschuldetes Unvermögen in eine totale Defensivstellung gedrängt worden. Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) und Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), zerstritten und dadurch in verschiedener Weise nicht fähig, umfassenden gemeinsamen Widerstand zu organisieren, hatten die fürchterliche Gefahr unterschätzt. Antifaschistische Kräfte aus unterschiedlichen politischen Lagern waren somit nicht in der Lage, die Errichtung einer faschistischen Diktatur zu verhindern.

Obwohl sich bei der Reichstagswahl am 6. November 1932 gegenüber der Wahl am 31.Juli 1932 in Deutschland der Stimmenanteil der NSDAP verringert hatte, in Eichwalde von 1150 (32%) auf 863 (27,4%) Stimmen, war es zwar keine Mehrheit, jedoch eine beachtliche Anzahl von Einwohnern, die bereits direkt für die Hitlerpartei gestimmt hatten. Einige Begründungen dafür finden sich in der bis dahin verlaufenen Geschichte Eichwaldes. Nach 1921 hatten sich nicht nur in Gestalt der Ortsvereinigungen des Deutschen Reichskriegerbundes "Kyffhäuser“ und des Stahlhelm (Bund der Frontsoldaten) extrem nationalistische und demokratiefeindliche Kräfte gesammelt, sondern auch eine als "Sportverein Olympia" getarnte Organisation gebildet, die allerdings 1926 verboten worden war. Aus ihr rekrutierten sich Kader der neben der legalen Reichswehr bestehenden "Schwarzen Reichswehr", die eine der wichtigsten Vorläufer und Sammelorganisationen der Hitlerpartei war und deren Angehörige sich später meist der NSDAP, SA und SS anschlossen. Alle diese Vereine standen der Weimarer Republik besonders ablehnend gegenüber. Sie waren meist noch immer "kaisertreu“, hingen der propagandistisch wirksamen Dolchstoßlegende an, sahen sich mit dem Versailler Vertrag national gedemütigt und in der Novemberrevolution von 1918 einen Verrat an der deutschen Geschichte. Im Ort agierten seit mehr als einem Jahrzehnt ein Reihe nationalistischer und militaristischer Parteien, Vereine und Gruppierungen. Mehrere bürgerliche national-konservative Parteien, insbesondere die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) und die Deutsche Volkspartei, bildeten in Eichwalde seit mehreren Jahren ein erfolgversprechendes Wählerpotential für die Hitlerbewegung. Seit Juli 1928 bestand eine Ortsgruppe der NSDAP. So verwundert es nicht, wenn schon zu den Kommunalwahlen am 17. November 1929 bürgerliche Parteien ihrerseits versuchten, die Nazis für eine gemeinsame Liste "Bürgerliche Gemeinschaft" zu gewinnen, was nur an der Ablehnung durch die NSDAP scheiterte. Selbst auf lokaler Ebene war bei national- konservativen Kreisen der Eindruck entstanden, daß es möglich schien, "mit simplen Parolen einer auf Feindbilder aufgebauten Ideologie die Unzufriedenen und Deklassierten, die Traumatisierten und Verzweifelten nach dem Ersten Weltkrieg unter der Zauberformel 'Nationalsozialismus' zu integrieren ."

Die örtlichen SPD- und KPD-Organiationen verhielten sich zueinander meist ebenso im Kleinen, wie ihre Parteien im Großen - distanziert, mißtrauisch, uneinig. Dennoch bildeten vor allem die Mitglieder dieser Parteien und der ihnen nahe stehenden legalen oder illegalen Organisationen wie Rote Hilfe Deutschlands, Arbeitersportverein, Roter Frontkämpferbund, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Eiserne Front und andere, zusammen mit ihren Wählern und weiteren Eichwalder Einwohnern die Kraft, die sich bisher den Nazis entgegengestellt hatte. Die faschistische NSDAP gewann ihre Wähler in Eichwalde überwiegend aus dem bürgerlich- konservativen Lager, wie die Wahlergebnisse von 1924 bis 1932 erkennen lassen:

    Reichs- u. Landtagswahlen     SPD      KPD    Bgl.-Kons. P.              NSDAP
(in Prozent)                                          

am 07.12.1924 26,5 8,1 64,3 1,1

20.05.1928 27,8 13,7 57,1 1,4 14.09.1930 29,1 12,9 47,2 10,8 31.07.1932 28,8 13,2 26,0 32,0 06.11.1932 24,3 15,4 32,9 27,4

Das dramatische Ende der Weimarer Republik war eine schmerzliche Niederlage für alle Antifaschisten und Demokraten auch in Eichwalde, der Anfang einer katastrophalen Entwicklung, spätestens nach dem 1.September 1939, als der zweite Weltkrieg begonnen hatte.

Die Machtübertragung am 30. Januar1933 versetzte die damals nur etwa 50 Mitglieder zählende Ortsgruppe der NSDAP, die SA- und SS-Angehörigen (Schutz-Abteilung / Schutz-Staffel) sowie die Anhängerschaft in mehreren anderen Nazi-Organisationen Eichwaldes in einen Begeisterungstaumel. Am Abend hörten auch Eichwalder Besitzer von Radiogeräten die Rede des künftigen Reichspropaganda- Ministers Goebbels mit den Worten "Deutschland ist erwacht!“. Am 31. Januar lasen die Eichwalder in der "Königs Wusterhausener Zeitung“ die Spitzenmeldung über die Zusammensetzung des neuen Reichskabinetts. Eine Rede des neuen Reichskanzlers wurde erstmals am 1. Februar im Radio übertragen, Hitlers "Aufruf an das Volk“, in der er glückliche Zeiten innerhalb von vier Jahren versprach. Seine Erläuterungen vor Reichswehrgeneralen am 3. Februar1933 wurden wohlweislich nicht verbreitet. Er habe sich die Ausrottung des Marxismus, den Kampf gegen das Versailler Diktat, den Aufbau der Wehrmacht und die Eroberung neuen "Lebensraums“ zum Ziel gesetzt, erklärte Hitler und grenzte die Aufgaben zwischen SA und Reichswehr voneinander ab. In groben, aber erkennbaren Umrissen wurde der Weg in einen Krieg vorgezeichnet. Mit dieser Perspektive waren die Generale einverstanden. Wirtschaftseliten ebenfalls, denn die Aufrüstung konnte beginnen. Die Schaffung eines "europäischen Großwirtschaftsraums" unter deutscher Vorherrschaft entsprach den Interessen führender Persönlichkeiten deutscher Großindustrie- und Bankenkreise bereits aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg und konnte angesichts solcher Konkurrenten wie der USA, Großbritanniens und Frankreichs nicht ohne Gewaltanwendung erreicht werden. Eroberung von neuem Lebensraum im Osten bedeutete letztlich Krieg gegen die Sowjetunion. Dabei waren unabhängige Arbeiterparteien und -organisationen, die sich gegen ein erneutes Kriegsabenteuer zur Wehr setzten sowie eine demokratische Staatsordnung nur störende Schranken.

Anfangs wurden alle Schritte zur Errichtung der faschistischen Diktatur noch unter dem Mantel der Weimarer Verfassung gegangen. Als etappenweiser Staatsstreich folgte Schlag auf Schlag bei der Zertrümmerung des bürgerlich- demokratischen Staates. Dazu gehörten die für den 5. März 1933 angesetzten Neuwahlen des Reichstages, nachdem dieser am 1. Februar ohne fällige Einberufung und der Preußische Landtag per Verordnung des Reichspräsidenten vom 6. Februar aufgelöst worden war. Durch eine weitere Verordnung wurden die kommunalen Vertretungskörperschaften der Gemeinden und Gemeindeverbände mit Wirkung vom 8. Februar aufgelöst, die Kommunalwahlen auf den 12. März festgelegt. Das kannten die Eichwalder schon, und nicht nur sie. ' Wieder einmal ein Kanzler, der vom Reichspräsidenten ins Amt befördert worden ist ', dachte man, und nicht wenige waren beruhigt, daß es neben den Nazis auch andere, ihnen vertrautere Politiker in der Koalitionsregierung gab. Die örtliche Deutschnationale Volkspartei freute sich über den Reichswirtschaftsminister Hugenberg, die Stahlhelm-Ortsgruppe über ihren Bundesführer und jetzigen Arbeitsminister Seldte. Der "Kyffhäuser“- Ortsverein stellte später fest : " Freudig begrüßten die Kameraden die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler und die Bildung der nationalen Front zum Zwecke des engen Zusammenschlusses aller auf nationalem Boden stehenden Deutschen zur Bekämpfung des Kommunismus.“

Die erste Februarwoche des Jahres 1933 verlief in Eichwalde verhältnismäßig ruhig. Zunächst waren die Mitglieder der örtlichen NSDAP-Organisation offenbar mit den inszenierten Aufmärschen in Berlin und der weiteren Formierung ihrer Anhängerschaft beschäftigt, doch die bürgerlichen nationalistischen Parteien und Verbände sammelten sich ebenso wie die Nazis in Eichwalde zur Vorbereitung der Wahlen im März sehr entschieden und gut organisiert. Am 3. Februar referierte der Eichwalder DNVP-Reichstagsabgeordnete, der Schriftsteller und Journalist, Dr. Erich Schmidt, Kronprinzenstr.36 (Fontaneallee), vor den Mitgliedern des Eichwalder Kriegervereins im Lokal Krüger (auch "Ratswaage", heute August-Bebel-Allee 31/32) über die neue sogenannte 'Regierung der nationalen Konzentration'. Wenn er geahnt hätte, wie bald er zu den von Nazis gemaßregelten und mit Berufsverbot belegten Leuten gehören würde! Die am 4. Februar vom Reichspräsidenten ergangene Verordnung " Zum Schutze des deutschen Volkes “ ermöglichte massive Eingriffe in die Presse- und Versammlungsfreiheit und verhinderte praktisch legale Aktionen gegen die neue Regierung. Eichwalder Kommunisten, voran Emil Kachel und Paul Meyer, brachten trotzdem heimlich am Wasserturm und auf dem Bahnhof, in der Bahnhofstraße und weiteren belebten Straßen KPD-Losungen an, die ein Widerstands- und Kampfsignal gegen die entstehende Nazidiktatur waren. Derartige spektakuläre Aktionen erregten kurzzeitig beachtliche Aufmerksamkeit. Am 7. Februar fand unter illegalen Bedingungen im Niederlehmer Sporthaus Ziegenhals eine Tagung von Mitgliedern des Zentralkomitees und einigen weiteren Funktionären der KPD statt, auf der Ernst Thälmann die Hitler-Regierung als Verkörperung des offenen Faschismus charakterisierte, von deren Methoden bald noch weitere Steigerungsmöglichkeiten zu erleben sein werden. Am Vormittag des 5. Februar marschierte die NSDAP zu einem großen SA-Werbetag mit Blasmusik in Eichwalde auf. Die Basis des Eichwalder SA-Sturms befand sich in der Wörther Straße 23/24 (Beethovenstr.) auf dem Grundstück des Kaufmanns Reichmann, dessen Mitgliedschaft in der NSDAP und SA schon vor 1933 zur Etablierung der Hitlerbewegung in Eichwalde, insbesondere durch deren materielle Unterstützung, wesentlich beigetragen hatte. Für den Nachmittag dieses Sonntags hatte die "Eiserne Front“, die sozialdemokratische Schutzorganisation, eine Kampfdemonstration nach Eichwalde für die Herstellung der Einheitsfront des werktätigen Volkes organisiert, an der sich, wie bei einer gleichartigen Versammlung im Berliner Lustgarten, auch KPD-Mitglieder beteiligten. Denn für die KPD waren Demonstrationen im Freien seit dem 2. Februar verboten. Der Marsch führte über Zeuthen zum Eichwalder König-Albert-Platz (Händelplatz). An der Spitze des Zuges marschierte eine Musikkapelle, in Eichwalde wurde eine Ansprache gehalten. Es war zu keinen Zwischenfällen gekommen, denn die Eichwalder SPD- und KPD-Anhängerschaft war noch eine ernstzunehmende Kraft. Die DNVP forderte zur Versammlungsteilnahme am 8. Februar im Restaurant Graff in der Bahnhofstraße 83 mit dem Thema auf: "Her zur schwarz-weiß-roten Front!“ Die "Deutsche Staatspartei “ veranstaltete am 12. Februar sogar ihren Bezirkstag im Ratskeller ( früher Restaurant Lindner, Bahnhofstr.12 ) in Eichwalde.

Manche Einwohner zeigten jetzt mehr als zuvor im wahrsten Sinne des Wortes Flagge. In der Bahnhofstraße war an einem Eckhaus gegenüber der Schule eine in dieser Größe in Eichwalde noch nie gesehene Hakenkreuzfahne entrollt worden. Der Zeitungshändler Hille, einer der ersten Eichwalder Nazis, schwang in diesen Tagen besonders heftig seine Glocke, wenn er mit dem Fahrrad an der "Gewerkschaftssiedlung “vorbeifuhr und dabei provozierend "Der Angriff, der Angriff", den Namen eines NS-Blattes, brüllte. Der Fleischermeister an der Ecke Bahnhof-/ Grünauer Str. präsentierte jetzt sogar im Laden sein Stahlhelmabzeichen an der weißen Schürze, andere zeigten nun offen ihr altes oder eben neu erworbenes NSDAP-Abzeichen mit dem Hakenkreuz am Jackenkragen. SPD-Mitglieder und Sympathisanten diskutierten, wie lange es Hitler wohl machen würde, KPD-Mitglieder versuchten, sich Mut zu machen, sich in Sicherheit zu bringen, den Widerstand zu organisieren.

Seit dem 10. Februar raste in Deutschland der als Wahlkampf getarnte faschistische Terror, wurden entsetzliche Grausamkeiten siegestrunkener Horden der SA, SS, des Stahlhelm und sogar der HJ (Hitlerjugend) verübt, die alle bisher bekannten Beispiele von Nazi-Gewalttaten weit übertrafen. In Eichwalde hielten sich Ausschreitungen und Tätlichkeiten noch in Grenzen. Am 17. Februar hatte Göring als kommissarischer preußischer Innenminister der Polizei befohlen, die "nationalen Verbände“ zu unterstützen. Bei Waffengebrauch gegen "Staatsfeinde“ war Straffreiheit versprochen (Schießerlass). Wenige Tage danach wurden etwa 50 000 Mann aus SA, SS und Stahlhelm als Hilfspolizei erklärt. Längst hatten auch die Eichwalder Nazis in den Kommunisten ihre entschiedensten Gegner erkannt. Sie sahen deshalb ihre wichtigste Aufgabe in der "Niederringung des marxistischen Widerstandes". Ein Umzug der SA in Eichwalde am 26. Februar sorgte für die weitere Mobilisierung der Nazi-Anhängerschaft und wirkte einschüchternd auf die übrige Bevölkerung. Mit dem Brand des Reichstagsgebäudes in Berlin in der Nacht vom 27. zum 28. Februar war der gesuchte Vorwand geschaffen : Noch in der gleichen Nacht wurde der Terror in erster Linie gegen die KPD verstärkt, erfolgten nach vorbereiteten Listen Verhaftungen von Kommunisten sowie von Sozialdemokraten und standhaften bürgerlichen Demokraten. Nach den Novemberwahlen des Jahres 1932 waren die Kommunisten im Reichstag mit 100 Abgeordneten und 16,7 % die drittstärkste Kraft nach den Sozialdemokraten mit 121 Sitzen und 20,3 % der Stimmen. Mit der "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat “ vom 28. Februar 1933 , der sogenannte Reichstagsbrandverordnung, setzte Hindenburg die bürgerlich-demokratischen Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft, was gleichsam politischer Ausnahmezustand bedeutete. Die KPD war faktisch verboten und nun endgültig in die Illegalität gedrängt, die SPD verfolgt. Alle kommunistischen Abgeordneten sollten verhaftet werden und wurden deshalb gejagt. Derartige Listen waren schon in der 'Weimarer Zeit' von der politischen Polizei angelegt worden und standen nun den Nazis zur Verfügung. Allein in Preußen wurden 1800 kommunistische Funktionäre verhaftet. Thälmann fiel den Nazis am 3. März 1933 in die Hände. Auch SPD-Abgeordnete wurden bereits verfolgt und verhaftet. Der sich noch im Amt befindliche Landrat des Kreises Teltow, von Nathusius, leitete an alle Ortspolizeibehörden die Aufforderung Görings weiter, umgehend alle sich im Gemeindebereich befindlichen Ausländer schriftlich zu erfassen, die im Verdacht kommunistischer Betätigung stehen könnten. Eichwalde und alle anderen Nachbarorte des Wildauer Industriezentrums, einer Hochburg von SPD und KPD, blieben von Terroraktionen nicht ausgenommen.

Der Schriftsteller Walter Kolbenhoff (Pseudonym für Fritz Walter Hoffmann, geb.20.05.1908 in Berlin, gest. 29.01.1993 in Germering) wohnte damals in Eichwalde (oder Berlin-Schmöckwitz). KPD-Mitglied und zunächst wie sein Vater Fabrikarbeiter, war er seit 1930 als Journalist für die "Rote Fahne“ und als Schriftsteller tätig. Er veröffentlichte 1933 seinen ersten Roman mit dem Titel "Untermenschen“, ein stark autobiographisch bestimmtes Bild der letzten Jahre der Weimarer Republik. In der Nacht des Reichstagsbrandes wurde er zu Hause schon von der SS erwartet. Auf dem Heimweg konnte er jedoch von seiner Vermieterin gewarnt werden und so der Verhaftung entgehen. Eine Wahlversammlung der SPD, die an dem üblichen Versammlungsort für Eichwalder Großveranstaltungen in "Walters Bierhallen“(Inhaber: E. Schäfer, heute August-Bebel-Allee / Ecke Bahnhofstr.) am 3. März durchgeführt wurde, störten Nazis und Hitlerjugend derart, daß sie abgebrochen werden mußte. Am 4. März wurden auf Weisung der NSDAP überall in Erwartung einer vom Rundfunk aus Königsberg übertragenen Hitlerrede Pechfackeln angezündet und Holzhaufen in Brand gesetzt, dieser Sonnabend zum "Tag der erwachenden Nation“ erklärt. Die Nazi-Ortsgruppen Eichwaldes und Schulzendorfs zogen abends, wegen ihrer noch geringen Mitgliederzahl in einem gemeinsamen Fackelzug, durch beide Orte und entzündeten am Eichwalder Wasserturm, am südlichen Eisenbahnübergang und im Schulzendorfer Stadion Holzfeuer. Im Rückblick auf die Ereignisse nach dem 30. Januar 1933 brüstete sich noch 1938 die HJ-Schar Eichwaldes: " In den nun folgenden Wochen war für uns verstärkter Dienst angesetzt; stets waren wir bereit, den jungen Staat, das neu erwachte Deutschland zu schützen. So wurde am Abend des Reichstagsbrandes von uns, gemeinsam mit der SA, die Siedlung Schulzendorf nach kommunistischem Material durchsucht. Zwei Wahlversammlungen der SPD in Schulzendorf und Eichwalde wurden schnellstens zum Platzen gebracht. Am Abend des 4. März 1933 marschierten wir geschlossen zum Schulzendorfer Stadion, wo wir die Rede des Führers hörten und anschließend ein Freudenfeuer anzündeten.“

Unter derartigen Bedingungen ging es den Wahlen am 5. März zum Reichstag und Preußischen Landtag sowie im Land Preußen den Wahlen am 12. März zu den Provinziallandtagen, Kreistagen und Gemeindeparlamenten entgegen. Hier sollen, stellvertretend für alle antifaschistisch gesinnten Eichwalder Bürger, jene Personen des Ortes genannt werden, die sich damals in schon lebensbedrohlicher Lage als Kandidaten für die Wahlen bereit erklärten und so der Machtübernahme der Nazis entgegen traten.

Kandidaten der SPD waren für den Preußischen Landtag: Wilhelm Krüger, Tischler, Gewerkschaftsangestellter. für den Brandenburgischen Provinziallandtag :Reinhold Lungmus, Chauffeur, Gewerkschaftsangestellter.

für die Gemeindevertretung: Walter Noack, Graveur; Willi Korn, Metallarbeiter; Anna Hank, Hausfrau; Erich Wauschke, Abteilungsleiter; Eugen Klambt, Werkmeister; Max Molitor, Zimmerer; Elise Kupfer, Ehefrau; Franz Bachmann, Gewerkschaftsangestellter; Franz Dartsch, Maurer; Erich Krüger, Metallarbeiter; Helene Kamnitz, Ehefrau; Otto Wiest, Verbandssekretär; Waldemar Ruffani, Metallarbeiter; Fritz Habermann, Sattler; Jonny Holle, Arbeiter.

Kandidaten der KPD für die Gemeindevertretung waren: Theodor Oldenburg, Bauarbeiter; Bernhard Haase, Werkzeugmacher; Wilhelmine Mecklenburg, Witwe; Emil Kaschel, Maschinenschlosser; Erich Franke, Drahtzieher; Walter Bormann, Rohrleger; Paul Meyer, Schlosser.

Die bürgerlichen Parteien oder Wählervereinigungen waren bereits als künftige Partner der NSDAP vorgemerkt, wobei es darunter einzelne Kandidaten gab, die keine Freunde der Hitlerbewegung waren, sondern der sogenannten " demokratischen Mitte “ zugerechnet werden können. Die "Unpolitische Bürgerliste“ (Haus- und Grundbesitzer- Verein, Verein der Handel- und Gewerbetreibenden und Zentrumspartei) trat mit dem Kaufmann Erich Michler, einem Gemeindeabgeordneten und Schöffen, Mitglied der Deutschen Staatspartei, als Spitzenkandidat zur Wahl an. Er hielt zu den Nazis Distanz, allerdings auch zu linken Parteien. Ebenso kandidierte der Lehrer Otto Schmidt, Deutsche Zentrumspartei, für diese Bürgerliste. Beide waren zugleich Kandidaten bei der Kreistagswahl. Die Kampffront "Schwarz-Weiß-Rot“ präsentierte Studienrat Oscar Krönke als Spitzenkandidat der DNVP und des Stahlhelm. Die NSDAP wurde insbesondere von Zivilingenieur und Patentanwalt Hugo Lesser, Buchhalter Willi Micklei, Koch Ewald Hille und Handelsvertreter Erich Rix sowie von 11 weiteren Nazis vertreten. Bei der Wahl zum R e i c h s t a g am 5. März 1933 betrug die Wahlbeteiligung in Eichwalde ca. 95%, Ausdruck eines bis dahin nicht erreichten hohen Grades der politischen Mobilisierung. Etwa 149 Wahlberechtigte verweigerten sich, nicht zuletzt angesichts des Nazi-Terrors und von Ausnahmegesetzen, der Abstimmung. Gegenüber den Wahlen im November 1932 erreichte die Eichwalder NSDAP mit 1256 der gültigen Stimmen zwar einen Wählerzuwachs, aber mit 38,14% nur ein unter ihren Erwartungen liegendes Ergebnis. Hitlerpartei und Kampffront "Schwarz-Weiß-Rot“ hatten zusammen mit 1889 Stimmen eine Mehrheit im Ort erzielt. 2190 Stimmen für die NSDAP und die bürgerlichen Parteien (DNVP, Zentrum, Staatspartei, Volkspartei u.w.) standen gegen 1054 Stimmen der SPD und KPD zu Buche.

Das Wahlergebnis "brachte dann auch den Beweis, daß unser Ort jetzt zu 60 Prozent aus Anhängern “der NSDAP und DNVP besteht, stellte die " Königs Wusterhausener Zeitung “ begeistert fest. Es bleibt hervorzuheben, dass angesichts des Naziterrors, von Versammlungsverboten, Hausdurchsuchungen und Verfolgungen die Anzahl der Stimmen für die linken Arbeiterparteien in Eichwalde respektabel war. Sie blieben aber weiterhin durch tiefe politische Differenzen getrennt. Der Tischler Wilhelm Krüger war im Wahlbezirk Potsdam I als Abgeordneter der SPD in den Preußischen Landtag, Reinhold Lungmus in den Brandenburgischen Provinziallandtag gewählt worden. Am 8. März war "wegen des überwältigenden Wahlsieges“ der NSDAP in der Provinz Brandenburg (52,4%) überall schulfrei. Im Reichstag erlangten die Nazis nur 43,9% der Stimmen und auch mit der Regierungskoalition nur eine knappe absolute Mehrheit (51,9 %). Ähnlich verhielt es sich im Preußischen Landtag. Deshalb wurden am 9. März die 81 Reichstagsmandate der KPD-Abgeordneten annulliert und von Göring als Preußischer Minister des Innern am 11. März die Verhaftung aller kommunistischen Reichstags- und Landtagsabgeordneten angeordnet. Die Wahlen zur Eichwalder G e m e i n d e v e r t r e t u n g am 12. März 1933 wurden von diesen Ereignissen beeinflußt. Die Wahlbeteiligung von 87,5 Prozent war einerseits ein Protest besonders von Wählern der Arbeiterparteien gegen den Nazi-Terror, andererseits Ausdruck von Resignation vor einem erwarteten Wahlausgang, wovon die NSDAP profitierte. Die Zahl der Nichtwähler war auf etwa 550 angestiegen. Die Gemeindewahl brachte folgendes Ergebnis: Die NSDAP erreichte einen Stimmenanteil von 39.6% (1.111 Stimmen), die bürgerlich-nationale Kampffront Schwarz-Weiß-Rot ( Deutschnationale und Stahlhelm ) 20.3% (568 St.), die SPD kam auf 19,1% ( 534 Stimmen ), die Unpolitische Bürgerliste auf 12,9% (362 St.), die KPD auf 8,1% (228 Stimmen). Erstmals kamen vier NSDAP-Mitglieder in die Gemeindevertretung sowie zwei Vertreter der "Kampffront “, zwei SPD-Mitglieder, ein Kandidat der Bürgerliste, kein KPD-Kandidat. Bemerkenswert war die Entscheidung der gewählten SPD-Abgeordneten Walter Noack (Noack hatte auch ein Mandat im Kreistag erhalten) und Willi Korn, ihr Amt in der Gemeindevertretung nicht anzunehmen. Ihre Plätze nahmen die SPD-Kandidaten Max Molitor und Eugen Klambt ein.

Die Eichwalder hatten also gewählt. Das "Teltower Kreisblatt" erschien am 13. März 1933 mit der Schlagzeile:" Rechtsmehrheit bei den Kommunalwahlen ". Bei den Provinziallandtagswahlen erlangte die NSDAP im Brandenburgischen Provinziallandtag mit 53,1% die absolute Mehrheit. Nach den Märzwahlen des Jahres 1933 veranstalteten die Nazis und die nationalistischen Vereine Eichwaldes mehrere meist zentral angewiesene Siegesappelle und Machtdemonstrationen, die von der Absicht getragen wurden, den Einwohnern, insbesondere den SA-Leuten und Parteigängern, das Gefühl zu vermitteln, als hätten sich jetzt alle ihre Hoffnungen auf Dauerbeschäftigung, auf Beschränkung der Übermacht der Banken und des Großkapitals, auf soziale Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und vieles andere mehr endgültig erfüllt.

Fester Bestandteil im Zusammenspiel von Demagogie und Terror waren dabei Aufmärsche, Appelle, Feiern und Jahrestage. Sie waren auf Zustimmung zur Hitlerbewegung und gleichzeitige Einschüchterung der Eichwalder Bevölkerung orientiert. Einen ersten Anlaß bot dafür die am 21. März 1933 anberaumte Eröffnungssitzung des eben gewählten Reichstages mit einem Staatsakt in Potsdam. 30 SA-Männer aus Eichwalde waren nach Potsdam beordert worden, um das äußere Bild der von Goebbels inszenierten symbolbefrachteten Veranstaltung mitzuzeichnen: Das Bündnis alten preußischen Geistes mit neuen jungen Kräften der Hitlerbewegung. Das demagogische Schauspiel zeigte Wirkung. Es war nicht für jedermann erkennbar, daß hier die Traditionen kriegerischer preußisch-deutscher Vergangenheit an neue aggressionsbereite Kräfte vererbt worden war. Bei den meisten Menschen keimten Hoffnungen auf bessere Zeiten voller Arbeit und Frieden.

Auf Weisung des zum 'Reichsminister für Volksaufklärung und Propaganda' ernannten Joseph Goebbels fanden in allen Städten, Dörfern und Gemeinden ähnliche Massenveranstaltungen statt. In Eichwalde war dazu von der NSDAP-Ortsgruppe erstmals ein gemeinsamer Rundfunkempfang ermöglicht worden. Um alle Eichwalder den "Beginn einer neuen Epoche deutscher Geschichte“ hörbar miterleben zu lassen, hatte der Elektro-Ingenieur Werner Schilling am Gefallenen-denkmal in der Bahnhofstraße / Am Graben zwei Lautsprecher installiert. Es war erst der Anfang gemeinschaftlicher nationaler Rundfunkempfänge, erwies sich doch der Rundfunk als neues Medium der Massenbeeinflussung besonders geeignet. Immer mehr Eichwalder schafften sich zu dieser Zeit ein Radio an. Nahezu täglich ertönten Hitlerreden und bis zum Überdruß die Stimme des Propagandaministers Goebbels aus den Lautsprechern. Bald bezeichnete der Volksmund hinter vorgehaltener Hand einen seit der Funkausstellung im August 1933 verkauften "Volksempfänger“ (VE 301= 30.1. -Tag der Machtübertragung) als "Goebbels - Schnauze“. Das aktuelle Radioprogramm wurde täglich in der "Königs Wusterhausener Zeitung“ veröffentlicht. Am Abend des 21. März 1933 marschierten unter reger Teilnahme vieler Einwohner alle Nazi-Organisationen und nationalistischen Vereine mit einem Fackelzug durch den Ort. Auch die Eichwalder Schulen hatten sich daran zu beteiligen. Feuerstöße, Fackelzüge, Blaskapellen, militante Aufmärsche - all das gehörte in den nun folgenden Jahren zum Erscheinungsbild öffentlichen Lebens in der Gemeinde. Wie überall verbreitete sich im Ort das hoffnungsvolle Gefühl, jetzt hätte "eine neue Zeit" begonnen, mit der "alles anders werden" würde. So versprachen es die Naziführer jedenfalls.

Mit dem sogenannten Gleichschaltungsgesetz vom 31. März wurden in allen Parlamenten, vom Reichstag bis zu den Gemeindeparlamenten, die gewonnenen Sitze auf Wahlvorschläge der KPD für unwirksam erklärt, deren Reichstagsmandate bereits am 9. März annulliert worden waren. Der SPD wurden die Mandate vom Reichstag bis in die Kommunalparlamente mit der Verfügung des NS-Innenministers Frick vom 21. Juni 1933 kassiert und die Partei faktisch verboten. Das Verbot per Gesetz erfolgte am 14. Juli 1933. Die Volks-, Berufs- und Betriebszählung am 16. Juni 1933 ergab in Eichwalde 4.815 Einwohner.


1 Berndt- Jürgen Wendt : Deutschland 1933-1945. Das Dritte Reich. Handbuch zur Geschichte, Hannover 1995, S. 59 ff
2 Vgl. Bernhard Sauer: Schwarze Reichswehr und Fememorde. Eine Milieustudie zum Rechtsradikalismus in der Weimarer Republik. Berlin 2004.
3 Bernhard Biermann(Hg.): Heimatbuch der Gemeinde Eichwalde,1938, S.539 ff (i.f.H e i m a t b u c h).
4 Wolfgang Benz : Geschichte des Dritten Reiches, München 2003, S.14. (i.f. B e n z ).
5 Zusammenstellung nach Unterlagen im Kreisarchiv des Landkreises Dahme-Spreewald, Bestand Eichwalde, ( i. f. K r e i s a r c h i v , B. E. ) durch Reiner Brandhorst, Eichwalde.
6 Vgl. Königs Wusterhausener Zeitung ( i.f. K W Z )v. 31. Januar 1933. Staatsbibliothek zu Berlin, Sign.: Ztg.1300 MR. (1933 im Titel des Blattes der Stadtname noch als ein Wort, seit 1936 getrennte Schreibweise. Vgl. Adamy / Hübener / Leps. Königs Wusterhausen. Eine illustrierte Stadtgeschichte. Berlin,1998, S. 173, Anm. 27.) Eine ' Eichwalder Zeitung' wird zunächst als Nebenausgabe genannt, später als mit der KWZ vereinigt ". Die Geschäftsstelle der 'Eichwalder Zeitung' befand sich in der Bahnhofstr.10 bei dem Buchdrucker Fritz Koch. Es scheint so, als wäre die 'Eichwalder Zeitung' 1933 einige Zeit noch separat erschienen (Vgl. KWZ v. 12. Mai 1933), aber bisher ist kein derartiges Exemplar bekannt.
7 Vgl. Wendt, a. a. O.,S. 76. u. Pätzold / Weißbecker, a. a. O., S. 232.
8 Kurt Pätzold / Manfred Weißbecker : Adolf Hitler. Eine politische Biographie. Leipzig 1995,S. 234 f.
9 Vgl. Martin Broszat u.w. (Hg.): Ploetz . Das Dritte Reich. Ursprünge, Ereignisse, Wirkungen. S. 29.( i.f. P l o e t z ). Außerdem: Sebastian Haffner: Germany: Jekyll & Hyde, 1939 – Deutschland von innen betrachtet. Berlin ,1996,S.162. ( i.f. H a f f n e r )
10 Vgl. Teltower Kreisblatt v. 15. Februar 1933. ( i.f. T K B )Staatsbibliothek zu Berlin. Sign. Ztg. 724g.
11 Heimatbuch ,S. 590.
12 KWZ v. 3. Februar 1933.
13 Vgl. Anm.7.
14 In einem Bericht von Paul Meyer, Eichwalde, Gartenstr. 11, o.D., wird diese Aktion für die Zeit nach der Verhaftung Thälmanns (3. März 1933) erinnert, was nicht gänzlich auszuschließen ist. Vgl. Kopie Heimatarchiv, S. 3 .
15 Vgl. Autorenkollektiv ( Hg.): Lehrbuch der deutschen Geschichte ( Beiträge ), Bd.11, Berlin 1969, S.24. ( i. f. B e i t r ä g e ).
16 KWZ v. 8. Februar 1933.
17 KWZ v. 7. Februar 1933.
18 Bericht Erich Krüger, Eichwalde, Gerhart-Hauptmann-Allee, im Jahre 2003.
19 Vgl. Heimatbuch, S. 546 f.
20 KWZ v. 28. Februar 1933.
21 Ploetz, a.a.O., S.91.
22 Vgl. Franz Dahlem: Am Vorabend des zweiten Weltkrieges,.1938 bis August 1939. Erinnerungen, Bd. 1, Berlin 1977, S.184.
23 Kopie Heimatarchiv, Dok. v. 6. März 1933.
24 Heinrich-Wilhelm Wörmann : Widerstand in Köpenick . Bd.9 der Schriftenreihe über den Widerstand in Berlin von 1933 bis 1945, Gedenkstätte Deutscher Widerstand (Hg.), Berlin 1995, S. 164 f. Kolbenhoff wohnte wahrscheinlich in der sog. Schmöckwitzer Siedlung. Bedingt u.a. durch die Organisationsstruktur der KPD, sind bestimmte Ereignisse sowohl ' Randberliner' - als auch Eichwalder Vorgänge.
25 KWZ v. 5. März 1933
26 Heimatbuch, S. 558.
27 Vgl. TKB v.3. März , KWZ v. 26. Februar und 10. März 1933.
28 Die Angaben zu den Wahlergebnissen sind im TKB v. 6. März, in der KWZ v. 7. März 1933 und im Heimatbuch v. 1938 voneinander abweichend.
29 KWZ v. 7. März 1933
30 Kreisarchiv , B.E. ,Nr. 145.
31 KWZ v.14. März 1933
32 KWZ v. 6. April 1933
33 Kreisarchiv, B.E., Nr.145.
34 Ploetz, S.52.


2. Machtausbau

Am 6. April 1933 versammelten sich im Rathaussaal die neugewählten Gemeindevertreter zu ihrer ersten Sitzung. Die Zeitung berichtete: " Der Saal war festlich mit schwarz-weiß-roten und Hakenkreuzfahnen geschmückt." Laut vorläufiger Flaggenverordnung des Reichspräsidenten Hindenburg galten seit dem 12. März 1933 die schwarz-weiß-rote Fahne und die Hakenkreuzfahne als gemeinsame Reichsfahnen. Es war eine von den Nazis wegen noch nicht eindeutiger Mehrheitsverhältnisse im Reichstag ungeliebte Zwischenlösung. Der Doppelzustand wurde mit dem Reichsflaggengesetz vom 15. September 1935 beseitigt und die Hakenkreuzflagge zur alleinigen Reichsfahne. Obwohl es anscheinend Äußerlichkeiten waren, ließen die Reichsfarben schwarz-weiß-rot, die sich auch in der Hakenkreuzfahne fanden, die Symbiose konservativer Feinde der Weimarer Republik mit der Hitlerbewegung erkennen. Eichwaldes Weg unter dem Hakenkreuz hatte - anscheinend endgültig - begonnen.

Zur Festigung der faschistischen Diktatur ging die NSDAP zielstrebig an die weitere Vernichtung der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie. Um dafür freie Hand zu bekommen, entledigte sich die Hitlerregierung mit dem "Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich" (‘Ermächtigungsgesetz’) am 23. März 1933 aller Bindungen der Verfassung und jeglicher parlamentarischer Kontrolle. Der Errichtung einer totalitären Herrschaft stand nichts mehr im Wege. Am 24. März 1933 dankte der Reichsverband der deutschen Industrie Hitler für die Sicherung der Wirtschaft vor 'Störungen' und 'politischen Schwankungen'.

Mit dem Ermächtigungsgesetz hatte sich das NS-Regime den Anschein der Legalität verschafft. Die Regierung selbst konnte jetzt ohne das Parlament sogar von der Verfassung abweichende Gesetze zur Stabilisierung der NS-Diktatur erlassen. Um gegen möglichen Widerstand von Parlamenten der deutschen Länder und Gemeinden die Reichsregierungspolitik einheitlich verwirklichen zu können, wurden nacheinander sogenannte Gleichschaltungsgesetze erlassen. Begrifflich abgeleitet von dem am 31. März erlassenen " Vorläufigen Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich ", leiteten sie den Stabilisierungsprozeß der NS-Herrschaft ein, die rein formal erst im "Reich", aber noch nicht in den Ländern etabliert war. Mit diesem Gesetz wurde zunächst deren Selbständigkeit beseitigt, ihre Parlamente ohne Neuwahlen umgebildet ( in Preußen durch Gesetze vom 17.Juli sowie vom 15. Dezember 1933 ) und schließlich am 30. Januar 1934 mit dem "Gesetz über den Neuaufbau des Reiches" beseitigt. Am 7. April 1933 wurden mit einem weiteren Gesetz sogenannte Reichsstatthalter zur Überwachung der von Hitler bestimmten politischen Richtlinien eingesetzt. Sie konnten in ihren Ländern Regierungen ernennen und Gesetze erlassen. Hitler, der in Preußen selbst die Rechte eines Statthalters ausübte, übertrug Göring als preußischem Ministerpräsidenten und Innenminister Befugnisse zu deren Wahrnehmung. Dieser ließ im Preußischen Landtag gegen die Stimmen der SPD - die KPD-Abgeordneten waren bereits ausgeschlossen, verfolgt und verhaftet - am 18. Mai extra ein preußisches Ermächtigungsgesetz für die preußische Staatsregierung beschließen, mit dem nach den Märzwahlen die Gleichschaltung Preußens zu Ende geführt wurde. Er hatte bereits das Geheime Staatspolizeiamt mit Sitz in Berlin errichtet und mit besonderen Vollmachten ausgestattet, welche bald auf ganz Deutschland ausgedehnt wurden.

Die Gleichschaltungsgesetze stärkten die Reichsgewalt, also den Platz Hitlers als Reichskanzler und seiner als Diktatoren praktizierenden Statthalter. Dem Willen des "Führers" wurde alles untergeordnet, diese Beseitigung parlamentarischer Demokratie als Sieg verkündet. Weil für die Durchsetzung einer derartigen Politik eine willfährige Beamtenschaft erforderlich war, wurde am 7. April das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" erlassen. Es begann die sogenannte Säuberung der staatlichen Verwaltung und nicht nur dort. Die "Gleichschaltung“ erwies sich als verschleiernde Bezeichnung für die mit offenem Terror gepaarte Methode der Machteroberung, als Sprachregelung für all jene Ereignisse, die nichts anderes als die Zerschlagung, Ausschaltung und Vernichtung bestehender bürgerlich-demokratischer Strukturen, politischer Gegner, besonders der Arbeiterparteien, der Gewerkschaften, Organisationen, Verbände und Vereine waren.

Für das Eichwalder 'Gemeindeparlament' bedeuteten alle diese Vorgänge folgendes: Eine Aufhebung und Neubildung der Gemeindevertretung war durch die eben abgehaltenen Wahlen in Preußen im Unterschied zu den anderen Ländern zunächst nicht erforderlich. Aber selbst hier sollte dem 'Ortsparlament' nur noch formal eine Lebenszeit bis Dezember beschieden sein. Noch sollte alles sehr demokratisch aussehen, obwohl längst die Beseitigung des parlamentarischen Systems durch die Nazis in vollem Gange war. Außerdem konnte man nun endlich den politischen Gegnern im Ort zeigen, wie gerne man gewillt war, die neuen politischen Machtverhältnisse zu genießen und auszuspielen. Wie einleitend erwähnt, trat am 6. April 1933 die von der NSDAP dominierte neugewählte Gemeindevertretung im Rathaussaal zu ihrer ersten Sitzung zusammen und wurde vom bisherigen Amts- und Gemeindevorsteher, Hans Friedrich, per Handschlag zur gewissenhaften Erfüllung ihrer Aufgaben verpflichtet. Am 16. April ließ ein Pressebericht durchblicken, wie die SPD-Vertreter bei der Wahl der Gemeindeschöffen isoliert worden waren. Vor der Wahl der Gemeindeschöffen hatten sich NSDAP und die Kampffront 'Schwarz-Weiß-Rot' Eichwaldes auf gemeinsame Kandidaten geeinigt. Die "KönigsWusterhausener Zeitung“, die sich immer offensichtlicher als NS-Blatt profilierte, schrieb triumphierend:" Eine erdrückende Mehrheit der nationalen Regierungsparteien wird hinfort die Geschicke unseres Ortes leiten “. Die beiden Sitze der SPD wurden im Juli annulliert. Als sich die bürgerlichen Parteien im Juni /Juli von selbst auflösten, wurden die zwei Vertreter der Kampffront 'Schwarz-Weiß-Rot' in die NSDAP-Fraktion der Eichwalder Gemeindevertretung aufgenommen. Der Spitzenkandidat der "Unpolitischen Bürgerliste“, Kaufmann Erich Michler, legte sein Amt als Gemeindevertreter, vermutlich im Zusammenhang mit der Auflösung dieser Parteien, im Juli 1933 nieder. An seine Stelle trat der Klempnermeister Walter Schmidt.

Nachdem KPD und SPD, die Hauptgegner des NS-Regimes, ausgeschaltet waren, verboten und verfolgt wurden, kam die Reihe an die Gewerkschaften. Die Hitler-Regierung hatte den Internationalen Kampf- und Feiertag der Arbeiter, den 1. Mai, zum gesetzlich festgelegten "Tag der nationalen Arbeit “ bestimmt. Demagogisch wurde diese Tradition der Arbeiterbewegung mißbraucht und der Tag mit überall angesetzten Massenkundgebungen als Generalprobe für weitere Manipulationen im Zeichen einer sogenannten "Volksgemeinschaft“ begangen. Erstmals 1933 auf dem Berliner Tempelhofer Feld zentral durchgeführt und gleichzeitig in Eichwalde 'in neuer Weise' veranstaltet, wurde der 1. Mai zu einem monströsen Spektakel aufgezogen. Kirchenglocken läuteten, alle Nazi-Formationen, militaristischen Vereine, Feuerwehr, sonstige Gruppierungen und Sparten bewegten sich schon seit 7 Uhr bei Blasmusik durch den Ort und hörten die "kernige“ Ansprache des kommissarischen Ortsgruppenleiters der NSDAP. Auf dem Volksfestplatz, dem heutigen Schillerplatz, ertönte ab 9 Uhr die Lautsprecher-Übertragung der Goebbelsrede aus dem Berliner Lustgarten. Von angeblich 1000 Teilnehmern wurde laut Zeitung berichtet, 10 Tage später diese nicht sehr beeindruckende Zahl auf 4000 geschönt. Besonders wurde auf die Speisung von etwa 700 Bedürftigen, von Arbeitslosen und Empfängern von Wohlfahrtsgeld, hingewiesen. Der Hitlerstaat sollte als Ordnung der Gerechtigkeit, Gleichheit und Fürsorge angesehen werden. Deshalb hatten Firmeninhaber und Geschäftsleute, die bald "Gefolgschaftsführer“ hießen, am 1.Mai in Reih und Glied mit ihren Arbeitern und Angestellten zu marschieren.

Eichwalder KPD-Mitglieder und Arbeitersportler kamen an diesem Tag auf verschiedenen Straßen und Wegen mit Gleichgesinnten aus dem ganzen KPD-Unterbezirk zu einer durch Antifaschisten weiträumig gesicherten illegalen Maifeier bei Grünheide zusammen. Ein Jahr später, als wieder nach nun erprobtem NS-Muster der 1. Mai in Eichwalde veranstaltet wurde, stellte man einen Film über den Verlauf dieses Tages im Ort her, der als Vorfilm bei Kinoveranstaltungen gezeigt wurde. Am 2. Mai 1933 wurden die Gewerkschaften zerschlagen und ihre Mitglieder in die am 10. Mai gebildete und der NSDAP angeschlossene "Deutsche Arbeitsfront“ (DAF) genötigt. Führende Gewerkschaftsfunktionäre kamen in sogenannte 'Schutzhaft '. Einige Gewerkschaftsführer, die in der Eichwalder Gewerkschaftssiedlung an der Waldstraße wohnten und nun verfolgt wurden, verließen Deutschland. So der Vorsitzende im Hauptvorstand des „Gesamtverbandes der Arbeitnehmer der öffentlichen Betriebe und des Personen- und Warenverkehrs“, Mitglied des Reichstages Anton Reißner (1890-1940), der nach seiner Festnahme im April 1933 und mehreren Monaten Haft in die Niederlande emigrierte. Nach Auflösung der Gewerkschaften und Bildung der "Deutschen Arbeitsfront " mit der NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude“( KdF) wurde in Eichwalde zunächst eine Ortsgruppe der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation (NSBO), seit Januar 1934 die DAF installiert.

Das " Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums “ vom 7. April 1933 galt natürlich auch in Eichwalde als Maßstab für eine Weiterverwendung im Staatsdienst. Es richtete sich vornehmlich gegen Parteimitglieder und Sympathisanten linker Parteien sowie gegen alle politisch unzuverlässigen Beamten. Wer auch nur im Verdacht stand, republikanisch zu denken, wurde in den Ruhestand versetzt. Überall begann eine Welle politischer "Säuberungen“, die " Bereinigung des Personalbestandes von Juden und Marxisten", die Ausschaltung aller Personen, die irgendwelcher Antipathien gegen den Faschismus verdächtigt wurden, besonders in öffentlichen Verwaltungen und Einrichtungen.

Der seit Dezember 1921 tätige und mit Wirkung vom 28. Mai 1925 für 12 Jahre bestätigte Amts- und Gemeindevorsteher Friedrich wurde trotz seines beflissenen Bekenntnisses zur 'nationalen Bewegung' offenbar nicht länger für geeignet gehalten, seine Arbeit fortzusetzen. Er wurde am 25. Juli 1933 zunächst durch den Referendar Louis Hähner abgelöst, der zuvor als kommissarischer Gemeindevorsteher in Schulzendorf tätig gewesenen war, sich hier bereits nach Meinung der Nazis "bewährt" hatte und nun in Eichwalde gleichfalls kommissarisch als Amts- und Gemeindevorstehers eingesetzt wurde.

Das Beamtengesetz war mit dem §3, dem "Arierparagraphen“, zugleich die erste Maßnahme einer legalisierten Judenverfolgung. Danach galt als "nichtarisch“, wer einen jüdischen Elternteil oder Großelternteil hatte. Schon1939 versuchte der deutsche Publizist Sebastian Haffner die Frage zu beantworten, wer eigentlich ein Nazi sei. Er schrieb:

" Woran erkennt man ihn? Sicherlich nicht daran, daß er eine Hakenkreuzfahne aus seinem Fenster hängt. Heute tut das jeder in Deutschland. Es bedeutet nichts. Er ist auch nicht daran erkennbar, daß er Mitglied irgendeiner NS-Gliederung oder der Partei ist. Jeder, der eine Familie hat, für die er sorgen muß, und es sich nicht leisten kann, seine Arbeit zu verlieren, ist in der einen oder anderen nationalsozialistischen Organisation. Und hat er das Pech, einen Beruf auszuüben, in dem die Mitgliedschaft in der NSDAP gefordert wird, tritt er ihr bei.....Das wichtigste und einfachste Kriterium ist die Haltung zur Politik gegenüber den Juden in Deutschland.“ 

Auch wenn die Antwort neue Fragen ergibt, ist sie doch hilfreich für die Beurteilung mancher örtlicher Ereignisse und Personen dieser Jahre, in denen sich die Mehrzahl der Bürger ab jetzt gegenüber den Nazis zustimmend, mindestens aber loyal verhielt. Die "Gleichschaltung“ war in Eichwalde außer in den politischen Gremien an weiteren Beispielen zu erleben: Parteigänger der Nazis oder ihnen nahestehende Personen, die nicht immer der NSDAP angehören mußten, rückten auch in Eichwalde an die Spitze von öffentlichen Einrichtungen oder örtlichen Vereinen jeder Art. Die bisher in den öffentlichen Funktionen tätigen Bürger wurden auf ihre Gesinnung überprüft.

Die Gemeindeschule oder auch Volksschule (Klassen1 bis 8) Eichwalde leitete schon seit 1917 Rektor Richard Froböse, die gehobene und höhere Schule, später Reformrealprogymnasium (Klassen 5 bis12) seit 1920 Studien-Direktor Dr. Karl Hohmann. Die Leiter beider Schulen waren für geeignet befunden worden, ihre Ämter weiter auszuüben. Sie waren dem NS-Regime nicht verdächtig. Beide hielten es wahrscheinlich für opportun und berufserhaltend, Mitglied der NSDAP zu werden, wie es in der Beamtenschaft besonders viele Lehrer taten. Bereits seit 1929 waren Eichwalder Lehrer im NS-Lehrerbund des Kreises Teltow organisiert, bevor sich 1934 eine der NSDAP angeschlossene selbständige Ortsgruppe mit dem "Ortsgruppenamtswalter" Studienrat Richard Klein bildete, die auch pensionierte Lehrer einschloß. Im Schulbetrieb wurden sehr schnell mehrere Schritte der Gleichschaltung eingeleitet. "Seit dem Tage der nationalen Erhebung am 30.1. regte sich auch in unserer Schule ein neuer Geist...", schrieb Dr. Hohmann im Bericht über das Schuljahr 1932/33. Hierzu einige Beispiele für die Zerschlagung demokratischer Strukturen: Der Elternbeirat der Schule wurde mit Runderlaß des Preußischen Innenministers vom 10. April 1933 abgeschafft, dafür ein Schulausschuß gebildet, in dem jetzt mehrere Mitglieder der NSDAP, u.a. Rechtsanwalt Lesser und Fabrikant Micklei sowie der Ortsgruppenführer des "Stahlhelm" und Lehrer am örtlichen Gymnasium, Studienrat Krönke, vertreten waren. Ihm durften keine Mitglieder angehören, die