Groß St. Martin

Aus veikkos-archiv
Wechseln zu: Navigation, Suche
Blick von Südosten; Fotografie, ca. 1925

Groß St. Martin ist eine der zwölf großen romanischen Kirchen in der Kölner Innenstadt. Sie steht in der Altstadt und ist eng umbaut mit historisierenden Wohn- und Geschäftshäusern aus den 1970er und 1980er Jahren. Die dreischiffige Basilika mit ihrem kleeblattförmigen Ostchor und dem quadratischen Vierungsturm mit vier Ecktürmchen ist eines der markantesten Wahrzeichen im linksrheinischen Stadtpanorama.

Die Basilika wurde im 12. Jahrhundert in der Rheinvorstadt, einer ehemaligen Rheininsel, auf den Fundamenten römischer Bauten errichtet. Über mehrere Jahrhunderte diente sie als Abteikirche einer Benediktinerabtei, bis sie im 19. Jahrhundert nach der Säkularisation des Klosters als Pfarrkirche genutzt wurde. Luftangriffe während des Zweiten Weltkrieges richteten erhebliche Zerstörungen an der Kirche an. Der Turm wurde bis 1965 rekonstruiert. Die Wiederaufbauarbeiten dauerten bis 1985 an. 40 Jahre nach Kriegsende wurde die Kirche neu geweiht.

Seit 2009 steht Groß St. Martin wieder als Klosterkirche einer neugegründeten Filiale der Gemeinschaft von Jerusalem für Gläubige und Besucher offen. In der neu geschaffenen Krypta können Ausgrabungen aus römischer Zeit besichtigt werden.

Durch die Bezeichnung Groß St. Martin wird die Basilika von der deutlich kleineren und möglicherweise älteren, ebenfalls dem Heiligen Martin gewidmeten Marktkirche unterschieden, von der nur der Turm erhalten ist und die als Klein St. Martin bekannt ist. Johann-Peter Weyer, Kölner Stadtbaumeister von 1822 bis 1844, schrieb dazu:

„Als die Insel später durch Ausfüllung des diesseitigen Stromes mit dem Festlande der Stadt verbunden wurde, erhielt die Kirche den Namen Gross St. Martin, um solche von einer dem nämlichen Heiligen gewiedmetem, am Ufer Oben Mauren erbauten Pfarrkirche „klein St. Martin“ genannt, zu unterscheiden.“


Geschichte

Die Geschichte Groß St. Martins ist mit der Geschichte der zugehörigen Benediktinerabtei verbunden, so dass Entscheidungen der Abtei oft auch die Kirche betrafen. Aus der Gründungszeit von Stift und Kirche sind nur wenige Dokumente oder Baunachrichten überliefert, weshalb sich die Erkenntnisse zum Bau zusätzlich auf archäologische Befunde sowie auf kunsthistorische Überlegungen stützen.


Archäologische Befunde über römische Vorgängerbauten

Das Gelände um Groß St. Martin gehörte ursprünglich zu einer dem römischen Köln (Colonia Claudia Ara Agrippinensium) vorgelagerten Rheininsel östlich des Prätoriums. Ausgrabungen in den Jahren 1965/1966 und 1973 bis 1979 ergaben, dass es seit dem ersten Jahrhundert n. Chr. bebaut war.

Als Erstbebauung wurde eine ummauerte Platzanlage von mindestens 76 Meter ostwestlicher Länge und 71,5 Meter Breite identifiziert, in deren Innerem sich eine 55,7×43,8 Meter große, leicht vertiefte Fläche sowie ein 34×17,2 Meter und 1,7 Meter tiefes Wasserbecken befanden. Nördlich der Alpen sind bisher keine vergleichbaren Anlagen bekannt. Da auch keine Informationen über ihre Nutzung überliefert sind, können nur Vermutungen angestellt werden: Die große Fläche wird als Sportplatz (palaestra) gedeutet, das Wasserbecken als Schwimmbad (natatio) oder als Lagerbecken für Fische und Muscheln der Rheinfischer. Eine weitere Theorie spricht von einem heiligen Bezirk, eventuell auch dem Standort der immer noch unbekannten Ara Ubiorum.

In der Mitte des zweiten Jahrhunderts wurde das Gelände um etwa 1,5 bis 2 Meter aufgeschüttet, und es wurden vier dreischiffige Hallen im Süden, Osten und Westen errichtet. Ihre Lage direkt am Rheinufer sowie Form und Anordnung deuten auf eine Nutzung als Lagerhallen (horreae) für Handelsgüter hin. Eine Mauer zur Nordseite begrenzte die neue, etwa 7000 m² große Platzanlage.

Zumindest die vierte, die süd-östliche Halle, wurde auch nachantik genutzt. Dreimal wurde ein neuer Estrich aufgebracht, der den jeweils älteren überdeckte. Die bisher glatten Sandsteinpfeiler wurden nachträglich mit einer profilierten Basis versehen, von der nicht klar ist, ob sie noch aus römischer oder schon aus frühmittelalterlicher Zeit stammt. In den Estrich eingeschlossene Scherben aus Pingsdorfer Keramik stammen jedoch aus der karolingischen Epoche.

Zudem wurde 1965/1966 entlang der Mittelachse der Kirche in einem langen Schnitt die Stratigraphie (Bodenschichtung) untersucht. Bis zu einer Tiefe von circa zwei Meter unter dem Kirchenboden wurde eine Fülle mittelalterlicher und neuzeitlicher Bestattungen gefunden.


Annahmen zur Gründung der Martinskirche und falsche Chroniken

Für die Gründung von St. Martin vor dem 10. Jahrhundert gibt es keine Zeitzeugnisse; der Kölner Historiograph Aegidius Gelenius erwähnt in seinem 1645 erschienenen „Lobpreis der Stadt Köln“ (De admiranda sacra et civili magnitudine Coloniae... - von der bewunderungswürdigen, heiligen und weltlichen Größe Kölns...) eine mögliche Entstehung in vorkarolingischer Zeit. Demnach sollen die Missionare Viro und Plechelmus, die mit Suitbert – dem späteren Abt des Klosters Kaiserswerth – an den Rhein kamen, Kloster und Kirche gegründet haben; dabei seien sie vermutlich von Pippin dem Mittleren und Plektrudis, den Gründern von St. Maria im Kapitol, unterstützt worden.

Auf diese Gründungstheorien stützte sich ein angeblich aus dem 13. oder 14. Jahrhundert stammendes Chronicon Sancti Martini Coloniensis, das bis zum Ende des 19. Jahrhunderts als Quelle für die Abtei- und Kirchengeschichte galt: St. Martin sei durch den Schotten Tilmon, der im Jahr 690 eine Kapelle erbaut habe, gegründet worden; diese sei durch Viro, Plechelmus und Otger im Jahre 708 in ein Kloster umgewandelt worden. Lückenlos dokumentiert die Chronik die Namen der Äbte seit frühester Zeit und beschreibt Ereignisse wie die Zerstörung von Kloster und Kirche durch die Sachsen im Jahre 778, als Karl der Große in Spanien stritt. Danach habe einer von Karls Paladinen, der Dänenfürst Olger, das Bauwerk auf eigene Kosten unter Beihilfe Karls wieder aufbauen lassen, und Papst Leo III. habe während seines zweiten Besuchs in Köln 805 zwei Altäre geweiht. Für die Jahre 846 und 882 wird von einer Zerstörung durch die Normannen berichtet, von der Kloster und Kirche sich nur schwer erholt hätten.

Erst 1900 entlarvte Otto Oppermann die gesamte Chronik als Fälschung von Oliver Legipont, einem Benediktinermönch an St. Martin aus dem Jahr 1730.

Eine Gründung von Kloster und Kirche in fränkischer Zeit (5. bis 9. Jahrhundert) ist also nicht belegbar, wird jedoch zuweilen auch aufgrund des Schutzheiligen Martin von Tours vermutet, da dieser als beliebtester Heiliger der Franken gilt und die meisten Kirchen unter diesem Patrozinium im 7. bis 9. Jahrhundert gegründet wurden.


Stiftsgründung und Bau des Klosters im 10. bis 11. Jahrhundert

Als gesichert gilt heute die im Lorscher Codex erwähnte Gründung durch den Kölner Erzbischof Brun (953-965) als Chorherrenstift zu Ehren von Martin von Tours. Brun führte die Martinskirche in seinem Testament unter den zu berücksichtigenden Kirchen auf und beschenkte sie bereits zu Lebzeiten mit den Reliquien des St. Eliphius, der zum zweiten Patron von Groß St. Martin wurde; seine Reliquien wurden von Toul in das neu gegründete Stift übertragen.

Die Koelhoffsche Chronik notiert 1499, dass Erzbischof Warin von Köln (976–985) Groß St. Martin habe ausbessern lassen:

„Also quam he widder zo Coellen vnd besserde dat Monster zo dem groissen sent Mertijn zo Coellen dat alt vnd veruallen was vnd begaffde dat rychlichen.“

„Also kam er wieder nach Köln und besserte das Münster zu dem großen Sankt Martin zu Köln aus, das alt und verfallen war, und begabte (beschenkte) dieses reichlich.“

Auch dies deutet auf ein höheres Alter hin. Warin von Köln soll auch seinen Lebensabend in dem Stift verbracht haben.

Gesichert ist, dass Erzbischof Everger (985–999) das Stift durch Schenkungen im Jahre 989 in ein Schottenkloster umwandelte, welches durch irische Benediktiner („Schotten“) bewohnt wurde. Die Einführung der Schotten in Groß St. Martin fällt zwischen die ersten irischen Niederlassungen in merowingisch-karolingischer Zeit und die sich seit Mitte des 11. Jahrhunderts um Regensburg gruppierende Kongregation von benediktinischen Schottenklöstern.

Nach und nach wurden dann im 11. Jahrhundert die Schotten durch einheimische Mönche ersetzt. Erzbischof Pilgrim von Köln (1021–1036) soll den ausländischen Mönchen abgeneigt gewesen sein und zu ihrer Ablösung beigetragen haben; der letzte iro-schottische Abt war allerdings erst Alvold, der 1103 starb Seit 1056 lebte Marianus Scotus für einige Zeit in Groß St. Martin, weshalb angenommen wurde, dass er noch eine Reihe seiner Landsleute dort antraf.

Zur Baugeschichte vermuten Kunsthistoriker, dass die bei Ausgrabungen gefundenen Mauerreste unterhalb der nördlichen Seitenschiffwand, die bis in das erste Joch des bestehenden Baus reichen, zu einer unter Brun errichteten Kirche gehörten. Die Westwand hätte etwa sieben Meter weiter nördlich gelegen. Damit hätte sie der Breite der ehemaligen römischen Lagerhalle entsprochen, eventuell handelte es sich auch um den Umbau der Lagerhalle.

Die Vita Annonis berichtet, dass Erzbischof Anno II. (1056–1075) eine Erscheinung des Heiligen Eliphius gehabt habe und daraufhin zwei Türme errichten ließ. Vermutlich wurden sie als Doppelturm am Ostchor errichtet.


Der romanische Neubau im 12. bis 13. Jahrhundert

1150 vernichtete ein Stadtbrand die Rheinvorstadt, dabei wurde auch die Kirche des Benediktinerklosters in Mitleidenschaft gezogen. Das genaue Schadensausmaß ist nicht bekannt, es wird jedoch vermutet, dass der Brand zum Anlass genommen wurde, den beschädigten Bau komplett abzureißen. In einem ersten Bauabschnitt wurde der Trikonchos erbaut, der einzige bis heute fast unverändert erhaltene Teil, da Vierungsturm, Langhaus und Westabschluss im Rahmen späterer Planungen immer wieder umgebaut wurden.

Erzbischof Philipp I. von Heinsberg weihte 1172 den Neubau, der bis dahin aus dem Trikonchos bestand; das Langhaus war vermutlich bereits im Bau. An der nördlichen Apsis war die zweistöckige Benediktuskapelle angefügt, in sie wurde der Leichnam des 1042 verstorbenen Abtes Helias überführt.

Bis zu einem weiteren Brand im Jahre 1185 war das östliche Joch des Langhauses fertiggestellt, auf der Südseite anscheinend auch die folgenden Seitenschiffjoche. Diese stießen auf die Nordwand der dort befindlichen älteren Pfarrkirche St. Brigiden, was vermutlich zu dem Einsprung an der Südwand von Groß St. Martin führte.

Eine weitere Baunachricht ist aus der Zeit des Abtes Simon (1206–1211) überliefert. Der verstorbene Klosterbruder Rudengerus vermachte in seinem Testament unter anderem sieben Taler und 30 Denare zum Ankauf von Steinen.

In der Mitte des 13. Jahrhunderts wurden aus den bereits etwas älteren Wänden über den Seitenschiffen Laufgänge und die Nischen des Triforiums herausgestemmt. Dadurch erreichte man die gewünschte Leichtigkeit. In dieser Zeit wurde das Schiff um fünf Meter verlängert und die zweijochige Vorhalle im Westen ergänzt.


Entwicklungen nach der Fertigstellung im 14. bis 17. Jahrhundert

Nach der Vollendung der Basilika im 13. Jahrhundert wurden bis ins 19. Jahrhundert kaum Modifikationen an der Bauform vorgenommen. Eine Ausnahme bilden Wiederherstellungsmaßnahmen, von denen in den folgenden Jahrhunderten vor allem am Vierungsturm etliche notwendig wurden.

So zerstörte im Jahr 1378 ein Feuer das Dach des Vierungsturms, das anschließend mit Hilfe von gestifteten Finanzmitteln, allerdings wohl nur notdürftig, erneuert wurde.

Ein schwerer Sturm verursachte 1434 weitere Schäden. Drei der vier Giebel des Turms wurden heruntergeweht. Während ein Giebel auf die umliegenden Gebäude des Fischmarktes stürzte, schlugen zwei direkt in die Gewölbe über dem Hochaltar. Die Gewölbe wurden bald wieder instand gesetzt und eine Glocke mit der Jahreszahl 1436 eingehängt.

Reformen unter den Äbten Jakob von Wachendorp (1439–1454) und Adam Meyer (1454–1499) sorgten für eine stabilere Finanzsituation der Benediktinerabtei. Davon profitierte auch die Innenausstattung der Kirche, die um einige wertvolle Stücke bereichert wurde. Heute noch erhalten sind etwa die Figuren eines Kreuzaltars von 1509.

Statt neuer Giebel am Turm entstand in den Jahren zwischen 1450 und 1460 die charakteristische gotische Knickpyramide als Dach.

Die statisch instabile Konstruktion der westlichen Flankierungstürmchen führte 1527 zum Absturz des südwestlichen auf die an dieser Seite liegende Magdalenenkapelle, die später vollständig abgerissen wurde. Das Türmchen wurde zunächst nicht wieder aufgebaut.

Das Innere von Groß St. Martin schmückten seit dem Mittelalter zahlreiche Altäre. Diese dürften bereits einer frühbarocken Neuausstattung im 17. Jahrhundert zum Opfer gefallen sein, von der heute jedoch ebenfalls nichts mehr erhalten ist.


18. Jahrhundert und Einflüsse von Barock und Klassizismus

Nachdem 1707 unter Abt Heinrich Obladen das inzwischen baufällige Abteigebäude abgerissen und durch einen Neubau ersetzt worden war, ließ derselbe das Innere von Groß St. Martin neu ausmalen und die Kirche mit einer neuen, größeren Orgel ausstatten. Die Ausschmückungen trugen die Handschrift des Barock. So gab es etwa goldene Bänder an Säulen, Kuppeln und Wänden, und das Innere wurde mit vier schweren Leuchtern und zahlreichen Kleinodien und Ausstattungsstücken ergänzt.

Auch die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts brachte etliche Veränderungen an Innenbau und Ausstattung mit sich, die zum Teil bereits von Zeitgenossen mit herber Kritik bedacht wurden. Abt Franz Spix, der 1741–1759 die Benediktinerabtei leitete, ließ die Fläche des Vierungsaltars um zwei bis Fuß erhöhen und verlegte den Altar in die hintere Apsis. Ziel war wohl eine prunkvollere Gestaltung der Heiligen Messe. Dass bei dieser Maßnahme die alten Grabplatten der Äbte zerstört wurden und Säulen und Pfeiler nun ohne Sockel aus dem Boden ragten, rief zwar Kritik, etwa bei Oliver Legipont, hervor, konnte aber trotz Protestnoten an den päpstlichen Nuntius in Köln nicht verhindert werden.

Rund 40 Jahre später, zum Ende des 18. Jahrhunderts, wurde Ferdinand Franz Wallraf mit der zeitgenössischen Neuausschmückung der Basilika beauftragt. Wallrafs Programm trug einerseits noch deutlich barocke Züge, war aber auch bereits vom beginnenden Klassizismus beeinflusst. So wurden Nebenaltäre und Kanzel nun extrem schlicht gehalten, der Hochaltar jedoch recht opulent, mit deutlichen Anklängen an die griechisch-römische Götterwelt, ausgemalt.

„Durch eine Häufung von Symbolen war auf ihm der Sieg des Neuen Bundes über den Alten veranschaulicht: auf einem großen Becken, dem „ehernen Meer“, lagen zwischen Wolken Schaubrote, die von einem umstürzenden Tische fielen, Schädel von Opfertieren, Rauchfässer usw. Ein Engel hielt den zerbrochenen siebenarmigen Leuchter; über der Bundeslade erhob sich das Kreuz. Auf der Vorderseite des Tabernakels zerriss ein Engel den Vorhang des Tempels, im Innern des Tabernakels war der Heiland selber dargestellt.“

Wenn das Wallrafsche Bildprogramm auch später, von Vertretern des Historismus und der katholischen Erneuerungsbewegung des 19. Jahrhunderts, teils leidenschaftlich kritisiert und als „heidnisch“ abgelehnt wurde, so wird es aus kunsthistorischer Sicht heute als „außerordentlich gelungen“ eingeschätzt.

Zu den Veränderungen am Innenraum kam 1789 die Entscheidung, den baufälligen nordwestlichen Flankierungsturm abzutragen. Ansichten zeigen bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts Groß St. Martin nur mit den zwei verbliebenen östlichen Türmchen. Weitere bauliche Maßnahmen betrafen die Hauptapsiden, die zum Teil mit Fenstern versehen wurden, und die Magdalenenkapelle zwischen südlicher Apsis und Seitenschiff, die komplett abgerissen wurde.


Säkularisierung und Restaurierungsarbeiten im 19. Jahrhundert

Seit 1792 führte das revolutionäre Frankreich Krieg gegen eine Koalition europäischer Regierungen, darunter Österreich und Preußen. Im Oktober 1794 nahmen die Revolutionstruppen Köln ein und leiteten damit eine 20 Jahre währende Besatzungszeit ein, die die Stadt endgültig aus mittelalterlichen Traditionen und Bräuchen reißen sollte und von Beginn an stark antiklerikal geprägt war. Das Erzbistum Köln hörte 1801 auf zu existieren, und der Kölner Dom wurde zu einer normalen Pfarrkirche. Mit dem Dekret zur Säkularisation vom 9. Juni 1802 wurden alle geistlichen Korporationen der Rheindepartements aufgehoben. Das Martinskloster löste sich infolge dieser Richtlinie am 21. September 1802 auf, und die verbliebenen 21 Mönche mussten sich ein Auskommen außerhalb der Klostermauern suchen; 11 von ihnen übernahmen Pfarrstellen in Köln. Die Kirche St. Brigiden wurde 1805 bis auf den Turm verkauft. In einem Versteigerungsprotokoll zum „Verkauf von National-Gütern“ vom 11. und 25. Frimaire des Jahres 14 des französischen Revolutionskalender hieß es:

„18. Die vormalige Pfarrkirche St. Brigitta zu Köln, von einer Seite an die Beypfarre des großen St. Martinus anstoßend und für den Gottesdienst untauglich. Ausgesetzt 600 Fr. (kam auf 5075 Fr.).“

Die Kirche wurde abgerissen und ihre Reste wurden seit 1812 als Orgeltreppe genutzt. St. Martin fungierte von nun an als Pfarrkirche mit dem ehemaligen Abt Felix Ohoven als neuem Pfarrer.

Das verlassene Abteigebäude diente in den Folgejahren zunächst einigen der ehemaligen Mönche, seit 1808 französischen Veteranen als Wohnraum. Die zunehmende Baufälligkeit der Gebäude führte 1821 zu ihrer Räumung und 1822 zum teilweisen Abriss durch die Stadt. Der Kreuzgang blieb noch bis 1839 erhalten, bevor er ebenfalls niedergelegt wurde. Während eines zweitägigen Besuchs Victor Hugos in Köln im Rahmen seiner Rheinreise wurde der Dichter Zeuge der letzten Abrissarbeiten:

„Bei der Betrachtung dieses schönen Nachtbildes verfiel mein Geist in eine schwermütige Träumerei: die Stadt der Germanen ist verschwunden, die Stadt Agrippas ist nicht mehr, die Stadt des hl. Engelbert steht noch. Aber auf wie lange noch? […] Heute habe ich die letzten morschen Steine des romanischen Kreuzganges von St. Martin fallen sehen, der einem Café à la Tortoni Platz machen soll […]“

Insgesamt bot Groß St. Martin gegen Mitte des 19. Jahrhunderts einen recht trostlosen Anblick. Immer noch fehlten die zwei westlichen Flankierungstürmchen, und die Nordseite, an der sich früher die Abteigebäude angeschlossen hatten, war schmucklos und hatte praktisch keine Fenster.

Seit dem Jahr 1843 beteiligte sich die Stadt Köln finanziell an der Wiederherstellung der Kirche. Eine neue, in romanischen Formen gehaltene Sakristei von Johann Peter Weyer an der Nordapsis und die neue Seitenschiffwand gehörten zu den ersten Arbeiten. 1847 wurde zunächst der nordwestliche Flankierungsturm wieder ergänzt. Pläne von Heinrich Nagelschmidt, die gesamte Basilika umfassend zu restaurieren, wurden seit 1861 umgesetzt. Auch hier übernahm die Stadt Köln die Hälfte der Restaurierungskosten von rund 32.000 Talern. Groß St. Martin erhielt bis 1875 ein neues Dach, einen erneuerten Westgiebel, neue Fenster im südlichen Seitenschiff und schließlich auch wieder das vierte Flankierungstürmchen. Die Vorhalle wurde um die Hälfte gekürzt.

Auch das Innere der Kirche sollte erneuert werden. Hierzu verwarf der mit der Aufgabe betraute August Essenwein, Direktor des Germanischen Museums in Nürnberg, die klassizistische Ausmalung vom Ende des 18. Jahrhunderts und versuchte ganz im Geist des Historismus, mit der Ausschmückung von Gewölben, Wänden und Boden die authentische Bildsprache des Mittelalters zu treffen.

„Wer daher jetzt wieder eine mittelalterliche Kirche ausstatten oder ein Kunstwerk im Sinne des Mittelalters schmücken will, muss aus jenem grossen Kreise heraus einen kleinen zu einem geistlichen Gedichte abrunden. Es ist nur zu bemerken, dass […] auf die Zeit, in der die Kirche entstand, Rücksicht zu nehmen ist und der Bilderzyklus im Geiste eben jener Zeit zu componieren ist.“

Essenwein war sich dessen bewusst, dass sein Projekt auch aus materiellen Gründen nur Schritt für Schritt realisiert werden würde. Er entwarf deshalb im Rahmen seines einheitlichen Gesamtkonzepts für jeden Teil der Kirche einzelne Bilderzyklen, die für sich allein stehen konnten. Dabei sollte die Arbeit von Osten nach Westen voranschreiten, vom Wesentlichen zum minder Wesentlichen, und der Boden zum Schluss gestaltet werden.

Die drei Haupträume der Basilika, Vorhalle, Langhaus und Trikonchos, sollten von West nach Ost die gesamte Heilsgeschichte in aller Detailtreue und Ausführlichkeit zeigen. Traditionell sollte dabei die Vorhalle mit ihren (noch) zwei Kreuzgewölben das Paradies repräsentieren. Geplant waren acht Motive von der Schöpfungsgeschichte bis zum Sündenfall und der Vertreibung aus dem Garten Eden. Beim Eintritt durch das Kirchenportal symbolisierte ein Lamm die Erlösung.

Im Langhaus wurden das menschliche Leben und die Welt sowie die Beziehung des Menschen zu Gott und den Heiligen in all ihren Facetten dargestellt, chronologisch gesehen außerdem der Alte Bund, also die Zeitspanne zwischen Sündenfall und christlicher Erlösung. Das erste Gewölbe enthielt Allegorien für den Wechsel der Zeiten, das zweite widmete sich dem irdischen Raum und seinen Geschöpfen: Elemente, Wetter, Pflanzen, Tiere. Im dritten Joch präsentierte sich der außerirdische, unendliche Raum dem Betrachter, Sonne, weitere Gestirne und Himmelsgewölbe, dazu Tierkreiszeichen und Mondphasen. Die Pfeiler schmückten aber auch Bilder derjenigen weltlichen Herrscher, die sich um die Verbreitung des christlichen Glaubens verdient gemacht hatten, Konstantin der Große, Karl der Große, Gottfried von Bouillon und Balduin von Flandern. Entlang der Seitenschiffe schlossen sich Motive aus dem Leben der in dieser Kirche besonders verehrten Heiligen an.

Das Zwischenjoch sollte in seiner Ausschmückung eine Vermittlerrolle zwischen den Darstellungen des Langhauses und denen des Altarraums einnehmen: Aus dem Gewölbe sollte sich bildlich die göttliche Gnade auf die Menschen ergießen, der Fußboden stellte die im Mittelalter bekannten drei Erdteile dar.

Im Altarraum schloss sich der Bilderzyklus in der Vierung und den Apsiden mit der Darstellung der ganzen göttlichen Herrlichkeit mit Dreifaltigkeit, Engelschören und dem himmlischen Jerusalem der Johannesoffenbarung.

Umgesetzt wurde der große Ausschmückungsplan in modifizierter und vereinfachter Form seit 1868 durch den Kölner Maler Alexius Kleinertz. Die Pläne für die Vorhalle wurden beispielsweise nicht realisiert. Der erhöhte Altarraum wurde wieder auf das ursprüngliche Niveau gebracht, eine neue Orgel und neues Mobiliar wurden angeschafft. 1885 waren die Arbeiten abgeschlossen.

Die letzten größeren Arbeiten des 19. Jahrhunderts betrafen die Häuserzeilen rund um die Ostseite der Basilika, die 1892 abgerissen wurden, um einen freien Blick auf den Kleeblattchor zu schaffen, sowie das Turmdach, das 1894 eine neue Helmspitze erhielt.[15]


Zerstörung durch Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg

Bis auf einige Sicherungsarbeiten in den Jahren 1909 bis 1913, an die heute eine Gedenktafel am nördlichen Seitenschiff erinnert, blieb Groß St. Martin im Wesentlichen bis zum Zweiten Weltkrieg im beschriebenen Restaurierungszustand des 19. Jahrhunderts erhalten.

Fünf der zahlreichen Luftangriffe auf Köln zwischen 1940 und 1945 beschädigten Groß St. Martin erheblich.

Bei dem ersten britischen Tausend-Bomber-Angriff der Kriegsgeschichte in der Nacht vom 30. auf den 31. Mai 1942 verbrannten Turm- und Langhausdach vollständig, außerdem wurde der Sakristeibau an der Nordapsis zerstört, der viele alte Ausstattungsgegenstände beherbergte. Anfang 1943 erhielt die beschädigte Basilika ein Notdach, und auch die Sakristei wurde wieder aufgebaut.

Bei einem der schwersten Flächenangriffe am 29. Juni 1943, dem so genannten Peter-und-Paul-Angriff, der in Köln 4377 Todesopfer forderte, sowie einer Bombardierung im Oktober 1943 fielen die Schäden an Groß St. Martin vergleichsweise gering aus; die Benediktuskapelle an der nördlichen Konche sowie Glasfenster und Tür wurden zerstört.

Durch den Luftangriff am 6. Januar 1945 stürzten die Zwerggalerien aller drei Apsiden fast vollständig ein. Die Mauern des Vierungsturms wurden durch einen Volltreffer stark beschädigt, von den vier Flankierungstürmchen blieb nur das nordöstliche unversehrt. Langhaus- und Chorgewölbe waren bis dahin weitestgehend erhalten geblieben.

Der letzte große Luftangriff am 2. März 1945 richtete die verheerendsten Schäden an. Beim Einmarsch der amerikanischen Truppen im linksrheinischen Köln vier Tage später standen nur noch der untere Teil des Trikonchos sowie die Seitenwände des Langhauses; Vierungsturm und Stummel der Flankierungstürme ragten aus der zu 95 Prozent zerstörten Altstadt hervor. Fast alle Gewölbe waren durchlöchert oder eingestürzt.

Obwohl das neben dem Dom markanteste Wahrzeichen der Kölner Stadtsilhouette einen insgesamt desolaten Anblick bot, ergab eine genauere Analyse der Bauschäden ein besseres Bild als erwartet. So ordnete der Kunsthistoriker Franz Graf Wolff Metternich die Basilika 1947 der Gruppe der nur „mittelschwer beschädigten Kirchen“ Kölns zu. Eine Baubesichtigung durch Sachverständige im Jahr 1946 habe ergeben, dass eine Wiederherstellung weniger ein künstlerisches als vielmehr ein technisches Problem darstelle.


Wiederaufbau und Restaurierung

Ob und wie man Groß St. Martin wieder aufbauen sollte, wurde bereits in den ersten Nachkriegsjahren kontrovers diskutiert. Sollte die Ruine als Mahnmal unverändert stehen bleiben, etwas ganz Neues geschaffen oder der alte Zustand wieder hergestellt werden? Und welcher Zustand war der erhaltenswerte, der „originale“? Letztere Frage bezog sich besonders auch auf die Gestaltung des Innenraumes der Basilika. Die historistischen Ausschmückungen von August Essenwein aus dem 19. Jahrhundert, von denen einiges erhalten war, galten manchen als stilistischer und handwerklicher Missgriff.

Eine Vortragsreihe im Winter 1946/1947 mit dem Thema „Was wird aus den Kölner Kirchen?“, an der unter anderem namhafte Politiker, Künstler, Denkmalpfleger und Architekten teilnahmen, spiegelt die Debatte wider. Zu Argumenten, ein getreuer Nachbau des Zustandes von vor 1939 münde in ein billiges Colonia Aggrippinensis Attrapolis, eine „Scheinwelt“ voller „ärgerlicher Kopien“ (Carl Oskar Jatho), kamen erhebliche Bedenken, insbesondere den Turm von Groß St. Martin wiederaufzubauen. Häufig wird dazu Otto H. Förster, der damalige Leiter des Wallraf-Richartz-Museums, zitiert:

„Wir wollen in St. Martin die Gewölbe wieder schließen, aber uns versagen, den Turm allzu eilfertig wieder hinzuzaubern. Es ist viel besser, wenn er einige Zeit als Stumpf stehenbleibt und noch andere nach uns daran erinnert, was wir hatten und warum es uns genommen worden ist – bis, vielleicht in hundert Jahren, der Tag kommt, wo uns ein großer Meister den Turm plant, der so schön oder schöner ist, als der gewesene.“

Die Skeptiker eines Wiederaufbaus setzten sich jedoch nicht durch. Unter der Leitung des Architekten Herbert Molis und des Statikers Wilhelm Schorn begannen 1948 erste Wiederaufbau- und Sicherungsarbeiten. Bis 1954 erhielten die Konchen ihre Zwerggalerien, provisorisch mit Ziegeln gemauert, zurück. Ab 1955 wurde mit dem Wiederaufbau des Langhauses begonnen, das bis 1971 wieder mit Westwand und Dach versehen wurde. Seit 1961 zeichnete der Kölner Architekt Joachim Schürmann für die weitere Erneuerung von Bau und Ausstattung verantwortlich. Sein Konzept gilt als maßgeblich für den heutigen Zustand der Kirche. Der Vierungsturm hatte 1965 seine alte Gestalt und damit Köln ein wichtiges Wahrzeichen zurück.

Dem sich über 40 Jahre hinstreckenden Wiederaufbau verdankt Groß St. Martin vermutlich den Erhalt der Innenbemalung des 19. Jahrhunderts. Stand dieser zur Mitte des 20. Jahrhunderts unter Denkmalpflegern und Kunsthistorikern noch in der Kritik, vollzog sich in den 1970er und 1980er Jahren ein Wandel in der Wertschätzung der historistischen Epoche. Künstler und Restauratoren des 19. Jahrhunderts hatten schließlich auf die noch vorhandenen Relikte des Mittelalters zurückgegriffen und den Raum zu einem neuen Bild dessen geformt, was sie als „ganz im mittelalterlichen Geiste“ verstanden. Heute ist Groß St. Martin die einzige der romanischen Kirchen in Köln mit erhaltenen Ausmalungsfragmenten des 19. Jahrhunderts. Zu einer erneuten Vervollständigung der Bemalung des Innenraums konnte und wollte man sich hingegen nicht entschließen.

Nachdem zwischen 1982 und 1984 auch die neuen Fußböden verlegt waren, auch hier sind Teile der Essenweinschen Bodenmosaike erhalten, und im Anschluss die Innenausstattung restauriert wurde, öffnete sich Groß St. Martin am 13. Januar 1985 nach 40 Jahren erstmals wieder für die Öffentlichkeit. Die Altarweihe am 22. Juni nahm der Kölner Erzbischof Joseph Kardinal Höffner vor. Bei diesem Anlass hinterlegte er Reliquien der Heiligen Birgitta von Schweden, Sebastianus und Engelbert von Köln im Reliquiensepulcrum des Altars.



Text: Wikipedia

Bild: Wikipedia

Liste der Autoren

Der Text und das Bild sind unter der Lizenz „Creative Commons Attribution/Share Alike“ verfügbar; zusätzliche Bedingungen können anwendbar sein. Einzelheiten sind in den Nutzungsbedingungen von Wikipedia beschrieben.