Elisabeth Schmitz

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Elisabeth Schmitz (1893–1977), Bild aus dem Nachlass, heute im Besitz des Hanauer Geschichtsvereins / Stadtarchiv Hanau.

Elisabeth Schmitz (* 23. August 1893 in Hanau; † 10. September 1977 in Offenbach am Main) war eine Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus aus den Reihen der Bekennenden Kirche. Hervorgetan hat sie sich vor allem mit der Denkschrift Zur Lage der deutschen Nichtarier, in der sie schon 1935 völlig zutreffend prognostizierte, was mit dem Nationalsozialismus auf die jüdischen Mitbürger zukommen würde. Ihre Warnungen – vor allem in Richtung der Evangelischen und hier besonders der Bekennenden Kirche – blieben aber wirkungslos.


Herkunft

Sie war die jüngste von drei Töchtern des Gymnasialprofessors August Schmitz (* 1849 in Mönchengladbach; † 1943 in Hanau), der an der Hohen Landesschule in Hanau lehrte, und von Clara Marie, geborene Bach (* 1854 in Hanau; † 1929 ebenda). Sie besuchte die Schillerschule (Realgymnasium) in Frankfurt am Main. 1914 legte sie das Abitur ab und studierte anschließend bis 1920 an den Universitäten Bonn und Berlin Geschichte – unter anderem bei Adolf von Harnack –, Theologie und Germanistik. Sie gehörte damit zur ersten Generation von Frauen in Deutschland, die studieren konnten und denen – wenn auch zunächst noch in engen Grenzen – eine eigenständige berufliche Tätigkeit mit akademischem Abschluss offen stand. Gemäß der Personalabbauverordnung vom 27. Oktober 1923 musste eine Frau im öffentlichen Dienst jedoch unverheiratet bleiben und konnte so keine eigene Familie gründen. 1920 promovierte sie bei dem Historiker Friedrich Meinecke und schloss 1921 das Studium mit dem Ersten Staatsexamen in Berlin ab. Anschließend war sie als wissenschaftliche Hilfskraft tätig.


Schuldienst

Da ein theologisches Examen für Frauen zu dieser Zeit noch nicht die Möglichkeit einer Ordination bot (Frauen konnten in Deutschland erst seit den 1960er Jahren zunächst in einigen, später dann in sämtlichen evangelischen Landeskirchen ordiniert werden), entschied sich Schmitz für das Lehramt. Sie leistete das Referendariat für das Lehramt an höheren Schulen ab und unterrichtete anschließend sechs Jahre lang an verschiedenen Berliner Schulen. Am 1. April 1929 wurde sie am Luisengymnasium Berlin (damals: Oberlyzeum, eine Mädchenoberschule) in Berlin-Moabit als Studienrätin angestellt. Ab 1933 erlebte sie, wie jüdische oder politisch unliebsame Lehrerinnen und Lehrer aus den Schulen entfernt wurden. Dazu zählte auch ihre sozialdemokratische Direktorin an der Luisenschule. Mit dem neuen Direktor bekam Elisabeth Schmitz wegen ihrer Ablehnung des Nationalsozialismus bald Schwierigkeiten und wurde 1935 an die nach Auguste Sprengel benannte Schule (jetzt Beethoven-Oberschule) in Berlin-Lankwitz versetzt. Zusammen mit ihr traf dieses Schicksal auch ihre Kollegin Elisabeth Abegg.

Neue Lehrpläne im Jahr 1938 hatten als oberstes Richtziel die „Formung des nationalsozialistischen Menschen“ auf rassistischer, militaristischer und totalitärer Grundlage. Dem konnte und wollte Elisabeth Schmitz nicht nachkommen. Die Novemberpogrome 1938 waren dann der Anlass, dass die damals 45-Jährige zum 31. Dezember 1938 um Versetzung in den Ruhestand nachsuchte. Ihre Begründung war ebenso mutig wie lebensbedrohend: „Es ist mir in steigendem Maße zweifelhaft geworden, ob ich den Unterricht bei meinen rein weltanschaulichen Fächern – Religion, Geschichte, Deutsch – so geben kann, wie ihn der nationalsozialistische Staat von mir erwartet und fordert.“ Wider Erwarten wurde dem Gesuch stattgegeben und ihr sogar eine kleine Pension zuerkannt.


Kirchliches Engagement

Seit ca. 1928 war sie Mitglied der Deutschen Vereinigung für internationale Freundschaftsarbeit der Kirchen.


Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche

Elisabeth Schmitz gehörte seit 1933 dem Kirchenvorstand der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche an und stand mit dem Gemeindepfarrer Gerhard Jacobi, dem späteren Bischof von Oldenburg, und den Dahlemer Pfarrern Franz Hildebrandt und Helmut Gollwitzer in enger Verbindung. Sie gehörte zu Helmut Gollwitzers Dogmatischer Arbeitsgemeinschaft, in der unter anderem Karl Barths Kirchliche Dogmatik besprochen wurde. Weiter gehörte sie dem Mittwochskreis von Anna von Gierke, Sozialpädagogin, und für die DNVP Mitglied des Reichstags, an. Diese wurde 1933, weil Halbjüdin, als Leiterin der Ausbildungsstätten Verein Jugendheim entlassen.

1934 wurde Elisabeth Schmitz Mitglied der Bekennenden Kirche. Der Gemeinde der Kaiser-Wilhelm-Gedächtnis-Kirche, der Bekennenden Kirche und ihren jüdischen Freunden gehörte ihr Engagement in der Freizeit.


Die Denkschrift

Zugleich begann sie, an einer Denkschrift über die Lage der Juden unter den Nationalsozialisten zu arbeiten. Dieser Schrift, die sie im September 1935 abschloss, gab sie den Titel Zur Lage der deutschen Nichtarier. Hier trug sie zahlreiche Beispiele für die Not der Juden und das Mitwirken von Ämtern, Nachbarn, Kollegen, Geschäftspartnern oder Lehrern an der alltäglichen Verfolgung zusammen. Sie verband diesen Bericht, der sich nüchtern am Alltag orientierte, mit dem eindringlichen Appell an die verantwortlichen Männer der Kirche, auch der Bekennenden Kirche, ihre Verantwortung gegenüber Volk und Staat endlich wahrzunehmen. Die Schrift stellte sie in etwa 200 Exemplaren her und verschickte oder übergab sie an Mitglieder der Bekennenden Kirche, etwa Karl Barth, Dietrich Bonhoeffer und Helmut Gollwitzer. Um das Risiko der eigenen Verfolgung zu mindern, verfasste sie die Denkschrift anonym.

In Abgrenzung zu Marga Meusels Denkschrift über die Aufgaben der Bekennenden Kirche an den evangelischen Nichtariern bezog sich Schmitz nicht allein auf getaufte Nichtarier, sondern forderte kirchliche Solidarität für alle Verfolgten. Indem sie die jüdischen Wurzeln als unabdingbare Grundlage des Christentums betonte, ging sie theologisch weit über die gängigen zeitgenössischen theologischen Vorstellungen hinaus. Nach den Novemberpogromen 1938 forderte sie darüber hinaus, die bedrängten jüdischen Gemeinden finanziell zu unterstützen und ihnen Kirchen für den jüdischen Gottesdienst bereitzustellen.

Sie versuchte, diese Denkschrift der Dritten Bekenntnissynode vorzulegen, die vom 23. bis 26. September 1935 in Berlin-Steglitz stattfand. Ihr Ziel war es, die Bekennende Kirche zu einem öffentlichen Protest gegen die Judenverfolgung zu veranlassen. Die Bekenntnisschrift wurde dort jedoch nicht besprochen und innerhalb der Kirche kaum rezipiert.

Bereits im April 1933 hatte sich Schmitz an den Theologen Karl Barth gewandt – ihr Briefwechsel stammt hauptsächlich aus den Jahren 1933 bis 1936. Sie erhob dabei schwere Vorwürfe wegen Ergebenheitsadressen der evangelischen Kirchen gegenüber Adolf Hitler, forderte eine Kontaktaufnahme der christlichen Kirchen mit Vertretern des Judentums und eine aktive seelsorgerische Betreuung der Verfolgten in den Konzentrationslagern. Sie versuchte, Barth zu einer öffentlichen Stellungnahme in der Judenfrage zu bewegen. Neben der Korrespondenz sind auch mehrere Besuche bei Barth in seinem Schweizer Exil dokumentiert. Für Barth war die Judenfrage aber nur eine Teilfrage in seiner Auseinandersetzung mit dem NS-Staat. Eine öffentliche Stellungnahme lehnte er ab.

Nach der Inkraftsetzung der Nürnberger Gesetze verfasste Elisabeth Schmitz einen Nachtrag zu ihrer Denkschrift, den sie am 8. Mai 1936 fertig stellte. Sie wies auf die verheerenden Folgen dieser Gesetze für die Betroffenen hin. Auch damit erzielte sie keine Wirkung.


Hilfe für jüdische Verfolgte

Seit der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 leistete Elisabeth Schmitz ihren jüdischen Freundinnen und Freunden Hilfe: Die jüdische Ärztin Dr. Martha Kassel, die bereits 1933 ihre Praxis und damit ihre Existenz verloren hatte, nahm sie bis zu deren Emigration im Dezember 1938 bei sich auf. Wegen dieser Wohngemeinschaft mit einer Jüdin wurde Elisabeth Schmitz im Herbst 1937 von einem Blockwart denunziert und vernommen. Die Gauleitung forderte von der Schulbehörde ihre sofortige Entlassung. Diese schlug das Verfahren jedoch nieder. Eine ihrer Freundinnen, die Botanik-Professorin Elisabeth Schiemann, engagierte sich ebenfalls in dieser Weise.

Elisabeth Schmitz beherbergte einige Tage lang den jungen Charles C. Milford (ehemals Mühlfelder), dessen Vater abgeholt und in die berüchtigte Rosenstraße verbracht worden war und dessen Mutter sich den Protesten dort angeschlossen hatte.

Weitere Menschen, die sie durch Unterkunft in ihrer Wohnung oder in ihrem Wochenendhaus in Wandlitz mit Geld, Lebensmittelkarten und anderem unterstützt hat, waren Liselotte Pereles und Margarete Koch-Levy. Sie berichteten nach der Befreiung von den Hilfsaktionen. Wahrscheinlich waren es sehr viel mehr Juden, denen Elisabeth Schmitz Hilfe leistete, um sie vor der drohenden Deportation zu bewahren. 1943 kehrte Elisabeth Schmitz in ihre Geburtsstadt Hanau zurück.


Nachkriegszeit

In ihrem Elternhaus in Hanau, das zum Gemeindebereich der Johanneskirche gehörte, wohnte Elisabeth Schmitz nach Kriegsende. 1946 konnte sie ihre Tätigkeit im Schuldienst wieder aufnehmen und unterrichtete an der Karl-Rehbein-Schule in Hanau. 1958 wurde sie pensioniert. Sie war sehr aktiv im Hanauer Geschichtsverein, in dem sie auch die Forschung zum jüdischen Leben in Hanau beförderte. Am 10. September 1977 starb sie im Alter von 84 Jahren. Bei ihrer Beerdigung sollen nur sieben Menschen anwesend gewesen sein.


Bedeutung, Nachwirkung, Andenken

Bemerkenswert ist ihre realistische Einschätzung des NS-Staates und ihr außerordentlicher Mut, diese öffentlich zum Ausdruck zu bringen: Von Beginn an erkannte Elisabeth Schmitz dessen Unrechtscharakter und trat konsequent für rassisch Verfolgte ein. Schon 1933 war klar – und sie sprach das auch aus –, was mit dem Nationalsozialismus auf Deutschland und die deutschen Juden zukäme. Sie versuchte immer wieder, die Evangelische Kirche gegen das Unrecht zu mobilisieren. Die Einmaligkeit ihrer Denkschrift und ihre persönliche Haltung, die in ihrer Konsequenz vorbildlich war, heben sie von anderen und deren Verhalten in diesen Jahren hervor.

Die theologische Bedeutung von Elisabeth Schmitz liegt in ihrer Erkenntnis, dass das Judentum die unabdingbare Grundlage des Christentums war.

In ihrer Korrespondenz mit prominenten Theologen und führenden Repräsentanten der Bekennenden Kirche setzte sie sich für eine unmissverständliche und konsequente Stellungnahme der evangelischen Kirche zur „Judenfrage“ ein. Höhepunkt war ihre ausführliche Denkschrift zur Lage der deutschen Nichtarier aus dem Jahr 1935/1936, in der sie ausführlich die innere und äußere Not der verfolgten Juden beschrieb und eine scharfe Anklage gegen das Schweigen der Kirche, insbesondere der Bekennenden Kirche, führte. „Die Kirche macht es einem bitter schwer, sie zu verteidigen“. Sie hob sich damit deutlich von der überwiegenden Mehrheit der deutschen Protestanten ab.

Die Bedeutung von Elisabeth Schmitz wurde lange verkannt. Grund dafür ist auch, dass die Denkschrift bis 1999 fälschlicherweise der Leiterin des evangelischen Bezirkswohlfahrtsamtes Berlin-Zehlendorf, Marga Meusel, zugeschrieben wurde, ein Gerücht, das vermutlich Wilhelm Niemöller in die Welt gesetzt hat.

Im Jahr 2004 wurde in einem Keller der Johanneskirchen-Gemeinde, der Kirchengemeinde, der Elisabeth Schmitz in Hanau angehörte, eine Tasche mit ihrem Vermächtnis, bestehend aus sieben Ordnern, gefunden. Die Ordner enthielten persönliche Unterlagen (Zeugnisse, Abschriften, Korrespondenzen). Am bedeutendsten war jedoch der Fund der handschriftlich von ihr mehrfach überarbeiteten Urfassung der Denkschrift Zur Lage der deutschen Nichtarier. Damit war die Frage ihrer Urheberschaft endgültig geklärt. Wie und wann die Tasche an ihren Fundort gelangte und wer sie dort hingestellt hatte, ließ sich nicht mehr feststellen. Die Unterlagen befinden sich heute in Privatbesitz und sollen künftig der Preußischen Staatsbibliothek übergeben werden.

Die Evangelische Kirche von Kurhessen-Waldeck und die Stadt Hanau haben Elisabeth Schmitz im Jahr 2005 mit einem Ehrengrab gewürdigt. Dass ihr Engagement dennoch weitgehend unbekannt blieb, zeigt auch die Tatsache, dass sie bisher nicht als Gerechte unter den Völkern in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem geführt wurde. Ein entsprechender Antrag wurde im November 2011 angenommen.

Gedacht wird ihrer in dem Film Elisabeth von Hanau des Dokumentarfilmers Steven D. Martin. Die evangelische Zeitschrift chrismon veröffentlichte 2009 eine Würdigung der Widerstandskämpferin.


Adresse: Barbarastraße 9 (Lankwitz)



Text: Wikipedia

Bild: Wikipedia/Stadtarchiv Hanau, aus dem Nachlass von Elisabeth Schmitz

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