Hermann von Wissmann

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Hermann Wilhelm Leopold Ludwig Wissmann, seit 1890 von Wissmann (* 4. September 1853 in Frankfurt (Oder); † 15. Juni 1905 in Weißenbach bei Liezen, Steiermark) war ein deutscher Afrikaforscher, Offizier und Kolonialbeamter.

Als Reichskommissar und Befehlshaber der ersten deutschen Kolonialtruppe war er in den Jahren 1889 und 1890 verantwortlich für die Niederschlagung des Widerstandes der ostafrikanischen Küstenbevölkerung. Vom 26. April 1895 bis 3. Dezember 1896 war er Gouverneur von Deutsch-Ostafrika.[1] Vor dieser Zeit betätigte er sich als Afrikaforscher unter anderem im Auftrag des belgischen Königs Leopold II. in Zentralafrika und durchquerte den Kontinent zweimal auf dem Landweg.

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Leben

Frühe Jahre

Hermann wurde als Sohn des Regierungsrats Hermann Ludwig Wissmann (1820–1869) und dessen Ehefrau Elise geborene Schach von Wittenau (1829–1910) geboren. Bereits vor ihm waren einzelne Mitglieder der Familie Wißmann in den preußischen Adel aufgestiegen.[2] Er selbst wurde 1890 vor der Beförderung zum Major geadelt.[3]

Wissmann verbrachte den Großteil seiner Jugend in Thüringen (Langensalza und Erfurt). Nach dem Besuch des Erfurter Ratsgymnasiums trat er 1871 in das Kadettenhaus in Berlin ein und legte im Folgejahr die Fähnrichsprüfung ab. Am 28. April 1872 trat er als Portepeefähnrich in das Großherzoglich Mecklenburgische Füsilier-Regiment „Kaiser Wilhelm“ Nr. 90 in Rostock ein und wurde am 15. Januar 1874 zum Sekondeleutnant befördert. In Rostock lernte er den Afrikareisenden Paul Pogge kennen.[4][5]

Expeditionen in Zentralafrika

Als Reisender im Auftrag geographischer Gesellschaften und europäischer Machthaber war Wissmann beteiligt an der europäischen Kartierung Zentralafrikas im unmittelbaren Vorfeld sowie während des Wettlaufs um Afrika.

Die explorative Afrikageographie erlebte seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts einen gesamteuropäischen Aufschwung. Nicht nur in Deutschland kam es zur Gründung neuer Afrikanischer Gesellschaften, die eine wachsende Zahl von Expeditionen förderten.[6]

Zur selben Zeit wuchs in Europa das wirtschaftliche Interesse an Afrika. Während der Großen Depression von 1873–1896 verbreitete sich zunehmend die Vorstellung, mit dem Zugang zu neuen Märkten und Konsumenten im afrikanischen Landesinneren könnten die europäischen Nationalökonomien ihre Krisen überwinden.[7] Die Publikationen von Forschungsreisenden lieferten in diesem Kontext topographische, wirtschaftliche und politische Informationen, die Einfluss auf die Wahrnehmung ökonomischer Potenziale in Afrika hatten.[8]

Die Kontrolle des Handels mit dem Kongobecken – das Gebiet, in dem Wissmann vornehmlich reiste – wurde ab Ende der 1870er Jahre zu einem der vielen Schauplätze des Wettlaufs um Afrika.

Pogge/Wissmann-Expedition (1880–1883)

Wissmann begleitete Pogge auf dessen zweiter Expedition nach Zentralafrika. Gefördert wurde die Expedition von der Afrikanischen Gesellschaft in Deutschland, dem deutschen Zweig der von Leopold II. gegründeten Internationalen Afrika Assoziation.[9]

Die Expedition nahm 1881 ihren Ausgang in der portugiesischen Kolonialstadt Luanda in Angola. Ziel war das Erreichen des Kongobeckens sowie die Durchquerung des Kontinents von West nach Ost. Dies war Europäern aufgrund bestehender Handels- und Machtstrukturen zuvor nicht gelungen.[10]

Vor der Errichtung territorialer Kolonialreiche beschränkte europäische Präsenz in Afrika sich in erster Linie auf Küstenorte. Das Handelsvolumen hing ab von afrikanischen Produzenten, sowie afrikanischen und arabischen Mittelsmännern.[11] Afrikanische Mittelsmänner-Communities sahen in europäischen Reisenden eine Bedrohung ihrer Stellung in etablierten Handelsstrukturen und hatten erfolgreich "früheren Karawanen von der Westküste den Zugang zum Innern des Kongobeckens versperrt"[12]. Mit wachsendem wirtschaftlichen Interesse versuchten Europäer zunehmend, afrikanische und arabische Mittelsmänner auszuschalten und zu ersetzen.[13] Der Anthropologe Johannes Fabian argumentiert, dass es das zunächst gute Verhältnis zu den Bena Riamba war, das Wissmann und Pogge ermöglichte, den Kontinent in diesem konfliktreichen Kontext zu durchqueren.[12]

Die Expedition gelangte über Malanje nach Kimbundo und nach Überschreitung des Kasai in das Gebiet der Tuschilange am Lulua. Von dort kamen sie zum Mukambasee, dessen wahre Ausdehnung bestimmt wurde, dann zu den Bassongo, passierten den Sankuru (Lubilasch) und setzten nach Erreichen des angeschwollenen Luubu die Reise in Booten zum Lualaba fort. In Nyangwe trennten sich die Forscher: nachdem Pogge an die Westküste zurückkehrte, übernahm Wissmann die Leitung der Expedition. Wissmann reiste weiter ostwärts und erreichte in Begleitung des Sklavenhändlers Tippu-Tip die Ostküste Afrikas am 15. November bei Saadani.

Zeitgleich mit der Wissmann/Pogge Expedition reiste Henry Morton Stanley den Kongo hinauf, um im Auftrag Leopolds II. ein informelles belgisches Empire in Zentralafrika vorzubereiten. Brazza schloss in Eigenregie einen Vertrag mit den Teke, der, falls ratifiziert, drohte, Leopolds Stationen im Inland zu isolieren. Um einer Kontrolle des Kongo-Handels durch Frankreich entgegenzuwirken, nahm Großbritannien 1882 Gespräche mit Portugal auf, welches mit britischer Hilfe die Kongomündung kontrollieren könnte.[14] Der europäische Wettlauf um die informelle Kontrolle des Kongo war nun in vollem Gang.

Kongo-Expedition im Auftrag Leopolds II. (1883–1885)

1883 nahm Wissmann – scheinbar vermittelt durch den Kronprinzen Friedrich III. – einen Auftrag von Leopold II. an, eine Forschungsreise in die Kasai-Region im südlichen Kongobecken zu unternehmen.[15] Er stellte die verfallene Station Lu-buku wieder her und gründete die Station Luluaburg, die später zu einem strategischen Posten für den Kongo-Freistaat wurde.[16]

Während der Expedition fand in Berlin die Kongokonferenz statt. Der umstrittene Zugang zum Kongobecken und die Errichtung des Kongo-Freistaates waren zentraler Teil der Verhandlungen.

Zweite Expedition im Kongo-Freistaat (1886–1887)

Nachdem Wissmann den Winter 1885/1886 zur Erholung in Madeira verbrachte, trat er an Friedrich III. mit der Frage heran, ob er in den Dienste der mittlerweile errichteten deutschen Kolonien in Afrika treten könne. Ihm wurde stattdessen geraten, sein letztes ausstehendes Dienstjahr für Leopold anzutreten. So reiste Wissmann 1886 erneut in den Süden des mittlerweile errichteten Kongo-Freistaates.[17]

Befehlshaber der „Wissmann-Truppe“

Als die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft (DOAG) versuchte, ihre de facto Herrschaft im sansibarischen Küstenstreifen durchzusetzen, kam es dort im Spätsommer 1888 zum Aufstand der Küstenbevölkerung unter Buschiri bin Salim. Die lose Herrschaft der DOAG brach zusammen; nur die Hafenstädte Bagamoyo und Dar es Salaam konnten gehalten werden. Nachdem der Einsatz eines Kreuzergeschwaders den Widerstand nicht hatte beenden können, entschloss sich Bismarck zur Entsendung einer Landstreitmacht.[1]

Bismarck berief Wissmann zum Reichskommissar und betraute ihn mit der militärischen Niederschlagung. Die aus deutschen Offizieren und afrikanischen Söldnern zusammengestellte „Wissmann-Truppe“ war die erste deutsche Kolonialtruppe, die einen Landkrieg in Afrika führte.[1]

Wissmanns Truppen überschütteten die Aufständischen meist mit kurzem, heftigem Feuer. Eroberte Ortschaften ließ er plündern, in Brand stecken und die Felder verwüsten. Diese Kriegsführung wurde von einigen Zeitgenossen – u. a. vom linksliberalen Reichstagsabgeordneten Eugen Richter – als grausam kritisiert. Andere Stimmen in Deutschland feierten Wissmann aufgrund seines militärischen Erfolgs. Nach der Eroberung der gesamten ostafrikanischen Küste wurde Wissmann 1890 durch Wilhelm II. in den erblichen Adelsstand erhoben.[1]

Weitere Einsätze außerhalb Deutschlands

Am 1. Mai 1895 wurde Wissmann zum Gouverneur von Deutsch-Ostafrika ernannt, kehrte aber Mitte 1896 krankheitsbedingt nach Deutschland zurück. In seiner Zeit als Gouverneur bereitete er u. a. die Besteuerung der kolonisierten Bevölkerung mit einer „Hüttensteuer“ vor, welche Jahre später zu einem Grund für den Maji-Maji Aufstand wurde.[1]

Nach seinem Ruhestand Ende 1896 wurde er dem Auswärtigem Amt, Abt. IV (Kolonien), zugeteilt und war als Berater für den Abteilungsdirektor tätig. Er nahm 1897 an einer Reise nach Sibirien und 1898/99 an einer Reise nach Südafrika teil.[18]

Privatleben

Wissmann heiratete am 20. November 1894 in Köln Hedwig Langen, Tochter des Geheimen Kommerzienrates und Industriellen Eugen Langen. Aus der Ehe stammen neben dem Sohn Hermann, der später ein bekannter Arabienforscher wurde, auch drei Töchter.

Wissmann lebte nach seiner Genesung in Italien und in der Schweiz Ende 1896 in Berlin.[18] Im Dezember 1896 wurde er auf sein Bitten hin in den einstweiligen Ruhestand versetzt. 1899 zog sich Wissmann auf seinen Landsitz in Weissenbach bei Liezen in der Steiermark zurück, wo er am 15. Juni 1905 im Alter von 51 Jahren durch einen Jagdunfall das Leben verlor. Seine Grabstätte befindet sich auf dem Kölner Friedhof Melaten (Flur 60a).

Rezeption und Gedächtnis

Er war Ehrenmitglied des Thüringisch-Sächsischen Vereins für Erdkunde[19]. Denkmäler wurden nach seinem Tod in Weißenbach bei Liezen, Bad Lauterberg im Harz und Daressalam (später in Hamburg, derzeit eingelagert) errichtet.

In mehr als 20 Städten, u. a. in Hamburg, Düsseldorf, Kassel, Köln und München, gibt es Straßen, die nach ihm benannt wurden. Einige dieser Straßen wurden schon zu seinen Lebzeiten, einige nach seinem Tode und viele erst in den 1920er Jahren und während der Zeit des Nationalsozialismus benannt.

Inzwischen wurden an etlichen Orten in Deutschland nach Wissmann benannte Straßennamen umgewidmet oder umbenannt. Als Grund wird angegeben, dass im Zuge der Kolonialisierung Afrikas schwere Verbrechen begangen wurden und die dafür verantwortlichen Verbrecher nicht weiter posthum durch Straßennamen geehrt werden sollen.[20]

Die Wissmannstraße in Hannover wurde am 18. März 2009 vom Bezirksrat Südstadt-Bult einstimmig umgewidmet.[21] Am 18. Mai 2009 wurde die Wissmannstraße in Stuttgart-Stammheim in Wolle-Kriwanek-Straße umbenannt. Die Wissmannstraße in Berlin-Neukölln soll auf Beschluss der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung Anfang 2021 nach der tansanischen Politikerin Lucy Lameck benannt werden.[22]

Zum Kolonialgedenkjahr 1934 brachte die Deutsche Reichspost eine Briefmarkenserie mit den Porträts bekannter Personen der deutschen Kolonialgeschichte heraus. Neben von Wissmann wurde in der gleichen Serie auch der umstrittenere Carl Peters geehrt.

Zeitgenössische Biografen sahen ihn als „Deutschlands größten Afrikaner“, laut Joachim Zeller war er „die in der damaligen öffentlichen Meinung weitgehend unumstrittene und sogar über die kolonialen Kreise hinaus populäre Figur“, für Thomas Morlang hingegen war er ein „äußerst umstrittene[r] Kolonialheld“. Gisela Graichen und Horst Gründer bescheinigen ihm, dass er „sehr wohl einen emotionalen Bezug zu den Einheimischen besaß“, und Mubabinge Bilolo aus der DR Kongo lobte ihn in seiner Rede beim 100. Todestag gar als einen „großen Afrikaner“.

Wegen seiner grausamen Strafexpeditionen (Wissmann tötete angeblich 200 Menschen, da deren Häuptling die kaiserliche Fahne vom Mast gerissen hatte) stellte Spiegel Online ihn in eine Reihe mit anderen Kolonialverbrechern wie Lothar von Trotha, Carl Peters und Hans Dominik. Auch wird er als „Hauptakteur“ „eines der schlimmsten Verbrechen der deutschen Kolonialgeschichte“[23] bezeichnet, dem Schätzungen zufolge 300.000 tansanische (und 16 deutsche) Menschen zum Opfer fielen. Bilolo lehnt diese Kritik als Übelrede ab und weist auf einen klaren Datierungsfehler hin: Der Maji-Maji-Aufstand begann am 20. Juli 1905 und dauerte bis 1907/1908, Wissmann war aber schon 1896 von Afrika nach Deutschland zurückgereist und am 15. Juni 1905 verstorben.

Dies widerlegt zwar einen Zusammenhang zum Maji-Maji-Aufstand, jedoch nicht seine Rolle in der Niederschlagung des Aufstands der Wahehe (1891–1899). Die ersten Jahre des Aufstandes war Wissmann noch für die Niederschlagung verantwortlich. Dabei kam es zu „massenhaft Exekutionen, denen manchmal auch Hermann von Wissmann […] beiwohnte.“ Dadurch sowie durch „eine Hungersnot nach Kriegsende, verursacht durch Plünderungen der Schutztruppe und eine von den Europäern eingeschleppte Rinderpest“ sollen rund 700.000 Menschen ihr Leben verloren haben.[24]

Auf der anderen Seite beendete er de facto die Versklavung der einheimischen Bevölkerung durch die lokale arabische Oberschicht und den Sklavenhandel.


Text: Wikipedia

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