Volksabstimmung in Oberschlesien

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In der Volksabstimmung in Oberschlesien am 20. März 1921 votierten 59,6 % der Wähler für den Verbleib bei Preußen beziehungsweise Deutschland und 40,4 % für eine Abtretung an Polen. Daraufhin entschied die Pariser Botschafterkonferenz, Oberschlesien längs der sogenannten Sforza-Linie[1] zu teilen und Ostoberschlesien dem wiedergegründeten Polen anzugliedern. Damit war die deutsche Öffentlichkeit, wie auch mit anderen Grenzziehungen im Gefolge des Versailler Vertrags, nicht einverstanden. Die Revisionspolitik der Weimarer Republik zielte auch darauf ab, diese Entscheidung der Siegermächte des Ersten Weltkriegs rückgängig zu machen.

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Geschichte

Vorgeschichte

Im Rahmen der Volksabstimmungen im Gefolge des Versailler Vertrags sollte in mehreren deutschen Gebieten über deren weitere Zugehörigkeit entschieden werden, wobei insbesondere die Ostgrenze Deutschlands in der Anfangszeit der Weimarer Republik umstritten war. Gemäß Versailler Vertrag von 1919 mussten große Gebiete (Polnischer Korridor, Freie Stadt Danzig, Memelland) ohne Abstimmung abgetreten werden. Bei zwei früheren Abstimmungen im Juli 1920 entschieden sich im Abstimmungsgebiet Marienwerder im restlichen Westpreußen sowie im Abstimmungsgebiet Allenstein in den südlichen Kreisen Ostpreußens jeweils deutlich über 90 % für einen Verbleib in Deutschland.

Für 1921 war eine weitere Abstimmung in der preußischen Provinz Schlesien vorgesehen, wobei größtenteils Oberschlesien betroffen war, aber auch ein kleiner Teil Niederschlesiens. An der vorangehenden Wahlpropaganda beteiligten sich polnischerseits auch zugereiste katholische Geistliche. Pfarrer Josef Kubis schickte eine Bittschrift[5] an Euer Eminenz und an die Fürstbischöfliche Kurie in Breslau und bat um Hilfe wegen der Übergriffe der fremden Geistlichen.

Es kam zu mehreren polnischen Aufständen in Oberschlesien. Als Organisator der Aufstände gilt der schlesische Politiker Wojciech Korfanty, der nach dem Zusammenbruch des Kaiserreiches von der Warschauer Regierung zum polnischen Plebiszitkommissar ernannt wurde.

Das Abstimmungsgebiet und die Durchführung wurde in Artikel 88[6] des Versailler Vertrags festgelegt.

Das polnische Plebiszitkommissariat, dessen Vorsitzender Korfanty war, hatte seinen Sitz im Beuthener Hotel Lomnitz. Mit etwa 1.000 Beschäftigten versuchte es alle Bereiche des politischen, wirtschaftlichen sowie gesellschaftlichen Lebens abzudecken. Es sollte in erster Linie durch Propaganda und Terror ein Meinungsumschwung bei der Bevölkerung zugunsten Polens herbeigeführt werden. Die Bemühungen der aufwendigen Konzeption zielten langfristig auf die Übernahme der politischen Macht nach der Volksabstimmung. Die Arbeit des Kommissariats wurde von höchster Staatsebene finanziell unterstützt. Das polnische Verteidigungsministerium beteiligte sich monatlich mit einem Kapital von 3.700.000 polnischen Mark, das in militärische Ausbildung investiert wurde.[7]

Das Plebiszitkommissariat für Deutschland entstand im April 1920 mit Sitz im Kattowitzer Zentralhotel. Zum Plebiszitkommissar, dem deutschen Pendant zu Korfanty, wurde Kurt Urbanek ernannt. Die Initiative zur Gründung des Plebiszitkommissariats basierte auf einer Vereinbarung zwischen den fünf größten Parteien und den drei führenden Gewerkschaftsverbänden. Der sich an die deutschen Bürger richtende Appell beschwor den nationalen Konsens. Der Verbleib Oberschlesiens bei Deutschland war dabei von höchster Priorität. Verglichen mit der polnischen Organisation war der personelle Aufbau weitaus bescheidener. Allerdings identifizierte sich die staatliche und kommunale Verwaltung sowie die Industrie mit Deutschland. Auch die deutsch gesinnten Kultur- und Sportvereine beteiligten sich aus eigenem Interesse bei der Plebiszitarbeit.[8] Das Plebiszitkommissariat repräsentierte die Absichten der deutschen Bevölkerung in Oberschlesien bei der Reichsregierung, welche in den Jahren 1920–1922 weit über eine Milliarde Mark für den Abstimmungskampf ausgab. Hierzu kamen Spenden der Industrie in beträchtlicher Höhe, die von Sachwerten der Bevölkerung ergänzt wurden, so dass auch Urbanek kapitalkräftige Propaganda betreiben konnte.[9]

Wahlagitation

Ein wichtiges Element im Abstimmungskampf war die Propaganda, deren bedeutendste Rolle die Presse spielte. 1919 wurden in Oberschlesien 66 deutsche und lediglich 12 polnische Zeitungen herausgegeben. Zudem befand sich die polnische Propaganda im Nachteil, da ein Gros der deutschen Bevölkerung der polnischen Sprache nicht mächtig war.[8]

Die Aktivitäten der polnischen Kommission richteten sich darauf, die durch den Versailler Vertrag Deutschland auferlegten Kriegsentschädigungen zu thematisieren, die durch höhere Steuern beglichen werden sollten. Den Wählern wurde ein Deutschlandbild vermittelt, das aufgrund der Reparationen in einer ausweglosen Sackgasse enden würde. Demgegenüber wurde das neuentstandene Polen propagiert, welches unbelastet die Perspektive einer gesellschaftlich heilen Welt tragen konnte. Ein weiteres Argument war die Ankündigung einer Bodenreform, die nach einem potentiellen polnischen Abstimmungssieg durch die Enteignung deutscher Großgrundbesitzer erfolgen sollte, was besonders für zahlreiche Bauern verlockend war. Man versprach ferner eine weitgehende Autonomie für Oberschlesien, die zudem ein eigenes Parlament vorsah.[8][10]

Während die polnische Seite hauptsächlich soziale Probleme herausstellte, lag die Intention der deutschen Propaganda auf der nationalen Komponente.[8] Die deutsche Presse betonte die verheerenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Folgen. Es wurden bevorzugt negative Eigenschaften wie Arbeitsunfähigkeit oder Leichtsinnigkeit der Polen publiziert.[10] Auch gegen Korfanty persönlich wurde harsche Kritik gerichtet, teils durch Falschmeldungen – die ihm das Vertrauen entziehen sollten –; so wurde er beispielsweise des Diebstahls bezichtigt.[11]

Nebst der Presse engagierten sich viele deutsche Schriftsteller im Abstimmungskampf. Gerhart Hauptmann veröffentlichte mitunter zwei Appelle: An die Deutschen im Grenzland sowie Für ein deutsches Oberschlesien.

Zahlreiche Publikationen vermochten allerdings oftmals nicht zu überzeugen, da sie in hochdeutscher Sprache, teils stilistisch anspruchsvoll gestaltet wurden und somit bisweilen von der Bevölkerung nicht gänzlich verstanden oder mit Skepsis aufgenommen wurden. Zudem hinterließen die sozialen Aspekte, welche vorwiegend von der polnischen Propaganda hervorgehoben wurden, einen nachhaltigeren Eindruck als die nationalen Belange der Deutschen.[12]

Interalliierte Kommission

Die Interalliierte Regierungs- und Plebiszitskommission für Oberschlesien war ein Kontrollgremium der Siegermächte, welches nach den Bestimmungen des Versailler Friedensvertrags mit der Verwaltung der Region Oberschlesien sowie der Durchführung der Volksabstimmung beauftragt war. Der vom französischen General Henri Le Rond geleiteten Kommission unterstanden französisch-italienisch-britische Truppen von etwa 13.000 bis 22.000 Soldaten.[13][14] Davon stellten die Franzosen mit Abstand die meisten Truppen mit dem Oberbefehlshaber General Jules Gratier.[15] Die Tätigkeit der Kommission endete am 10. Juli 1922.

Kommissare

Es gab drei Plebiszitkommissare der Interalliierten Regierungs- und Plebiszitskommission:

General Henri Le Rond (1864–1949), französischer Oberkommissar

General Alberto De Marinis (1868–1940), italienischer Kommissar

Oberst Sir Harold Percival (1876–1944), britischer Kommissar, der von Sir Harold Arthur Stuart (1860–1923) abgelöst wurde.

Kommandeure

Die militärischen Befehlshaber der Truppenkontingente waren:

General Jules Gratier (1863–1956), französischer Oberbefehlshaber

General William Heneker (1867–1939), britischer Befehlshaber

Oberst Filippo Salvioni (1872–1932), italienischer Befehlshaber[16]

Ergebnisse

Bei der Abstimmung am 20. März 1921 wurden 59,6 % der Stimmen für Deutschland und 40,4 % für Polen abgegeben.[17] Die Wahlbeteiligung betrug 98 %. In 664 Gemeinden votierte die Mehrheit für Deutschland, in 597 für Polen.[36]

Die Tabelle stützt sich auf die Aufarbeitung des Herder-Institutes[37] mit polnischen Ortsnamen. Diese wiederum wurde nach der damaligen Veröffentlichung der polnischen Statistikbehörde erstellt.[38] In deren Vorbemerkung wird betont, dass die Zahlen mit der deutschen Veröffentlichung identisch sind.[39] Aus der damaligen deutschen Veröffentlichung der Plankammer des Preußischen Statistischen Landesamtes wurden nur die Gesamtzahlen ins Internet gestellt.[40]

Teilung

Der Versailler Vertrag sah die Möglichkeit einer Aufteilung des Gebietes vor.[41] Nachdem die Interalliierte Kommission mit einem Teilungsvorschlag nach der Percival-de-Marinis-Linie bei den Beratungen im Botschafterrat in Paris nur wenig Aussicht auf Akzeptanz hatte, da sie nicht den Interessen Frankreichs entsprach, wurde die Entscheidung auf französische Initiative an die Pariser Botschafterkonferenz übertragen.[42][43]

Sodann beschloss am 20. Oktober 1921 die Botschafterkonferenz in Paris mit der Sforza-Linie[1][44] eine inneroberschlesische Grenzlinie, die zwar entfernt von den ursprünglichen Vorstellungen Korfantys und Frankreichs blieb, jedoch einen Erfolg der französischen Teilungspolitik darstellte. Schlussendlich behielt das Deutsche Reich ein Gebiet mit einer Fläche von 7794 Quadratkilometern (71 Prozent des Abstimmungsgebiets) und einer Bevölkerung von 1.116.500 Personen (54 Prozent). Polen wurde der Rest mit einer Fläche von 3214 Quadratkilometern und 996.500 Einwohnern zugesprochen. Obwohl es damit einen kleineren und weniger bevölkerungsreichen Teil Oberschlesiens erhielt, fiel die Grenzziehung in wirtschaftlicher Hinsicht günstiger für Polen aus, das mehr als zwei Drittel aller Gruben und Industrieanlagen, insbesondere die Region Kattowitz (Katowice), sowie rund drei Viertel der Rohstoffvorkommen zugesprochen bekam. In diesem Gebiet hatten 55,8 % der Wähler für Polen optiert, die deutsche Bevölkerung wurde in der polnischen Volkszählung von 1921 mit 292.980 beziffert.

In Deutschland führte die Teilung zum Rücktritt der Regierung von Joseph Wirth.


Text: Wikipedia

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