Lemberg
Lwiw, deutsch Lemberg (ukrainisch Львів, russisch Львов Lwow]), ist eine Stadt in Ostgalizien in der westlichen Ukraine mit etwa 730.000 Einwohnern. Sie bildet das wichtigste Oberzentrum der Westukraine, ist Hauptstadt des gleichnamigen Bezirks Oblast Lwiw und (Stand 2015) die siebtgrößte Stadt der Ukraine. Der Stadtverwaltung unterstehen neben der Stadt Lwiw mit ihren sechs Stadtrajonen noch die Stadt Wynnyky sowie die beiden Siedlungen städtischen Typs Brjuchowytschi und Rudne. Lwiw (Lemberg)
Lwiw ist seit Jahrhunderten vom Zusammenleben mehrerer Ethnien geprägt. Bis ins 20. Jahrhundert gab es neben einer polnischen Bevölkerungsmehrheit einen großen Anteil an Juden und Ukrainern. Der zunächst geringe Anteil an Ukrainern wurde nach und nach durch Zuzug aus dem Umland größer. Daneben gab es noch verschiedene Minderheiten, etwa eine deutschsprachige, bedingt durch die österreichischen Beamten, oder eine armenische. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts leben in der Stadt überwiegend Ukrainer, daneben Russen, Weißrussen und Polen. Die Altstadt ist Teil des UNESCO-Weltkulturerbes[2] und wird von Bauwerken der Renaissance, des Barocks, Klassizismus und Jugendstils beherrscht. Ihr mediterranes Flair diente als Kulisse für sowjetische Filme, die Rom oder Venedig darstellen sollten.[3] Lwiw war ein Austragungsort der Fußball-Europameisterschaft 2012.
Reklamemarken und Siegelmarken
Verzeichnis der Reklamemarken und Siegelmarken mit einem Bezug zu Lemberg.
K.u.k. Infanterieregiment „Hoch- und Deutschmeister“ Nr. 4
Sonstige
Geschichte
Altrussisches Lwow 1256–1349
1256 errichtete Rurikiden-Fürst Daniel Romanowitsch, der die Macht über das Rus-Fürstentum Galizien-Wolhynien hatte, an der Stelle des heutigen Lwiw eine Burg für seinen Sohn Lew (Leo I.). Von Lew (altostslawisch für Löwe) hat die Stadt ihren Namen Lwow – „Lew bzw. dem Löwen gehörend“. Auch im Wappen und in zahlreichen Steinskulpturen der Stadt taucht der Löwe immer wieder auf. Die Burg Wyssokyj samok musste auf Befehl der Mongolen bald wieder geschleift werden, wurde später jedoch wiedererrichtet. Neben der Burg gab es einen weiteren befestigten Stadtteil sowie eine unbefestigte Vorstadt (Possad). Es entstand der gleichnamige Vorläufer der heutigen Sankt-Georgs-Kathedrale.
Die günstige Lage an der Kreuzung der Handelswege, der Via Regia und Verbindungen von der Ostsee zum Schwarzen Meer, ließ die Stadt schnell wachsen. Die Verwüstungen der Rus durch die Mongolen sowie Tributzahlungen untergruben jedoch bald die Macht Galizien-Wolhyniens. Nachdem die lokale Linie der Rurikiden-Dynastie ausgestorben war, fiel Lwow 1340 zunächst an das Großfürstentum Litauen, 1349 an Polen.
Polnisches Lwów 1349–1772
1356 erhielt die Stadt vom polnischen König Kasimir dem Großen das Magdeburger Stadtrecht; deutsche Bürger, Juden sowie auch Christen siedelten sich an. Im selben Jahr erhielten die Armenier Privilegien Kasimirs.[12] Die Amtssprache war nun fast 200 Jahre lang Deutsch. Das Siegel des Stadtrates lautete lateinisch S(igillum): CIVITATIS LEMBVRGENSIS. 1387, nach kurzer ungarischer Herrschaft, kam die Stadt wieder an das Königreich Polen. Zunächst war das Regnum Russiae mit der Hauptstadt Lwów ein formal gleichberechtigtes Königreich, dessen Krone der polnische König in Personalunion führte. 1434 wurde es jedoch abgeschafft und Lwów blieb bis 1772 lediglich die Hauptstadt der polnischen Woiwodschaft Ruthenien und des Lemberger Landes (Ziemia lwowska), seit 1569 in der Adelsrepublik Polen-Litauen. Während polnische, deutsche, jüdische und armenische Zuwanderer Privilegien genossen, wurde die ostslawische Bevölkerung in dieser Zeit als orthodoxe „Schismatiker“ stark diskriminiert, ihr wurde die Teilnahme an der Verwaltung der Stadt verwehrt, ihre Vertreter durften lediglich in einem Ghetto entlang der Ruska-Straße siedeln und hatten keinen Zugang zu vielen Zünften.[13]
In der frühen Neuzeit entwickelte sich die Stadt zu einem wichtigen Handelsplatz und – neben Krakau, Wilna und Warschau – zu einem Zentrum polnischen Kultur- und Geisteslebens. Das Umland Lwóws war überwiegend ruthenischsprachig. Im 16. Jahrhundert war in Lwów der Russe Iwan Fjodorow tätig, einer der ersten ostslawischen Buchdrucker nach dem Weißrussen Francysk Skaryna. Im Kampf gegen die katholische Diskriminierung entstand die orthodoxe Mariä-Entschlafens-Bruderschaft.
Während des Chmelnyzkyj-Aufstandes und des Russisch-Polnischen Krieges 1654–1667 wurde Lwów 1648 und 1655 von den Saporoger Kosaken belagert. Die Stadt erhielt das Prädikat semper fidelis („immer treu“), weil sie sich während des 17. Jahrhunderts wiederholt gegen Belagerer verteidigte.[14]
Die 1661 vom polnischen König Johann II. Kasimir gegründete Universität Lwów ist die älteste in der heutigen Ukraine.
Österreichisches Lemberg 1772–1918
1772 fiel die Stadt mit der ersten Teilung Polens an die Habsburgermonarchie. Lemberg wurde Hauptstadt des Königreichs Galizien und Lodomerien und viertgrößte Stadt im Vielvölkerstaat. Anfangs wollte Kaiser Joseph II., wie in seinem gesamten Herrschaftsbereich, die deutsche Sprache als Verwaltungssprache durchsetzen. Der Unterricht in den Haupt- und Trivialschulen fand seit der Schulreform Maria Theresias bis etwa 1850 ausschließlich auf Deutsch statt, was problematisch war, da – wie sich der polnische Autor Kazimierz Brodziński erinnerte – die polnischen Kinder sich den Unterrichtsstoff nur durch Auswendiglernen aneignen konnten, ohne ihn zu verstehen.[15]
1778 wurde eine deutsche evangelisch-lutherische Gemeinde in Lemberg gegründet. Ihr aktivster Vertreter war der Kaufmann Johann Friedrich Preschel.
Mitte des 19. Jahrhunderts änderte sich die Zusammensetzung des Beamtenapparats. Waren zuvor von den 800 Beamten 600 Deutsche gewesen, führte die relative Autonomie des Königreichs Galiziens ab 1867 dazu, dass schnell das Polnische als Zweitsprache hinzukam. Nun fungierten vor allem Polen als Beamte der Wiener k.k. Regierung in Galizien.
Von 1867 an, als die Doppelmonarchie Österreich-Ungarn gebildet wurde, besaßen die Galizier die einheitliche österreichische Staatsbürgerschaft und waren mit polnischen und nach der Erweiterung des Wahlrechts auch ruthenischen Abgeordneten im Reichsrat, dem Parlament Cisleithaniens in Wien, vertreten. Das in Wien herausgegebene Reichsgesetzblatt erschien seit 1867 auch in polnischer und seit 1870 auch in ruthenischer Sprache.[16]
Lemberg war Sitz des k.k. Statthalters (des Vertreters des Kaisers und seiner Regierung), des Sejms (Landesparlament), dreier Erzbischöfe (römisch-katholisch, griechisch-katholisch, armenisch-katholisch), die kraft ihres Amtes Mitglieder des Herrenhauses des österreichischen Reichsrats waren, und eines Oberrabbiners. Von 1804 bis 1870 war die Stadt zudem Sitz der Evangelischen Superintendentur A. B. Galizien. In Lemberg befanden sich Konsulate von Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland und Dänemark. Die galizische Landeshauptstadt verfügte über eine Universität und ein Polytechnikum, beide mit polnischer Unterrichtssprache, vier polnische, ein deutsches[17] und ein ruthenisches Gymnasium.
Um 1900 waren etwa die Hälfte der Einwohner Polen, ein Viertel Juden und 30.000 Ruthenen (damalige Bezeichnung für Ukrainer). Letztere wurden von der polnischen Bevölkerung diskriminiert. 1908 töteten drei polnische k.k. Gendarmen einen ruthenischen Bauern, worauf der ukrainische Philosophiestudent Miroslaw Siczynski den Statthalter Graf Andrzej Kazimierz Potocki erschoss. Blutige Auseinandersetzungen zwischen polnischen und ruthenischen Studenten folgten.[18] Die geschlossene polnische Sprachinsel von Lemberg umfasste über 30 Gemeinden im Bezirk Lemberg.
Lemberg war vor dem Ersten Weltkrieg – mit Krakau und der Festung Przemyśl – eine der größten Garnisonen der k.u.k. Armee im Osten der Doppelmonarchie. Der Standort war Eckpfeiler zum Schutz der Grenze Österreich-Ungarns gegen das Russische Kaiserreich. Die russische Armee eroberte Lemberg Ende August 1914 und drang weit nach Westen vor.[19] Die russischen Besatzer erklärten die Region zum Teil des Zarenreichs, die Russifizierung des öffentlichen Lebens setzte ein. Dazu gehörten Schulpläne, die auf die Verdrängung des Ukrainischen und Polnischen als Unterrichtssprache im Bildungswesen abzielte. Der griechisch-katholische Metropolit Andrej Scheptyzkyj, den die zaristischen Behörden als Förderer der ukrainischen Nationalismus ansahen, wurde nach Russland deportiert. Das Moskauer Patriarchat schickte Geistliche, die die dem Vatikan unterstehende griechisch-katholische Kirche liquidieren sollten. Aus Anlass des Besuchs von Zar Nikolai II. Anfang April 1915 wurden zahlreiche Vertreter ukrainischer Vereine und Gesellschaften verhaftet. Ende Juni 1915 rücken die russischen Besatzer angesichts des Vormarsches deutscher und österreichischer Truppen wieder ab.[20] Bis zur Februarrevolution 1917 in Russland rückten mehrmals zaristische Verbände auf die Stadt vor, konnten sie aber nicht erreichen.
Polnisches Lwów 1918–1939
Zum Ende des Ersten Weltkriegs wurde in Lemberg am 1. November 1918 die Westukrainische Volksrepublik gegründet, doch errang Polen nach teilweise heftigen Kämpfen im Polnisch-Ukrainischen Krieg die Herrschaft. Polnische Truppen besetzten die Stadt am 21./22. November 1918. Bei einem Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung, das vom 22. bis zum 24. November andauerte, wurden laut dem Bericht von Henry Morgenthau senior 64 Menschen getötet.[21] Viele wurden verletzt oder ausgeraubt. Es wurde nachgewiesen, dass ein Teil der polnischen Offiziere, Soldaten und Zivilisten die Verantwortung trug. Auch waren Mitglieder der jüdischen Miliz (ein Dutzend wurde verhaftet) und Deserteure aus der galizischen Armee beteiligt. Zu den Opfern der Plünderungen gehörten auch Teile der polnischen und ukrainischen Bevölkerung. Der Gewaltakt erschütterte das bis dahin recht harmonische Zusammenleben der verschiedenen Volksgruppen und Religionen im Lwów der Zwischenkriegszeit nachhaltig.
Die Stadt hatte damals 361.000 Einwohner, die meisten davon Polen (1912 zwischen 50 und 53 Prozent, ab 1925 über 55 Prozent), ein Drittel mehrheitlich polonisierte Juden, außerdem Ukrainer, Deutsche und polnische Armenier. Im Umland der Stadt lebten mehrheitlich Ukrainer (je nach Landkreis etwa vier bis fünf Sechstel der Bevölkerung), obwohl viele Dörfer in der Umgebung polnische Mehrheit hatten. 1931 wurde die Stadt durch Eingemeindungen der Dorfgemeinden Zamarstynów, Hołosko Małe, Kleparów, Sygniówka, Kulparków und Zniesienie sowie Teile von Biłohorszcze, Kozielniki und Krzywczyce vergrößert (insgesamt 3106 Hektar mit um 50.000 Einwohnern). So entstand die drittgrößte Stadt Polens. In den Zwischenkriegsjahren blieb Lwiw sowohl eine Hochburg polnischer Kultur als auch ein Brennpunkt ukrainischen Nationalgefühls; es blieb jedoch auch die habsburgische, übernationale Identität im Hintergrund präsent. Weltrang auf dem philosophischen Gebiet der Logik hatte die Lemberg-Warschau-Schule.
Verwaltungstechnisch war die Stadt als Teil der Zweiten Polnischen Republik ab 1921 die Hauptstadt der gleichnamigen Woiwodschaft Lwów.
Zweiter Weltkrieg
Im September 1939 wurde Lwów bis 1941 aufgrund des Hitler-Stalin-Pakts durch die sowjetische Besetzung Ostpolens 1939 in die Ukrainische Sowjetrepublik eingegliedert. Die polnische Armee hatte deutschen Truppen trotz Artillerie- und Luft-Bombardement erbitterten Widerstand geleistet, da das Gebiet als Versorgungsroute für die Alliierten via Rumänien geplant gewesen war. In diesem Plan war nicht berücksichtigt gewesen, dass Deutschland und die Sowjetunion hätten alliiert sein können. Drei Tage nach dem Erscheinen sowjetischer Truppen wurden die Kämpfe am 22. September 1939 eingestellt.[22] Die Deutschen überließen den sowjetischen Truppen wie im Pakt vereinbart die Stadt und zogen sich zurück.[23] Wie überall in der Sowjetunion erfolgten nun auch im sowjetisch besetzten Lwow Zwangskollektivierungen von Wirtschaftsverbänden und Bauernwirtschaften. Zu dieser Zeit lebten in der Stadt etwa 160.000 Polen, 150.000 Juden und 50.000 Ukrainer.[24]
Zwischen dem Beginn des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 und dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht in Lwow töteten sowjetische Einsatzkräfte (vor allem der NKWD) etwa 4000 politische Häftlinge. Am frühen Morgen des 30. Juni 1941 nahmen die 1. Gebirgs-Division unter Generalmajor Hubert Lanz und das Baulehrbataillon z. b. V. 800 „Die Brandenburger“, unterstützt durch das ukrainische Freiwilligenbataillon „Nachtigall“, die Stadt ohne Widerstand ein.[24] Noch am selben Tag riefen Mitglieder der Organisation Ukrainischer Nationalisten-Banderisten (OUN-B) um Jaroslaw Stezko vom Balkon des Lubomirski-Palasts die Wiederherstellung der ukrainischen Unabhängigkeit aus. Sie wurden jedoch wenige Tage später von der Gestapo, deren Chef in Lemberg Kurt Stawizki war, verhaftet, da die deutsche Seite keinen ukrainischen Staat wünschte. Lwow wurde Teil des deutschen Generalgouvernements und fungierte nun wieder unter dem Namen Lemberg als Hauptstadt des Distrikts Galizien.
Das Massaker des NKWD an ukrainischen Häftlingen wurde von den Verbänden der Wehrmacht, dem Bataillon „Nachtigall“ und der ukrainisch-nationalistischen und antisemitischen Miliz der OUN-B propagandistisch ausgeschlachtet. Dadurch wurde eine Pogromstimmung angeheizt, die sich gegen die jüdische Zivilbevölkerung richtete. Bei Massenmorden an den ersten Tagen der deutschen Besatzung starben etwa 4000 Juden, teils bei „spontanen“ Ausschreitungen ukrainischer Milizen und Zivilisten in der Stadt, die meisten aber bei einer organisierten Massenexekution durch die Einsatzgruppe C am 4. Juli 1941 am Stadtrand.[24] In der Nacht vom 3. zum 4. Juli 1941 verhaftete zudem die Gestapo unter dem damaligen SS-Oberführer Karl Eberhard Schöngarth 22 polnische Professoren, gemäß einer mit Hilfe ukrainischer Studenten angefertigten Liste, und ermordete sie, zum Teil auch ihre Angehörigen.
Kreishauptmann und damit oberster ziviler Herrscher in Lemberg war anschließend der Krefelder Joachim Freiherr von der Leyen. Fast alle jüdischen Lemberger wurden in der Folgezeit ermordet, unter anderem im von den Nationalsozialisten eingerichteten Ghetto Lemberg, im städtischen Zwangsarbeitslager Lemberg-Janowska und im Vernichtungslager Belzec.[25] Nahezu alle Synagogen wurden zerstört. Lediglich zwei Gebäude existieren noch heute. Insgesamt wurden in Lemberg und der Lemberger Umgebung während der Zeit des Nationalsozialismus ca. 540.000 Menschen in Konzentrations- und Gefangenenlagern umgebracht, davon 400.000 Juden, darunter etwa 130.000 Lemberger. Die restlichen 140.000 Opfer waren russische Gefangene.
Im Rahmen der deutschen Euthanasie-Politik kam es zwischen 1941 und 1944 zu Krankenmorden an 2000 Patienten der Anstalt Kulparkow.[26][27] Daneben befand sich in Lemberg auch das Institut für Fleckfieber- und Virusforschung des Oberkommandos des Heeres.
Die Besatzer betrieben von Dezember 1942 bis zum Januar 1944 in der Zitadelle von Lemberg zwei Kriegsgefangenenlager: Stalag 328 für sowjetische Kriegsgefangene und Stalag 325 für französische, belgische und (ab September 1943) italienische Kriegsgefangene. Von 284.000 Kriegsgefangenen starb etwa die Hälfte durch Hunger, Krankheit, Folter oder Erschießungen.
In Lemberg bestand später das Kriegsgefangenenlager 275 für deutsche Kriegsgefangene des Zweiten Weltkriegs.[28] In der Nähe des Lagers gab es einen Kriegsgefangenenfriedhof mit über 800 Gräbern. Schwer Erkrankte wurden im Kriegsgefangenenhospital 1241 versorgt.
Sowjetisches Lwow 1945–1991
Als die Stadt im Zuge der Lwiw-Sandomierz-Operation 1944 wieder unter sowjetische Herrschaft kam, wurden die meisten dort ansässigen Polen im Zuge der Zwangsumsiedlung von Polen aus den ehemaligen polnischen Ostgebieten 1944–1946 vertrieben. Ein Teil der Bevölkerung wurde nach der Vertreibung der dort lebenden Deutschen in Niederschlesien, vor allem in Breslau, angesiedelt. Viele Ukrainer, die zuvor im polnischen Westgalizien und in Zentralpolen gelebt hatten, wurden gleichzeitig aus Polen zwangsumgesiedelt und von der UdSSR in oder bei Lwow angesiedelt. Dadurch veränderte sich die ethnische und kulturelle Zusammensetzung der Stadt grundlegend. An die Stelle der traditionellen polnischen, jüdischen und armenischen Bevölkerung traten Ukrainer.
Die Sowjetbehörden begannen mit dem Wiederaufbau der Stadt, der vom Zuzug von Fachkräften aus der ganzen UdSSR und der Industrialisierung Lwows begleitet wurde. Bis zu den 1980er Jahren waren 137 Großfabriken entstanden, die Busse (LAS), Lastkraftwagen, Fernsehgeräte und Maschinen produzierten. Die Stadtbevölkerung wuchs von 330.000 auf 760.000 Einwohner. Gleichzeitig wurden nationalistische Strömungen unter den Westukrainern unterdrückt.
Lwiw seit der Unabhängigkeit 1991
Seit 1991 ist Lwiw Teil der unabhängigen Ukraine. Die 1990er Jahre waren geprägt vom Zusammenbruch großer Unternehmen und der anhaltenden Wirtschaftskrise. Lwiw behielt seine Bedeutung als bedeutendes kulturelles, religiöses, pädagogisches und wissenschaftliches Zentrum und entwickelte den Dienstleistungssektor, einschließlich des Tourismus. Die Stadt veranstaltet seit 1994 ihr jährliches Book Forum Lviv, die größte Buchmesse der Ukraine. Bedeutende Ereignisse der frühen 2000er Jahre waren der Besuch von Papst Johannes Paul II. im Jahr 2001 (ein Gottesdienst in Lwiw, an dem mehrere hunderttausend Gläubige teilnahmen) und die Sknyliw-Tragödie während der Flugshow 2002, bei der 77 Menschen ums Leben kamen.
Die Einwohner von Lwiw nahmen aktiv an der Orange Revolution und am Euromaidan teil. Am 1. Dezember 2013 nahmen mehr als 50.000 Menschen an der Kundgebung vor dem Taras-Schewtschenko-Denkmal, einem traditionellen Austragungsort von Stadtkundgebungen, teil. Lwiw versammelte die zweitgrößten Kundgebungen unter allen ukrainischen Städten (nach Kiew).
Von Galizien gehen seither immer wieder Autonomiebestrebungen aus, nicht zuletzt wegen der Geschichte Lwiws als Hauptstadt eines eigenen Königreiches. Die Stadt feierte im Herbst 2006 das 750. Jubiläum ihres Bestehens.
Der Bahnhof der Stadt ist seit dem russischen Überfall auf die Ukraine 2022 Ende Februar 2022 Ausgangspunkt vieler Züge mit Flüchtlingen in die westlichen Nachbarländer.[30]
In Lwiw u. a. westukrainischen Städten wurden seit 1992 Denkmäler und Gedenktafeln für Anführer der nationalistischen OUN und UPA aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges errichtet und Straßen nach ihnen benannt, was international kritisiert wird, weil sie zeitweilig mit der NS-Besatzung kollaboriert hatten und Verbrechen an Zivilbevölkerungen begingen. Dem Andenken in der Westukraine, wo sie aktiv waren, liegt eine beschönigte, teilweise verfälschte Wertung als Vorkämpfer ukrainischer Unabhängigkeit, die gleichermaßen gegen die Sowjetunion und auch gegen die deutsche Besatzung gekämpft haben sollen, zugrunde, die ihre Verbrechen häufig minimiert oder deutschen Einheiten zuweist und die Kollaborationen nicht als Überzeugungstaten, sondern Kalkül hinstellt.[31] Sie hatten 1936 bis nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion mit dem Dritten Reich gegen Polen und die Sowjetunion zusammengearbeitet. Nachdem sie im Juni–August 1941 (OUN-B) und Anfang 1942 (OUN-M) von den NS-Besatzern verboten und ihre Führer inhaftiert wurden, vermieden sie im Untergrund Konfrontationen, begrüßten teilweise Kollaborationen, weil sie hofften, so geschultes Personal für den späteren ukrainischen Nationalstaat zu gewinnen, und kämpften erst spät (nach Stalingrad) auch gegen die Deutschen, mehr aber gegen die Polnische Heimatarmee, und begingen dabei auch Verbrechen an polnischer, ukrainischer, jüdischer (schon im Sommer 1941) u. a. Zivilbevölkerungen (siehe dazu Artikel OUN, UPA, Stepan Bandera, Andrij Melnyk).
Der Kult ist, wie fast alle Erinnerungen der Ukraine, nicht vom Zentralstaat organisiert,[32] sondern wird von westukrainischen regionalen und städtischen Behörden getragen (Straßenumbenennungen und einige Gedenkplaketten), die der idealisierten Wertung der OUN und UPA im westukrainischen Diskurs folgen. Oder er geht von nationalistischen, rechtsextremen Parteien, wie Swoboda, Asow oder KUN aus (einige Gedenktafeln, die Denkmäler und Aufmärsche),[33][34] die im Laufe der 2010er Jahre aber im gesamtukrainischen Maßstab Splitterparteien wurden.[35] Regional wird in der Zentralukraine eher anderer Vordenker der ukrainischen Nationalbewegung, der Ukrainischen Volksrepublik oder der Schlacht bei Kruty gedacht[36], im Süden und Osten auch der Befreiung vom Faschismus.[37] Dem regionalen Gedächtnis an OUN und UPA stand der erste ukrainische Präsident Krawtschuk (1991–94) nahe, nach der orangen Revolution versuchte Präsident Juschtschenko (2005–10) sie zum zentralen Gedächtniskult zu erheben, die jeweiligen Nachfolger Kutschma (1994–2005) und Janukowytsch (2010–14) drängten seine gesamtstaatliche Bedeutung wieder zurück.[38] Nach dem Euromaidan wurde er nicht mehr zentralstaatlich gefördert, sondern die Erinnerung an den sowjetukrainischen Widerstand gegen die NS-Besatzung verstärkt (der 9. Mai, Tag der Befreiung vom Faschismus, wurde erstmals nationaler Feiertag)[39] und das Gedenken an den Holocaust gefördert, neben dem Gedächtnis aller regional bekannten ukrainisch-nationalen Persönlichkeiten,[40] was eine vielfältige, zwiespältige Erinnerungskultur ergibt.[41]
Die Wertung der OUN und UPA allein als „Kollaborateure“ und „Faschisten“, die besonders ihrem späteren Widerstand gegen die NS-Besatzung und späten demokratischen Programmen nicht gerecht wird, geht auf eine sowjetische Feindbildkampagne gegen die damals erfolgreiche UPA in den 1950er Jahren zurück.[42] Sie ist besonders in der russischsprachigen Öffentlichkeit verankert, aber durch politische Kampagnen in damals sozialistischen Ländern auch international verbreitet.[43] Auf ihr fußt eine russische Kampagne seit den 2000er Jahren, die die OUN und UPA, oft die ukrainische Nationalidentität auch demokratischer Parteien als „Nazis“ diskreditiert. Dass für beide Kampagnen auch gefälschte Dokumente verwendet wurden und ihnen auch Verbrechen zur Last gelegt wurden, die nicht-ukrainische SS-Divisionen (besonders die SS-Division „Wiking“), deutsche Sicherheitspolizei und ukrainische Kollaborateure ohne Verbindung zu OUN und UPA begingen,[44] erschwerte den kritischen Diskurs in der Westukraine über ihre tatsächlichen Verbrechen zusätzlich.[45][46]
Text: Wikipedia
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